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EUROPA/712: Italien unter Berlusconi (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 31. Januar 2009

Italien unter Berlusconi

1994 kam der Mediendiktator zum ersten Mal an die Regierung und wurde nach 226 Tagen durch Massendemonstrationen und einen Generalstreik gestürzt. Wie konnte er 2001 und 2008 erneut ans Ruder gelangen?

Von Gerhard Feldbauer


Im April 2008 errang der Mediendiktator Silvio Berlusconi zum dritten Mal einen Wahlsieg über das Linke Zentrum und bildete mit Alleanza-Nazionale-Faschisten und Lega-Nord-Rassisten wieder eine rechtsextreme Regierung, von der schwerwiegende faschistische Gefahren ausgehen. Im Dezember 1994 war seine erste Regierung nach nur 226 Tagen zu Fall gebracht worden. Warum konnte sein zweimaliger erneuter Vormarsch nicht aufgehalten werden?

Unter Berlusconi wurde Italien 1994 zum ersten europäischen Land, in dem nach Kriegsende in Gestalt des 1946 als Mussolini-Nachfolgepartei gegründeten Movimento Sociale Italiano (MSI) die Faschisten an die Regierung kamen. Die Weichen dafür hatten die USA nach 1945 im Bündnis mit den reaktionären und Rechtskräften des Landes gestellt. Die Faschisten wurden in Reserve gehalten, um sie, wenn erforderlich, auch in die Regierung einzubeziehen und die Linken von ihr auszuschließen. In den Pariser Friedensverträgen vom Februar 1947 hatten die Vereinigten Staaten deshalb die von der UdSSR für Italien geforderte Klausel abgelehnt, niemals wieder faschistische Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen.

Die folgenden Faschisierungsprozesse wurden von den bürgerlichen Parteien mitgetragen. Es entstand die These von der Wahl der Faschisten ins Parlament als Argument ihrer »demokratischen Legitimität«, die auch 1994 zur Rechtfertigung ihrer erstmaligen Aufnahme in die Regierung diente.

Die Anfang der 70er Jahre in der IKP (Partito Comunista Italiano - PCI) einsetzende revisionistische Entwicklung, die zum Historischen Kompromiß, der Klassenzusammenarbeit mit der Großbourgeoisie führte, begünstigte diesen Prozeß. Im Kampf gegen eine von den Faschisten betriebene »chilenische Lösung für Italien« eine bürgerliche Regierung im Parlament zu unterstützen, wie es im März 1978 geschah, konnte als gerechtfertigt gelten. In dem Regierungsprogramm fehlten jedoch Maßnahmen zur Zurückdrängung dieser Gefahr. Die USA inszenierten das Mordkomplott gegen den Führer der Christdemokraten (Democracia Cristiana, DC) und Partner von PCI-Chef Enrico Berlinguer (1922-1984), Aldo Moro, brachten den Historischen Kompromiß zum Scheitern und führten eine reaktionäre Wende herbei, die bis in die Gegenwart reicht und 2008 Berlusconi zum dritten Mal an die Regierung brachte.

Unter dem Einfluß Gorbatschows setzten sich die Revisionisten auf dem Parteitag der IKP/PCI im März 1989 endgültig als parteibeherrschend durch. Im Januar 1991 wandelten sie die Partei in die sozialdemokratische Linkspartei PDS (Partito Democratico della Sinistra) um und liquidierten damit die IKP, seit Antonio Gramsci (1891-1937) entscheidende Kraft jeden Kampfes gegen den Faschismus. 90 Delegierte (ein Drittel) verweigerten sich und gründeten die Kommunistische Neugründung (Partito della Rifondazione Comunista - PRC), die etwa 100000 von den rund 1,6 Millionen IKP-Mitgliedern um sich scharte.

Parallel zur sozialistischen Niederlage in Europa und der Beseitigung der IKP kam es zur vorübergehenden Auseinandersetzung mit der Einmischung der USA, der NATO und besonders der CIA in die italienische Politik. Die Existenz der geheimen NATO-Truppe »Gladio« und ihre Verbrechen wurden aufgedeckt; der mehrmalige Ministerpräsident Giulio Andreotti wegen Komplizenschaft mit der Mafia und Anstiftung zu einem Mafiamord angeklagt, im Mordprozeß zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt, in der Revision letztinstanzlich freigesprochen.

Im zwischen 1991 und 1993 aufgedeckten Korruptionssumpf, der 1356 Staats- und Parteifunktionäre sowie Wirtschaftsmanager in Untersuchungshaft brachte, gingen die Regierungsparteien (DC, PLI, PSI, PSDI) unter. Das Turiner Einaudi-Institut errechnete, daß jährlich zehn Milliarden Dollar Schmiergelder geflossen waren. Bettino Craxi, Chef der sozialdemokratischen Partei PSI (Partito Socialista Italiano), wurde in Abwesenheit (er war nach Tunis geflohen) zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt. Angesichts der Erschütterung des kapitalistischen Systems fürchtete das rechte Lager den Übergang eines Großteils der Wähler zur PDS. In dieser Situation gründete Berlusconi, Besitzer eines riesigen Medienimperiums (40 Prozent der Printmedien und 90 Prozent des privaten Fernsehens) eine eigene Partei - Forza Italia (FI, dt. etwa: Stärke Italiens) und kandidierte zu den Parlamentswahlen. Mit dem in Alleanza Nazionale (AN, dt.: Nationale Allianz) umgetauften MSI, der Lega Nord und christdemokratischen Restgrüppchen schloß er ein Wahlbündnis.

Die Lega, die im Norden etwa 20 Prozent Wählerstimmen erreichte, vertrat einen auch gegen die Süditaliener gerichteten Rassismus und betrieb die Abspaltung Norditaliens vom Zentralstaat. Den Fußballclub von Neapel empfingen in Mailand Legaanhänger mit einem Spruchband »Was Hitler mit den Juden gemacht hat, wäre auch das Richtige für Napoli«. Einflußreiche Kapitalgruppen mit dem Industriekonzern Fiat (Turin) an der Spitze förderten die Lega.


Berlusconi und die »P2«-Loge

Wie die Starjournalisten Giovanni Ruggerio und Mario Guarino in ihrer Berlusconi-Biographie (1) schrieben, gehörte der Mediendiktator zusammen mit Sozialistenchef Craxi dem Dreierdirektorium der faschistischen Putschloge »P2« an, die der Altfaschist aus Mussolinis Salò-Republik (2) Licio Gelli Ende der 60er Jahre in Zusammenarbeit mit NATO- und CIA-Kreisen zur Herbeiführung eines Sturzes der verfassungsmäßigen Ordnung gebildet hatte. Die Autoren belegten, daß die P2 Berlusconis Karriere in die Massenmedien lenkte, in deren Händen sie »die wahre Macht« sah. Ihre Bankiers hätten ihm »Unterstützung und Finanzierungshilfen, die weit über jede Kreditwürdigkeit hinausgehen«, verschafft.

Die Forza-Partei entstand faktisch innerhalb der Berlusconi-Holding Fininvest, deren Manager ihre Führungsstruktur bildeten. Der Werbekonzern Pubitalia kreierte eine Parteibasis in Form loser Klubs, deren Präsidenten Berlusconi ernannte. Norberto Bobbio, italienischer Rechtsphilosoph und Publizist, schätzte ein, daß der FI jegliche »demokratische Merkmale« fehlten. Der Kolumnist des Corriere della Sera Indro Montanelli meinte, Berlusconi könnte »der neue Mussolini« sein, eine Art »lächelnder Diktator«. Der Rechtswissenschaftler Mario Losano enthüllte die faschistoiden Züge der Mediendiktatur als einer »Medien-Agora« und »Erbin der 'ozeanischen Versammlungen' der Mussolini-Zeit«, mit welcher der »Duce« nicht nur in den Teilnehmerzahlen, sondern auch in der Massenbeeinflussung noch übertroffen werde.(3)

Die Feiern des MSI zum 70. Jahrestag des »Marsches auf Rom« (1922), an dem 1992 in der Hauptstadt 10000 Faschisten unter Mussolini-Bildern, mit Führergruß, »Duce« und »Viva il Fascismo« schreiend unbehelligt durch die Straßen ziehen konnten, und Gianfranco Fini, seit 1987 Nachfolger des früheren »Duce«-Staatssekretärs Giorgio Almirante an der Spitze des MSI, sich zur »faschistischen Revolution« und zum Festhalten »an unseren Wurzeln« bekannte, offenbarten die wachsende faschistische Gefahr. Bei den Bürgermeisterwahlen im November 1993 verfehlte Fini in Rom mit 43 Prozent nur knapp den Einzug ins Capitol. In Neapel unterlag die Duce-Enkelin und MSI-Kandidatin Alessandra Mussolini mit 46 Prozent ebenfalls nur hauchdünn.

Berlusconis hemmungslos antikommunistischer Wahlkampf 1993/94, in dem die neuen Sozialdemokraten als »Enkel Stalins«, die ein kommunistisches Regime errichten wollten, verketzert wurden, offenbarte die übermächtige Stärke des Fernsehmonopols des Forza-Führers. Da es keine Begrenzung der Wahlkampfauftritte gab, stand Berlusconi allein über seine drei Sender zehnmal mehr Sendezeit zur Verfügung als allen anderen Parteien zusammen.

Der Medientycoon gewann 1994 bei den Parlamentswahlen mit 46,7 Prozent, seine FI kam auf 21. Die Ergebnisse zeigten, wie das von Berlusconi zu 75 Prozent durchgesetzte, nach dem Ersten Weltkrieg aufgehobene reaktionäre Mehrheitswahlrecht den Wählerwillen verfälschte. Die Lega kam mit 8,4 Prozent auf 118 Parlamentssitze, die PDS mit 20,3 auf 115, die Kommunisten mit sechs nur auf 40, die AN mit 13,5 Prozent auf 105. Fini bekräftigte seine Treue zu Mussolini sowie zur Aktualität seines Erbes und nannte ihn den »größten Staatsmann des Jahrhunderts«. Altfaschist Pino Rauti, die Nummer zwei der Bewegung, der in den Senat gewählt worden war, feierte den »Marsch auf Rom«, den »Kampf gegen die Plutokratien« im Zweiten Weltkrieg und die Repùbblica Sociale als »bleibende Werte«, aus »denen wir schöpfen«.


Autoritäres Präsidialregime

Berlusconi kündigte »Säuberungen in den öffentlichen Einrichtungen« an und ließ dazu vorgefertigte »Listen« verbreiten. In der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt RAI wurde die kritische Sendereihe Milano-Italia eingestellt. Der Premier setzte an, ein Präsidialregime zu errichten, die antifaschistischen Grundlagen der Verfassung zu beseitigen, die reine Mehrheitswahl des Parlaments, die Direktwahl des Staatspräsidenten und des Premiers einzuführen. Die Zeitung Manifèsto charakterisierte am 15. Mai 1994 das Kabinett als eine »schwarze Regierung aus Faschisten und Monarchisten, Lega-Leuten und christdemokratischem Schrott, Industriellen, Anwälten und Managern der Fininvest«.

Mit Berlusconi als mächtigstem Kapitalisten kam es zur Personalunion zwischen ökonomischer Macht und politischer Exekutive. Die Repùbblica berichtete am 15. Oktober 1993, daß es dem Fininvest-Chef auch um die Rettung seines eigenen Imperiums ging, mit dem er regelrecht vor dem Bankrott stand. 1993 war er bei einem Jahresumsatz von umgerechnet elf Milliarden DM mit etwa sieben Milliarden verschuldet. Eine Mitte-Links-Regierung hätte seinen Ruin bedeuten können. Nach seinem Amtsantritt verschaffte er seiner Fininvest ständig Vorteile und Einkünfte. Mit der Unterordnung der Justiz unter die Exekutive wollte er Strafverfolgungen gegen sich selbst und sechs Fininvest-Manager, darunter sein Bruder Paolo und der Chef seines Steuerbüros, verhindern.

Gegen den rigorosen Sozialabbau organisierten PRC und Gewerkschaften, unterstützt von der PDS-Basis im Oktober 1994 einen Generalstreik und Massendemonstrationen in rund 90 Städten, darunter in Rom, Mailand und Florenz. Als es im November desselben Jahres erneut zu Demonstrationen kam, darunter mit über einer Million in Rom, stellten PRC und PDS einen Mißtrauensantrag. Die Lega brachte einen eigenen Antrag ein und schied aus der Regierungskoalition aus. Sie handelte auf Geheiß ihrer Protegés mit Fiat an der Spitze, die den Regierungskurs Berlusconis als zu abenteuerlich und als einen des Wirtschaftens in die eigene Tasche sahen. Noch während der Vertrauensdebatte trat Berlusconi angesichts der unvermeidlichen Abstimmungsniederlage am folgenden 21. Dezember zurück.

Zur Wahl 1996 trat unter dem Wirtschaftsprofessor und langjährigen Chef des größten Staatskonzerns IRI, Romano Prodi, eine neue linke Mitte (»Linkes Zentrum«) an. Sie gewann mit 41,2 Prozent, während Berlusconi nur auf 37,3 kam. Das ergab sich jedoch auch daraus, daß die Lega aus Berlusconis Allianz ausgeschieden und allein angetreten war. Die Stimmen der Faschisten stiegen beunruhigend auf über 17 Prozent. Das waren über eine Million mehr als zwei Jahre zuvor.


Fehlende Faschismusanalyse

Das Linke Zentrum blieb bis 2001 an der Regierung. PRC und PDS hatten mit einer Dreiviertelmehrheit fünf Jahre Zeit, eine Wende nach links herbeizuführen und einem neuen Regierungsantritt Berlusconis vorzubeugen. Dazu hätte es vor allem sozialer Verbesserungen für die arbeitenden Menschen, die Rentner und ärmsten Schichten bedurft, um sich eine verläßliche Wählerbasis zu sichern. Gegen die wachsende faschistische und rassistische Gefahr mußten im Parlament Maßnahmen ergriffen werden, darunter zur Einschränkung des Medienimperiums Berlusconis, zu dessen demokratischer Kontrolle und der Aufhebung des reaktionären Mehrheitswahlrechts. Die PRC mußte ihre kommunistische Identität ausprägen, den Massen in den Klassenauseinandersetzungen Weg und Ziel aufzeigen, offensiv eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei suchen und auf dieser Grundlage das Bündnis mit den progressiven Kräften des Zentrums herstellen.

Es kam darauf an, sich auf das reiche Erbe des IKP-Mitbegründers Antonio Gramsci (1891-1937) zu besinnen, auf seine Strategie eines vor allem auf die katholischen Volksmassen orientierten antifaschistischen Bündnisses, in dem das Ziel einer sozialistischen Perspektive nie aus den Augen verloren werden durfte. An Gramsci orientiert, mußte vor allem eine Analyse der neuen Erscheinungsformen des Faschismus und auf ihrer Grundlage eine Charakteristik der Berlusconi-Regierung erarbeitet werden. Diese Aufgaben stehen im Kampf gegen die Berlusconi-Regierung unverändert auf der Tagesordnung - denn nicht eines dieser Ziele wurde erreicht, die meisten nicht einmal ernsthaft angegangen. PDS-Chef Massimo D'Alema signalisierte dem Industriellenverband Confindustria, der Prodi offen favorisiert hatte, »für die nächsten fünf Jahre 'linker' Politik zu entsagen«. Damit waren die Weichen für einen kapitalfreundlichen rechten Regierungskurs gestellt, der im Mai 2001 Berlusconi einen erneuten Sieg ermöglichte.

Die PRC, die 8,6 Prozent Stimmen erreicht hatte, trat nicht in die Regierung ein, unterstützte Prodi nur im Parlament. Der von diesem fortgesetzte Sozialabbau führte im Oktober 1998 zum Ende dieser Unterstützung. Eine Minderheitsfraktion verließ danach den PRC und gründete eine eigene Partei der italienischen Kommunisten (PdCI), die in die Regierung eintrat.

Die PDS biederte sich an das bürgerliche Zentrum an und paktierte selbst mit den Faschisten, zu denen sie reguläre Parteibeziehungen unterhielt und ihnen sogar einen Dialog über eine Verfassungsreform anbot. Mit der Lega wollten die Linksdemokraten 1998 bei den Regionalwahlen Wahlbündnisse schließen. Im Sog dieses revisionistischen Kurses folgten die drei großen Gewerkschaften am 1. Mai 2000 einer Einladung des stockreaktionären Sozialistenhassers Papst Wojtyla zu einer gemeinsamen Feier.


Vier Parteien, fünf Strömungen ...

Daß Berlusconi unangefochten seine zweite Amtszeit 2001-2006 überstehen und nach dem kurzen Intermezzo einer linken Mitte 2008 erneut die Regierung übernehmen konnte, wurde vor allem durch die weitere revisionistische Entwicklung der Linksdemokraten und dadurch möglich, daß diese auch die PRC erfaßte. Die PDS strich 1998 den Begriff des Sozialismus aus ihrem Parteiprogramm und erkor Tony Blair und selbst Bill Clinton zu ihren Leitbildern. Auf einem Parteitag in Turin verbrüderten sich ihre Führer mit dem als Ehrengast geladenen Fiat-Chef Giovanni Agnelli.

Nachdem die Revisionisten 1991 die IKP liquidiert hatten, um regierungsfähig zu werden, schritten sie 2007, um der Regierung Prodi die Gunst des Kapitals zu sichern, zur Beseitigung ihrer damals gegründeten Linkspartei, indem sie sich mit der katholischen Zentrumspartei Margherita zu einer schlichten Demokratischen Partei vereinigten. Damit wurde Abschied von den letzten progressiven sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Traditionen und jeder linken Bewegung genommen und ihre Arbeiteranhängerschaft völlig der bürgerlichen Ideologie ausgeliefert.

Die PRC hatte nach 1991 versäumt, sich mit dem opportunistischen Erbe der IKP auseinanderzusetzen. Die ungelösten Fragen führten 2002 auf dem 5. Parteitag dazu, daß sich Rifondazione Comunista in der Substanz vom Marxismus-Leninismus lossagte, nicht nur Lenin, sondern auch Marx auf historische Gesichtspunkte beschränkte, auf die führende Rolle der Arbeiterklasse verzichtete und selbst Gramsci als Theoretiker der Hegemonie der Arbeiterklasse auf ebenfalls historische Aspekte reduzierte. Die kommunistische Strömung Ernesto kündigte »strategischen Dissens« an. Es begann sich, von der Parteibasis lange Zeit kaum wahrgenommen, eine starke revisionistische Strömung herauszubilden. Ihr herausragender Vertreter wurde Fausto Bertinotti, seit 1994 Sekretär der Partei, 2006 bis 2008 Parlamentspräsident, der für die Prodi-Regierung die parlamentarische Unterstützung der PRC für den italienischen Kriegseinsatz in Afghanistan durchsetzte. Im anschließenden Wahlkampf betrieb er die Gründung einer indifferenten Linkspartei, in welcher die PRC als lose Strömung aufgehen sollte.(4) Es geht, wie Domenico Losurdo betonte, um den zweiten Versuch, die kommunistische Partei zu liquidieren.(5) Der Kurs Bertinottis führte dazu, daß etwa 10000 Mitglieder die PRC verließen und eine Kommunistische Arbeiterpartei sowie eine Kritische Linke bildeten. Damit ist die kommunistische Bewegung Italiens derzeit in vier Parteien gespalten und die PRC selbst in fünf Strömungen.


Unerläßliche Bedingung: eine KP

Auf dem PRC-Parteitag im Juli 2008 erlitt die revisionistische Fraktion unter dem von Bertinotti favorisierten Präsidenten der Region (Land) Apulien, Nicola Vendola, bei der Wahl des neuen Parteichefs eine Niederlage. Es formierte sich eine antirevisionistische Gruppierung, die mit knapper Mehrheit den früheren Turiner Stahlarbeiter und Mitbegründer der PRC, Paolo Ferrero, zum neuen Sekretär wählte.(6) Ferreros auf grundsätzlich revolutionären Positionen unternommener typisch zentristischer Versuch, sich mit den Revisionisten auszusöhnen, um die Einheit der Partei zu erhalten, ist gescheitert. Vendola kündigte an, mit seinen Anhängern die PRC zu verlassen und eine nichtkommunistische Partei La Sinistra (Die Linke) zu bilden.

Bei zahlenmäßiger Schwächung könnten sich damit dennoch die Bedingungen verbessern, daß es den revolutionären Kräften in der PRC, mit wahrscheinlich gut 50000 verbleibenden Mitgliedern stärkste und einflußreichste kommunistische Kraft, danach gelingen wird, die kommunistische Identität zu stärken und zur Basis einer Sammlungsbewegung der verschiedenen kommunistischen Kräfte zur Herstellung ihrer Einheit zu werden, wozu mehr als hundert kommunistische Persönlichkeiten, unter ihnen Domenico Losurdo, ihr führender Philosoph, aufgerufen haben. Als erster Schritt dazu wird erwartet, daß PRC und die revolutionären Kräfte der PdCI sich zusammenschließen und so ein Zeichen setzen. Nur so kann es möglich werden, die Massen zu mobilisieren, um die Herrschaft des Mediendiktators Berlusconi zu beenden und den von ihm ausgehenden faschistischen und rassistischen Gefahren Einhalt zu gebieten. Fest steht allerdings, daß das noch ein langer Weg sein wird.


Anmerkungen:
(1) deutsch unter dem Titel »Berlusconi - Showmaster der Macht«, 1994 bei Gatza, Berlin
(2) von Mussolini unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht proklamierte Pseudorepublik
(3) Mario G. Losano: Sonne in der Tasche, München 1995, S. 191
(4) das verdeutlicht das Buch »Fausto Bertinotti: Gespräche mit dem italienischen Reformkommunisten«, Dietz-Verlag, Berlin 2008. Siehe dazu die Rezension des Autors »Indifferente Linke. Die Wende des Fausto Bertinotti«, in: ND, 16.10.2008
(5) Interview in jW, 19./20. April 2008
(6) ausführlich zur Kräftekonstellation auf und nach dem Parteitag in: »Vor der Bewährungsprobe«, jW-Thema vom 6.8.2008


Von unserem Autor erschien im letzten Jahr das Buch »Geschichte Italiens. Vom Risorgimento bis heute«, PapyRossa Verlag, Köln, 360 S., brosch., 19,90 Euro



Das italienische Parteienspektrum nach 1945

Bis 1993/94 bildete die 1919 als Volkspartei gegründete, 1943 als Democrazia Cristiana (DC) wiederbelebte großbürgerliche Partei die Regierungen. Ausgenommen zwei Kabinette unter Sozialistenchef Bettino Craxi (1983 bis 1987). Nachdem Alcide De Gasperi (DC) 1947 durch die Vertreibung der Kommunisten und Sozialisten die antifaschistische Einheitsregierung gestürzt hatte, formierte die DC zunächst sogenannte rechte, ab 1963 (Aldo Moro) linke Zentrumsregierungen (Centro Destra oder Centro Sinistra). Koalitionspartner des Centro Destra waren die Liberalen, und die 1947 unter Giuseppe Saragat von den Sozialisten abgespaltenen Sozialdemokraten. Zum Centro Sinistra zählten Sozialisten und Republikaner. Die Sozialdemokraten beteiligten sich zeitweise an beiden Regierungen. Fehlende Mehrheiten führten zu Allparteienregierungen. Eine solche war auch die 1978 von der IKP im Parlament unterstützte Regierung.

Die 1946 zugelassene Mussolini-Nachfolgepartei MSI wurde von Kommunisten, Sozialisten und den bürgerlichen Parteien im Rahmen des Arco Costituzionale (Verfassungsbogens) bis 1993 von der Beteiligung an der Zentralregierung ausgeschlossen.

Die wichtigsten Parteien:

AN - Alleanza Nazionale, Nationale Allianz, die 1994/95 umbenannte MSI
DC - Democrazia Cristiana, Christdemokratische Partei
FI - Forza Italia, Stärke Italiens, aus der Fininvest-Holding Berlusconis von diesem 1994 gebildete Partei
Lega Nord - 1991 aus sechs regionalen Ligen - der Lombardei, Piemonts, Liguriens, des Veneto, der Emilia Romagna und der Toskana entstanden
Margherita - katholische Zentrumspartei, DC-Nachfolgerin, vereinigte sich 2007 mit den Linksdemokraten (Sinistra Democratico)
MSI - Movimento Sociale Italiano, Italienische Sozialbewegung, 1946 erfolgte Wiedergründung der Mussolini-Partei
PCI - Partito Comunista Italiano, Italienische Kommunistische Partei, IKP, 1921 von Antonio Gramsci u. a. Linken gegründet
PCL - Partito dei Lavoratori, Kommunistische Arbeiterpartei, Gruppe, die aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung 2006 den PRC verließ
PD - Partito Democratico, Demokratische Partei, DP, 2007 aus Vereinigung der Linksdemokraten und Margherita entstanden
PdCI - Partito dei Comunisti Italiani, Partei der Italienischen Kommunisten, 1998 unter revisionistischen Vorzeichen vom PRC abgespalten
PDS - Partito della Sinistra Democratico, Partei der Demokratischen Linken, 1991 aus Auflösung der IKP entstanden, taufte sich 1999 nochmals um in Democratici di Sinistra, Linksdemokraten.
PLI - Partito Liberale Italiano, Italienische Liberale Partei, trat, obwohl Teilnehmer der Resistenza, nach 1945 für die Erhaltung der Monarchie und faschistischer Machtstrukturen ein (aufgelöst 1994 im Zuge des landesweiten Korruptionsskandals)
PRC - Partito della Rifondazione Comunista, Partei der Kommunistischen Neugründung, 1991 nach Auflösung der IKP gegründet
PRI - Partito Republicano Italiano, Italienische Republikanische Partei, unterstützte den Übergang zu linken Zentrumsregierungen unter Aldo Moro
PSDI - Partito Socialista Democratico Italiano, Sozialdemokratische Partei, 1947 von der PSI abgespalten
PSI - Partito Socialista Italiano, 1892 entstandene Italienische Sozialistische Partei - ISP
SC - Sinistra Critica, Kritische Linke, 2006 ebenfalls aus Protest gegen reformistischen Kurs unter Bertinotti von der PRC abgespalten
Sinistra Democratica - Demokratische Linke, von 15 Prozent der Linksdemokraten, die einen Zusammenschluß mit Margherita ablehnten, gegründet
Verdi - Grüne, im internationalen Trend Mitte der 80er Jahre entstanden, 1993/94 erste Regierungsbeteiligung

Gerhard Feldbauer


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Quelle:
junge Welt vom 31.01.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2009