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OSTEUROPA/375: Slowenien - Denkzettel für die Etablierten (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Denkzettel für die Etablierten
Ein politischer Neuling erringt bei den Wahlen in Slowenien einen Erdrutschsieg

Von Dietmar Dirmoser
Juli 2014



• Bei den zweiten vorgezogenen Neuwahlen in weniger als drei Jahren wurde die politische Landschaft erneut gründlich umgepflügt. Die kurz vor der Wahl gegründete Partei Miro Cerars (so die offizielle Bezeichnung) erzielte mit 35 Prozent das beste Wahlergebnis seit der Unabhängigkeit. Drei etablierte Parteien flogen aus dem Parlament. Die rechtskonservative Demokratische Partei und die Sozialdemokraten verbuchten schmerzhafte Verluste.

• Das Wählervotum ist eine klare Absage an die etablierten Parteien, die sich, statt ernsthaft die Krise zu bekämpfen, immer tiefer in Korruptionsskandalen und kleinlichem Parteiengezänk verhedderten. Eine Reaktion darauf waren diverse Parteigründungen - die Hälfte der Wähler gab neuen Parteien ihre Stimme. Doch viele Slowenen gingen gar nicht zur Wahl: Die Wahlbeteiligung lag diesmal deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt.

• Die Demokratische Partei (SDS), seit einem Jahrzehnt die dominante Kraft auf der Rechten, setzte auf Konfrontation und versuchte, die Wahlen zu einem Kreuzzug gegen den Kommunismus zu stilisieren. Parteichef Jansa, wegen Korruption rechtskräftig verurteilt, führte den Wahlkampf vom Gefängnis aus. Trotz deutlicher Verluste ist die SDS weiterhin die zweitstärkste Partei.

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Zum zweiten Mal innerhalb von zweieinhalb Jahren wurden am Sonntag die 1,7 Millionen slowenischen Wähler vorzeitig an die Urnen gerufen, um die 90 Mitglieder des Parlaments neu zu wählen. Gewonnen hat die Wahl mit Abstand die Partei Miro Cerars - so die offizielle Bezeichnung für den Wahlverein, den der Verfassungsjurist und politische Novize Cerar vor sechs Wochen ins Parteienregister eintrug. Bis dahin waren seine Eltern bekannter als er: Mutter Zdenka war Justizministerin und Vater Miroslav ist einer der erfolgreichsten Sportler des Landes. Er gewann in den 1960er Jahren zwei olympische Goldmedaillen und drei Weltmeistertitel im Kunstturnen und wurde ein Jahrzehnt lang regelmäßig zu Jugoslawiens Sportler des Jahres gewählt.

Ein Sieger und viele Verlierer

Sohn Miro hatte sich in den letzten Jahren wiederholt mit Appellen gegen die Beugung des Rechts und für mehr Moral in der Politik zu Wort gemeldet und war dabei zu einer Art moralischen Instanz geworden. Er vermittelt das Bild eines unaufgeregten, kompetenten und integren Mannes ohne eigene Interessen, was von vielen Slowenen angesichts endloser Korruptionsskandale und kleinlichen Parteiengezänks als wohltuender Kontrast empfunden wird. Auch dass er sich als Menschenrechtsanwalt und Streiter für Minderheitenrechte engagiert hat, wird ihm zugutegehalten. Doch auf Journalistenfragen, ob er in die Politik gehen wolle, antwortete der Jurist bis vor kurzem immer mit Nein; und ein politisches Programm hat er bislang lediglich in Ansätzen vorgelegt.

Angesichts dessen ist es erstaunlich, dass Cerar mit 35 Prozent der Stimmen und 36 Sitzen das beste Wahlergebnis seit der Unabhängigkeit erzielte. Nur einmal, im Jahr 2000, erreichten die damals siegreichen Liberaldemokraten einen ähnlich hohen Wert, stellten aber zwei Abgeordnete weniger.

Profitiert hat Cerar nicht zuletzt von der niedrigen Wahlbeteiligung; die Hälfte der Wähler (49 Prozent) blieben den Urnen fern. Bei den vier Wahlen davor lag die Wahlbeteiligung zwischen 60 und 70 Prozent. Offenkundig hatten die bislang im Parlament vertretenen Parteien erhebliche Mobilisierungsprobleme. Drei schafften nicht einmal mehr das Quorum von vier Prozent, unter anderem die bei den Wahlen von 2011 siegreiche Neugründung Positives Slowenien (PS), die stärkste Partei der bisherigen Regierungskoalition. Ebenfalls unter vier Prozent blieb die Liste Gregor Virant (LGV), ein wirtschaftsliberaler Ableger der dominanten Rechtspartei SDS; auch die LGV hatte die Regierung mitgetragen. Sogar der traditionsreichen konservativen Volkspartei SLS droht das Aus. Sie landete bei 3,98 Prozent, hat aber noch eine Chance, wenn sie bei der Auszählung der Stimmen aus dem Ausland gut abschneidet.

Zu den Wahlverlierern gehören auch die Sozialdemokraten (SD), die ebenfalls Teil der Viererkoalition unter Führung der PS waren. Sie verloren vier ihrer zehn Mandate und erreichten gerade noch sechs Prozent. Damit liegt die SD deutlich unter ihrem historischen Durchschnitt von zehn Prozent und erheblich unter ihrem gefühlten Potenzial von 30 Prozent, das die Partei allerdings nur ein einziges Mal, bei den Wahlen von 2008, ausgeschöpft hat. Auch eine Charme-Offensive des neuen Parteichefs Dejan Zidan, der nach dem EU-Wahl-Debakel im Mai den Parteilinken Igor Luksic abgelöst hatte, konnte den Abstieg in die Liga der Kleinparteien nicht aufhalten. Zidans Bemühungen brachten immerhin den Anschluss der neuen Solidaritätspartei, mit deren Hilfe die sozialen Bewegungen die Forderungen der Proteste von 2012/13 in die politische Arena tragen wollten; »Solidarität« hat den Umfragen zufolge ein bis zwei Prozent zum Ergebnis beigetragen. Außerdem handelte Zidan eine Kooperationsabsprache (ohne gemeinsame Wahlliste) mit der Rentnerpartei DeSUS aus, die von den Urhebern sogleich als »sozialdemokratischer Block für alle Generationen« gefeiert wurde.

In der Rolle des Juniorpartners - DeSUS ist mit zehn Prozent der Stimmen und zehn Sitzen die einzige der im Parlament verbliebenen Parteien, die deutlich zugelegt hat - dürften sich die Sozialdemokraten nicht wohlfühlen, weshalb die Allianz kaum praktische Folgen haben wird. Nicht erfolgreich war SD-Chef Zidan, übrigens einer der beliebtesten Politiker des Landes, mit seinen Annäherungsversuchen an die außerparlamentarische Linke, ebenso wenig mit seinem Werben um die neu entstehenden Parteien der linken Mitte. Insbesondere Cerar zog es vor, sich alle Optionen offenzuhalten. Das Projekt, eine Plattform der linken Mitte unter Führung der SD zustande zu bringen, ist klar gescheitert.

Selbstdemontage der größten Regierungspartei löst Parteigründungsfieber aus

Nachgerade ausradiert wurde von den Wählern die federführende Regierungspartei Positives Slowenien, die sämtliche 28 Mandate verlor und von 28,5 Prozent auf drei Prozent absackte. Dies ist die Quittung für den parteiinternen Grabenkrieg und den offen zur Schau gestellten Machthunger von Parteichef Zoran Jankovic, ein ehemaliger Manager, der seit 2006 Bürgermeister von Ljubljana ist. Als das Parlament im Februar 2013 nach Korruptionsanklagen und massiven Straßenprotesten Premier Jansa (SDS) aus dem Amt wählte, folgte seiner fragilen Fünf-Parteien-Koalition der rechten Mitte eine Vier-Parteien-Koalition der linken Mitte unter Alenka Bratusek. Die unbekannte PS-Ministerialbürokratin kam nur deshalb zum Zuge, weil ihr Vorsitzender ebenfalls durch eine Korruptionsaffäre verhindert war. Bratusek gelang es immerhin, dem Land die Troika vom Hals zu halten, wobei ihr der generelle Rückgang der Zinsen für staatliche Schuldenpapiere zugutekam. Ebenso gelang es ihr, die Banken zu stabilisieren, allerdings auf Kosten eines Haushaltsdefizits in Höhe von 15 Prozent, und, trotz vielerlei Anfeindungen, die zentrifugalen Kräfte im Parlament zu neutralisieren. Doch nach einer Schamfrist drängte Jankovic die Ministerpräsidentin aus der Parteiführung und reklamierte die Spitzenposition in der Regierung für sich. Da die Koalitionspartner für diesen Fall die Auflösung der Koalition androhten, trat Bratusek zurück.

Präsident Pahor verzichtete darauf, dem Parlament einen Kandidaten für die Funktion des Regierungschefs vorzuschlagen und verfügte, dass am 13. Juli, also zu einer Zeit, wo üblicherweise ein Drittel der Slowenen fern des Wohnorts Urlaub macht, Neuwahlen stattfinden sollten. Das sozialdemokratische Staatsoberhaupt glaubte ebenso wenig wie die zurückgetretene Regierungschefin, dass die für eine Mehrheit notwendigen vier oder fünf der insgesamt sieben im Parlament vertretenen Parteien noch einmal eine tragfähige Regierungsallianz zustande bringen würden. Der Wähler sollte für Klarheit und eine stabile Geschäftsgrundlage sorgen.

Nach den Entwicklungen der letzten Zeit war dies allerdings eine äußerst optimistische Erwartung. Sie beruhte auf der Annahme, dass entweder das rechte oder das linke Lager deutlich zulegen würde, die Bedeutung der zwischen den Lagern pendelnden Parteien abnähme und die Wahl nicht zu einer noch stärkeren Zersplitterung der Parteienlandschaft führen würde. Doch links von der Mitte sprachen alle Anzeichen für eine zunehmende Fragmentierung. Die stärkste Mitte-Links-Partei, Positives Slowenien, hatte sich gerade gespalten und Ministerpräsidentin Bratusek hatte sich, flankiert von zehn PS-Abgeordneten, unter der Bezeichnung »Allianz Alenka Bratusek« politisch selbstständig gemacht. Die Sozialdemokraten waren von ihrer einstigen Stärke weit entfernt und diverse neue Parteien drängten auf die politische Bühne. Darunter die Partei Partei »Verjamem« (»ich glaube«) des Ex-Präsidenten des Rechnungshofes, Igor Soltes, die bei den Europawahlen mit 10,5 Prozent den dritten Platz belegt und ein Mandat im Europaparlament erobert hatte. Darunter auch die linksliberale Concret-Partei des Abgeordneten Jelko Kalcin, der in den 1990er Jahren Verteidigungsminister und einer der Führer der Liberaldemokraten (LDS) gewesen war. Die Gruppen, welche die Protestbewegung von 2012/13 getragen hatten, fusionierten und lancierten eine neue Partei namens »Solidarität«, die sich nach anfänglich vielversprechenden Umfragewerten an die Sozialdemokratie ankoppelte und prompt in der Wählergunst absackte.

In der Vereinigten Linken schlossen sich drei neue Kleinparteien zusammen. Im Zentrum steht die Initiative für demokratischen Sozialismus (IDS), die ebenfalls aus den Sozialprotesten der vergangenen Jahre hervorgegangen war und vor allem junge Menschen anzieht. Mit dabei sind auch die Demokratische Arbeitspartei (DSD) und die Partei für nachhaltige Entwicklung (TRS). Vorbild der Vereinigten Linken, die mit der Europäischen Linkspartei zusammenarbeitet, ist die griechische Syriza. Bei den Wahlen am Sonntag sorgte die erst seit März offiziell existierende Partei für die größte Überraschung - mit sechs Prozent und sechs Parlamentssitzen liegt sie mit hauchdünnem Vorsprung vor den Sozialdemokraten auf Platz vier.

Auch rechte Kreuzzugsrhetorik wurde bestraft

Die Demokratische Partei (SDS), die bei den drei Urnengängen davor zwischen 25 und 30 Prozent erreicht hatte, sackte auf 21 Prozent ab, blieb aber weiter die zweitstärkste Partei. Neben dem christdemokratischen Neuen Slowenien (Nsi), das auf 5,5 Prozent kam (+0,7 Prozent), ist die SDS einziger parlamentarischer Vertreter der Rechten.

Die SDS dominiert seit einem Jahrzehnt den Bereich rechts der Mitte. Ihr Führer Janez Jansa, der zweimal - von 2004 bis 2008 und von 2012 bis 2013 - Premierminister war, ist ein ehemaliger Funktionär des kommunistischen Jugendverbandes und heute ein glühender Antikommunist. Jansa versteht unter Politik eine Art Kreuzzug gegen die politischen Gegner, die er pauschal wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem kommunistischen Netzwerk attackiert, und deren Positionen er auch dann erbittert bekämpft, wenn sie sich von den eigenen kaum unterscheiden.

Dies ist nicht nur Verbohrtheit, sondern der Versuch uralte Gegensätze politisch zu kapitalisieren, denn in Slowenien trennt das linke und das rechte Lager ein tiefer Graben. Der Antagonismus zwischen dem sozialdemokratisch-linksliberalen und dem wirtschaftsliberalen nationalkonservativ-katholischen Milieu geht auf sorgsam gepflegte Feindschaften aus vorkommunistischen Zeiten zurück. Bis heute können es die Konservativen nicht verwinden, dass die Liberalen gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Definitionsmacht über die Idee der Nation und der nationalen Unabhängigkeit eroberten. Im Zweiten Weltkrieg paktierten die Liberalen mit den Kommunisten und kämpften gegen die Besatzer, während die Konservativen mit den Nazis kollaborierten. Noch heute hängt ihnen deshalb der Makel an, die Nation verraten zu haben.

Unmittelbar vor und nach der Unabhängigkeit Sloweniens im Jahr 1991 arbeiteten die beiden Lager konstruktiv zusammen. Doch die alten Gegensätze brachen erneut auf, als sich herausstellte, dass das Eigentum an Produktionsmitteln zwar vom Staat auf private Institutionen übergegangen war - zunächst auf Fonds, dann auf die staatlichen Banken und private Kapitalgesellschaften -, dass aber die Manager der früheren Selbstverwaltungsbetriebe in enger Koordination mit Politikern weiterhin das Sagen hatten. Dieses Machtkartell war auch bei Wahlen erfolgreich, denn die Slowenen wählten bevorzugt Parteien, die aus der KP hervorgegangen waren. Die gewendete Elite war weder zu einer Abrechnung mit der Vergangenheit bereit, noch sah sie einen Grund, den Antikommunismus oder die neoliberalen Ideen der durch Zugänge aus der Diaspora verstärkten Konservativen zu übernehmen.

Der sanfte Übergang, die Fortschreibung alter Strukturen unter neuem Etikett und insbesondere die Aufrechterhaltung enger Verflechtungen zwischen Staat und Wirtschaft hatten allerdings ihren Preis. Es entstand eine Kultur der Korruption und Begünstigung, verschleiert durch verschachtelte wirtschaftliche und politische Beziehungen. Die Rechte versuchte die Schuld in immer schrilleren Tönen und immer heftigeren Attacken den Netzwerken der Linken zuzuschreiben und nutzte die zahlreichen Affären und Skandale, um die Linke wegen ihrer Verderbtheit und ihrem Mangel an Moral zu attackieren. Doch als Jansa 2004 die Wahlen gewann und Regierungschef wurde, erlag er rasch den Verlockungen der Macht und versuchte sich und den Seinen durch Einflussnahme und gezielte Personalpolitik ein möglichst großes Stück des Kuchens zu sichern. Es ist ein altes Dilemma der Rechten - nicht nur in Südosteuropa -, dass ihre neoliberalen Positionen nie praktisch werden, da Klientelinteressen bedient werden müssen.

Janez Jansa hat seinen Diskurs radikalisiert, seit er selbst wegen Korruption am Pranger steht. Aufgrund von Schmiergeldzahlungen bei einem Waffendeal im Jahr 2006 - während seiner ersten Amtszeit als Regierungschef - wurde der Caudillo des rechtskonservativen Lagers vor einigen Wochen letztinstanzlich zu zwei Jahren Haft verurteilt. Er verzichtete auf einen Antrag auf Haftverschonung und trat seine Haftstrafe an, denn er wollte sich im Wahlkampf als Märtyrer und politischer Häftling präsentieren. Seine Selbstinszenierung als »Mandela Sloweniens« und als unerschrockener Kämpfer gegen den Kommunismus, der von den politischen Gegnern gefangen gehalten wird, hat im Verlauf des Wahlkampfes immer absurdere Züge angenommen. Ebenso absurd ist aber, dass er als Häftling alle Freiheiten hatte, sich am Wahlkampf zu beteiligen; er steuert seine Partei aus der Zelle, seine Wahlreden wurden per Handy übertragen.

Obwohl Jansa nachgerade die Verkörperung von Konfrontationswillen und Kompromissunfähigkeit ist, obwohl er immer wieder Vorschläge torpediert hat, weil sie nicht von ihm waren, und deshalb ein verschärfendes Element der politischen Dauerkrise darstellt, konnte er knapp 180.000 Wähler mobilisieren - das sind immerhin zehn Prozent der Wahlberechtigten. Dies scheint ihm nun Legitimation genug für weitere Attacken. Wegen der »physischen Eliminierung« ihres Vorsitzenden kündigte die SDS an, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen, das Parlament zu boykottieren und die Wahlen anzufechten.

Politische Instabilität in der Krise

Jansa hat seine politische Obstruktionsfähigkeit oft bewiesen und trotzdem regelmäßig hochkarätige Unterstützung durch die EVP erhalten. Dass zu seiner Obstruktionsfähigkeit nun ein immer aggressiverer Obstruktionswille kommt, könnte der Alpenrepublik bald die nächste politische Krise bescheren. Dabei hat das Land auch ohne Jansas kalkulierte Amokläufe schon genug Probleme. Nirgendwo sonst in der EU ist das Sozialprodukt im Verlauf der Krise derart stark geschrumpft: 2009 um 7,8 Prozent, in den beiden Folgejahren stagnierte das Wachstum und danach kam es erneut zu einem Einbruch - 2012 um 2,5 Prozent und 2013 um 1,1 Prozent. Mittelfristig ist bestenfalls eine verhaltene Erholung zu erwarten, und es wird Jahre dauern, bis der Einbruch ausgeglichen ist.

Angeschlagen ist insbesondere der Bankensektor, wo der Staat wesentliche Anteile hält und sich in der Boom- und Zockerphase vor der Krise laut IWF sieben Milliarden Euro an faulen Krediten angesammelt haben. Mehrmals stand das Land kurz vor der Zahlungsunfähigkeit und in der EU bereitete man sich bereits darauf vor, über Slowenien den Euro-Rettungsschirm aufzuspannen. Die scheidende Regierung unter Alenka Bratusek legte Ende 2013 ein Programm zur Bankenrettung vor, für das fünf Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln benötigt wurden. Dadurch stieg das Haushaltsdefizit auf 14,7 Prozent, 2 Prozent über dem griechischen Wert. Dass es Slowenien gelang, seine Schulden zu refinanzieren und neue Kredite aufzunehmen, hat allerdings weniger mit den Konsolidierungsleistungen des Landes als mit der Entspannung auf den Märkten für staatliche Schuldentitel zu tun, wo selbst Problemstaaten mittlerweile wieder Geld zu erträglichen Zinsen bekommen. Die Rating-Agenturen klassifizieren slowenische Titel nach wie vor als »Junk«, halten die Aussichten des Landes aber für »stabil«. Nur Standard & Poor's hält die Aussichten seit kurzem wieder für »negativ«.

Wenn das Land diese Einstufung am Rande des Abgrunds nicht verlieren will, darf es die Konsolidierungserwartungen der internationalen Gläubiger und der EU nicht enttäuschen. Es wird politisches Geschick und Gestaltungsfähigkeit erfordern, Teile des slowenischen Modells - das auf einem vergleichsweise großen Staatssektor und einem verhältnismäßig großzügigen Sozialstaat beruht - zu retten, ohne die Geldgeber zu verärgern. Die Regierungen seit 2008 haben dies durch eher verhaltene Maßnahmen des Sozialabbaus, der Arbeitsmarktflexibilisierung und der Verkleinerung des Staatssektors versucht.

Auch Miro Cerar hat sich in dieser Frage positioniert. Er spricht von der Verteidigung und Konsolidierung des »Reststaates« und stuft Jansas SDS just wegen ihres Widerstands gegen eine aktive Rolle des Staates als nicht koalitionsfähig ein. Unklar ist seine Position zu den anstehenden Privatisierungen, die die Regierung Bratusek nicht vollenden wollte. Cerar stimmte zunächst in den Chor linker Privatisierungsgegner ein, flüchtete sich aber in zusehends vagere Aussagen, je näher die Wahlen kamen.

Dessen ungeachtet hätte er auf der linken Mitte drei leicht unterschiedlich konnotierte Koalitionsoptionen: die Rentnerpartei DeSUS, die Sozialdemokraten und die Allianz von Alenka Bratusek, deren Ziel die pragmatische Erhaltung wesentlicher Elemente des slowenischen Modells ist. Sollte sich Cerar für DeSUS entscheiden, würde Slowenien erstmals von einer Zwei-Parteien-Koalition regiert. In allen anderen Fällen bräuchte er mindestens zwei Partner. Da er jedoch stets nachdrücklich betonte, er sei weder links noch rechts und nach allen Seiten offen, schließen Beobachter nicht aus, dass er die Christdemokraten des Neuen Sloweniens ins Boot holen könnte.

Die Voraussetzungen für die Bildung einer Regierung mit stabiler Mehrheit und großen politischen Schnittmengen, die statt der kurzatmigen Politik der letzten Jahre langfristig ausgelegte Reformen angeht, sind also durchaus gegeben. Ob es dazu kommen wird, hängt davon ab, ob es gelingt, die zahlreichen Destabilisierungsfaktoren zu neutralisieren. Davon gibt es einige: Jansas Obstruktionspolitik, die Unstrukturiertheit der neuen Parteien, ihre programmatische Vagheit, der traditionelle Egoismus und die Verantwortungslosigkeit von vielen Exponenten der politischen Elite, deren Neigung zu Klientelismus und Korruption, die Politikverdrossenheit bei großen Teilen der Bevölkerung u.v.m. Die neuen Parteien, die in den letzten Jahren entstanden sind, haben die Erwartungen allesamt enttäuscht. Dass die Wähler erneut eine neue Partei an die Regierung brachten, zeigt, wie groß das Misstrauen gegen die Etablierten mittlerweile ist. Cerar hat nun die Chance, die politische Krise zu beenden und das im Umbruch befindliche Parteiensystem zu konsolidieren. Ob er dieser Aufgabe gewachsen ist, wird sich herausstellen.


Vorläufiges Endergebnis der Parlamentswahlen am 13.7.2014

Liste
Sitze
Stimmen
Prozent
2011
SMC - Partei von Miro Cerar
36
298,342
34,61
-
SDS - Demokratische Partei Sloweniens
21
178,294
20,69
26,2%
DeSUS - Demokratische Rentnerpartei
10
88,026
10,21
7,0%
KZL - Vereinigte Linke (DSD, IDS IN, TRS)
6
51,490
5,97
-
SD - Sozialdemokraten
6
51,300
5,95
10,5%
NSi - Neues Slowenien - christliche Demokraten
5
47,701
5,53
4,9%
ZAB - Allianz Alenka Bratusek
4
37,375
4,34
-
SLS - Slovenische Volkspartei
-
34,286
3,98
6,9%
PS - Positives Slowenien
-
25,515
2,96
28,5%
SNS - Slowenische Nationalpartei
-
19,069
2,21
1,8%
Piratenpartei
-
11,570
1,34
-
VERJAMEM - Partei »ich glaube«
-
6,687
0,78
-
LGV - Bürgerliste Gregor Virant
-
5,468
0,63
8,4%
Grünes Slowenien
-
4,274
0,50
0,4%
Vorwärts Slowenien
-
1,997
0,23
0,1%
Liberale Wirtschaftspartei
-
442
0,05
-
Humanes Slowenien
-
82
0,01
0,03%

Quelle: Staatliche Wahlkommission (Auszählungsstand 99,97 Prozent)



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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2014