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LATEINAMERIKA/1488: Brasilien wird schwerer zu regieren sein (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 44 vom 31. Oktober 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Brasilien wird schwerer zu regieren sein
Dilma Rousseff erringt knappen Sieg

von Günter Pohl



Es kann weitergehen mit dem Kampf gegen Hunger, Armut und Arbeitslosigkeit: Dilma Rousseff hat erwartet knapp die Stichwahl um die Präsidentschaft im größten und politisch bedeutendsten Staat Lateinamerikas gewonnen. Mit seinen 48,4 Prozent brachte sie der konservative Gegner Aécio Neves (Sozialdemokratische Partei Brasiliens, im Bündnis mit den rechten "Demokraten") an den Rand der Niederlage.

Damit bestätigte sich die Einschätzung, dass es der Präsidentin im Kampf um ihre Wiederwahl zugute kam, dass sie in der Stichwahl nicht der gemäßigt-rechten Kandidatin der Sozialistischen Partei, Marina Silva, gegenüberstand. Denn Silvas Aufruf nach ihrer Niederlage in der ersten Runde, dass ihre Wählerschaft sich für Neves entscheiden sollte, konnte nicht so fruchten wie es umgekehrt bei einem Aufruf von Neves für sie gewesen wäre. Also ließen sich eins und eins nicht so einfach zusammenzählen - vor drei Wochen hatten die beiden Herausforderer zusammen fast 55 Prozent erhalten, während auf Rousseff 41,5 Prozent entfallen waren. Wenn man davon ausgeht, dass die konservativ-rechte Wählerschaft von Neves stabil geblieben sein dürfte, ist mehr als ein Drittel von Silvas Wähler/inne/n nicht konform mit den Vorstellungen ihrer Kandidatin gegangen und hat sich am Ende für Rousseff entschieden. Die anderen Stimmen für die als eher pragmatisch geltende ehemalige Widerstandskämpferin gegen die Diktatur kamen aus dem Lager der übrigen Linken, die in diversen Kandidaturen in der ersten Runde zusammen etwa 3 Prozent erhalten hatten. Auf den Kandidaten der Brasilianischen KP waren 0,1 Prozent entfallen.

Es ist davon auszugehen, dass die Arbeiterpartei (PT) die Botschaft verstanden hat, wenn sie sich auch noch einmal dank der Polarisierung "Kandidatin der Armen gegen Kandidat der Reichen" an der Regierung halten konnte. Nach den klaren Siegen von Lula da Silva 2002 und 2006 sowie 56,1 Prozent für Dilma Rousseff in der Stichwahl 2010 (46,9 % in der ersten Runde) war dieses Mal gar nicht klar, wie es ausgehen würde. Die rechte PSDB und die PT sind die Protagonisten der letzten zwanzig Wahljahre in Brasilien: 1994 und 1998 gewann Fernando Henrique Cardoso für die PSDB, dann kam Lula da Silva. Erst in den letzten Tagen überflügelte die Präsidentin den konservativen Herausforderer in den Umfragen. Nun will sie "eine bessere Präsidentin als zuvor" sein. Der Kampf gegen die Korruption stehe obenan. Zuletzt hatte es diesbezügliche Vorwürfe gegen den staatlichen Ölgiganten PetroBras gegeben.

Der PT sind die monatelangen Proteste rund um die Fußball-Weltmeisterschaft nicht gut bekommen. Die sozialen Fragen, die sich darin seit dem vergangenen Jahr spiegelten, versuchte die Regierung zunächst herunterzuspielen und als sich die Rechte auf das Pferd setzte, sie als von daher gesteuert zu bezeichnen. Nennenswerte Verluste für die linken Parteien bei den Parlamentswahlen, die parallel zur ersten Runde der Präsidentschaftswahl stattfanden, werden die nächsten Jahre für Rousseff nicht gerade einfacher machen, wenn es darum geht, parlamentarische Mehrheiten für die Sozialpolitik zu bekommen. Die PT stellt nur noch 70 (88) Abgeordnete, bleibt aber die stärkste unter den nunmehr 28 im Parlament vertretenen Parteien. Auch die KP Brasiliens (PCdoB) verlor und stellt nur noch zehn statt fünfzehn Abgeordnete. Dagegen verbesserte sich die PCdoB in den 27 Bundesstaatenwahlen insgesamt von 18 auf 25 Sitze. Hervorzuheben ist jedoch der Sieg des PCdoB-Mitglieds Flávio Dino im Bundessaat Maranhão. In einer Koalition, die bis zum neoliberalen Aécio Neves reichte (gegen den als brasilianischer Präsident die PCdoB für Dilma Rousseff Front machte), konnte ein "seit Jahrzehnten regierender Oligarchenkreis", so die PCdoB in einem Kommuniqué, besiegt werden. Es gehört zu den typischen Erscheinungen im brasilianischen Politikgeschäft, dass Ideologien oft hinter Kalkül zurückstehen: Vizeregierungschef in Maranhão ist ein Parteikollege von Aécio Neves.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 44 vom 31. Oktober 2014, Seite 1
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2014