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INTERNATIONAL/016: Kambodscha - Geschichtsaufarbeitung in den Schulen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. März 2012

Kambodscha: Geschichtsaufarbeitung in den Schulen - Lehrer behandeln Terrorherrschaft der Roten Khmer

von Irwin Loy


Lehrer in Phnom Penh werden darin fortgebildet, die Geschichte der Roten Khmer zu vermitteln - Bild: © Irwin Loy/IPS

Lehrer in Phnom Penh werden darin fortgebildet, die Geschichte der Roten Khmer zu vermitteln
Bild: © Irwin Loy/IPS

Phnom Penh, 30. März (IPS) - Vier Jahre lang zwangen die Roten Khmer den Lehrer Wan Preung zur Feldarbeit. Nach dem Sturz des Unrechtsregimes, dem bis zu 2,2 Millionen Menschen zum Opfer fielen, wurden die Verbrechen im Schulunterricht nur selten thematisiert. Doch inzwischen ist das düstere Kapitel kambodschanischer Geschichte fester Bestandteil des Lehrplans geworden.

"Es war lange Zeit schwierig, den Schülern etwas über die Roten Khmer zu vermitteln, weil uns selbst Teile der eigenen Geschichte unbekannt waren", berichtet Preung. "In unseren Lehrbüchern wurden die Roten Khmer nur am Rande erwähnt." Wurde er von seinen Schülern gefragt, erzählte Preung über seine eigenen Erfahrungen mit einem Regime, dem die Ermordung von einem Viertel der Bevölkerung zur Last gelegt wird.

Nach der Terrorherrschaft von 1975 bis 1979 war die politische Zukunft des südostasiatischen Landes zunächst ungewiss. Die harten Fakten aus der Zeit der Roten Khmer wurden von den damaligen Politikern vertuscht. "Wir konnten nicht viel reden", erinnert sich Preung. "Es war alles viel zu politisch."


Unterricht für die Lehrer

Mehr als 30 Jahre sind seither ins Land gezogen, und jetzt scheinen die Menschen bereit, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. 2009 genehmigte die Regierung das erste Lehrbuch zur Geschichte der Roten Khmer, die nun Teil des Lehrplans ist. Doch bevor die ersten Lehrer den Kindern und Jugendlichen das grausame Kapitel der Vergangenheit vermitteln konnten, mussten sie an Schulungskursen teilnehmen.

Vanthan Peoudara ist der stellvertretende Direktor des Dokumentationszentrums von Kambodscha, das solche Fortbildungen abhält. "Die Geschichte hat die junge Generation bisher noch nicht erreicht", meint er. "Viele haben sie nicht vollständig verstanden. Der Moment ist also günstig, um den jungen Menschen ein umfangreiches Wissen zu vermitteln, um zu verhindern, dass sich solche Verbrechen noch mal wiederholen."

Die Roten Khmer hatten vor, einen Bauernstaat aufzubauen. Die verhassten Intellektuellen waren die ersten, die sie aus dem Weg räumten. Auch unzählige Lehrer gehörten zu den Opfern. Nun haben die Lehrkräfte im Land die Verantwortung, diesen Teil der Geschichte denjenigen zu erklären, die das Regime selbst nicht mehr kennenlernten.

Bislang haben mehr als 3.000 Lehrer an den Fortbildungen teilgenommen. In den Intensivkursen erfahren sie, wie die Roten Khmer an die Macht kamen und was es mit ihrem Anführer Pol Pot auf sich hatte. Auch die Erfahrungen der Opfer und die Politik des Regimes kommen zur Sprache. Die Lehrer werden zudem mit den laufenden Bemühungen vertraut gemacht, die ehemaligen Führer des Terrorregimes zur Rechenschaft zu ziehen.

Nach Jahren der Straffreiheit müssen sich frühere hochrangige Mitglieder der Roten Khmer vor einem von der kambodschanischen Regierung und den Vereinten Nationen geleiteten Kriegsverbrechertribunal (ECCC) verantworten. 2010 kam es zum ersten Urteil gegen den ehemaligen Leiter des berüchtigten Gefängnisses S21 von Tuol Sleng, in dem zwischen 14.000 und 20.000 Menschen gefoltert und getötet worden waren - auch Frauen und Kinder. Kaing Guek Eav alias 'Duch' wurde wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt.


Verfahren kommen nur langsam voran

Inzwischen hat auch ein Verfahren gegen drei weitere ehemalige Führer der Roten Khmer begonnen: das Ex-Staatsoberhaupt Khieu Samphan, seinen Chefideologen Nuon Chea und den ehemaligen Außenminister Ieng Sary. Die Prozesse kommen jedoch nur schleppend voran, weil sie durch Meinungsverschiedenheiten über die Finanzierung des Tribunals und den Vorwurf politischer Interventionen behindert werden.

Erst in diesem Monat kam es zu einem Eklat, als ein wichtiger Richter sein Amt quittierte und dem Tribunal "gravierende Unregelmäßigkeiten" vorhielt, die er auf den langen Widerstand der Regierung gegen die strafrechtliche Verfolgung hochrangiger Roter Khmer zurückführte. Die Lage hat sich so sehr zugespitzt, dass Kritiker der UN bereits nahelegen, sich vollständig aus dem Tribunal zurückzuziehen.

Opfer wie Tang Khim warten unterdessen weiter darauf, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt. In einem Workshop berichtete die 54-jährige Lehrerin, von den Roten Khmer vergewaltigt worden zu sein. Früher habe man ihren Berichten über die Gräuel der Rothen Khmer nicht geglaubt. Das sei sehr frustrierend gewesen, sagt sie. Sie sei zuversichtlich, dass eine neue Generation von Lehrern den Schülern die Wahrheit vermitteln könne. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2012