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LATEINAMERIKA/1204: Ecuador - Volksbefragung stößt auf Kritik, Präsident Populismus vorgeworfen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Dezember 2010

Ecuador: Volksbefragung stößt auf Kritik - Präsident Populismus vorgeworfen

Von Gonzalo Ortiz


Quito, 21. Dezember (IPS) - Der ecuadorianische Staatspräsident Rafael Correa hat angesichts der zunehmenden Gewalt in dem südamerikanischen Land eine Volksbefragung zu einer geplanten Reform der seit 2008 geltenden Verfassung angekündigt. Die Bürger sollen sich außerdem zu mehreren Gesetzen äußern, die das Justizwesen betreffen.

Wann die Volksbefragung stattfinden soll, steht bisher nicht fest. Laut Correa soll das Strafrecht reformiert werden. Konkret geht es um die Möglichkeit, Strafen für mehrere Delikte im Urteil zu kumulieren. Dies ist seit mehreren Jahrzehnten durch die ecuadorianische Verfassung verboten. Außerdem soll die Arbeit der Strafgerichte neu organisiert werden.

Wie der Ökonom Ramiro Crespo im Gespräch mit IPS erklärte, hat Correa seit seinem Amtsantritt im Januar 2007 die Wähler bereits vier Mal zu Volksbefragungen aufgerufen. Crespo hielt dem Staatschef vor, seine Ziele mit Hilfe einer populistischen Rhetorik erreichen zu wollen.

Zugleich suche der Präsident die Nähe des Militärs, kritisierte der Experte. Durch einen Gesetzentwurf, der größere Befugnisse für die Streitkräfte bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung vorsieht, habe Correa bereits engere Verbindungen zur Armee geknüpft.

Der Vorsitzende der nichtstaatlichen Gefangenenhilfsorganisation 'Confraternidad Carcelaria', Jorge Crespo Toral, hält es für absurd, die Kriminalität durch eine Kumulierung von Strafen eindämmen zu wollen. Toral plädierte stattdessen für umfassende Rehabilitierungsmaßnahmen, die Straftätern eine Rückkehr in die Gesellschaft ermöglichen.


Entführungen und Bandenfehden

Politische Beobachter vermuten, dass die zunehmenden öffentlichen Sicherheitsprobleme Correa dazu bewogen haben, die Wähler erneut an die Urnen zu rufen. Im November war der zehnjährige Sohn des bekannten Sportkommentators Rómulo Barcos bei einer Schießerei unter Kriminellen in der südwestlich gelegenen Stadt Guayaquil getötet worden. Zahlreiche Menschen beteiligten sich daraufhin an Protestmärschen.

Rundfunk und Presse berichteten außerdem massiv über so genannte 'Blitz-Entführungen'. Die Opfer müssen ihren Kidnappern selbst Geld und Wertgegenstände beschaffen und kommen dann binnen weniger Stunden frei. Die Zeitung 'El Universal' sorgte für Aufsehen, als sie berichtete, dass alle anderthalb Stunden ein solcher 'secuestro express' stattfinde. Auch Auftragsmorde und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Banden machen in dem Andenstaat regelmäßig Schlagzeilen.

Vor allem in Guyaquil hat Correa inzwischen erheblich an Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Der rechtsgerichtete Bürgermeister Jaime Nebot nutzt die Lage für sich aus, indem er der Regierung die Schuld an der wachsenden Kriminalität gibt.

Nebot zog sich mit seinen radikalen Äußerungen sogar den Zorn des kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos zu. Der Bürgermeister hatte nämlich eine Visumspflicht für Reisende aus dem Nachbarland gefordert, um Mitglieder von Verbrecherbanden aus Ecuador fernzuhalten.

Santos entgegnete, dass es sich bei den rund 700.000 Kolumbianern, die jährlich nach Ecuador reisten, um Touristen und Geschäftsleute handele. Er bot Nebot zudem Hilfe bei der Bewältigung der Sicherheitsprobleme in Guayaquil an.

Zwischen 2003 und 2009 lag in der Stadt die Zahl der Morde pro 100.000 Einwohner statistisch gesehen auf 26,6. In der Hauptstadt Quito sei in dem Zeitraum eine Rate von 10,6 verzeichnet worden, sagte der Parlamentarier Paco Moncayo. Der ehemalige General war mehr als acht Jahre lang Bürgermeister in Quito und entwickelte in der Zeit einen Plan für öffentliche Sicherheit.

Moncayo warf Correa und Nebot vor, die Situation mit ihren Alleingängen zu verschlimmern, anstatt gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Er warf Staatsanwaltschaft, Richter, Polizei und Parlament jedoch vor, nicht richtig zu arbeiten.


Mordrate in Lateinamerika höher als anderswo

Im vergangenen Jahr betrug die Mordrate pro 100.000 Einwohner im landesweiten Durchschnitt 18,6. Aus Regierungskreisen verlautete, dass in diesem Jahr mit einem Anstieg auf 20 gerechnet werde. Damit liegt Ecuador noch weit hinter Ländern wie Venezuela und El Salvador zurück, wo mehr als 60 Morde pro 100.000 Einwohner gezählt werden.

Nach Erkenntnissen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission ist die Kriminalität in Lateinamerika höher als in anderen Regionen der Erde. Auf dem Kontinent, wo acht Prozent der Weltbevölkerung leben, ereignen sich 40 Prozent aller Morde.

Kritiker des ecuadorianischen Justizwesens führen die Missstände maßgeblich auf die schleppende Arbeit der Behörden zurück. Wie aus einer Studie des 'Centro de Justicia de las Americas' hervorgeht, wurden in dem Land zwischen 2005 und 2008 646.451 Straftaten zur Anzeige gebracht, jedoch nur 76.120 Verfahren eröffnet. Lediglich 7.930 Prozesse wurden in dem Zeitraum abgeschlossen. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2010