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LATEINAMERIKA/1452: Brasilien - Sozialverbände durch Industriekonzerne ausspioniert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Februar 2014

Brasilien: Sozialverbände ausspioniert - Delegation der Internationalen Menschenrechtsliga bestätigt Vorwürfe gegen Schlüsselkonzerne

von Fabíola Ortiz


Bild: © Justiça Global

Die Mitglieder der Mission der Internationalen Menschenrechtsliga bei der Präsentation ihrer vorläufigen Untersuchungsergebnisse kurz vor dem Ende ihres Brasilien-Besuchs
Bild: © Justiça Global

Rio de Janeiro, 18. Februar (IPS) - In Brasilien bespitzeln und infiltrieren strategisch wichtige Unternehmen des Energie- und Bergbausektors die sozialen Bewegungen des südamerikanischen Landes. Zu diesem Schluss kam eine Delegation der Internationalen Menschenrechtsliga (FIDH), die vom 9. bis 14. Februar Brasilien besucht hatte.

Vor gut einem Jahr, am 24. Februar 2013, hatte ein Mann im Auftrag der Firmen die Führer der Umweltbewegung 'Movimiento Xingú Vivo para Siempre' in Altamira bespitzelt, einer Stadt im nördlichen Bundesstaat Pará. Aufgefallen war er nur, weil er bei jeder Wortmeldung seinen Kugelschreiber auf den jeweiligen Redner richtete.

Das Kollektiv, dem Sozial- und Umweltverbände aus allen Regionen Brasiliens im Umfeld des riesigen Wasserkraftwerks Belo Monte am Fluss Xingú im brasilianischen Regenwald angehören, wehrt sich gegen den Bau des im Fall seiner Fertigstellung drittgrößten Staudamms der Welt. Auf dem Treffen in Altamira wurden wichtige Informationen ausgetauscht, wie Roberta Amanajás von der Menschenrechtsgesellschaft in Pará betonte, einem Mitglied der Allianz.


In doppelter Mission

"Geschickt hatte den Spion das Konsortium, das den Staudamm baut", betonte die Aktivistin, die an der Konferenz teilnahm. Als man ihn zur Rede stellte, räumte er ein, sich in die Bewegung eingeschlichen zu haben, um die Koordinatorin des Kollektivs, Antônia Melo, besser beschatten zu können. Seine Informationen sollte er an das Belo-Monte-Baukonsortium und den Brasilianischen Geheimdienst (ABIN) weiterleiten, der einen Mitarbeiter in Altamira hat.

"Der Mann war auf die Koordinatorin angesetzt worden und hatte die Entlassung von 80 Bauarbeitern veranlasst", berichtet die Juristin. Auch wurde er mit der Suche nach den Gewerkschaftsführern beauftragt, die für Streiks auf der Baustelle sorgen sollten. "Es besteht kein Zweifel daran, dass wir bespitzelt werden. Wir wissen bloß nicht immer wie."

Die Xingú-Vivo-Bewegung ist der größte Gegner des Staudammprojekts. Sie ist grundsätzlich gegen eine Entwicklung im Amazonas-Regenwald und warnt vor einem Ausverkauf der natürlichen Ressourcen.

Es komme häufig vor, dass soziale Organisationen bespitzelt würden, erklärten Aktivisten gegenüber der FIDH-Mission, die in Brasilien mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, der Staatsanwaltschaft und der Firmen zusammen kam, denen Spionageaktivitäten vorgeworfen werden.

Die Untersuchungsmission ist Teil der Aktivitäten, wie sie die Beobachtungsstelle zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern vorsieht, die die FIDH und die Weltorganisation gegen Folter (OMCT) in Genf eingerichtet haben. Die Mitglieder besuchten die brasilianischen Städte Brasilia, Belém und Rio de Janeiro.

Laut der FIDH-Lateinamerika-Chefin Jimena Reyes können private Unternehmen offenbar problemlos staatliche Strukturen nutzen, um soziale Bewegungen auszukundschaften. Die Menschenrechtsorganisation hat erfahren, dass sich Firmen über das Netzwerk 'Infoseg' Zugang zu staatlichen Geheiminformationen beschaffen. Infoseg trägt sicherheitsrelevante Daten von rund 400 brasilianischen Forschungseinrichtungen zusammen.

Die Spionagevorwürfe richten sich auch gegen den großen Bergbauriesen 'Vale'. Mitglieder von 'Justiça Nos Trilhos', einer Organisation, die für die Interessen der durch den Bergbau geschädigten Gemeinden eintritt, wurden nach eigenen Angaben kurz nach Aufnahme ihrer Arbeit im Jahr 2008 ausspioniert.

Die FIDH-Delegierten hatten Gelegenheit, mit dem ehemaligen Vale-Mitarbeiter Abdré Almeida zu sprechen, der im Oktober 2013 vor einer öffentlichen Anhörung des brasilianischen Senatsausschuss für Menschenrechte Angaben zu den Beziehungen zwischen Unternehmen und Regierung machte. Almeida zufolge hat Vale Journalisten, Staatsbedienstete und Sozialaktivisten bespitzelt und Spione zur Beschaffung von Hintergrundinformationen in Sozialverbände eingeschleust.

Diese illegalen Handlungen wurden mit der aktiven Hilfe der ABIN-Mitarbeiter durchgeführt. Den Enthüllungen zufolge soll Vale laut Faro für seine Spionageaktivitäten monatlich 200.000 Dollar ausgegeben haben.


"Demokratie in Gefahr"

"In Brasilien ist die Demokratie in Gefahr. Es geht um eine Privatisierung geheimer Informationen", sagte Almeida. Seiner Meinung nach halten sich die Unternehmen dazu berechtigt, sich in das Leben von Mitarbeitern, deren Kindern und deren Partnern einzumischen.

Danilo Chammas, der Anwalt von Justiça nos Trilhos, erklärte gegenüber IPS, dass das Büro der Organisation nach dem Lauschangriff 2008 zerstört worden sei. Zwischen Januar und Oktober 2008 sei seine Internetseite gehackt worden. "Wir hoffen, dass die FIDH-Mission tief greifende Änderungen herbeiführen und die Vorwürfe in regelmäßigen Abständen überprüfen kann." In zwei Monaten soll der Bericht der FIDH-Gesandten vorliegen.

Rechtsanwältin Amanajás wies darauf hin, dass der Besuch der FIDH-Vertreter zu einem Zeitpunkt stattfand, als die NSA-Abhöraffäre bekannt wurde. "So wie es der Regierung nicht gefallen würde, ausspioniert zu werden, so gefällt uns das ebenso wenig", meinte sie. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/2014/02/movimientos-sociales-brasilenos-bajo-el-espionaje/

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IPS-Tagesdienst vom 18. Februar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2014