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LATEINAMERIKA/1017: Kolumbien aktuell - März/2 2009 (ask)


Kolumbien-aktuell Nr. 484 vom 26. März 2009

Inhalt:
1. Politik: Patrick Leahy - die kalte Dusche
2. Menschenrechte: Paramilitarismus und die Streitkräfte
3. Chronologie: 1. - 26. März 2009


1. Politik: Patrick Leahy - die kalte Dusche

Von José Darío Castrillón Orozco, Psychologe

Funktionäre der hohen Regierung zerreissen sich die Gewänder aufgrund der Kehrtwende der US-Aussenpolitik. An einem Tag schicken sie den Vizepräsidenten, damit er dem Imperium droht, den Plan Colombia zu beenden und selbst von Würde zu sprechen. Am anderen Tag schicken sie den Innen- und Justizminister, um zu sagen, dass die Bedingungen des US-Senats in Bezug auf die Menschenrechte ungerecht seien. Dann wiederum wird ein Funktionär geringerer Kategorie des Verteidigungsministeriums losgeschickt, um US-Senator Leahy zu widersprechen. Klar reicht das Maulheldentum von Verteidigungsminister Juan Manuel Santos zwar um die lateinamerikanischen Nachbarländer einzuschüchtern, nicht aber den US-Kongress. Inzwischen markierte der in seinen absolutistischen Eitelkeiten sich ergehende Präsident Uribe Distanz zu seinen Untergebenen, als ob nicht er selber der Anstifter deren Erklärungen wäre. Der Begünstigungen von Bush beraubt, macht er Präsident Obama, der ihn weiterhin verschmäht, schöne Augen.

Die Regierung versucht zu zeigen, dass sich in den Beziehungen zu den USA nichts verändert hat. Regierungsfunktionäre sprechen und posieren bei Besuchen in Washington, während die regierungstreuen Kommentatoren in der Presse geflissentlich den Obama-Effekt kleinreden. Sie haben so oft gelogen, dass sie schon selber ihren Betrug zu glauben begannen. Deshalb hat sie die Erklärung von US-Senator Patrick Leahy wie eine kalte Dusche getroffen.[1]

Eigenartigerweise hat die Erklärung wenig Verbreitung gefunden. Nur die Zeitung El Tiempo brachte eine sehr unvollständige Version der Erklärung von Leahy. Es handelte sich dabei nicht um eine Presseerklärung, sondern um eine Erklärung vor dem US-Senat und dem Präsidenten der Kommission, welche über die Verwendung und die Bestimmungen bezüglich der US-Regierungsgelder für die weltweite internationale Zusammenarbeit entscheiden. Es ist komisch, dass ein öffentliches Dokument als eine exklusive Information einer Zeitung präsentiert wird.

Senator Leahy beginnt mit der Erklärung - und dies wird von El Tiempo vollständig wiedergegeben - über die Übergriffe der FARC: Entführungen, Misshandlung von Gefangenen, ziellose Bombardierungen, Hinrichtungen, Finanzierung durch Drogenhandel, Verlust von Glaubwürdigkeit und Unterstützung durch das Volk und erklärt, dass die FARC die Gesetze eines internen Krieges nicht respektiert.

Er betont insbesondere die Morde und Entführungen von Indigenen, deren Land in Konfliktzonen liegt, sowohl durch die FARC wie auch durch die Armee. Wörtlich sagt er: "Die Massaker an wehrlosen, zivilen Indigenen können besser als Verbrechen gegen die Menschheit bezeichnet werden. Sie haben keinerlei Rechtfertigung und jene, welche zu solchen Abscheulichkeiten greifen, müssen für ihre Verbrechen bezahlen."

Er nimmt Bezug auf die Berichte der Nationalen Indigenen Organisation Kolumbiens ONIC über die Morde und Entführungen von Mitgliedern der Awá durch die FARC und lehnt dieses Vorgehen vehement ab.

Er anerkennt die Fortschritte im Bereich der Sicherheit in Bogotá, Medellín und einigen Städten, wie auch die Präsenz des Staates in vorher unregierbaren Zonen. Er lobt die Politik alternativer Entwicklungsprojekte und meint, diese Projekte "verdienen unsere ständige Hilfe".

Dann sagt er aber auch, dass einige ländliche Gebiete im Konflikt stehen und von der FARC oder anderen illegalen Gruppen kontrolliert werden, so auch von demobilisierten Paramilitärs. Wie schon im Vorjahr weist er auf das Scheitern des Plan Colombia hin und sagt: "Der Kokaanbau ist fast so hoch, wie er zu Beginn des Plan Colombia war. Nur wird Koka jetzt auf kleineren Parzellen und weiter verstreuten Gebieten angebaut. Als Resultat dieser mit den Drogen verbundenen Gewalt, sind allein im vergangenen Jahr mehr als 200'000 kolumbianische Bauern aus ihren Häusern vertrieben worden."

Leahy ruft der kolumbianischen Regierung auch die Notwendigkeit der Entschädigung der Opfer des Konfliktes in Erinnerung und meint, dass es mehrere Tausend Opfer der FARC, der Armee und der Paramilitärs gibt, wobei die Paramilitärs auf die taktische oder aktive Unterstützung der Armee zählen konnten. Er weist auch darauf hin, dass trotz der Ankündigungen der Regierung es keine Rückgabe der von den Paramilitärs geraubten Ländereien gegeben hat und ruft dazu auf, diesen Prozess der Landrückgabe als wichtige Bedingung für den Frieden vorrangig zu verfolgen.

Leahy drückt auch seine Besorgnis - wie El Tiempo schreibt - über die aussergerichtlichen Hinrichtungen oder "falsos positivos - falschen Erfolgsmeldungen" aus, welche angeklagt worden sind. Dazu meint Leahy: "Statt Ermittlungen aufzunehmen haben hohe kolumbianische Regierungsfunktionäre, mit eingeschlossen der Präsident, auf diese Anklagen mit der Beschuldigung der Menschenrechtsorganisationen reagiert und sie als Sympathisanten der FARC bezeichnet. Nachdem der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte diese Verbrechen bestätigt hat und aufgedeckt wurde, dass sie das Resultat einer offiziellen Politik der Armee waren, gab die Regierung das Problem zu. Trotzdem gingen die verbalen Angriffe gegen die MenschenrechtsverteidigerInnen und JournalistInnen weiter, die Artikel zum Thema der aussergerichtlichen Hinrichtungen schrieben."

Leahy begrüsst das Vorgehen des Verteidigungsministers, die in diese Verbrechen involvierten Militärs zu entlassen, hinterfragt aber, dass nur gegen wenige Prozesse eröffnet und Urteile gesprochen wurden, wobei es Hunderte von Fällen aussergerichtlicher Hinrichtungen gibt.

Auffallend ist auch die Hinterfragung Leahys in Bezug auf die frühere US-Staatssekretärin Condolezza Rice: "Obwohl sie einen Bericht nach dem anderen über diese Abscheulichkeiten erhielt.bescheinigte sie weiterhin der kolumbianischen Armee die von den USA geforderte Einhaltung der Menschenrechte. Dies war genauso beschämend wie die Beschuldigung der MenschenrechtsverteidigerInnen durch die kolumbianische Regierung." Darum blieb dem US-Senat keine andere Alternative, als einige der finanziellen Mittel für den Plan Colombia zurück zu behalten und deren Herausgabe "teilweise davon abhängig zu machen, dass die Regierung das Problem der falsos positivos grundlegend angeht und die darin verwickelten Offiziere festnimmt. Zudem sollen jene, die den Mut haben, diese Verbrechen anzuklagen, nicht länger Zielscheibe der Angriffe der Regierung sein".

Leahy geht danach auf den Fall von General Montoya ein und meint ironisch, dass dieser "bestraft wurde", in dem er zum Botschafter ernannt wurde, ein Vorgehen, das in Kolumbien häufig ist. Leahy hinterfragt auch die Ersetzung von Montoya durch General Gonzáles Peña, der bis vor kurzem Kommandant der 4. Armeebrigade in Antioquia war, "welche eine der schlimmsten Statistiken über die aussergerichtlichen Hinrichtungen aufweist".

Am Schluss bekräftigt Leahy das Scheitern des Plan Colombia und ruft dazu auf, die Resultate zu prüfen und die Bedingungen des Plans zu erfüllen, in dem Sinne, dass die kolumbianischen Beiträge steigen und die US-Beiträge sinken sollen.

Bemerkenswert ist auch die folgende Aussage von Leahy: "Das Justizsystem in Kolumbien ist völlig unfähig eine so grosse Zahl von Fällen oder Anzeigen abzuurteilen." Dabei bezieht er sich auf die Opfer des Konfliktes und auf die strukturelle Schwäche der Justiz. Diesbezüglich müssen jedoch die von der Regierung Uribe getroffenen Anstrengungen berücksichtigt werden, die Justizadministration gefügig zu machen und die Kontrollorgane zu unterwerfen. So sollen diese in den Dienst der politischen Interessen von Uribe gestellt werden und dazu dienen, die Straflosigkeit seiner Verbündeten aufrecht zu erhalten, während gleichzeitig die Mitglieder der Opposition verfolgt werden.

Diese Absicht zeigte sich seit Präsident Uribe das Referendum verloren hatte, in welchem er uneingeschränkte Macht zur Reformierung der Kontrollinstanzen gefordert hatte. Später ging er zur Kooptation dieser Institutionen über. Bereits hat er einen zahmen Generalstaatsanwalt und Aufsichtsrat (Procurador). Das Urteil des Procuradors, die Minister Uribes und seine Verbündeten im Bestechungsfall der Kongressabgeordneten Yidis Medina frei zu sprechen, steht im Widerspruch zu dem Urteil des Obersten Gerichtshofes und ist der vorläufige Höhepunkt dieses Unterwerfungsprozesses der Justiz durch Uribe. Die Generalstaatsanwaltschaft hat bereits Zeichen gegeben, im gleichen Sinne wie der Procurador zu handeln, d.h. die Mitglieder und Verbündeten der Regierung von jeder Schuld frei zu sprechen. Dies auch im Fall von Vizepräsident Francisco Santos, welcher meinte, dass die Schaffung eines Hauptstadt-Blockes durch die Paramilitärs ein "Witz" gewesen sei, trotz der Spur der Toten, welche er hinterlassen hat.[2] Die Haftentlassung von Mario Uribe, des Cousins des Präsidenten, oder die Nachlässigkeiten, das Verstreichen lassen von Fristen oder die regelwidrige Führung von Prozessen, um so ihren Abbruch wegen Formfehlern zu provozieren, wie es im Fall von Noguera, des ehemaligen Direktors des Geheimdienstes DAS der Fall war, all dies verfolgt letztlich das Ziel, die Straflosigkeit zu sichern. Eine Politisierung dieser Art führt dazu, dass die Justiz in Kolumbien nur über die internationalen Gerichtshöfe oder den Druck der internationalen Gemeinschaft kommen kann. Dies ist auch im Fall von US-Senator Patrick Leahy und den Bedingungen für den Plan Colombia so: Es wird nichts anderes als eine funktionierende Justiz verlangt. Darum werden sie vom kolumbianischen Innen- und Justizminister als "ungerecht" bezeichnet, von Vizepräsident Santos als "unwürdig" und vom Verteidigungsminister als "falsch informiert".

(Quelle: Caja de Herramientas, Semanario virtual No. 151, 20. März 2009)


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2. Menschenrechte: Paramilitarismus und die Streitkräfte

Von Pedro Santana Rodríguez, Präsident der Korporation Viva la Ciudadanía


Die Strafkammer des Obersten Gerichtshofes hat dem Generalstaatsanwalt Mario Iguarán Arana den Auftrag erteilt, eine Strafuntersuchung gegen Generali.R. Rito Alejo del Río zu eröffnen. Dies aufgrund neuer Beweise und Zeugenaussagen, welche den General mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit, verübt von paramilitärischen Gruppen in Verbindung bringen, wobei er direkt mit den Paramilitärs zusammenarbeitete oder in Komplizenschaft mit deren Verbrechen stand. Im Jahr 2004 hatte der damalige Generalstaatsanwalt Luis Camilo Osorio die Untersuchung geschlossen und die Ermittlungen gegen Rito Alejo del Río eingestellt. Die Ermittlungen waren aufgrund von zahlreichen Anklagen gegen den General wegen Verbrechen aufgenommen worden war, welche in seine Zeit als Kommandant der 17. Armeebrigade mit Sitz in Urabá fielen, dies in der Zeit von 1995 - 1997. Zur gleichen Zeit war der jetzige Präsident Alvaro Uribe Gouverneur des Departements Antioquia. Im Urteil des Obersten Gerichtshofes, welches die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen Rito Alejo del Río anordnet, wird daran erinnert, dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren. Es wird auch darauf hingewiesen, dass im Fall von Rito Alejo del Río vier neue Zeugenaussagen aufgetaucht sind, welche den General der Zusammenarbeit mit den Paramilitärs in seinem militärischen Hoheitsgebiet beschuldigen, als er Kommandant der 17. Brigade war. Diese von der Strafkammer des Obersten Gerichtshofes mit berücksichtigten Aussagen, welche bei Einvernahmen im Rahmen des Gesetzes Gerechtigkeit und Frieden gemacht wurden, stammen von Salvatore Mancuso, Hebert Veloza alias HH, Jorge Iván Laverde alias El Iguano und Elkin Casarrubia Zapata alias El Cura. Alle diese Zeugenaussagen zeigen, dass Rito Alejo nicht nur die kriminellen Aktivitäten der Paramilitärs begünstigte, sondern direkt mit ihnen bei der Verübung schrecklicher Massaker zusammen konspirierte, in der Zeit, als er oberster militärischer Kommandant in Urabá war.

Ein Brief von Diego Fernando Murillo alias Don Berna an den US-Staatsanwalt, welcher 33 Jahre und 7 Monate Gefängnis wegen Drogenhandels bei dem für den Prozess gegen Murillo zuständigen Gerichtshof der USA gefordert hat, beinhaltet eine Aussage, welche die Verbindungen des Militärs zu den Paramilitärs erneut an die oberste Stelle der Debatte rückt. In diesem Brief schreibt Diego Fernando Murillo, alias Don Berna, dass die Operation Orión in der Comuna 13 in Medellín gemeinsam vom damaligen Armeekommandanten in Medellín, General Mario Montoya, welcher bis vor kurzem Chefkommandant der Streitkräfte Kolumbiens war, und General Leonardo Gallego, damaliger Polizeikommandant in Medellín, durchgeführt wurde. Don Berna weist darauf hin, dass die Operation Orion gemeinsam von seinen Leuten, d.h. den paramilitärischen Verbänden und den zuständigen Kommandanten von Armee und Polizei in Medellín durchgeführt wurde.

Das Thema - die Verbindungen zwischen Militär, Polizei und den paramilitärischen Gruppen - ist nicht neu. Ein Teil der Krise des Landes hat genau mit diesen Verbindungen wichtiger Bereiche der öffentlichen Sicherheitskräfte mit dem Verbrechen zu tun. Kürzlich wurde der Polizeikommandant von Medellín, Marco Antonio Pedreros, von seinen Vorgesetzten vom Dienst suspendiert, da er scheinbar zusammen mit Daniel Rendón, alias Don Mario, die Staatsanwaltschaft in Medellín beeinflusste, als Guillermo Valencia Cossio deren Direktor war. Guillermo Valencio Cossio ist der Bruder des amtierenden Innen- und Justizministers, den Uribe trotz allem in seinem Amt belässt, so wie er auch den unheilvollen Luis Camilo Osorio auf dem Botschafterposten in Mexiko belässt. Ebenso hat Präsident Uribe Mario Montoya, bis vor kurzem Chefkommandant der kolumbianischen Streitkräfte, zum Botschafter in der Dominikanischen Republik ernannt, obwohl er von vielen Seiten als Teil jenes Sektors der Militärs beschuldigt wird, welcher Komplize und Alliierter der paramilitärischen Verbände war.

Das jüngste Urteil der Strafkammer des Obersten Gerichtshofes, in welchem die Wiedereröffnung des Prozesses gegen General Rito Alejo del Río angeordnet wird, erinnert uns daran, dass falls in Kolumbien die Justiz nicht ihrer Aufgabe nachkommt, bald der Internationale Strafgerichtshof einen Prozess gegen jene Autoren von Verbrechen gegen die Menschlichkeit eröffnen wird, gegen welche keine Ermittlungen laufen. So weit wir wissen, gibt es keine Ermittlungen gegen José Miguel Narváez, Ex-Subdirektor des Geheimdienstes DAS, welcher von verschiedenen paramilitärischen Chefs als Teil der sechsköpfigen Führungsjunta der Paramilitärs bezeichnet worden ist. Es gibt auch keine Ermittlungen gegen den General i.R. Mario Montoya oder General Leonardo Gallego. Der Oberste Gerichtshof ruft mit seinem Urteil dem Generalstaatsanwalt in Erinnerung, dass er diese Ermittlungen aufnehmen muss, wenn er die kolumbianische Justiz nicht der Präsenz internationaler Gerichte aussetzen will.

Der vor einigen Wochen erfolgte Besuch der Militärs in Begleitung des Verteidigungsministers Juan Manuel Santos bei Präsident Uribe fand auf diesem Hintergrund statt. Als das Verfassungsgericht mit seinen Urteilen den von der Militärjustiz garantierten Weg der Straflosigkeit unterband und die Generalstaatsanwaltschaft mit den Ermittlungen beauftragte, wurde eine neue Situation für die Aburteilung von Militärs geschaffen, welche in Verbrechen gegen die Menschlichkeit involviert sind. Es ist aber auch so, dass die Fortschritte des internationalen Rechts, welche den kolumbianischen Staat als Mitunterzeichner des Statuts von Rom - aus dem der Internationale Strafgerichtshof entstanden ist - verpflichten, Verbrechen gegen die Menschlichkeit ohne Verjährung zu verfolgen. Dies ist die neue Realität des internationalen Rechts. Die Militärs sind gezwungen, Protokolle und Abkommen einzuhalten und so vorzugehen, dass die Menschenrechte respektiert werden. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie die aussergerichtliche Hinrichtung von mehr als 1300 Personen als vermeintliche gefallene Kämpfende (sog. Falsos positivos - falsche Erfolgsmeldungen), können nicht einfach durch administrative Massnahmen wie die Amtsenthebung von Offizieren bewältigt werden. Strafrechtliche Ermittlungen müssen die Schuldigen eruieren. Wenn die kolumbianische Justiz diese Strafermittlungen nicht durchführt, wird eher früher als später der Internationale Strafgerichtshof in Kolumbien an die Tür klopfen. Inzwischen müssen die Militärs ihre Aktionen mit dem Schutz und der Förderung der Menschenrechte in Übereinstimmung bringen.

(Quelle: Caja de herramientas, Semanario virtual No. 150, 13. März 2009)


Straflosigkeit der Verbrechen an GewerkschaftlerInnen - Uribe versucht die Sonne mit der Hand zu bedecken

Von Alejandro Torres, Notas Obreras


Im Gemeinschaftsrat No. 224 vom Samstag, den 14. Februar 2009 in Samacá, im Dep. Boyacá, betonte Präsident Uribe: "Ich glaube, das ist ungerecht. Allein aus politischem Hass in die USA zu reisen und die Wahrheit zu verdrehen. (...) Unsere Regierung verlangt nur, dass die Wahrheit gesagt wird, unparteiisch. Wir verkennen nicht, was noch fehlt, doch wir fordern, dass auch die Fortschritte anerkannt werden. (...) Wir haben es nicht nötig, dass die USA oder irgend welches Land von uns verlangen, unsere Arbeitenden zu schützen. (...) Werden sie dem bilateralen Freihandelsabkommen TLC schaden? Sicher. Sicherlich geht unsere Regierung zu Ende und dann können sie sagen: ,Wir haben nicht zugelassen, dass sie Uribe das TLC unterzeichnet haben.' Doch das ist kein Schaden an mir als Person, sondern an Kolumbien. Ich für meinen Fall werde alles daran setzen, um ein ruhiges Gewissen zu haben."

Präsident Uribe bezog sich bei dieser Intervention auf die anhaltende Kritik aus verschiedenen Kreisen - auch aus dem US-Kongress - über die Nachlässigkeit beim Schutz des Lebens von GewerkschaftsführerInnen, der Straflosigkeit von unzähligen Fällen von Morden an GewerkschaftlerInnen und die Verletzung anderer Rechte wie jenes auf freie Gewerkschaftsbildung. Er bezog sich auch auf die Weigerung des US-Kongresses, das Freihandelsabkommen mit Kolumbien anzunehmen, welches von den beiden Regierungen im Jahr 2006 unterzeichnet worden war. Zudem haben die fast zwei Jahrzehnte der Umsetzung der wirtschaftlichen Öffnung in Kolumbien gezeigt - während dem im Weissen Haus die Bush's und Clinton regierten - dass der Freihandel, der von beiden US-Regierungen gefördert wurde, auf der maximalen Ausbeutung der Arbeitskraft beruht.

Die Äusserung von Uribe entbehrt nicht des Zynismus, denn es ist schwierig, dass jemand seinen Rekord in Bezug auf die Verletzung der individuellen und kollektiven Rechte der LohnarbeiterInnen überbieten könnte. Von Schutz der Arbeitenden kann keine Rede sein.

Seit Amtsantritt von Uribe bekommen die Arbeitenden die Verringerung ihrer Löhne aufgrund der Einschränkung der Überzeitzulagen, der Verkürzung von Nachtarbeit-, Sonntags- und Feiertagszuschlägen zu spüren, wie auch durch lächerliche Abgangsentschädigungen bei Kündigungen. Zudem haben die Arbeitenden grössere Abzüge für die Gesundheitskosten, wie auch für die Bezahlung von Beiträgen an eine ungewisse Altersrente. Die mehreren Billionen Pesos, welche den Arbeitenden mittels der Arbeitsrechts- und Pensionsreform im Jahr 2002 abgezwackt wurden, erklären zu einem schönen Teil die grossen Gewinne der Banken, des Grosshandels, der multinationalen Unternehmen und der privatisierten Dienstleistungsunternehmen in den letzten Jahren. Und sie haben selbstverständlich Zufriedenheit bei den Unternehmern ausgelöst.

Doch Uribe wollte noch einen Schritt weiter gehen. Im Laufe seiner Amtszeit versuchte er die Löhne und die Minimalpensionsleistungen zu senken. Nur kurz vor Wahlen stellte er jeweils diese Versuche ein.

Mit der Auflösung oder Umstrukturierung von öffentlichen Unternehmen vernichtete er mehrere Zehntausende von Arbeitsplätzen und verletzte von den Angestellten erkämpfte Rechte, wobei er gleichzeitig ein Konglomerat von parallelen Angestelltenlisten erstellte, um den Politikern seiner Koalition Pfründe für Wahlzwecke in die Hände zu geben.

Die Anstellung durch Temporärfirmen wurde zum bevorzugten System. Zwischen 2002 und 2008 erhöhte sich die Zahl der Temporärarbeitenden um 27%, während die Zahl der Festangestellten um 15% sank. Um die von innen und aussen kommenden Forderungen abzuschwächen und die Auswüchse der sogenannten Arbeitskooperativen angeblich zu kontrollieren, wurde in ganzen Wirtschaftsbereichen wie z.B. im Gesundheitsbereich verfügt, dass nur die Temporärfirmen Arbeitskräfte vermitteln können. Präsident Uribe stört es auch nicht, dass dies in Tausenden von Unternehmen die ausschliessliche oder wichtigste Form der Anstellung von Arbeitenden ist.

Dieser Kahlschlag der Rechte der Arbeitenden während den sechs langen Jahren der Regierung von Uribe wurden als die Formel dargestellt, mit der die Arbeitslosigkeit verringert werden könnte. Millionen von KolumbianerInnen sind von der Arbeitslosigkeit betroffen, doch niemand diskutiert darüber, dass die Arbeitslosigkeit in alarmierender Weise zugenommen hat und in den letzten Tagen die offizielle Zahl von 14% erreichte. In Wirklichkeit trugen die Lohnkürzungen in sich den Keim für den Arbeitsplatzabbau, da sie zur direkten Verringerung der Kaufkraft und damit der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen durch die Arbeitenden führte.

Unglücklicherweise haben die Gewerkschaftsspitzen statt zum Protest aufzurufen für einen sibyllinischen Artikel in der Arbeitsrechtsreform von 2002 lobbyiert. Dieser Artikel besagt, dass die getroffenen Massnahmen wieder rückgängig zu machen sind, wenn es sich erweist, dass das Ziel der Arbeitsplatzschaffung nicht erreicht wurde. Der Kongress wäre dann verpflichtet, die vorherige Situation wieder herbeizuführen. Eine vergebliche Illusion, um es gelinde auszudrücken.

Obwohl es nicht zu Massenprotesten gegen das Regime der Demokratischen Sicherheit gekommen ist - dies teilweise aufgrund des Drucks und der Einschüchterung - haben verschiedene Kreise exemplarische und wichtige Proteste durchgeführt. In diesen Fällen leuchtete eine andere Facette des Uribismus auf: Die brutale Repression, wie sie z.B. die Zuckerrohrschneider im Valle del Cauca erlitten, welche systematisch von den Polizeieinheiten der ESMAD bedrängt und geschlagen wurden, weil sie von der Zuckeroligarchie direkte Arbeitsverträge verlangten. Oder die Indigenen, welche bei ihrem Marsch der Minga vom Militär bedrängt wurden, und Scharfschützen nahmen Marschierende ins Visier; oder die militärische Antwort auf den Streik der Justizangestellten mit der Ausrufung der inneren Unruhe. Die Justizbeamten hatten nur die Einhaltung der Lohnabkommen und Lohnerhöhungen verlangt, welche die Regierung selber verabschiedet hatte.

Nie zuvor wurden so viele Gewerkschaften illegalisiert und die Einschreibung von neuen Gewerkschaften verhindert. Und noch nie war die Parteilichkeit des Arbeitsministers derart skrupellos gewesen. Mit Recht wird der zuständige Minister nicht mehr Minister für den sozialen Schutz, sondern Minister für den patronalen Schutz genannt.

Die Anklage dieses Regimes ist daher in allen möglichen Szenarien und insbesondere gegenüber allen Arbeitenden in den Ländern des Nordens und des Südens mehr als gerechtfertigt.

(Quelle: Notas Obreras, Alejandro Torres, 8. März 2009)


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3. Chronologie: 1. - 26. März 2009

2. März 2009

Mitglieder der Kolumbianischen Juristenkommission werden aufgrund ihrer Anklagen gegen die Straflosigkeit von Verbrechen an GewerkschaftlerInnen mit dem Tode bedroht.

3. März 2009

Nach Morddrohungen hat der Fernsehsender Arte Dreharbeiten in Kolumbien für einen Dokumentarfilm über paramilitärische Gruppen abgebrochen. Wie Arte in Straßburg mitteilte, wollte der Sender zusammen mit der Schweizer TSR in dem Dokumentarfilm "Impunity" ("Straflosigkeit") über gegenwärtig laufende Prozesse gegen Paramilitärs berichten. Den Paramilitärs wird die Ermordung Tausender Zivilisten in den 90er Jahren zur Last gelegt. Regisseur des Filmes ist der kolumbianisch-schweizerische Doppelbürger Juan José Lozano.

5. März 2009

Verteidigungsminister Juan Manuel Santos bittet die Familienangehörigen der Opfer des Massakers an 43 Bauern des Ortes Pueblo Bello, welche am 14. Februar 1990 von paramilitärischen Einheiten unter dem Befehl von Fidel Castaño verschleppt und ermordet worden waren, um Verzeihung. Der Interamerikanische Menschenrechtshof hatte Kolumbien wegen des Massakers verurteilt, dies aufgrund der Zusammenarbeit der Armee mit den Paramilitärs bei der Verübung des Massakers.

Rund 200 Familien, die durch aussergerichtlichen Hinrichtungen (falsos positives) betroffen sind, versammeln sich in Bogota.

Ebert Veloza, alias HH, ehemaliger Chef der paramilitärischen Verbände in Urabá und des Bloque Calima, wird wegen Drogenhandels an die USA ausgeliefert.

6. März 2009

Der indigene Ex-Gouverneur Edgar Arcacio Ocoró wird bei Caloto im Dep. Cauca durch 8 Schüsse von Unbekannten ermordet.

Zum 2. Mal führt die Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen MOVICE eine nationale und internationale Manifestation durch, diesmal mit Schwerpunkt des Protestes gegen die aussergerichtlichen Hinrichtungen in Kolumbien.

10. März 2009

In Santiago de Chile wird offiziell der Südamerikanische Verteidigungsrat konstituiert. Ihm gehören die zwölf spanisch sprechenden Länder Südamerikas an, sowie Guayana, Brasilien und Surinam. Die Initiative geht auf Brasiliens Präsident Lula da Silva zurück. Der Verteidigungsrat soll eine Methode zum Vergleich der Militärausgaben erarbeiten, aber auch Friedensmissionen und humanitäre Aktionen koordinieren. Drogen- und Waffenhandel sind kein Thema des Rates.

19. März 2009

Die Friedensgemeinschaft San José de Apartadó klagt öffentlich dauernde Feindseligkeiten und Übergriffe gegen die Gemeinschaft an.


Anmerkungen:

[1] Siehe unter http://leahy.senate.gov/press/200903/030509e.html

[2] A.d.Ü. Salvatore Mancuso hatte Vizepräsident Francisco Santos beschuldigt, die Paramilitärs zur Bildung eines Bloque Capital aufgefordert zu haben.


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Quelle:
Kolumbien-aktuell Nr. 484, 26.03.2009
Herausgeber: Bruno Rütsche, ask Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
Fachstelle Frieden und Menschenrechte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2009