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USA/344: USA - Terrorgefahr durch US-Muslime übertrieben, weniger Attentatspläne seit 2009 (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Februar 2012

USA: Terrorgefahr durch US-Muslime übertrieben - Weniger Attentatspläne seit 2009

von Jim Lobe


Washington, 9. Februar (IPS) - Die von US-amerikanischen Muslimen ausgehende Terrorgefahr ist von den Behörden des Landes in den vergangenen Jahren offenbar hochgespielt worden. Laut einer Studie des 'Triangle Center on Terrorism and Homeland Security' (TCTHS) in North Carolina ist die Zahl der aufgedeckten Anschlagspläne und der Anklagen gegen radikale Muslime nach einem Höhepunkt 2009 im letzten Jahr stark gesunken.

TCTHS ist eine gemeinsame Initiative der Duke University, der University of North Carolina in Chapel Hill und des unabhängigen Forschungsinstituts RTI International, die die Hintergründe und Ursachen des Terrorismus untersuchen und diesen mit Bildung, Wissenschaft und Partnerschaften zwischen Universitäten, Industrie und Regierung bekämpfen.

Wie aus der an 8. Februar vorgestellten TCTHS-Untersuchung hervorgeht, hat nur einer von 20 muslimischen US-Bürgern, die im vergangenen Jahr wegen der Planung terroristischer Handlungen vor Gericht kamen, tatsächlich einen Anschlag verübt. Dieser einzige Attentäter beschoss militärische Einrichtungen außerhalb von Washington. Verletzt wurde niemand.

"Die Bedrohung bleibt zwar bestehen, weil die Anschlagspläne nicht auf null zurückgegangen sind und islamistische Organisationen in Übersee muslimische Amerikaner auch weiterhin zu Gewalt auffordern", räumte der Hauptautor der Studie, Charles Kurzman, ein. "Doch nur ein kleiner Teil von ihnen leistet diesen Aufrufen Folge."


Muslime nur für Bruchteil der Gewaltverbrechen in USA verantwortlich

Kurzman, der Soziologie an der Universität von North Carolina lehrt, wies darauf hin, dass in den Vereinigten Staaten mehr als zwei Millionen Muslime leben. In der gesamten Verbrechensstatistik des Landes, in dem 2011 rund 14.000 Morde registriert worden seien, spielten sie kaum eine Rolle, schrieb der Wissenschaftler, der im letzten Jahr das Buch 'The Missing Martyrs: Why There Are So Few Muslim Terrorists' veröffentlicht hatte.

Der TCTHS-Untersuchung zufolge waren etwa 200 muslimische US-Bürger in den vergangenen zehn Jahren in terroristische Anschlagsplanungen verwickelt. Mehr als 400 wurden vor Gericht gestellt beziehungsweise als Terrorhelfer verurteilt. Ihnen wurde unter anderem das Sammeln von Geld für terroristische Gruppen im Ausland vorgeworfen.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der neuen Studie erklärte auch ein hochrangiger Beamter des US-Verteidigungsministeriums, dass Washington die von dem Terrornetzwerk Al Kaida ausgehende Gefahr nach den Anschlägen vom 11. September 2001 übertrieben habe. "Al Kaida war nicht so gut, wie wir 9/11 annahmen", sagte Michael Sheehan, Ministerialdirektor für Sonderoperationen und Konflikte geringer Intensität im Pentagon. Einen weiteren Angriff aus der Luft habe es unter anderem deshalb nicht gegeben, weil das Terrornetzwerk dazu nicht in der Lage gewesen sei, zitierte ihn die 'Army Times'.

Kritiker von Präsident George W. Bush und seines 'globalen Krieges gegen den Terror' sind seit längerem der Ansicht, dass in der Bush-Ära die Gefahr durch Al Kaida und deren Anhänger in den USA hochgespielt wurde. Der jüngste Bericht des TCTHS konzentriert sich allerdings auf die Jahre seit dem Amtsantritt von Barack Obama im Januar 2009.

In Obamas erstem Amtsjahr schnellte die Zahl der Anklagen gegen terrorverdächtige muslimische US-Bürger auf 47 in die Höhe. Seit den Anschlägen von 9/11 waren jährlich durchschnittlich 20 muslimische Amerikaner wegen solcher Vorwürfe vor Gericht gestellt worden.


Viele Anschlagsopfer in 2009

2009 starben bei Anschlägen in den USA zudem mehr Menschen als in anderen Jahren seit 2001. Am 5. November 2009 erschoss der Armeepsychiater Nidal Hasan 13 Menschen in Ford Hood, Texas. Drei Monate zuvor hatte Abdulhakim Muhammad zwei Soldaten außerhalb eines militärischen Rekrutierungszentrums in Little Rock, Arkansas, angegriffen und einen von ihnen getötet.

Weiteres Aufsehen erregte Ende des Jahres der misslungene Bombenanschlag des Nigerianers Umar Farouk Abdulmutallab. Er befand sich an Bord eines Flugzeugs der 'Northwest Airlines', das er im Landeanflug auf Detroit in die Luft sprengen wollte.

Die Zahl der Klagen gegen mutmaßliche Terroristen sank im Jahr 2010 auf 26. Ein geplanter Autobombenanschlag auf dem New Yorker Times Square am 1. Mai des Jahres nährte jedoch Befürchtungen, dass muslimische US-Bürger immer radikaler würden.

Anfang 2011 erklärten FBI-Chef Robert Mueller und die Ministerin für Innere Sicherheit, Janet Napolitano, dass das Terrorrisiko den höchsten Stand seit September 2001 erreicht habe. Zur gleichen Zeit hielt der republikanische Vorsitzende des Ausschusses zur Inneren Sicherheit im Repräsentantenhaus, Peter King, eine Reihe umstrittener Anhörungen ab, die sich mit dem Einfluss von Al Kaida auf muslimische Amerikaner befassten.

"Diese und ähnliche Warnungen haben die Amerikaner auf einen möglichen Anstieg des muslimisch-amerikanischen Terrorismus eingestimmt. Das hat sich aber nicht bewahrheitet", hieß es in der Studie des Triangle Center. Als Nebeneffekt solcher Warnungen habe sich die Alarmbereitschaft im Verhältnis zu der Zahl der tatsächlichen Terroranschläge in den USA seit 9/11 in übertriebenem Maße erhöht.


Muslime in USA mit Lebensbedingungen zufrieden

Meinungsumfragen unter muslimischen US-Bürgern haben unterdessen ergeben, dass nur eine kleine Minderheit radikale Ansichten vertritt. Die meisten sind weitgehend mit ihrem Leben in den Vereinigten Staaten zufrieden. 55 Prozent von etwa 1.000 Muslimen, die im vergangenen Sommer vom 'Pew Research Center' befragt worden waren, hatten erklärt, dass ihr Alltag seit dem 11. September 2001 schwieriger geworden sei.

80 Prozent zeigten sich jedoch mit ihren persönlichen Lebensbedingungen zufrieden. Mehr als die Hälfte war zudem der Meinung, dass sich das Land in einer guten Lage befinde. In der gesamten Bevölkerung betrug der Zufriedenheitsgrad hingegen nur 23 Prozent. Wie das Pew Research Center ermittelte, wurden 37 Prozent der muslimischen US-Bürger in den Vereinigten Staaten geboren.

Bei einer Gallup-Umfrage im Sommer 2011 kam heraus, dass Muslime in den USA größere Toleranz für andere Religionen zeigten und Anschläge auf Zivilisten in höherem Maße ablehnten als Angehörige der übrigen Glaubensrichtungen in den USA. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://sanford.duke.edu/centers/tcths/documents/Kurzman_Muslim-American_Terrorism_in_the_Decade_Since_9_11.pdf
http://www.people-press.org/2011/08/30/muslim-americans-no-signs-of-growth-in-alienation-or-support-for-extremism/?src=prc-headline
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=106698

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Februar 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2012