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LATEINAMERIKA/1324: Kuba - Ausreisebeschränkungen auf dem Prüfstand, Kubaner kritisieren Papierkrieg (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Januar 2012

Kuba: Ausreisebeschränkungen auf dem Prüfstand - Kubaner kritisieren Papierkrieg

von Dalia Acosta

Kubaner hoffen auf baldige Reisefreiheit - Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Kubaner hoffen auf baldige Reisefreiheit
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Havanna, 4. Januar (IPS) - Die meisten Kubaner, die in ihrer Heimat oder im Ausland leben, hoffen auf eine baldige Lockerung der Ein- und Ausreisebestimmungen. Präsident Raúl Castro hat bereits angekündigt, die Regelungen angesichts der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung "auf den neuesten Stand" bringen zu wollen.

Zahlreiche Kubaner sehen ihre eigene Freiheit und die Beziehungen zu Verwandten im Ausland durch die Politik der Regierung erheblich beeinträchtigt. "Die Migrationsfrage muss als grundlegendes Menschenrecht behandelt werden", forderte der Lyriker Alex Fleites, der im Rahmen der IPS-Online-Initiative 'Café 108' befragt wurde. IPS will mit der Internetseite die Beteiligung der Bürger am investigativen Journalismus fördern.

Ein Großteil der Interviewten betrachtet die Abschaffung der obligatorischen Ausreisegenehmigungen als wichtige Voraussetzung für das Recht auf Bewegungsfreiheit. Diejenigen, die den Karibikstaat nicht nur für eine kurze Reise, sondern dauerhaft verlassen wollen, benötigen bislang den Vermerk 'salida definitiva' (definitive Ausreise). Teilnehmer der Befragung verlangen außerdem, dass die Behörden ihnen ein Rückkehrrecht einräumen.

Inmitten des Konflikts zwischen Kuba und den USA galt die Ausreise aus dem kommunistisch regierten Land jahrzehntelang als politisches Phänomen. Emigranten durften noch nicht einmal mehr zu Besuch nach Kuba kommen.


Tauwetter nach Treffen von Castro mit Exil-Kubanern

Nach Gesprächen des früheren Staatschefs Fidel Castro 1978 mit einer Gruppe von im Ausland lebenden Kubanern begann sich die Lage etwas zu entspannen. Fortan wurden Emigranten wieder nach Kuba hineingelassen. In den neunziger Jahren erlaubten die Behörden außerdem, dass Kubaner ihren Wohnsitz vorübergehend auch in anderen Staaten beantragen konnten.

Was damals als Fortschritt erschien, wird inzwischen als unnötiger Ballast empfunden, den es abzuwerfen gilt. "Kuba muss seine Bürger respektieren und ihnen das Recht gewähren, ihr Land ohne Hindernisse und Gebühren verlassen und betreten zu können", erklärte die Theaterautorin Esther Suárez Durán gegenüber Café 108. Jeder solle ohne Behinderungen in seine Heimat zurückkehren können, wann immer es ihm passe.

Nach Ansicht vieler Befragter sollte auch das obligatorische Einladungsschreiben abgeschafft werden. Dieses Dokument wird nicht nur von ausländischen Botschaften verlangt, damit ein Visum ausgestellt werden kann. Auch die Einwanderungsbehörde lässt niemanden ohne einen solchen Brief aus dem Land.

Die Teilnehmer der vom IPS initiierten Diskussion kritisieren zudem die hohen Kosten für die Formalitäten, die für einen Umzug ins Ausland nötig sind. Diejenigen, die vor einer 'definitiven Ausreise' stehen, verlieren überdies Rechte und Besitz in Kuba.

Die Frauenrechtlerin Yasmin Silvia Portales schlug vor, dass die Gebühren für Pässe und andere offizielle Dokumente an das Einkommen der Antragsteller angepasst werden. Seit der Legalisierung des US-Dollar als Zahlungsmittel auf der Insel würden hohe Gebühren in harter Währung verlangt, kritisierte Portales, die den Blog 'En 2310 y 8225' betreibt.

Strittig ist auch der Umgang mit Kindern. Nachdem mehr als 14.000 Minderjährige zwischen 1960 und 1962 von ihrem Eltern im Rahmen der vom US-Geheimdienst und der katholischen Kirche organisierten 'Operation Peter Pan' unbegleitet in die USA geschickt worden waren, mussten Kinder aufgrund von Sonderregelungen, die angeblich ihrem Schutz dienten, im Land bleiben. Dadurch wurden im Laufe der Jahre zahlreiche Familien unnötig auseinander gerissen.


Kinder von Auswanderern sollen Kubaner bleiben

Bei der Umfrage wurde auch gefordert, dass Eltern ihre minderjährigen Kinder auf Auslandsreisen mitnehmen dürfen. Sandra Alvarez, Autorin des Blogs 'Negra cubana tenía que ser' sprach sich dafür aus, dass "Kinder emigrierter Kubaner nicht als Ausländer betrachtet werden".

Auch die Versuche der Behörden, gut ausgebildete Arbeitskräfte zwangsweise in Kuba zu halten, stoßen auf Kritik. Die Rechte aller Individuen müssten gleichermaßen anerkannt werden, sagte Josué Portal, der sich an der Debatte beteiligte.

Der Ökonom und Politologe Esteban Morales merkte an, dass Kuba "ein armes Land ist, das viele Schwierigkeiten damit hat, seinen Einwohnern das Erreichen ihrer Lebensziele zu ermöglichen." Lösungen für dieses Problem sollten "flexibler und intelligenter" sein.

"Es ist falsch zu glauben, dass das von uns hervorgebrachte Humankapital dadurch geschützt wird, dass den Menschen Auslandsreisen gar nicht oder nur eingeschränkt gestattet werden", wandte Morales ein. "Alle Kubaner sollten dort leben und arbeiten können, wo es ihnen beliebt, und jederzeit in ihr Land zurückkehren dürfen."

Der Historiker Jesús Guanche brachte die umstrittene Frage der Nationalität ins Spiel. Nach geltendem Recht sind alle Menschen, die auf der Insel geboren werden, Kubaner. Weitere Staatsbürgerschaften werden nicht anerkannt. Guanche gibt aber zu bedenken, dass das Recht auf mehrere Staatsangehörigkeiten die Heimatverbundenheit nicht beeinflusst. (Ende/IPS/ck/2012)


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www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99845
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106300

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2012