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LATEINAMERIKA/1448: Gravierende Folgen des Freihandels für kolumbianische Kleinbauern (ask)


ask Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
Monatsbericht Nr. 12 - Dezember 2013

Gravierende Folgen des Freihandels für kolumbianische Kleinbauern und Kleinbäuerinnen

Von Stephan Suhner



Das Freihandelsabkommen zwischen Kolumbien und den USA, das vor über einem Jahr in Kraft trat, war das Ergebnis unausgewogener Verhandlungen, zum Nachteil des kolumbianischen Landwirtschaftssektors. Eine von Oxfam USA in Auftrag gegebene Studie[1] analysiert die Handelsdaten der ersten 9 Monate und zeigt bedenkliche Trends für verschiedene Landwirtschaftsprodukte und negative Folgen für kolumbianische Kleinproduzenten auf. Reis, weisser Mais, Molke, Milchpulver und Schweinefleisch sind am stärksten betroffen. Die Ergebnisse dieser Studie widersprechen den vollmundigen Versprechungen der kolumbianischen Regierung über die Vorzüge des Abkommens. Tatsächlich stiegen die kolumbianischen Importe viel stärker als die Exporte, die Handelsbilanz verschlechterte sich, kolumbianische Kleinbauern und Kleinbäuerinnen müssen sich gegen ihre grösseren und stark subventionierten US-amerikanischen BerufskollegInnen behaupten.

Dieses Abkommen implementiert ein Freihandelsschema zwischen den ungleichen "Partnern" Kolumbien und den USA, der weltgrössten Volkswirtschaft. Einige Zahlen veranschaulichen die Asymmetrie: das US BIP ist 42 Mal grösser als dasjenige Kolumbiens, die Bevölkerung ist sieben Mal, die Ackerfläche neun Mal und die landwirtschaftliche Produktion 17 Mal grösser. Die Exportkapazitäten der USA übersteigen die kolumbianischen Kapazitäten um das 20-fache, und die USA gewähren für die landwirtschaftliche Produktion weitrechende Unterstützung. OXFAM und weitere NGOs sowie landwirtschaftliche Kleinproduzentenorganisationen, indigene Organisationen und auch einige kolumbianische Unternehmerverbände warnten schon als die Verhandlungsergebnisse bekannt wurden davor, dass der kolumbianische Landwirtschaftssektor klarer Verlierer sein werde.

US Protektionismus trotzt dem Freihandelsabkommen

So konnte die USA ihre protektionistischen Politiken trotz dem Abkommen aufrecht erhalten, so z.B. durch Produktsubventionen, durch Schutzmassnahmen gegen Tierseuchen und Pflanzenkrankheiten (phytosanitäre Massnahmen) und durch den Ausschluss eines erstrangigen kolumbianischen Rohstoffes - Zucker - von Zollerleichterungen, während Kolumbien gezwungen wurde, seine wichtigsten Schutzmechanismen für seine produktiven Sektoren abzubauen. Der Wert all der Konzessionen, die Kolumbien den USA eingestand, übersteigt den Wert der US-Zugeständnisse. Dies führt zu grösserem US-Marktzugang, statt zu grösserem kolumbianischem Marktzugang.

Kolumbien hatte zwar seit den 90er Jahren kontinuierlich Zolltarife gesenkt, der Agrarsektor profitierte aber noch von verschiedenen Schutzmassnahmen wie hohe Zölle für sensible Produkte (Reis, Bohnen, Rindfleisch) oder variable Zölle für wichtige Produkte wie Geflügel, Getreide, Ölsaaten, Milchprodukte, sowie Importquoten und teilweise Produktionsunterstützungen. Mit dem Freihandelsabkommen willigte Kolumbien ein, sofort oder innert bestimmter Fristen sämtliche Zölle zu eliminieren, auch auf sensiblen oder wichtigen Produkten wie Reise und Geflügel. Das Abkommen beendete auch das System der Preisbänder der Andengemeinschaft und gewisse Quoten, die den Absatz der heimischen Produktion sicherten.

Zu allem Übel willigte Kolumbien ein, den USA eine nicht reziproke Meistbegünstigungsklausel einzugestehen. Das heisst, Kolumbien muss den USA sämtliche Präferenzzölle, die es irgendeinem anderen Handelspartner gewährt, auch gewähren, wenn dieser Zoll tiefer ist als derjenige mit den USA.

Verschlechterte Handelsbilanz

In den ersten 9 Monaten des Freihandelsabkommens hatte sich Kolumbiens Handelsbilanz mit den USA verschlechtert, da die Importe aus den USA anstiegen und sich die kolumbianischen Exporte im Vergleich zur Vorjahresperiode reduzierten. Eine von Oxfam unterstützte Studie zeigte schon 2009 auf, dass dies der Fall sein wird. Die Erwartungen, die die kolumbianische Regierung geschürt hatten, wurden enttäuscht: Exporte von verarbeiteten Lebensmitteln von Kolumbien in die USA nahmen nur um 21 Mio. Dollar zu (weniger als 10%), während Importe von US-Produkten um 348 Mio. Dollar oder um das Zweieinhalbfache anstiegen. Die Verschlechterung der Handelsbilanz ist bei landwirtschaftlichen Rohstoffen nicht ganz so schlecht, aber doch signifikant. Der Überschuss zu Gunsten Kolumbiens sank von 1,28 Mia. auf 1,05 Mia USD, ein Rückgang um 17%. Die Erklärung der kolumbianischen Regierung, dass dies mit Problemen bei den traditionellen Exportprodukten wie Kaffee, Bananen und Blumen zusammen hänge, stimmt nicht. Auch wenn diese traditionellen Exportprodukte aus der Betrachtung ausgeklammert werden, bleibt die Bilanz negativ, da die Exporte konstant blieben und die Importe um 24% zunahmen. Ebenso erfüllte sich die Erwartung nicht, dass neue kolumbianische Exportunternehmen zur Bedienung des US Marktes entstehen würden; es entstanden viel mehr Unternehmen, um US Agrarerzeugnisse zu importieren denn umgekehrt. Auch kamen viel mehr neue US Produkte auf den kolumbianischen denn kolumbianische auf den US Markt.

Oxfam und Planeta Paz hatten ein System von Indikatoren entwickelt, die früh anzeigen, wenn sich im bilateralen Handel erhebliche Risiken ergeben, v.a. für (kolumbianische) Kleinbauern und Kleinbäuerinnen. Dieses Ampelsystem wurde trotz der einfachen aber zuverlässigen Handhabung von den Behörden nicht angewendet, obwohl die kolumbianische Zivilgesellschaft mit Nachdruck ein Monitoring gefordert hatte. Oxfam hat für folgende 5 Produkte(gruppen) ein sehr hohes Risiko errechnet: Molke, Reis, weisser Mais, Pulvermilch und Schweinefleisch. Ein mittleres Risiko besteht für Weizen, Karotten, Geflügel und Erbsen, tiefes Risiko für Sorghum, gelben Mais, Zwiebeln, Bohnen und Tomaten. So willigte Kolumbien beispielsweise nach langen und kontroversen Verhandlungen schlussendlich ein, Molke in das Freihandelsabkommen aufzunehmen und für mehrere Milchprodukte sofortige Zollsenkungen vorzunehmen. Dies erlaubte es US Milchprodukten, den kolumbianischen Markt mit tieferen Preisen als die lokalen Produkte zu fluten und rasch beträchtliche Marktanteile zu gewinnen; bei Milchpulver stieg der Marktanteil von 1% auf über 27%, und der Import von Molke stieg um 79%.

Reis ist eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel und von grosser Bedeutung für die Kleinbauernlandwirtschaft. Der Wert der Reisimporte stieg in den ersten neun Monaten seit Inkrafttreten des Freihandelsabkommens um das Achtfache! US Produzenten traten am kolumbianischen Markt sehr aggressiv auf und erreichten einen Marktanteil von rund 80%. Die Importpreise für Langkornreis fielen - Zölle mit einberechnet - um 85%. Im Falle von weissem Mais stiegen die kolumbianischen Importe um insgesamt 60%, und die USA konnten ihren Marktanteil zuungunsten wichtiger Konkurrenten ausdehnen (Argentinien und Brasilien) und wurden zum fast alleinigen ausländischen Lieferanten. Auch die Importe von Schweinfleisch stiegen um 37%, die USA baute den Marktanteil auf Kosten von Chile und Kanada aus.

Hygienemassnahmen und phytosanitäre Kontrollen als Marktzutrittshindernisse

Nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommens liessen die USA fast die ganze Liste von Produkten, die vorgängige Bewilligungen brauchen, bestehen, während Kolumbien verschiedene Produkte von der Bewilligungspflicht aufgrund von Schutzmassnahmen gegen Tier- und Pflanzenseuchen sowie -Krankheiten befreite. Das Instituto Colombiano Agropecuario ICA, das für phytosanitäre Massnahmen zuständig ist, gibt keine Auskunft darüber, was für Standards und Bedingungen geändert wurden, ob die USA im Sinne des Abkommens handelten oder nicht, und ob die US Produkte die Hygienestandards erfüllen. Es scheint, dass die USA solche Kontrollen einseitig als wirksame Barrieren gegen den Marktzutritt von kolumbianischen Produkten nutzt.

In der 2009 durchgeführten Studie versuchte Oxfam die Auswirkungen des Freihandelsabkommens auf die kolumbianischen Kleinbauern abzuschätzen. Untersucht wurden die Auswirkungen auf das interne Preisniveau, auf die Anbaufläche und die Produktionsmenge. Die Studie kam zum Schluss, dass bei Produkten der kolumbianischen Kleinbauernwirtschaft, die mit steigenden US Importen konkurrieren müssen, mit Preisrückgängen von 15 bis 55% zu rechnen sei. Daraus wurde eine Reduktion der Anbauflächen besagter Produkte in Kolumbien von je 19 bis 77% vorausgesagt, und ein Produktionsrückgang zwischen 18 und 54%. Die verletzlichsten 28% der Kleinbauernhaushalten würden ihr landwirtschaftliches Einkommen um 48 bis 70% zurückgehen sehen, was ihre Existenzsicherheit ernsthaft bedroht. Oxfam betont, dass zwar Handelsabkommen zwischen gleichwertigen Partnern für beide Seiten Vorteile bringen können, dass bei Verhandlungen zwischen ungleichen Partnern der Stärkere dazu tendiere, seine Bedingungen aufzuzwängen. Kolumbien und andere lateinamerikanische Staaten sahen sich dazu veranlasst, Handelsabkommen mit den USA abzuschliessen, um bestehende Handels- und Zollpräferenzen beizubehalten. Die Andenländer genossen im Rahmen der Bekämpfung illegaler Drogenpflanzungen seit 1991 gewisse Handelspräferenzen. Als Entgegenkommen für die Handelspräferenzen machten diese Staaten aber Zugeständnisse, die die Nachhaltigkeit ihrer Entwicklungspolitiken gefährden und regionale Integrationsprozesse schwächen. Der ehemalige Landwirtschaftsminister Juan Camilo Restrepo kritisiert heute, dass Zugeständnisse beim kolumbianischen Landwirtschaftssektor bei den Verhandlungen nie und nimmer das letzte Ass im Ärmel für einen Verhandlungsabschluss hätten sein dürfen.

Als Folge der ungleichen Verhandlungen ist nun die kolumbianische Marktdurchdringung mit US Produkten viel radikaler als umgekehrt, stieg der Wert der US Exporte nach Kolumbien viel stärker als derjenige der kolumbianischen Exporte und verschob sich die Handelsbilanz zum Nachteil Kolumbiens. Indem Kolumbien mit dem Handelsabkommen auf Zolltarife zum Schutz der heimischen Produktionssektoren vor Billigimporten verzichtete, zwang es seine landwirtschaftlichen Produzenten, unter nachteiligen Bedingungen mit US Importen zu konkurrieren. 2012 erhielten US Farmer 6,8 Mia. Dollar an Subventionen, sechsmal mehr als sämtliche öffentlichen Investitionen Kolumbiens in den Landwirtschaftssektor. Die Folgen sind massive Verschlechterungen in der Handelsbilanz vor allem mit Agrarprodukten, die die Produktion und die Einkommen besonders von kolumbianischen Kleinproduzenten durch massive US Importe und sinkende Inlandpreise für die nationalen Produzenten bedroht. Diese Studie von Oxfam belegt nun die von NGOs und Kleinbauernorganisationen gemachten Vorhersagen, wonach der kolumbianische Landwirtschaftssektor durch das Freihandelsabkommen mit den USA Schaden leiden werde. Oxfam empfiehlt Kolumbien, dringend ein Monitoring-System zu entwickeln, um so rechtzeitig Schutzmassnahmen für betroffene Kleinbauern ergreifen zu können und deren Produktionsfähigkeiten und Kapazitäten und generell die Wettbewerbsfähigkeit des kolumbianischen Landwirtschaftssektors zu steigern, um so den negativen Trend umkehren zu können. Kleinbauernproteste gegen Regelungen zum geistigen Eigentum an Saatgut Durch das Freihandelsabkommen mit den USA sah sich Kolumbien auch gezwungen, im Bereich Saatgut und geistiges Eigentum Anpassungen vorzunehmen. So verabschiedete der kolumbianische Kongress im April 2102 das Gesetz 1518, mit dem das Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV91) übernommen wurde.

Verschiedene NGOs und soziale Organisationen kritisierten, dass dieses Gesetz gegen die kolumbianische Verfassung oder hierarchisch höhere Normen verstosse, u.a. gegen die Pflicht des Staates, für Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität zu sorgen. Zudem wurden auch ethnische Minderheiten nicht vorgängig über das Gesetz konsultiert, obwohl indigene Gruppen und AfrokolumbianerInnen durch das Gesetz in der Verwendung von einheimischen, kreolischen Saatgutsorten betroffen sind. Verschiedene Organisationen legten deshalb beim Verfassungsgericht Beschwerde gegen das Gesetz 1518 ein, worauf das Verfassungsgericht das Gesetz im Dezember 2012 für Verfassungswidrig erklärte. Bis jetzt hat die kolumbianische Regierung den vom Verfassungsgericht geforderten Prozess der vorgängigen, freien und informierten Konsultation und Zustimmung über das Gesetz noch nicht nachgeholt. Die USA haben nun aber angedroht, eine Entschädigung für die Verluste zu verlangen, die die Nichtanwendbarkeit des Gesetzes 1518 verursacht, da diese Normen im Freihandelsabkommen bindend vorgesehen waren.

Im Jahr 2013 sorgte aber auch eine andere Gesetzesbestimmung für Schlagzeilen und war mit ein Grund für die schweren Kleinbauernproteste, die Verordnung 9.70 des Kolumbianischen Landwirtschaftsinstituts ICA. Diese Verordnung aus dem Jahr 2010 wurde durch einen Dokumentarfilm von Victoria Solano bekannt[2], und will die Produktion, die Verwendung und die Kommerzialisierung von Saatgut in Kolumbien kontrollieren. Die Verordnung verankert das Konzept des geistigen Eigentums über das Saatgut, was ebenfalls eine Vorbedingung des Freihandelsabkommens war. Der erwähnte Dokumentarfilm zeigte, wie das Landwirtschaftsinstitut ICA in einem kolumbianischen Dorf 70 Tonnen lokal produzierten Reis beschlagnahmen und zerstören liess, weil er im Lichte der Verordnung 9.70 illegal war. Die Verordnung 9.70 stand daher im Zentrum der Kleinbauernproteste, die am 19. August 2013 begannen. Als Reaktion darauf wurde die umstrittene Verordnung für zwei Jahre suspendiert. Kleinbauernverbände und die Verteidiger traditionellen Saatguts fordern jedoch einen definitiven Verzicht auf Normen, die die Verwendung und den Tausch traditionellen Saatguts behindern oder gar verbieten.[3]

Anmerkungen:

[1]
Die Studie kann eingesehen werden unter:
http://www.oxfamamerica.org/publications/dashed-expectations

[2]
Der Film ist auf Youtube zu sehen:
http://www.youtube.com/watch?v=kZWAqS-El_g
oder auf http://www.documental970.com.ar/

[3]
http://desinformemonos.org/2014/01/leyes-de-semillas-en-america-latina-resistiendo-el-despojo/

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Quelle:
Monatsbericht Dezember 2013, Nr. 12/2013
Hrsg.: ask Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2014