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LATEINAMERIKA/1788: Mexiko - Gespannte Ruhe vor dem Wahltag (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Gespannte Ruhe vor dem Wahltag in Mexiko

Von Sonja Gerth


(Mexiko-Stadt, 28. Juni 2018, Cimacnoticias) - In den letzten Stunden vor der Präsidentschaftswahl in Mexiko am 1. Juli ist eine gespannte Ruhe eingetreten. Die Parteien haben ihren Wahlkampf abgeschlossen. Andrés Manuel López Obrador, der Kandidat der linken Partei Morena, der in allen Umfragen vorne liegt, hat zum Abschluss noch einmal Zehntausende Anhänger*innen ins prall gefüllte Fußballstadion Azteca in Mexiko Stadt gelockt. Dabei stellte er sich erneut als sicheren Sieger der Wahlen dar und versprach einen friedlichen und tiefgreifenden Wandel im Land. "Wir werden die Wurzel der Korruption und der Ungerechtigkeit ziehen", rief er und wurde dafür vom Publikum mit den Rufen "Presidente! Presidente!" gefeiert. Gleichzeitig gab López Obrador an, dass es keine Repressalien gegen die Verlierer*innen geben werde.

Der Abschluss der Wahlkampagnen war für den 27. Juni vorgeschrieben, auch der Konservative Ricardo Anaya von der PAN-Partei sowie José Antonio Meade von der Regierungspartei PRI und der unabhängige Kandidat Jaime Rodríguez zeigten sich das letzte Mal vor ihren Unterstützer*innen. Die Umfrageinstitute sehen AMLO bei rund 50 Prozent der Stimmen, Anaya bei 25 und Meade bei etwa 20 Prozent. Dementsprechend fangen die Analyst*innen der Medien inzwischen an, Prognosen über die politische Veränderung unter einer Morena-Regierung anzustellen und die Reaktionen darauf.


Dieser Wahlkampf war einer der blutigsten überhaupt

In der Zwischenzeit herrscht die Ruhe vor dem Sturm, und gleichzeitig die Sorge davor, dass der Wahltag von Gewalt überschattet wird. Zusammen mit dem Präsidenten werden auch beide Kammern des Parlaments neu gewählt, sowie zahlreiche Gremien in Bundesstaaten und Gemeinden. Und der Wahlkampf 2017/2018 war bisher einer der blutigsten überhaupt [1]. Der Beraterfirma Etellekt zufolge sind bis zum 25. Juni 130 Politiker*innen getötet worden, 48 von ihnen hatten für ein öffentliches Amt kandidiert.

Die meisten Ermordeten waren auf lokaler Ebene politisch aktiv. Nach Einschätzung des Chefs der interamerikanischen Wahlbeobachterkommission, Salvador Romero, wird die Gewalt erhebliche Auswirkungen auf den Wahlprozess haben. Während zuvor politisch-ideologische Kämpfe ausgetragen worden seien, gehe es nun um die Kontrolle von Territorien, die nützlich für die organisierte Kriminalität sein könnten, sagte Romero Mitte Juni auf einer Veranstaltung des mexikanischen Wahlinstituts.

Zivilgesellschaftliche Organisationen haben auch eine erhöhte Zahl von Angriffen auf Frauen, die sich zur Wahl stellen, festgestellt. Die Wahl am 1. Juli ist erst die zweite, bei der die Parteien 50 Prozent ihrer Listenplätze mit Frauen besetzen müssen, und die erste war "nur" eine Regionalwahl. Diesmal steht viel mehr politische Macht auf dem Spiel, und offensichtlich haben nicht wenige Männer Angst, an Einfluss zu verlieren.


Gewalt gegen Politikerinnen

Das Zentrum für Studien zur politischen Gleichstellung und Entwicklung stellte gerade einen Bericht über insgesamt 28 Wahlbeobachtungsprojekte im Land vor, die sich mit der Gleichstellung befassen. In 45 Fällen wurde politische Gewalt gegen Kandidatinnen oder Präkandidatinnen festgestellt. Die gefährlichsten Bundesstaaten sind demnach Puebla, Hidalgo, Guerrero und Oaxaca. Letzterer steht auch in der allgemeinen Statistik von politischer Gewalt ganz vorne.

Was dabei aus dem Blick gerät, ist die Zahl der Kandidat*innen, die aus Angst um ihr Leben entweder die politische Agenda dem Druck anpassen, oder gleich ganz zurücktreten. Das nationale Wahlinstitut hat der Agentur Cimacnoticias Listen übermittelt, in denen die Rücktritte von Kandidat*innen zumindest für die Vertretung im Kongress aufgeschlüsselt sind. Demnach sind bis zum 18. Juni insgesamt 41 Frauen und 42 Männer von ihren Kandidaturen für den Senat zurückgetreten. Auf die Kandidatur als Abgeordnete im Parlament haben 184 Frauen und 195 Männer verzichtet.

Die meisten Rücktritte verzeichneten die Parteien PVEM (Rechte) mit 94, Nueva Alianza (Konservative) mit 60 und die Koalition "Por México al Frente" (Konservative) mit 58. Allerdings führt das Nationale Wahlinstitut keine Umfragen durch, aus welchen Gründen die Rücktritte eingereicht werden. Sie könnten also aufgrund von Bedrohungen, genausogut aber aufgrund von Rotationen innerhalb der Parteien oder anderen Gründen erfolgt sein.


Anmerkung:
[1] http://www.tlachinollan.org/opinion-las-sombras-funestas-de-la-eleccion/


URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/gespannte-erwartung-vor-dem-wahltag-in-mexiko/


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https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2018

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