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USA/326: USA - angeschlagene Hegemonialmacht (Sozialismus)


Sozialismus Heft 3/2011

USA: angeschlagene Hegemonialmacht

Von Joachim Bischoff


Mit einem massiven Kürzungsprogramm bei den öffentlichen Ausgaben versucht US-Präsident Obama in der Auseinandersetzung mit der erstarkten Fraktion der Republikaner politisches Terrain gut zu machen. Obamas Haushaltsplan sieht Ausgabenkürzungen von 1,1 Billionen Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren vor; zwei Drittel davon sollen über Ausgabenkürzungen erreicht werden. Aus dem Etatentwurf geht hervor, dass das Präsidialamt im Haushaltsjahr 2011 von einem Defizit in Höhe von 1,645 Billionen Dollar ausgeht. 2012 soll das Minus dann drastisch auf 1,101 Billionen Dollar sinken.

Die oppositionellen Republikaner treten für einen noch härteren Sanierungskurs ein. Sie werfen den Demokraten vor, zu stark auf eine Erholung der Steuereinnahmen zu setzen und die Ausgaben aus dem Blick zu verlieren. Die Präsidentschaftswahl 2012 wollen sie zu einer Abstimmung über Obamas Finanzpolitik machen. Auch auf der Ebene der Bundesstaaten dominiert in den USA die Rotstift-Politik.


Globale Ungleichgewichte - neues Bretton Woods?

Die Haushaltspolitik wird so zu einem der entscheidenden Prüfsteine dafür, ob die USA sich als führende Wirtschaftsmacht behaupten können. Die Strangulierung der Binnennachfrage wird durch die Steigerung der Exporte nicht kompensiert werden können. Weder in der Innenpolitik sind die Folgen der Großen Krise bewältigt, noch verlaufen die Aufräumarbeiten in der Globalökonomie nach den Vorstellungen der USA. Die Führungsmacht USA ist in den letzten Jahren spürbar an ihre Grenzen gestoßen. Bei seiner Neuverschuldung (2009) wie bei der anteiligen Gesamtverschuldung (am BIP) kommen die USA auf negative Spitzenwerte, wie sie für die europäischen Problemländer Griechenland und Irland bekannt sind. Dabei haben die USA wachsende Probleme, ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele durchzusetzen. Beim G20-Gipfel in Seoul scheiterte Obama gleich zweifach. Er konnte weder China zur Aufwertung des Renminbi noch Deutschland zur Verringerung seines Leistungsbilanzüberschusses bewegen. Von Peking bis Paris erschallt die Forderung, den Dollar als globale Reservewährung durch einen Währungskorb zu ersetzen. Auch wenn dies kaum Wirklichkeit werden dürfte, hat der Dollar doch kontinuierlich an Boden gegenüber dem Euro verloren.

Der US-Ökonom Nuriel Roubini beschreibt die aktuelle Konstellation zutreffend: "Wir leben in einer Welt, in der die globale wirtschaftliche und politische Steuerung - theoretisch - in den Händen der G20 liegt. In der Praxis jedoch gibt es keine globale Führung, und es herrscht schwere Verwirrung und Uneinigkeit unter den G20-Mitgliedern über Geld- und Fiskalpolitik, Wechselkurse und globale Ungleichgewichte, Klimawandel, Handel, Finanzstabilität, das internationale Währungssystem, die Sicherheit der Energie- und Lebensmittelversorgung und die globale Sicherheit." (N. Roubini: Unsere G-Null-Welt, project-syndicate, 2.2.2011)

Frankreich, das 2011 den Vorsitz in der G20 innehat, strebt einen Umbruch im Weltwährungssystem an. Die Regierung in Paris will die Zeit freier Wechselkurse beenden und plädiert für einen flexibleren Euro-Rettungsschirm. Sarkozy geht es darum, die komplexen und immer stärker ineinandergreifenden Antriebskräfte der Weltwirtschaft so zu synchronisieren und zu überwachen, dass abrupte Belastungen des Systems - wie sie 2008/09 auftraten - verhindert werden können. Allerdings ist beim Treffen im Februar 2011 nur eine Minimallösung herausgekommen, dahingehend, dass die Kriterien für die Messung von makroökonomischen Ungleichgewichten im Laufe des Jahres konkretisiert werden sollen.

Die Vorschläge der französischen Regierung laufen darauf hinaus, dem Internationalen Währungsfonds über eine Ausweitung der Sonderziehungsrechte, die aus einem Korb aus Dollar, Euro, Yen und Pfund bestehen, zusätzliche Liquidität für Kriseninterventionen zu ermöglichen. Außerdem sollen die Wechselkurse der wichtigsten Währungen nicht mehr allein durch Angebot und Nachfrage auf den internationalen Devisenmärkten bestimmt werden, sondern zumindest zum Teil staatlichen Vorgaben folgen. Auch der geschäftsführende Direktor des IMF, Dominique Strauss-Kahn, macht sich für eine solche Verlagerung der Zentralbankrolle auf die Washingtoner Institution stark. Letztlich wird aber erst im November 2011 entschieden, ob Reformschritte im Währungs- und Finanzsystem eingeleitet werden.

Frankreichs Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde weiß um die Bedeutung der Aufgabe: "Wenn wir so ein System hinkriegen und es von der Nachwelt Bretton Woods II genannt wird, soll mir das recht sein." Das mit dem Abkommen von Bretton Woods 1944 geschaffene internationale Währungssystem fußte auf festen Wechselkursen. Weltweite Leitwährung war der mit Gold unterlegte US-Dollar. Anfang der 1970er Jahre zerbrach das Bretton-Woods-System. Die Idee von Wechselkurszielzonen war zuletzt Ende der 1990er Jahre vom damaligen Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine verfochten worden. Vor allem Großbritannien und die USA hatten Lafontaines Überlegungen seinerzeit strikt zurückgewiesen.

Lagarde begründete einen Neuanlauf zu einem Bretton Woods II damit, dass der weltweite Handel und die Schwellenländer besser vor Wechselkursschocks geschützt werden müssten. Zudem schichteten viele Notenbanken Teile ihrer riesigen Dollar-Reserven in den nächsten Jahren in Euro und in den chinesischen Renminbi um. Dieser Übergang müsse organisiert werden, damit keine Währung plötzlich an Wert verliere.

Das Bedrohungspotenzial ist unstrittig: Den anhaltenden Leistungsbilanzdefiziten - in erster Linie der USA - stehen Überschüsse von Ländern wie China, Deutschland, Japan und den erdölexportierenden Staaten gegenüber. Die Defizite bzw. Überschüsse signalisieren Unterschiede im nationalen Spar- und Investitionsverhalten, in den Finanzintermediationskapazitäten und Wirtschaftspolitiken. Das Resultat sind große Kapitalflüsse, welche diese Unterschiede ausgleichen, das Finanzsystem aber anfällig machen.

Die USA schlugen bereits im November 2010 vor, die Leistungsbilanzsaldi auf 4% der nationalen BIP zu begrenzen, stießen damit aber auf vehementen Widerstand von China und Deutschland. Die auf neue Wachstumsquellen angewiesenen USA möchten die großen Sparer China, Deutschland und Japan zwingen, ihr Wachstumsmodell auf inländischen Konsum - und weg von Exporten - umzupolen.

Es geht vordergründig um die Zurückdrängung von Konfliktpotenzial in der Globalökonomie. Im Hintergrund steht die bedrohte Position der US-Hegemonie auf dem Weltmarkt. Zum einen verringert sich zwar der prozentuale Anteil des transatlantischen Raums an der weltweiten Wirtschaftsleistung. Zum anderen generieren China und Indien wegen der schieren Größe ihrer Bevölkerung hohe Wachstumszahlen, dennoch lebt ein großer Teil vor allem der ländlichen Bevölkerung in Armut. Bevor Indien und China zum Überholen ansetzen können, müssten sie den Westen erst einmal einholen. Bis dies so weit ist und der Wohlstand wirklich in der Breite der Gesellschaften ankommt, dauert es noch lange. Zudem kämpfen beide Länder mit sozialen Ungleichgewichten, und dies selbst in einem Bereich, der gemeinhin als Paradebeispiel für den westlichen Abstieg gilt - der Demografie.

Dennoch: Die geopolitische Landkarte der Welt ist bunter und "multipolarer" geworden. Noch einmal sei auf die Zeitdiagnose von Roubini verwiesen: "Im 19. Jahrhundert war der stabile Hegemon das Vereinigte Königreich. ... Im 20. Jahrhundert übernahmen die Vereinigten Staaten diese Rolle. Sie setzen ihre Pax Americana durch und gewährieisteten so die Sicherheit in den größten Teilen Westeuropas, Asiens, des Nahen Ostens und Lateinamerikas. Und die USA dominierten die Bretton-Woods-Institutionen - den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und später dann die Welthandelsorganisation - und bestimmten so die globale Handels- und Finanzordnung, mit dem Dollar als wichtigster Reservewährung. Heute jedoch befindet sich das 'US-Imperium' im relativen Niedergang und ist fiskalisch überfordert."

Die Schwäche der USA hat den Führungsmangel der G20 bei der globalen wirtschaftlichen und politischen Steuerung verstärkt - und ein Blick auf die aktuellen ökonomischen Entwicklungstendenzen lässt keine andere Entwicklungsrichtung erkennen.


US-Ökonomie nach dem Sommer der Erholung

Niedriges Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit, eine starke Zunahme der Staatsverschuldung und die Gefahr einer Deflation: Das sind die zentralen Punkte, die von Obamas "Sommer der Erholung" 2010 übrig geblieben sind. Und dies, obwohl die Fed Funds Rate seit Dezember 2008 bei fast Null liegt, womit das klassische Instrument der Geldpolitik ausgeschöpft ist. Im Vordergrund steht bei einer weiteren Verschlechterung der Lage die direkte Intervention an den Märkten, indem das Fed längerfristige Wertpapiere wie Staats-, Firmen- oder Hypothekenanleihen kauft.

Die Kritiker verweisen auf die Perspektivlosigkeit der expansiven Geldpolitik. Faktisch wird mit der Niedrigzinspolitik und der Geldexpansion das Steuerungszentrum der kapitalistischen Ökonomie - der Ausgleich zur Durchschnittsprofitrate - eingeschränkt, wenn nicht außer Funktion gesetzt. Während der letzten drei Jahrzehnte haben die Notenbanken eine Politik des billigen Geldes verfolgt, was zwar einerseits durch in der Weltwirtschaft bestehende deflatorische Kräfte gerechtfertigt war, anderseits aber durch die sinkenden Realzinsen zu der immer heftigeren Fremdverschuldung des Finanzsektors und zu überhöhten Anlagepreisen beigetragen hat. Seit den frühen 1980er Jahren sind die realen Zinsen in den USA für zehnjährige Anlagen von über 5% auf unter 1% gefallen. Dieser Zinsabbau ist für den Anstieg des Dow-Jones-Index um 3.000 bis 4.000 Punkte und von Anleihen um jährlich 2% bis 3% verantwortlich gewesen.

Doch diese Vermögensbildung hat keine dauerhafte Qualität, da sie auf einem sinkenden Zinstrend basiert. Längst ist den Notenbanken die Munition in Form weiterer Zinssenkungen ausgegangen. Zudem basieren niedrige oder negative reale Zinsen auf einer für das kapitalistische System gefährlichen Umverteilung. Notenbanken und Politiker transferieren Geld von einer Klasse von Anlegern (Sparern und langfristigen Investoren) zu einer mehr und mehr durch spekulative Elemente geprägten Investition. Die eigentliche Hauptaufgabe - eine effiziente, produktive Allokation von Kapital - tritt mehr und mehr in den Hintergrund.

Gleichwohl: Angesichts einer offiziellen Erwerbslosenquote von über 9% und hoher Verschuldung hielten sich die Konsumenten, von deren Ausgaben rund zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes bestimmt werden, lange zurück. Obwohl sich die Lage am Arbeitsmarkt bisher kaum verbessert hat, ist dieser Attentismus im vierten Quartal 2010 offenbar zu einem Ende gekommen: Von Oktober bis Dezember legte das Bruttoinlandsprodukt der weltgrößten Volkswirtschaft auf das Jahr hochgerechnet um 3,2% zu. Für das Gesamtjahr 2010 ergab sich ein Plus von 2,9% - das kräftigste Wachstum seit 2005.

Die USA müssen allerdings ein Wachstum des BIP von mindestens 2,5% erzielen, damit allein die neu auf den Arbeitsmarkt drängenden Lohnabhängigen eine Stelle finden. Die Fed hatte deshalb im November 2010 beschlossen, bis Mitte 2011 zusätzlich für 600 Mrd. $ Staatsanleihen zu kaufen, um die längerfristigen Zinsen zu senken. Als ein Indiz für den Erfolg wertet der Fed-Vorsitzende, dass der Aktienmarkt seit August - damals hatte das Fed erstmals eine neuerliche Lockerung in Aussicht gestellt - deutlich zugelegt habe und die Schwankungen abgenommen hätten.

Insbesondere die Konsumausgaben der Verbraucher sorgten für Impulse: Mit 4,4% zogen sie im Schlussquartal 2010 so stark an wie seit rund fünf Jahren nicht mehr. Neben dem Konsum kurbelten am Jahresende auch die Exporte die Wirtschaft an: Die Ausfuhren stiegen um 8,5% und damit stärker als im Vorquartal. Dennoch: Das gewaltige Außenhandelsbilanzdefizit bleibt ein Sorgenkind der USA. Problematisch ist auch, dass die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung durch einen geringen Anstieg der Lagerhaltung getrübt wurde. Sie wuchs nur um 7,17 Mrd. US-Dollar, was dem Wachstum erheblich zusetzte.

Allerdings wird die US-Wirtschaft ihr Tempo im ersten Quartal 2011 nicht halten können. Die hohe Arbeitslosigkeit verhindert eine anhaltend rasche Erholung. Der IWF traut den USA für 2011 zwar noch ein Wachstum von 3,00/0 zu, das sich 2012 leicht abkühlen soll. Die Sorge der Fed: Das Tempo sei einfach nicht hoch genug, um eine "deutliche Besserung" am Arbeitsmarkt zu bewirken.


Kein Ende der Großen Krise

Obwohl die Welt seit nunmehr elf Jahren im 21. Jahrhundert lebt, funktioniert sie noch immer nach der internationalen Finanzarchitektur von Mitte des letzten Jahrhunderts, lautete einer der zentralen Kritikpunkte. In den letzten zehn Jahren hat der Anteil des Dollars an den internationalen Reservewährungen um etwa 10% abgenommen und ist in diesem Umfang primär durch den Euro ersetzt worden.

Es findet somit eine Diversifikation statt, auch ohne dass sie politisch verordnet wird. Und dass die chinesische Währung international noch kaum eine Rolle spielt, hat nichts mit einer Verschwörung der Amerikaner, sondern mit dem politischen Willen der chinesischen Führung zu tun. Peking hat aus handelspolitischen Gründen seine Währung faktisch an den Dollar gebunden, und das zu einem strukturell unterbewerteten Kurs.

Zwar wäre es möglich, die Sonderziehungsrechte des IWF zu einem neuen Währungsinstrument zu entwickeln, das Zentralbanken auch als Reservewährung halten könnten. Doch verändern dürfte sich damit wenig, und die Ungleichgewichtsprobleme, unter denen manche Volkswirtschaften derzeit leiden, wären dadurch nicht gelöst. Sonderziehungsrechte wären eher ein theoretisches Konstrukt, dem wahrscheinlich bloß eine buchhalterische Funktion zukommen würde und das kaum als eigentliches Zahlungsmittel gebraucht werden könnte. Dass der Dollar trotz sinkenden Anteils der USA an der weltweiten Wirtschaftsleistung weiter als Leitwährung fungiert und noch rund 60% der Reservewährungen ausmacht, hängt vor allem damit zusammen, dass Amerikas Finanzmarkt mit Abstand der liquideste und am weitesten entwickelte ist.

Trotz allen Drucks aus den USA und Europa dürfte sich China in Währungsfragen kaum wesentlich bewegen. Zu abhängig ist die Wirtschaft des Landes noch immer von billigen Exporten. Zwar haben Berater der chinesischen Zentralbank in den letzten Wochen durchblicken lassen, China könnte sich möglicherweise für den amerikanischen Vorschlag erwärmen, den Leistungsbilanzüberschuss künftig auf 4% zu begrenzen. Wohl als Geste des guten Willens hat die chinesische Zentralbank vor kurzem den Renminbi gegenüber dem Dollar demonstrativ um relativ kräftige 0,2% aufwerten lassen. Deren Gouverneur Zhou Xiaochuan hat sich allerdings wiederholt dezidiert gegen eine "exzessive Aufwertung" ausgesprochen.

Auf der weltpolitischen Bühne agiert China zunehmend selbstbewusster und baut seine Machtansprüche aus. Die mittlerweile zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt treibt nicht nur die Weltwirtschaft an, sondern greift auch geostrategisch auf alle Kontinente aus - nicht nur bei Rohstoffen, sondern auch, um neue Interessensphären zu sichern. Dazu passt die massive Aufrüstung: Die Armee wird modernisiert, die Luftwaffe entwickelt einen Tarnkappenbomber, das Weltraumprogramm wird vorangetrieben und die Marine wird zu einem Instrument globaler Interessensicherung ausgebaut.

Der ökonomischen Erosion der Stellung der USA auf den Weltmärkten entspricht ein Rückgang des machtpolitischen Einflusses. Trotz der gewaltigsten Militärmaschinerie der Welt kann Amerika keine Lösung in Afghanistan erzwingen. Im Irak obsiegte Washington zwar militärisch, aber zu hohen politischen Kosten. Der Iran bestimmt seit Saddams Sturz in Bagdad mit und ist in der Region stärker denn je. Beide Kriege haben bis heute gewaltige Ressourcen verschlungen, und damit die ökonomische Basis weiter geschwächt.

Die starken Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft haben zur Finanz- und Schuldenkrise beigetragen und sind durch sie markant verstärkt worden. Nachhaltig zu überwinden ist die Krise nur durch einen Abbau dieser Ungleichgewichte. Es geht um eine Neuausbalancierung der Weltwirtschaft. Und im Zentrum einer solchen Restrukturierung müsste die Hegemonialmacht USA stehen. Denn die Erwartung, dass die angeschlagene Weltmacht zügig zu einem normalen Wachstumstempo wie vor der Krise zurückkehren kann, ist nicht realistisch. Das sieht man etwa an den Häuserpreisen in den USA, bei denen es Zeichen einer erneuten Schwäche gibt. Es gibt reichlich Fragezeichen die Robustheit der Erholung betreffend.

Die globale Wirtschaft befindet sich in einem länderspezifisch höchst unterschiedlichen Erholungsprozess, der auf eine massive, antizyklisch angelegte Geld- und Finanzpolitik zurückzuführen ist. Doch die systemischen Risiken, die die globalen Finanzmärkte an den Rand eines Systemzusammenbruchs getrieben hatten, sind nicht beseitigt, sondern lediglich vom Privatsektor auf den öffentlichen Sektor übertragen worden. Seit 2002 ist das globale Kreditvolumen im Durchschnitt jährlich um rund 11% gewachsen, während das reale Wirtschaftsprodukt im gleichen Zeitraum nur rund 4% zugelegt hat. Die globalen Gesamtschulden erreichen fast 200 Bio. $ und übertreffen seit 2006 deutlich die Marke von 300% der globalen Wertschöpfung.

Die von Notenbanken in kapitalistischen Hauptländern praktizierte Niedrigzinspolitik (plus weiterer Verschuldung), mit der eine Restrukturierung bestehender Schulden vermieden oder hinausgeschoben werden soll, entwickelt sich zu einer Falle. Abschreckendes Beispiel ist Japan: Die Staatsverschuldung beläuft sich auf das 20-fache der Staatseinnahmen, und die Zinskosten machen trotz tiefem Zinsniveau 20% der Staatseinnahmen aus (in Deutschland und Frankreich nur gut 5%).

Zudem: Seit dem Ausbruch der Krise im Sommer 2007 ist der Hypothekensektor praktisch in staatlicher Hand. Staatliche Behörden und die unter der Kontrolle der Regierung stehenden Finanzierer Fannie Mae und Freddie Mac garantierten 2010 neun von zehn neu begebenen Hypotheken. Der Steuerzahler trägt somit das Risiko, sollten diese Schulden ausfallen. Die Regierung räumt ein, dass diese Politik gescheitert ist. So haben die Steuerzahler bisher rund 150 Mrd. $ an Freddie und Fannie überwiesen, um deren Verluste zu decken. Ein Ende der roten Zahlen ist nicht in Sicht. Das Budgetbüro des Kongresses schätzte, dass sich die Kosten am Ende auf 389 Mrd. Dollar belaufen könnten. Durch die quantitative Lockerung hat die US-Notenbank zwar den Aktienmarkt angekurbelt, doch weder dem Immobilienmarkt eine durchgreifende Bereinigung gebracht, noch das frühere Niveau der Beschäftigung erzeugt.

Nach der schon überwunden geglaubten Großen Krise bleiben die USA von Stagnation und einem erneuten Rückfall in die Krise bedroht. Die Suche nach dem richtigen Rezept zur Krisenbekämpfung wird immer schwieriger. Die Fed und die EZB haben Hunderte von Milliarden Liquidität in die Märkte gepumpt.

Fast jede westliche Regierung hat mit Konjunkturprogrammen versucht, die Wirtschaft anzukurbeln. Damit konnte man zwar das totale Desaster abwenden, aber ein nachhaltiges Wachstum hat sich nicht eingestellt. Jetzt herrscht eine gewisse Ratlosigkeit unter den Notenbankern. Zwar hat die US-Notenbank ihre Bilanzsumme um 1.500 Mrd. $ ausgedehnt und hält die Leitzinsen nahe Null. Der Kern des Problems ist, dass die Geldströme fehlgeleitet werden. Die Geschäftsbanken bunkern Liquidität, statt Kredite zu verleihen: Sie haben ihre Geldreserven bei der Fed seit Oktober 2008 von nahezu Null auf rund 1.000 Mrd. $ hinaufgeschraubt. Gleichzeitig haben die privaten Haushalte ihre Sparquote auf knapp 6% angehoben. Die Unternehmen zögern, zu investieren, weil das System labil ist und die Perspektiven einer nachhaltigen Kapitalanlage mit Unsicherheit ausgestattet bleiben. Ein Ende der Großen Krise sähe anders aus.


Joachim Bischoff ist Mitherausgeber von Sozialismus.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Grafik der Originalpublikation:

Abbildung 1: Globale Ungleichgewichte


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Quelle:
Sozialismus Heft 3/2011, Seite 22 - 26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2011