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USA/362: Gesetz erschwert Schließung von Guantánamo-Gefangenenlager - Kritik an US-Präsident Obama (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Januar 2013

Menschenrechte:
Gesetz erschwert Schließung von Guantánamo-Gefangenenlager - Kritik an US-Präsident Obama

Von Jim Lobe



Washington, 4. Januar (IPS) - Menschenrechtsorganisationen haben US-Präsident Barack Obama vorgeworfen, zum zweiten Mal in Folge eine wichtige Chance vertan zu haben, um das berüchtigte Guantánamo-Gefangenenlager auf Kuba zu schließen. Er habe versäumt, sein Veto gegen ein Gesetz einzulegen, das die Umsetzung seines vier Jahre alten Versprechens erschwere.

Obama hatte zunächst angedroht, den '2013 National Defense Authorization Act' (NDAA) zu blockieren, dann aber nachgegeben. Unter anderem erneuert der NDAA die Einschränkungsmöglichkeiten des Kongresses, die dem US-Präsidenten zufolge dazu gedacht sind, eine Schließung des umstrittenen Haftzentrums von vornherein zu unterbinden. In dem Gefangenenlager werden seit elf Jahren mutmaßliche Terroristen festgehalten.

Doch auch Ende des letzten Jahres stimmte Obama dem Gesetz, das im Dezember beide Häuser des Kongresses passiert hatte, zu, das dem Verteidigungsministerium zudem die Verwendung von 633 Milliarden US-Dollar im Neuen Jahr garantiert.

Präsident Obama habe gleich zu Anfang seiner zweiten Amtszeit versagt, meinte Anthony Romero von der US-Bürgerrechtsorganisation 'American Civil Liberties Union' (ACLU). "Damit gefährdet er den Plan, Guantánamo noch in seiner Amtszeit zu schließen." Scharen von Männern, die bereits seit elf Jahren festgehalten würden, ohne dass sie eines Verbrechens angeklagt worden wären, müssten nun ein weiteres Jahr hinter Gittern bleiben. Das gelte auch für diejenigen, deren Verlegung beschlossene Sache sei.

"Die Regierung wirft dem Kongress vor, die Schließung von Guantánamo zu erschweren. Dabei ist es an Obama, die Ernsthaftigkeit seines Versprechens, das Gefängnis zu schließen, unter Beweis zu stellen", meinte Andrea Prasow von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW).


Von Vetorecht nicht Gebrauch gemacht

Der US-Präsident hat das Gesetz inmitten einer Debatte gegengezeichnet, wann und wie der von seinem Amtsvorgänger George W. Bush nach dem 11. September 2001 begonnene 'Krieg gegen den Terror' beendet werden kann. Im letzten Monat hatte der Pentagon-Anwalt Jeh Johnson die Frage in einer Rede vor dem Debattierclub der Oxford-Universität aufgeworfen.

"Jetzt, wo die Anstrengungen des US-Militärs gegen Al-Kaida ins zwölfte Jahr gehen, müssen wir uns fragen, wie wir den Konflikt beenden wollen", sagte er. Er selbst bot zwar keine Antworten auf die Frage an, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass der kritische Punkt dann erreicht sei, wenn die Al-Kaida und deren Verbündeten für unfähig befunden würden, "strategische Angriffe" gegen die USA zu führen.

Als Obama vor vier Jahren die Präsidentschaft antrat, hatte er die von Bush gerechtfertigten "erweiterten Verhörmethoden" verboten, die Menschenrechtler als Foltermethoden verurteilt hatten. Auch untersagte er die berüchtigten 'Rendition Flights' - die Überstellung Verdächtiger in Drittländer. Er setzt im Kampf gegen den internationalen Terrorismus vor allem auf unbemannte Flugobjekte, um gezielt hochrangige Terroristen in Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Jemen und Somalia zu liquidieren.

Einige frühere Vertreter der Bush-Regierung haben inzwischen die Frage aufgeworfen, ob die von der Obama-Regierung häufig angeordneten Drohneneinsätze moralisch und ethisch nicht ebenso wenig vertretbar seien wie die Anwendung der "erweiterten Verhörmethoden". Einige werfen dem US-Präsidenten sogar vor, Verdächtige lieber tot zu sehen als sie festnehmen und nach Guantánamo überstellen zu müssen. Den Vorwurf weist Obama strikt von sich.

Kritiker halten die Drohneneinsätze bestenfalls für kontraproduktiv und schlimmstenfalls für illegal, vor allem wenn diese jenseits des Schlachtfeldes erfolgen. Die Drohnenangriffe haben nach Angaben des Londoner Büros für Investigativen Journalismus seit dem Amtsantritt von Obama in Pakistan mehr als 1.500 und im Jemen mehr als 400 Menschenleben gefordert. Washington ist nun darum bemüht, die Bestimmungen für den Einsatz von Drohnen zu verschärfen.

Vor allem die gezielte Tötung des US-Bürgers und mutmaßlichen Al-Kaida-Führers Anwar al-Awlaki im Jemen 2011 sorgte in den USA für eine heftige Kontroverse. In einem Urteil vom 2. Januar kam eine New Yorker Bundesrichterin zu dem Schluss, dass sie das Justizministerium nicht dazu zwingen könne, ein internes Memorandum zu veröffentlichen, in dem der Drohnenangriff angeblich rechtlich begründet werde. Gleichwohl erklärte sie, dass sich solche Aktionen nach ihrem Rechtsverständnis "nicht mit unserer Verfassung und unseren Gesetzen vertragen".


"Recht auf Information"

Die ACLU, die das Gerichtsverfahren auf der Grundlage des US-Gesetzes für das Recht auf Information in Gang gebracht hatte, wies das Urteil zurück und beharrte darauf, "dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf habe, mehr über die Umstände zu erfahren, die die Regierung zu der Annahme veranlasst habe, Menschen einschließlich US-Bürger weit von jedem Schlachtfeld entfernt töten zu dürfen, ohne dass diese unter Anklage gestellt worden seien.

Am ersten Tag seiner Amtszeit vor vier Jahren hatte Obama angekündigt, das Gefangenenlager in Guantánamo Bay, das er damals als "trauriges Kapitel der amerikanischen Geschichte" bezeichnete, binnen eines Jahres zu schließen. Er ordnete die Überprüfung aller Fälle der rund 250 verbliebenen Gefangenen an.

2010 empfahl eine Arbeitsgruppe der Regierung die Repatriierung von 126 Häftlingen in ihre Heimatländer oder in Drittstaaten. Weitere 36 Fälle sollten von einem Bundesgericht oder von Militärausschüssen verhandelt werden. Nur noch 48 sollten auf unbefristete Zeit festgehalten werden. Tatsächlich sind einige Häftlinge repatriiert worden. Inzwischen sitzen in Guantánamo 166 Menschen ein.

Doch die Vorschläge der Arbeitsgruppe sind im Kongress auf heftige Gegenwehr gestoßen. Der größte Widerstand kam von denjenigen Abgeordneten, in deren Wahlkreise mutmaßliche Guantánamo-Häftlinge überstellt werden sollten. Auch die Empfehlung, etliche Prozesse vor Zivilgerichten zu verhandeln, stieß auf wenig Zustimmung.

2011 reichte der Kongress Vorschläge für die Reform der Verteidigungsgesetze ein, die die Möglichkeiten Obamas erheblich einschränkten, Gefangene zu repatriieren. Auch wurde damit die Möglichkeit, Guantánamo-Insassen zum US-amerikanischen Festland zu fliegen, hinfällig. Im Jahr darauf ist der Präsident erneut eingeknickt.


"Guantánamo bleibt Schandfleck auf US-Weste"

"Es ist nicht gerade ermutigend, dass sich der Präsident in dieser Frage selbst Fesseln angelegt hat", meinte Dixon Osborn von der Menschenrechtsgruppe 'Human Rights First'. "Das Guantánamo-Unrecht wird somit auch weiterhin ein Schandfleck auf der US-Weste bleiben."

Der NDAA hat auch die Befugnisse der US-Regierung beschnitten, etwa 50 nicht-afghanische Staatsbürger, die derzeit im Parwan-Gefängnis auf dem Bagram-Luftwaffenstützpunkt in Afghanistan einsitzen, von dort wegzubringen und/oder in ihre Heimatländer zu fliegen. (Ende/IPS/kb/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/01/groups-decry-obamas-failure-to-close-guantanamo/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2013