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FRAGEN/004: Iran - Einseitige Forderungen verlängern Atomstreit, Botschafter Mousavian im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2013

Iran: Einseitige Forderungen verlängern Atomstreit - Botschafter Seyed Hossein Mousavian im Interview

von Jasmin Ramsey


© Mit freundlicher Genehmigung von Seyed Hossein Mousavian

Botschafter Seyed Hossein Mousavian
© Mit freundlicher Genehmigung von Seyed Hossein Mousavian

Washington, 18. Juli (IPS) - Im Streit um das iranische Atomprogramm wird sich auch der künftige Staatspräsident Hassan Ruhani nicht bewegen, sollten Teheran Gespräche auf Augenhöhe verwehrt bleiben. Diese Meinung vertritt der iranische Botschafter Seyed Hossein Mousavian und forderte den Westen auf, seine traditionelle Iran-Politik der Einschüchterung, Sanktionen und Demütigungen aufzugeben.

Die Wahl von Ruhani zum neuen iranischen Staatsoberhaupt im letzten Monat hat im Iran neue Hoffnungen geweckt. Die Reaktionen im Ausland fielen eher verhalten aus. Dabei könnte der 'diplomatische Scheich' wie der Reformer in seinem Heimatland genannt wird, einiges bewegen, zumal er von 2003 bis 2005 Chef-Unterhändler der internationalen Gespräche um das iranische Atomprogramm war.

"Die erste und bevorzugteste Option für den Iran wäre eine friedliche Beilegung des Streits", meinte Mousavian, ein ehemaliger Sprecher der Nuklearunterhändler und derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Woodrow-Wilson-Schule für öffentliche und internationale Angelegenheiten der Princeton-Universität, zu den Aussichten auf einen Wandel der iranischen Atompolitik. Es folgen Auszüge aus dem Interview mit IPS.

IPS: Sie haben mit Ihrem Artikel für die 'Cairo Review' einen Monat vor der Wahl Ruhanis für viel Wirbel gesorgt. Darin schreiben sie, dass eine Option für den Iran der Rückzug aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) sein könnte. Zieht der Iran eine solche Option wirklich in Erwägung?

Seyed Hossein Mousavian: Wie ich bereits in meinem Beitrag für die Cairo Review geschrieben habe, ist die erste und bevorzugteste Option für den Iran die Suche nach einem friedlichen Ende der Pattsituation. Ich habe die fünf wichtigsten Forderungen der P5+1 (USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland plus Deutschland) während der jüngsten Atomgespräche dargelegt, die einen atomaren Durchbruch des Irans verhindern und ein Höchstmaß an Transparenz sicherstellen sollen. Im Gegenzug beharrt der Iran vor allem auf den beiden Forderungen, die Sanktionen gegen das Land aufzuheben und die Rechte, die der Iran im NPT genießt, anzuerkennen.

Ich habe darin ferner vorgeschlagen, dass die Weltmächte und der Iran ihre Forderungen zusammenbringen, um daraus ein Paket von Maßnahmen zu schnüren, die dann schrittweise und im gegenseitigen Einverständnis umgesetzt werden.

Ein Rückzug aus dem NPT lag nie in der Absicht des Irans. Die USA und Israel lassen mit ihrer Haltung, 'alle Optionen liegen auf dem Tisch', die Möglichkeit eines Militärschlags gegen iranische Nukleareinrichtungen offen. Doch das verstößt gegen die UN-Charta, den NPT und das Prinzip der Nichtverbreitung, da Atomwaffenstaaten - die USA und Israel - dem atomwaffenlosen Iran mit einem Angriff drohen.

Solange also die USA auf das Alle-Optionen-liegen-auf-dem-Tisch-Prinzip pochen, sieht sich der Iran genötigt, seinerseits auf dem eigenen Alle-Optionen-liegen-auf-dem-Tisch-Prinzip zu beharren.

IPS: Die Regierung von Barack Obama sagt, dass der Iran nicht formell auf den in Almaty in Kasachstan angebotenen Vorschlag der gegenseitigen Annäherung eingegangen sei. Warum hat der Iran Ihrer Meinung nach nicht darauf reagiert und erwarten Sie eine formelle Antwort nach Ruhanis Amtseinführung?

Mousavian: Der Vorschlag der P5+1 in Almaty zeichnet sich durch ein Höchstmaß an Forderungen und ein Mindestmaß an Gegenleistungen aus. Ruhanis Regierung stünde einem fairen und ausgewogenen Deal durchaus offen gegenüber, würde dieser die wichtigsten Forderungen beider Parteien auf der Grundlage des Atomwaffensperrvertrags enthalten, die in einem gemeinsamen Paket zusammengebracht und im Rahmen eines schrittweisen Planes nach dem Prinzip der verhältnismäßigen Gegenseitigkeit umgesetzt.

IPS: Ist die Anerkennung des iranischen Rechts, Uran anzureichern, eine Vorbedingung für eine Verhandlungslösung?

Mousavian: Sie wäre Teil des Pakets, von dem ich bereits gesprochen habe.

IPS: Es gibt US-Kongressabgeordnete, die am liebsten noch vor der Amtseinführung Ruhanis im nächsten Monat mehr Sanktionen gegen den Iran verhängen würden. Welche Auswirkungen hätte ein solcher Schritt mit Blick auf künftige Verhandlungen?

Mousavian: Der Iran wird die Rufe nach direkten Gesprächen und Verbindlichkeit niemals ernst nehmen, solange die USA mit ihrer Sanktions- und Druckstrategie fortfahren. Sollte es Washington tatsächlich an einer Annäherung auf Augenhöhe gelegen sein, muss es seine Bereitschaft dazu unter Beweis stellen - durch einen Akt des guten Willens anstelle von Feindseligkeiten und Animositäten. Die Iraner messen den Taten und nicht den Worten der USA Bedeutung zu.

IPS: Wie sieht das Kräfteverhältnis im Iran zwischen denjenigen aus, die eine Hardliner-Haltung einnehmen, und jenen, die eine größere Flexibilität begrüßen? In wieweit spielen Sanktionen in dieser internen Debatte eine Rolle?

Mousavian: Es gibt mit Blick auf die Atompolitik im Iran zwei Denkschulen, die sich jedoch in der Frage des iranischen Rechts, die Atomkrafttechnologie für friedliche Zwecke zu nutzen, einig sind. Allerdings spielt die Einstellung der P5+1 und des Westens gegenüber dem iranischen Anspruch sehr wohl eine Rolle im Kräfteverhältnis beider Denkschulen.

Während der Atomgespräche von 2003 bis 2005 mit den drei europäischen Mächten (Großbritannien, Frankreich und Deutschland) - damals war ich Teil des Verhandlungsteams - hatte der Iran weit reichende Angebote zur Beilegung des Atomstreits unterbreitet. Er ließ das für einen NPT-Vertragsstaat höchste Maß an Transparenz walten, indem er das Zusatzprotokoll und Subsidiaritätsabkommen akzeptierte. Wir signalisierten auch unsere Bereitschaft, uns an allen vertrauensbildenden Maßnahmen zu beteiligen, und betonten immer wieder die friedlichen Absichten hinter unserem Atomprogramm.

Leiter ist es dem Iran und seinen europäischen Gesprächspartnern nicht gelungen, ein Abschlussabkommen auf die Beine zu stellen, weil die USA dem Iran schon damals das nach dem Atomwaffensperrvertrag legitime Recht auf eine friedliche Nutzung der Atomkraft verweigerten. Die Inflexibilität und Haltung der USA haben das Kräfteverhältnis im Iran zugunsten des Radikalismus verschoben. Wenn dem Westen wirklich an einer Zusammenarbeit und Flexibilität des Irans gelegen ist, muss er angemessen und verhältnismäßig reagieren.

Die Sanktionspolitik fördert lediglich eine Lose-Lose-Situation. Der Iran leidet unter den Sanktionen, während dem Westen die zunehmende Fähigkeit und Dimension des Irans, Uran anzureichern, zusetzt. Gleich zu Beginn der Sanktionen hat der Irak die Zahl der Zentrifugen von 3.000 auf 12.000 vervierfacht und das Ausmaß der Urananreicherung von 3,5 auf 20 Prozent gesteigert. Die Menge an angereichertem Uran ist um etwa 800 Prozent gestiegen.

IPS: Auf seiner ersten Pressekonferenz im Anschluss an seinen Wahlsieg hat Ruhani von Israel als Israel gesprochen, ohne andere Namen ins Spiel zu bringen. Könnte dies auf einen neuen Kurs schließen lassen?

Mousavian: Ruhani ist kein Mann der radikalen Rhetorik. Er ist höflich, denkt logisch und respektiert internationale Normen und Bestimmungen. Der Schlüssel zur Beilegung des Disputs mit dem Iran wird davon abhängen, inwieweit der Westen seine traditionelle Politik aufgibt, Druck auszuüben, Sanktionen zu verhängen, Drohungen auszusprechen und den Iran zu demütigen. (Ende/IPS/kb/2013)


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http://online.wsj.com/article/SB10001424127887324694904578602121276301636.html?KEYWORDS=Jay+solomon
http://www.aucegypt.edu/gapp/cairoreview/Pages/articleDetails.aspx?aid=374
http://www.ipsnews.net/2013/07/qa-will-the-iranian-nuclear-conflict-change-with-rouhani/

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IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2013