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EUROPA/798: Obsorge- und Besuchsrecht in Österreich - Die fehlende Stimme der Kinder (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 62
JUNI-JULI-AUGUST 2010

Die fehlende Stimme der Kinder

Von Daniela Ingruber


Mit steigender Scheidungs- und Trennungsrate geraten immer mehr Kinder zwischen die Fronten von Beziehungskonflikten. Ein neues Obsorge- und Besuchsrecht sollte zur Klärung beitragen. Bisher werden die Rechte der Kinder meist zweitrangig behandelt, ob sich das ändert ist fraglich. planet machte sich auf die Suche nach der Grünen Position.


Jede dritte Ehe in Österreich wird geschieden. In Wien sind es sogar 66 Prozent. Tendenz steigend. Es braucht nicht besonders viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass daher immer mehr Kinder betroffen sind. Abgesehen vom häufig traumatischen, zumindest aber schwierigen Erleben der Trennungsphase, ergibt sich für Kinder die existentielle Frage: Wo wohne ich? Und wann sehe ich den anderen Elternteil?

War es bisher selbstverständlich, dass die Mutter das Obsorgerecht erhält, wird das heute anders diskutiert. Kinder sollten das Recht und die Möglichkeit haben, beide Elternteile in ihren Alltag integriert zu haben. Das funktioniert, solange sich die Eltern einigen können und überhaupt noch miteinander kommunizieren (können). Ist dies nicht mehr der Fall, entspricht es leider nicht nur einem Klischee, dass Beziehungskonflikte über die Frage der Obsorge und Besuchsregelung ausgefochten werden. Für den Konfliktfall bietet die aktuelle Rechtslage kaum geeignete Lösungsmöglichkeiten.

Generell ist es so, dass Väter nach einer Trennung häufig den Kontakt zu ihren Kindern verlieren. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, aber genau das spielt für die betroffenen Kinder kaum eine Rolle. Für sie steht der Verlust im Vordergrund, nicht der Grund dafür. Zwar kennt jede/r den Satz: "Die Leidtragenden sind immer die Kinder", doch steht das viel zitierte "Kindswohl" noch immer nicht im Mittelpunkt des Handelns, zu stark sind im Konfliktfall die Eigeninteressen der Eltern. Dieses Fehlen ist symptomatisch und zeigt sich auch im Gebrauch eines Wortes: So spricht man in Österreich meist vom "Sorgerecht", dabei umfasst dieses nur einen Teil der Obsorge, nämlich die Rechte, die sich für die Eltern oder den betroffenen Elternteil aus der zugesprochenen Obsorge ergeben, nicht allerdings die Pflichten gegenüber den Kindern.


Helfen den Kindern mehr Rechte der Väter?

Fragen rund um die Obsorge werden in letzter Zeit zwar relativ intensiv diskutiert - am 24. Juni wird es eine Parlamentarische Enquete dazu geben -, doch die Sicht der Kinder fehlt dabei weiterhin. Lediglich die Väter treten inzwischen massiver auf. Sie wollen mehr Rechte und versuchen diese über eine gesetzlich verpflichtende "gemeinsame Obsorge" zu erlangen.

Wie sieht dazu die Positionen der Grünen aus? planet fragte bei Daniela Musiol, der grünen Familiensprecherin, und dem grünen Justizsprecher Albert Steinhauser nach, wie sie zu dieser neuen "Lobby" von Vätern stehen und welche Vorschläge sie selbst zu einer neuen Regelung hätten. "Die Grünen setzen auf Einigung statt Verpflichtung", sagen beide unisono. "Tatsache ist, dass Vernunft nicht gesetzlich verordnet werden kann. In aufrechten Beziehungen wird davon ausgegangen, dass die Herausforderungen der Obsorge in der Regel gemeinsam bewältigt werden können. Nach Trennungen muss diese Fähigkeit meist erst wieder erarbeitet werden. Gerichte sind dafür der falsche Ort." Den Kindern nütze der Streit mit nachfolgendem gerichtlichen Beschluss in den seltensten Fällen, da der eigentliche Streit dadurch nicht beseitigt werde.

Daher fordern die Grünen eine Schlichtungsstelle, die künftig den Bezirksgerichten vorgelagert sein soll. "In dieser Schlichtungsstelle sollen MediatorInnen, SozialarbeiterInnen, PsychologInnen und PsychotherapeutInnen die Eltern dabei unterstützen, tragfähige Lösungen zu erarbeiten." sagt Albert Steinhauser. Erst wenn die Schlichtungsstelle scheitern sollte, wird das Gericht zuständig.


Neue Familienkonzepte brauchen neue Regeln

Bei nichtehelichen Kindern erhält automatisch die Mutter die alleinige Obsorge, was oft nicht der Lebensrealität von unverheirateten Paaren entspricht. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner will diesen Umstand mit mehr Aufklärung ändern: Ihrer Meinung nach würden dann mehr Unverheiratete die gemeinsame Obsorge beantragen. Daniela Musiol agumentiert, dass sich nur etwas ändern kann, wenn Lebensgemeinschaften hinsichtlich der Obsorge der Ehe gleichgestellt werden: "Das Grüne Modell schlägt vor, dass die gemeinsame Obsorge dann eintritt, wenn beide Elternteile und das Kind zur Geburt an derselben Meldeadresse gemeldet sind, da dann eine Lebensgemeinschaft vermutet werden kann. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht soll bei der Mutter liegen." Auch in diesem Falle sollte bei Streitigkeiten - etwa über den Aufenthaltsort oder falls ein Elternteil die alleinige Obsorge fordert - die bereits erwähnte Schlichtungsstelle zuständig werden, ehe das Gericht eingeschalten wird. Sollten die Eltern nichtehelicher Kinder nicht denselben Wohnsitz haben, soll die Regelung nach Vorstellung der Grünen so bleiben wie bisher: Die Eltern könnten im Einvernehmen die gemeinsame Obsorge beantragen.


Gemeinsame Obsorge nach Trennung

Generell ist die Schlichtungsstelle das zentrale Element im Grünen Modell einer Obsorge- und Besuchsregelung: Sie soll verhindern, dass Kinder vor Gericht gezerrt werden, denn mehr als alles andere steht eine gütliche Lösung in deren Interesse.

Doch nicht erst das Gericht sondern viel früher, bereits beim Entschluss zur Trennung, kann den Kindern viel erspart werden, wenn die Eltern trotzdem gemeinsam agieren. Daher treten die Grünen dafür ein, dass die Obsorge beider Elternteile bestehen bleibt, solange Einvernehmen darüber besteht. Sollte das nicht mehr zutreffen, soll auch hier die Schlichtungsstelle angerufen werden können. Albert Steinhauser dazu: "Die Schlichtungsstelle versucht dann Lösungen zu finden. Ist das nicht möglich, entscheidet das Gericht, welcher Elternteil die alleinige Obsorge bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrecht erhält. Eine gesetzlich zwingende gemeinsame Obsorge ist nicht vorgesehen."

Eines ist den Grünen besonders wichtig: "Jenseits der Obsorgedebatte um die Gestaltung von Rechten muss weiter daran gearbeitet werden, dass Väter in der Praxis den gleichen Anteil an Alltagsaufgaben und Verantwortung übernehmen wie Mütter; und zwar in einer aufrechten Beziehung ebenso wie nach einer Trennung." Das wäre im Interesse der Kinder, meint die Grüne Familiensprecherin Musiol, denn ohne tatsächlichen Kontakt und Beziehung zu beiden Elternteilen ergibt keine Regelung über die gemeinsame Obsorge wirklich Sinn.


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Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 62,
Juni-Juli-August 2010, S. 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2010