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OSTEUROPA/376: Aktionsplan für Waffenruhe in der Ostukraine (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 39 vom 26. September 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Aktionsplan für Waffenruhe in der Ostukraine
Sonderstatus des Donbass bleibt umstritten

von Willi Gerns



Am vergangenen Samstag haben die Mitglieder der Kontaktgruppe für die Ukraine einen Aktionsplan für die Durchsetzung der Waffenruhe in der Ostukraine unterzeichnet.

Wie Ex-Präsident Leonid Kutschma, der für die Ukraine der Kontaktgruppe angehört, nach Abschluss der Verhandlungen vor Journalisten erklärte, sieht das Memorandum vor, "dass alle Waffen mit Kaliber von 100 mm und mehr auf jeder Seite um mindestens 15 Kilometer zurückgezogen werden. Verboten ist die Stationierung von schweren Waffen und Kampftechnik im Raum der besiedelten Orte." Verboten seien weiter das Anlegen von Minensperren und der Einsatz von Kampfflugzeugen, inklusive Drohnen, mit Ausnahme der der OSZE gehörenden Apparate.

Die Einhaltung der Vereinbarungen wird von der OSZE überwacht. Laut Kutschma wurde beschlossen, "innerhalb eines Tages eine OSZE-Mission im Raum der Waffenruhe zu stationieren und alle ausländischen Militäreinheiten auf beiden Seiten unter OSZE-Beobachtung abzuziehen".

Angeschnitten wurde auch die Frage des Gefangenenaustauschs. Wie Kutschma betonte, ist dieser Prozess im Gange, "und diese Arbeit werden wir noch aktiver fortsetzen. Alle Seiten sind an der Fortsetzung dieses Prozesses interessiert".

Wenn diese Vereinbarungen konsequent umgesetzt werden, insbesondere das kontrollierte Auseinanderrücken der bewaffneten Kräfte und das Verbot des Einsatzes schwerer Waffen, könnte dies in der Tat zu einer bedeutenden Deeskalation der Lage im Kampfgebiet führen.

Die Frage des Sonderstatus der Region Donbass ist bei den Verhandlungen nicht erörtert worden, wie die Regierungschefs der Volksrepubliken Donezk und Lugansk Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizki mitteilten. Man wolle auf dieses Thema zurückkommen. "Jede der Seiten versteht das Gesetz über den Sonderstatus des Donbass auf ihre Weise", so Sachartschenko.

Laut dem einige Tage vor den Minsker Verhandlungen von der Obersten Rada, dem zentralen Parlament der Ukraine, beschlossenen Gesetz über den Sonderstatus "einzelner Regionen des Donbass" haben die Regierung in Kiew und andere zentrale Behörden mit den zuständigen Selbstverwaltungsbehörden vor Ort "Vereinbarungen über Wirtschafts-, Sozial- und Kulturentwicklung" dieser Regionen zu schließen. Am 7. Dezember dieses Jahres sollen dort nach dem Plan Kiews Kommunalwahlen stattfinden.

Weiter heißt es in dem Gesetz: "Der Staat garantiert jedem Einwohner in den einzelnen Regionen der Gebiete Donezk und Lugansk das Recht auf sprachliche Selbstbestimmung im Sinne des Gesetzes über die Grundlagen der staatlichen Sprachenpolitik." Die Einwohner dieser Regionen sollen Russisch und jede andere Sprache, die sie für ihre Muttersprache halten, im öffentlichen und privaten Leben benutzen dürfen. Das Gesetz garantiere zudem das Recht auf Lernern "der russischen und jeder anderen Sprache, ihre freie Entwicklung und Gleichberechtigung".

In einem weiteren Gesetz wird den Volksmilizen eine Amnestie in Aussicht gestellt. Das Gesetz verbietet jede "Diskriminierung und Verfolgung wegen der Ereignisse in den Gebieten Donezk und Lugansk." Die Amnestie gilt aber nur für jene Milizen, die binnen eines Monats nach Inkrafttreten des Gesetzes ihre Waffen niederlegen und Geiseln freilassen, heißt es im Anhang zum Gesetz. Personen, gegen die Verdacht auf schwere Verbrechen wie Mord, Anschlag auf einen Staatsmann oder Sabotage besteht, sind von der Amnestie ausgenommen.

Die Aufständischen sehen die beiden Gesetze offenbar mit Zurückhaltung. So sagte Igor Plotnitzki, der Ministerpräsident der VR Lugansk zu RIANOVOSTI, das Gesetz über den Sonderstatus entspräche den Erwartungen seiner Region. "Obwohl noch vieles ungeklärt ist, hat die friedliche Regelung jetzt eine Chance." Der Vizepremier der VR Donezk, Andrej Purgin, erklärte seinerseits zum Amnestie-Gesetz, er traue der zugesagten Amnestie nicht, sehe das Gesetz jedoch als "Berührungspunkt für künftige Verhandlungen mit Kiew an.

Grund zur Skepsis gibt es in der Tat.

Erstens müssen die Gesetze noch von Präsident Poroschenko unterzeichnet werden. Und der steht unter starkem Druck sowohl von einem Teil der Abgeordneten der Regierungskoalition wie von ultranationalistischen und faschistischen Gruppen außerhalb des Parlaments. So drohte ihm des Führer des mit der neonazistischen Regierungs-Partei Swoboda verbandelten Rechten Sektors, Dmitri Jarosch, via Facebook: "Sollte Pjotr Poroschenko keine Vernunft annehmen, werden wir hier in der Ukraine einen neuen Präsidenten und Oberbefehlshaber haben."

Zweitens soll das Gesetz über den Sonderstatus nur für "einige Regionen der Gebiete Donezk und Lugansk gelten. Das heißt andere Teile des Donbass werden ausgenommen, und erst recht andere Regionen der Ukraine mit russischsprechenden Mehrheiten oder starken Minderheiten.

Drittens soll der besondere Status nur für drei Jahre gelten. Worum es dabei geht, machte die Präsidentenbeauftragte Irina Garaschtschenko im TV-Sender 112 deutlich: "Das Gesetz sieht eine schrittweise Rückkehr dieser Region unter die Kontrolle der ukrainischen Regierung und eine vollständige Wiederherstellung der Souveränität vor."

Sie räumte ein, dass dieser Prozess dauern werde. "Deshalb haben wir einen Zeitraum von drei Jahren festgesetzt." Bis dahin will man offenbar mit Hilfe der USA und der NATO die ukrainische Armee soweit aufgerüstet haben, dass man notfalls den Sonderstatus mit einem Blutbad aus der Welt schaffen kann.

Viertens. Was das Amnestiegesetz betrifft, so sind dessen Ankündigungen derart auslegbar, dass sie alles und nichts bedeuten können. Wenn die Kämpfer der Volkswehr zuerst die Waffen niederlegen sollen, bevor sie Amnestie erhalten, sind sie nicht nur den Regierungsorganen, sondern auch den bewaffneten faschistischen Freiwilligenverbänden und Banden schutzlos ausgeliefert, von deren Entwaffnung keine Rede ist. Außerdem könnten praktisch alle Volkswehrangehörigen unter den Verdacht fallen, " schwere Verbrechen" begangen zu haben. Werden sie doch von Kiew alle als "Terroristen" verleumdet. "Terrorismus" gilt aber überall in der Welt als schweres Verbrechen. Die Fallstricke sind nicht zu übersehen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 39 vom 26. September 2014, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2014