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LATEINAMERIKA/1444: Der Autor und Kolumbienkenner Werner Hörtner im Gespräch (ask)


ask Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
Monatsbericht Nr. 11 - November 2013

Vom Zusammenfluss des Paramilitarismus und des Uribismo
- Ein Gespräch mit dem Autor Werner Hörtner

Von Regula Fahrländer



Werner Hörtner, Sie sind ein langjähriger Kolumbienkenner, das erste Mal waren Sie 1971 in diesem Land. Nachdem 2006 ihr Buch "Kolumbien verstehen" erschienen ist, haben sie nun - wieder beim Zürcher Rotpunktverlag - ein zweites Buch publiziert. Woher kommt Ihr Interesse an Kolumbien? Und was hat Sie dazu veranlasst, ein zweites Buch zu schreiben?

W.H.: Das Interesse an Kolumbien war am Anfang ein Interesse an Lateinamerika. Ich hab mich aus persönlichen, emotionalen Gründen in Florida - in den USA - aufgehalten, und da hab ich mir gesagt, wenn ich schon auf diesem Kontinent bin, dann möchte ich den Titicacasee sehen. Der war mir in Erinnerung vom Film "Traumstrasse der Welt", den ich in früher Jugendzeit gesehen habe. Die Bilder des blauen Wassers und die Schilfinseln im See habe ich noch sehr stark in mir herumgetragen, deshalb dieser Wunsch den Titicacasee zu sehen. Ich bin dann von Florida mit Autostopp dort hingefahren, und bin tatsächlich nach einem Monat angekommen. Auf dieser Reise habe ich natürlich viel von den Gegenden mitgekriegt durch die ich gefahren bin und in Kolumbien meine spätere Frau kennen gelernt. Sie ist dann ein halbes Jahr später nach Österreich nachgekommen und lebt da auch heute noch. Weshalb jetzt wirklich Kolumbien und nicht Ecuador oder Peru, die Frage habe ich mir oft selber gestellt, und ich kann sie nicht beantworten. Es war auf jeden Fall schon so, dass ich zu Kolumbien eine ganz spezielle Beziehung empfunden habe, und sie hält jetzt schon einige Jahrzehnte an und hat sich noch vertieft. Wenn ich in Kolumbien ankomme, dann habe ich immer das Gefühl zurück zu kehren, als wäre das eine zweite Heimat.

In journalistischer Hinsicht habe ich schon in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zu Lateinamerika und besonders zu Kolumbien zu schreiben begonnen, aber für eine Zeitschrift. 2005 war ich anlässlich einer Ausstellung kolumbianischer Künstlerinnen und Künstler in Zürich, und da habe ich mit dem Programmleiter vom Rotpunktverlag über ein Buchprojekt zu Kolumbien gesprochen. Von Anfang an hat ihm diese Idee gut gefallen, und so ist sie geboren und umgesetzt worden. Dieses Buch hat sich für alle überraschend gut verkauft. Für mich überraschend, weil ich nicht gedacht habe, dass es ein so grosses Interesse an Kolumbien gäbe. Und der Verlag war überrascht, weil die erste Auflage schon nach einem Jahr verkauft war. Das erste Buch war über die Geschichte Kolumbiens ab Beginn der Kolonialzeit, und ich hab dann stark das Bedürfnis empfunden, in einem neuen Buch einen Schwerpunkt auf die jüngste Geschichte Kolumbiens zu legen, mit den Schwerpunkten Paramilitarismus und Uribismo. Und so beginnt dieses neue Buch in den 60er Jahren, mit der Entstehung der neuen Form des Paramilitarismus als einer Form der illegalen bewaffneten Verteidigung der eigenen Interessen in einem politischen Kontext.

Ihr zweites Buch heisst "Kolumbien am Scheideweg, ein Land zwischen Krieg und Frieden". Warum steht dieses Land heute an einem Scheideweg?

W.H.: Wie es der Untertitel besagt, steht Kolumbien heute zwischen Krieg und Frieden. Es hat im Verlauf dieses etwa 50 jährigen Konfliktes in Kolumbien immer wieder Präsidenten gegeben, die eine friedliche Beendigung des Konfliktes in Angriff nehmen wollten. Diese Versuche sind manchmal ziemlich weit gediehen, sind aber dann aus verschiedenen Gründen immer wieder gescheitert. Dieses Mal ist eine Situation entstanden, wo meiner Meinung nach sowohl die Staatsgewalt, verkörpert durch den Präsidenten Juan Manuel Santos, wie auch die Guerilla in einer Situation sind, wo von einer Beendigung des Konfliktes beide Seiten profitieren. Der Präsident profitiert aus wirtschaftlichen Gründen, weil inländische und internationale Unternehmen ein friedliches Land wollen für ihre Investitionen. Und natürlich auch, weil Santos gerne als Friedenspräsident in die Geschichte eingehen würde. Was die Guerilla betrifft, so glaube ich, dass ihre militärische Schwächung und die zunehmenden technologischen Fortschritte des Militärs, mit Flugzeugen ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen, wesentlich waren. Diese Technologie hat die USA Kolumbien zur Verfügung gestellt, und sie hat in den letzten Jahren massgeblich zu den Schlägen gegen die Guerilla beigetragen. Früher war es ja wichtig für die Guerilla, entweder im Dschungel, im Wald oder in ständig von Wolken umhüllten Bergregionen zu campieren, aber da ist jetzt nicht mehr genügend Schutz. Ich glaube, diese neue Realität hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Guerilla auf Friedensgespräche eingestiegen ist.

Ihr neues Buch dreht sich hauptsächlich um zwei grosse Phänomene der jüngsten Geschichte Kolumbiens: Der Uribismo und der Paramilitarismus. Was charakterisiert diese beiden Phänomene? Und wie hängen sie zusammen?

W.H.: Der Paramilitarismus hat in seiner neuen Prägung in den 60er Jahren begonnen. Ein Standbein davon ist die US - Doktrin der nationalen Sicherheit, die als Reaktion auf den Triumph der Revolutionäre auf Kuba begonnen hat, was in den USA die Alarmglocken schrillen lies. Diese Doktrin besagt, vereinfacht dargestellt, dass alle Versuche einen Weg einzuschlagen, der zu einer bewaffneten Revolution führen könnte, schon frühzeitig zu unterbinden und zu zerstören sind. Das hat dazu geführt, dass die Armeen in diesen Ländern von den USA richtig indoktriniert wurden im Kampf gegen die sogenannte Subversion. Das waren aber in Wirklichkeit zivile, gesellschaftliche und regimekritische Personen und Gruppen und nicht Bewegungen die das System bewaffnet stürzen wollten. Als die Umsetzung dieser Doktrin anfangs der 60er Jahren begonnen wurde, gab es noch gar keine Guerillagruppen. Diese Indoktrinierung führte dazu, dass bis heute fast die gesamte Führungsschicht und die mittleren Kader der Armee sowie Polizei in allen regimekritischen Elementen den Feind, den Kommunisten, den Terroristen sehen.

Dazu kommt, dass Guerillagruppen in den 70er Jahren vermehrt begonnen haben, wohlhabende Personen zu entführen und Lösegeld zu verlangen. Das hat diese Sektoren auf die Idee gebracht, sich gegen die Entführungswelle selber zu verteidigen. So haben Drogenbosse, zusammen mit Vertretern der Armee und politischer Sektoren 1981 eine Bewegung ins Leben gerufen mit dem bezeichnenden Namen "Muerte a los Secuestradores", - MAS -, also Tod den Entführern. Das hat eine neue Welle von paramilitärischen Gruppen eingeleitet, die sich sehr schnell verbreitet hat und die immer mehr in ein politisches Fahrwasser gerieten. Von den staatlichen Sicherheitskräften wurden sie benutzt, um nicht nur Entführer zu verfolgen und zu liquidieren, ten wurden sie benutzt, um nicht nur Entführer zu verfolgen und zu liquidieren, sondern auch sogenannte subversive, staatsfeindliche Elemente. Diese paramilitärischen Gruppen haben sich dann verselbständigt und waren nicht mehr nur im Interesse der reichen Sektoren und im Sinne des Staatsterrorismus tätig, sondern haben ein eigenes politisches Projekt aufgebaut und sich verselbständigt.

Seit damals haben die Paramilitärs immer offener ein eigenes politisches Projekt verfolgt, das dann nach meiner Interpretation unter Uribe zu einem gemeinsamen Projekt mit dem Präsidenten geworden ist. Ein Projekt eines neuen politischen Systems, sehr stark mit reaktionären konservativen Inhalten durchsetzt, fest mit Patriotismus untermauert und von Uribes Vorstellung einer Neugründung des Staates im Sinn eines rechtsautoritären Systems geprägt. Mich erinnert dieses Projekt ziemlich stark an den europäischen Faschismus der 30er und 40er Jahre in Italien und Spanien.

Heute sind zahlreiche Skandale, wie etwa die extralegalen Hinrichtungen oder der Abhörskandal, während der Präsidentschaftszeit von Alvaro Uribe Velez bekannt. Und trotzdem liegt seine Beliebtheit bei den letzten Umfragen im September bei 57%, die des amtierenden Präsidenten nur bei 43%. Wie erklären Sie sich das? Und was für einen Einfluss hat der Ex-Präsident nach wie vor auf das politische Geschehen in Kolumbien?

W.H.: Das ist nicht einfach zu erklären, ja. Uribe ist einmal ein begnadeter Populist, mit einem meisterhaften demagogischen Geschick. Dann hat er es verstanden, besonders in den marginalisierten Bevölkerungsschichten das Gefühl zu erwecken, dass er einer von ihnen ist, dass er zu ihnen gehört und ihre Interessen verteidigt. Er hat ein System sozialer Beihilfen für arme Familien aufgebaut. Auch wenn das nur ganz wenig Geld war, das hat genügt dass die Leute das Gefühl hatten, da kümmert sich einer um sie, genau wie mit dem System der consejoscomunitarios. Er ist häufig am Wochenende mit einem Teil seines Kabinetts aufs Land gefahren, bis hin in die Kleinstädte, um dort mit der Bevölkerung Versammlungen abzuhalten. Das hat es in der Geschichte Kolumbiens noch nie gegeben, dass der Präsident seinen Palast in Bogota verlässt und zu den Leuten kommt. Auch hat er mit seiner totalen Militarisierung des Landes die Aktionen der Guerilla stark eingeschränkt, vor allem was die Entführungen betrifft, die früher gang und gäbe waren. Diese Verbesserung der Sicherheitslage hat ebenfalls wesentlich zur Popularität des Präsidenten beigetragen.

Leider ist der Einfluss von Uribe noch immer äusserst stark. In den 80er Jahren hat man in Kolumbien begonnen, von den "fuerzasoscuras", den dunklen Kräften, zu sprechen. Damit ist das Geflecht von illegal handelnden Akteuren in der nationalen, und noch stärker in der lokalen und regionalen Politik gemeint, die kriminelle, mafiöse Aktionen durchführen. Zu diesem Geflecht gehören auch staatliche Sicherheitskräfte und die lokalen politischen und ökonomischen Eliten, die unter anderem eint, dass sie die Guerilla auslöschen wollen. Ein weiterer wichtiger Akteur in diesem Filz ist der Drogenhandel, zu dem auch die sogenannten Bacrims, die kriminellen Banden wie die Regierung Uribe immer sagte, zu zählen sind. Das sind nichts anderes als neo-paramilitärische Gruppen, die wie eh und je regimekritische Kräfte verfolgen. Und immer stärker auch ökologische Gruppen, die sich gegen die Ausbeutung der Natur, wie etwa gegen die Bergbauindustrie, wenden und dann von diesen Banden im Auftrag der Unternehmen liquidiert werden.

Dieses Geflecht der "dunklen Kräfte" existiert noch immer, würde ich sagen, und ich habe den Eindruck, dass Uribe enge Verbindungen mit diesen Sektoren pflegt. Davon geht auch eine grosse Gefahr für den Friedensprozess aus.

In einem halben Jahr sind Präsidentschaftswahlen in Kolumbien, und die Zeit für den Abschluss der Friedensabkommen drängt immer mehr. Wie schätzen Sie den weiteren Verlauf der Verhandlungen ein? Wie wahrscheinlich ist eine Unterzeichnung eines Abkommen?

W.H.: Am 25. November ist der Stichtag an dem alle Kandidaten die bei den Präsidentschaftswahlen antreten wollen, ihre Kandidatur bekannt geben müssen. Uribe hat schon vor ein paar Wochen auf einer von ihm einberufen Parteikonvention seinen Kandidaten wählen lassen. Lange hat es den Anschein gehabt, dass ein Cousin von Santos, Francisco Santos, Uribes Kandidat wird. Aber ziemlich im letzten Moment hat Uribe dann einen anderen Kandidaten vorgeschoben, der von diesem Parteikonvent mehrheitlich bestätigt wurde. Aber eigentlich ist es so, als wäre Uribe selbst wieder der Präsidentschaftskandidat, weil diese Marionette alles tut, was ihr Gönner und Herrscher ihr einflüstert.

Der Friedensprozess wird den Wahlausgang sehr stark beeinflussen. Sollte es wirklich zu einem Scheitern des Prozesses kommen, was ja Uribe und seine Anhängerschaft sehnlichst wünschen, dann wird Santos die Wiederwahl ziemlich sicher nicht schaffen. Aber ich glaube auch die FARC haben diese Gefahr begriffen. Es hat eine Zeit der Krise gegeben, im August und September, wo durch das langsame Fortschreiten der Friedensgespräche in der Öffentlichkeit sehr viel Unmut entstanden ist, was von den Medien stark transportiert wurde. Das ging so weit, dass auch in Regierungskreisen diskutiert wurde, ob der Prozess abgebrochen oder für die Zeit der Wahlkampagne suspendieren werden sollte. Aber jetzt mit dem zweiten Teilabkommen über die Beteiligung der Bevölkerung am künftigen Kolumbien habe ich den Eindruck, dass es wieder einen neuen Aufwind gibt. Das hat auch gezeigt, dass beide Seiten den Weg zu einem Friedensabkommen weitergehen wollen. Ich glaube, es wird bis Februar unter Dach und Fach sein. Es sind noch vier Punkte offen, und bei diesen, so glaube ich, müsste bald eine Lösung zu finden sein.

Sie beenden Ihr Buch damit, dass es in Kolumbien auch nach einem unterzeichneten Friedensabkommen noch unzählige Probleme gibt: Die Demobilisierung der illegalen Gruppen, die Menschenrechtsverletzungen, die Straflosigkeit, die Landfrage und der Umgang mit der Vergangenheit, um nur einige zu nennen. Wie sehen Sie die Zukunft dieses Landes?

W.H.: Dieses Abkommen ist für mich eigentlich nur ein Schritt zu einer wirklichen Friedenslösung und Demokratisierung des Landes. Einmal durch die weitere Existenz dieser schon erwähnten dunklen Kräfte. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Teile der FARC bei der Demobilisierung nicht mittun, sondern sich lieber ganz offen dem Drogenhandel anschliessen und zusammen mit paramilitärischen Gruppen, und auch mit diesen Kräften von Uribe, bewaffnet gegen die Friedenskräfte der Regierung vorgehen werden. Deshalb ist die Frage der Sicherheitsgarantie für Aktivisten und Aktivistinnen der Linken, die an die Öffentlichkeit treten, ein grosses Problem. Gerade das heurige Jahr hat gezeigt, dass es am Land sehr viel Unmut gibt, aber auch viele Kräfte, die sich gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik der Regierung zum Schaden der landwirtschaftlichen Produktion zur Wehr setzte, Und gegen die Auswirkungen des Freihandelsabkommen mit den USA. Wenn die Führer dieser Proteste an die Öffentlichkeit treten, so sind sie ganz real gefährdet. Die paramilitärischen Einheiten sind weiterhin sehr aktiv bei der Ermordung von Campesinos, die auf ihr früheres Land zurückkehren wollen. Das Friedensabkommen muss auf keinen Fall bedeuten, dass die Waffen in Kolumbien schweigen werden. In einer gewissen Phase könnte es sogar zu einer Verstärkung der bewaffneten Auseinandersetzungen kommen. Wichtig wird auf jeden Fall sein, in welchen juridischen Rahmen der Friedensprozess nach der Unterzeichnung eines Abkommens gestellt wird. Der Ruf der Opfer des Konflikts nach Wahrheit und Gerechtigkeit ist eine legitime Forderung, der unbedingt Rechnung getragen werden muss.

Nun, wir freuen uns weiterhin von Ihnen zu lesen und danken herzlich für das Interview.

"Kolumbien am Scheideweg, ein Land zwischen Krieg und Frieden"
von Werner Hörtner ist im September 2013 im Rotpunktverlag erschienen.

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Quelle:
Monatsbericht November 2013, Nr. 11/2013
Hrsg.: ask Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2013