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USA/289: Geheimdokumente belegen Verbindungen zwischen CIA und exilkubanischen Gruppen (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 10./11. Oktober 2009

Washingtons Terrorpate
Luis Posada Carriles und die CIA: Jetzt veröffentlichte Geheimdokumente belegen Verbindungen
zum US-Geheimdienst und Tätigkeiten in militanten exilkubanischen Gruppen

Von Jürgen Heiser


Auf den Tag genau 33 Jahre nach dem verheerenden Bombenanschlag auf eine DC-8 der kubanischen Fluggesellschaft Cubana de Aviación am 6. Oktober 1976 veröffentlichte das unabhängige National Security Archive an der George Washington University in Washington D. C. bislang unter Verschluß gehaltene Dokumente über Luis Posada Carriles. Er ist einer der beiden Hauptverantwortlichen für das Attentat. Die Dokumente enthalten neue Beweise für dessen »Verbindungen zur Firma«, zum US-Geheimdienst CIA, und seine Rolle als Agent im Kreis militanter exilkubanischer Gruppierungen. Die bisher geheimen Akten offenbaren den Namen seines CIA-Führungsoffiziers Grover T. Lythcott, enthüllen seinen Decknamen AMCLEVE-15 und werfen ein Licht auf seine Zusammenarbeit mit Jorge Más Canosa, bis zu seinem Tod im Jahr 1997 einer der führenden exilkubanischen Contras in Miami. Más Canosa nahm 1961 an der Invasion in der Schweinebucht, dem gescheiterten militärischen Angriff auf das revolutionäre Kuba, teil und absolvierte anschließend eine Offiziersausbildung bei der US-Armee in Fort Benning, Georgia. Er war Vorsitzender zahlreicher Wirtschaftsverbände, Honorarkonsul von Tel Aviv und Chefberater des US-Propagandasenders Radio Martí.

Nachdem die Regierung von US-Präsident Ronald Reagan 1981 die Fundación Nacional Cubano-Americana (FNCA - Kubanisch-amerikanische Nationalstiftung) auf der Basis einer Direktive des Nationalen Sicherheitsrates der USA (NSC) gegründet hatte, wurde Más Canosa mit deren Aufbau beauftragt. Unter dem Dach der Fundación sollten die Exilkubaner »mit einer Stimme« sprechen. Hinter der Fassade einer gemeinnützigen Stiftung aber entfalteten die von der Fundación geführten Kräfte den Kampf zum Sturz der kubanischen Regierung in ganzer Breite: von Propagandaaktionen über Sabotage- bis hin zu Terrorakten.

Die CIA mußte die in den letzten Jahren vom National Security Archive veröffentlichten Dokumente unter dem »Kennedy Assassination Records Act« freigeben. Für Peter Kornbluh, Leiter des Kuba-Dokumentationsprojekts im National Security Archive, sind die bisher aufgedeckten Papiere nur ein Anfang.

In einer Notiz von Posada aus dem Juli 1966 bittet dieser seinen CIA-Führungsoffizier Lythcott um Erlaubnis, sich einer Koordinationsjunta von vier gewaltsam agierenden exilkubanischen Gruppen anschließen zu dürfen. Eine davon ist die von Más Canosa geführte Kubanische Vertretung im Exil (RECE). »Ich werde der Firma alle Geheiminformationen weitergeben, die ich sammeln kann«, schreibt Posada. »Ich werde eine eher stabile Position zwischen den Exilanten einnehmen, was mir für die Zukunft zu einer besseren Position verhilft, gute Arbeit für die Firma leisten zu können.«

Die Dokumente belegen, daß Posada bereits seit Mitte 1965 für die CIA Berichte über Más Canosas Aktivitäten verfaßt hat. Im Juli desselben Jahres meldet Posada, daß er für eine Operation von Más Canosa gegen sowjetische und kubanische Schiffe im Hafen von Veracruz, Mexiko, zwei Zehnpfünder-Haftminen gebaut hat, wofür er außer Pentolite-Sprengstoff auch Stiftzünder verwendet.

In einem Aktenvermerk beschreibt Lythcott Posada als jemanden, »der nicht gerade ein Haudegentyp ist«, sondern »sich der internationalen Implikationen schlecht geplanter oder übertrieben enthusiastischer Aktivitäten gegen Kuba bewußt ist«. In Posadas CIA-Personalakte steht schon 1965, er sei »streng antikommunistisch« und eigne sich »außerordentlich gut für eine verantwortliche zivile Position in PBRUMEN (Codewort für Kuba), sollte die gegenwärtige Regierung stürzen«.

Sowohl CIA- als auch FBI-Geheimakten identifizieren Posada als einen der Hintermänner des Bombenanschlags auf die Maschine des Fluges CU-455 der Cubana-Fluggesellschaft. Auch dabei sei ein Stiftzünder eingesetzt worden. 1997 gibt Posada öffentlich seine Verbindungen zu einer Serie von Bombenattentaten auf kubanische Hotels zu.

»Die Dokumente belegen, daß Posada sich über einen langen Zeitraum bei der CIA eingeschmeichelt hat«, kommentiert Peter Kornbluh, »vielleicht, um sich dadurch auch einen gewissen Grad von Schutz zu kaufen, weil er sich für diese Terrorkarriere engagiert hat.« Die CIA fordert er auf, »ihre gesamten operativen Akten über Posada Carriles und seine Aktivitäten offenzulegen, um die Geschichte der gegen die Castro-Regierung gerichteten Gewalt aufzuklären und den vielen Opfern Posadas Gerechtigkeit widerfahren zu lassen«.

Auf dem 15. Iberoamerikanischen Gipfeltreffen 2005 hatten die teilnehmenden Staaten in einer Resolution von den USA gefordert, Posada Carriles für die ihm angelasteten Attentate vor Gericht zu stellen. Auf einem internationalen Solidaritätstreffen für die »Cuban Five« sagte der Präsident der Nationalversammlung Kubas am 2. Mai 2007 in Havanna: »Der beste Beweis für die Unschuld unserer fünf Landsleute, die unrechtmäßig in Gefängnissen der USA eingesperrt sind, ist Posada Carriles, dessen Freilassung in skandalöser Art gegen die vom Imperium selbst verkündeten Gebote seines vermeintlichen Kampfes gegen den Terrorismus verstößt«.

Die Regierung von Hugo Chávez in Venezuela wirft den Vereinigten Staaten angesichts der Tatsache, daß sich dieser Terrorist in Freiheit befindet, während die »Cuban Five« wegen ihrer Kundschaftertätigkeit gegen Exilkubaner vom Schlage Posadas und Boschs seit zwölf Jahren in Haft sitzen, eine »Doppelmoral in ihrem sogenannten Krieg gegen den Terrorismus« vor. Sie verlangt die Auslieferung Posadas.

• Die Dokumente im Internet:
www.gwu.edu/~nsarchiv/index.html


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Flug CU-455

73 Menschen ermordet: Anschlag sollte 1976 Fanal für den »Regimewechsel« auf Kuba sein

Von Jürgen Heiser


Am 6. Oktober 1976 startet Flug CU-455 der Cubana de Aviación vom Seawell Airport in Bridgetown auf Barbados. Die Maschine war mit etwas Verspätung aus Guyana kommend auf Barbados gelandet und der Weiterflug nach Havanna mit geplanten Zwischenstopps in Kingston, Jamaica, und Santiago de Cuba vorgesehen.

Nur neun Minuten nach dem Start explodiert in einer Flughöhe von 18000 Fuß eine in den Hecktoiletten versteckte Zeitbombe. Kapitän Wilfredo Pérez funkt an den Kontrollturm von Barbados: »Explosion an Bord, wir befinden uns im Sinkflug! Feuer an Bord! Erbitten sofortige Landeerlaubnis! Höchste Notfallstufe!« Während die Piloten verzweifelt versuchen, die Maschine zum Seawell Airport zurückzufliegen, explodiert eine zweite Zeitbombe unter Sitz Nummer 27. Acht Kilometer vor Bridgetown stürzt die brennende Maschine ins Meer.

Von den 73 Menschen an Bord überlebt niemand: 57 Kubaner, 11 Guyaner und fünf Nordkoreaner. Das jüngste Opfer ist neun Jahre alt. Unter den Toten 24 junge Mitglieder der kubanischen Fechtnationalmannschaft, die bei den Zentralamerikanisch-Karibischen Meisterschaften gerade die Goldmedaille errungen hat. Als Regierungsvertreter sterben Manuel Permuy Hernández, Direktor des Nationalen Sportinstituts Kubas, Jorge de la Nuez Suárez, Sekretär der Krabben-Fischereiflotte, Alfonso González, Beauftragter des kubanischen Waffensportverbandes, und Domingo Chacón Coello, Flugsicherheitsbeamter des Innenministeriums. Die elf Passagiere, die zu Beginn des Fluges in Guyana zugestiegen waren, sind 18- und 19jährige Stipendiaten, die in Kuba ihr Medizinstudium aufnehmen wollten, und die junge Frau eines guyanischen Diplomaten. Vier der fünf getöteten Koreaner sind Regierungsvertreter.

Am 6. Oktober 2009 erklärt Bernardo Alvarez Herrera, Botschafter Venezuelas in den USA: »Die Bolivarische Republik Venezuela wird weiterhin dafür eintreten, Luis Posada Carriles für 73 heimtückische Morde in Caracas vor Gericht zu stellen und seiner gerechten Strafe zuzuführen.«


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Contra der CIA

Vita eines »unfaßbaren« Terroristen

Der 1928 in Cienfuegos geborene Luis Posada Carriles emigriert nach dem Sieg der kubanischen Revolution 1959 und läßt sich von CIA und US-Armee in Spionage- und Sabotagetechniken sowie Sprengstoff- und Waffengebrauch schulen. 1961 nimmt er an der Invasion in der Schweinebucht teil. 1967 überträgt ihm die CIA Aufgaben im Geheimdienst Venezuelas. Posada arbeitet so effektiv, daß CIA-Direktor George Bush ihn dem Geheimdienst des chilenischen Generals Pinochet als Vorbild empfiehlt. 1974 wählt Venezuela einen neuen Präsidenten, und Posada muß sein Amt als Operationschef des Geheimdienstes aufgeben. Mit Hilfe der CIA gründet er zur Tarnung eine Privatdetektei, von der aus er terroristische und paramilitärische Aktionen gegen progressive Kräfte Lateinamerikas plant.

Im Juni 1976 - noch unter CIA-Direktor George Bush, der bis Januar 1977 amtiert - beginnt der US-Geheimdienst, sein Agentennetz zur Destabilisierung Kubas neu zu knüpfen. Posada Carriles und Orlando Bosch werden Führungspositionen zugewiesen. Die CIA weiß, daß sie eine spektakuläre Aktion gegen Kuba planen. Am 6. Oktober 1976 stürzt ein kubanisches Zivilflugzeug nach Bombenexplosionen ins Meer.

Die blutige Spur führt zu exilkubanischen Terroristen in Miami mit Verbindungen zur CIA und zur venezolanischen Sicherheitspolizei. Vier Verdächtige werden verhaftet und in Venezuela angeklagt: Freddy Lugo und Hernàn Ricardo erhalten für das Deponieren der beiden Sprengsätze je 20 Jahre Gefängnis. Die Anklage gegen Orlando Bosch wird wegen »Formfehlern« fallengelassen. 1988 reist Bosch illegal in die USA ein, wird aber 1990 von George Bush, mittlerweile US-Präsident, begnadigt.

Posada gelingt 1985 am Vorabend seiner Urteilsverkündung mit Hilfe Jorge Más Canosas die Flucht aus Venezuela. Seine weiteren Stationen: Beschaffung von Quartieren und Waffen für die nikaraguanischen Contras in El Salvador. Drogenschmuggel. Mehrere Bombenanschläge auf Touristikzentren Kubas. Bis 2005 verliert sich seine Spur, dann taucht er in Miami auf und wird nach Hinweisen aus dem Ausland und auf Druck der Medien in Haft genommen. Posada kündigt für den Fall eines Prozesses Aussagen über seine Arbeit bei der CIA an. Am 19. April 2007 wird er auf Kaution freigelassen, am 8. Mai 2007 läßt eine Bezirksrichterin wegen »Formfehlern« alle Anklagen gegen ihn fallen. Seitdem lebt auch Luis Posada Carriles als freier Mann in Miami.

(jh)


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Quelle:
junge Welt vom 10./11.10.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2009