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ASIEN/927: Pakistan - Forderungen nach Repatriierung afghanischer Flüchtlinge nehmen zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Januar 2015

Pakistan: In den Stammesgebieten wächst der Ruf nach Repatriierung afghanischer Flüchtlinge

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

In Pakistan leben etwa drei Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 2. Januar (IPS) - In Pakistan leben Schätzungen zufolge bis zu drei Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan. Diejenigen, die erst vor kurzem in das südasiatische Land gekommen sind, harren in Behelfsunterkünften aus. Andere, die vor Jahrzehnten eingewandert sind, haben sich als kleine Ladenbesitzer eine eigene Existenz aufgebaut.

Ob nun der Krieg oder die Arbeitslosigkeit in der Heimat den Ausschlag für die Anwesenheit so vieler Afghanen in Pakistan gegeben haben: Die Flüchtlinge in den pakistanischen Stammesgebieten sehen sich neuerdings von Razzien bedroht, die das Ziel verfolgen, 'Illegale' aufzuspüren und abzuschieben.

Beim Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) in Pakistan sind derzeit rund 1,6 Millionen Afghanen als Flüchtlinge registriert. Hinzu kommen doppelt so viele, die sich illegal in dem südasiatischen Land und vor allem in den pakistanischen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) an der afghanischen Grenze aufhalten sollen.

Die meisten dieser Flüchtlinge waren vor den Sowjets geflohen, die 1979 in Afghanistan einmarschierten. Inmitten des kriegsbedingten Chaos trieb es Millionen Afghanen in einer ersten Flüchtlingswelle über die 2.700 Kilometer lange afghanisch-pakistanische Grenze.

Den Neuankömmlingen fiel die Assimilierung in den FATA und in der ehemaligen Nordwest-Grenzprovinz, dem heutigen Khyber Pakhtunkhwa (KP), nicht schwer: Sowohl die Paschtunen Afghanistans als auch die Punjabi, die pakistanische Mehrheitsbevölkerung, sprechen Paschtu. Doch im Verlauf der Jahrzehnte sind die Beziehungen zwischen Lokalbevölkerung und Zuwanderern, die für den Anstieg der Kriminalität, Arbeitslosigkeit und Militanz in der Region verantwortlich gemacht werden, merklich abgekühlt.


Terroranschlag auf Schule vergrößert Animositäten

Der Terroranschlag vom 16. Dezember auf eine Schule in Peshawar, der 132 Kindern das Leben kostete, hat das Verhältnis weiter belastet. Afghanen werden beschuldigt, sich den Taliban und anderen militanten Gruppierungen anzuschließen, die straffrei in der Region ihr Unwesen treiben. Am 19. Dezember, drei Tage nach dem Massaker, berief der KP-Chefminister Pervez Khattak eine außerordentliche Kabinettssitzung ein, auf der er die unverzügliche Abschiebung aller afghanischen Flüchtlinge verlangte. Zur Begründung hieß es, der Anschlag sei von Afghanistan aus geplant worden.

Mit seiner Forderung spricht Khattak vielen Pakistanern im Norden aus der Seele, nachdem die US-Besatzung Afghanistans im Jahr 2001 die zweite Emigrationswelle nach Pakistan auslöste und den pakistanischen Stammesgebieten eine Ära des Terrorismus mit 50.000 Toten brachte. Nach einer hitzigen landesweiten Debatte wurde aufenthaltsberechtigten Afghanen ein Bleiberecht bis Ende 2015 zugesichert. Der vorherige Plan, die afghanischen Flüchtlinge Ende 2013 zu repatriieren, war an den damit verbundenen Kosten gescheitert. So hätte die internationale Gemeinschaft mehr als eine Milliarde US-Dollar für die Umsiedlung bereitstellen müssen.

Doch angesichts der Untätigkeit der pakistanischen Zentralregierung wollen nun die Lokalbehörden selbst aktiv werden und nach Afghanen ohne Papiere fahnden, um sie des Landes zu verweisen.

"Etwa 80 Prozent der Verbrechen, die in Khyber Pakhtunkhwa begangen werden, gehen auf das Konto von Afghanen", meint der Informationsminister der Provinz, Mushtaq Ghani. "Sie sind in Morde und Lösegelderpressungen verwickelt. Sie tauchen nach den Verbrechen ab, sodass wir sie nicht finden können." Ghani ist der Meinung, dass diejenigen, die beim UNHCR registriert sind, in Auffanglagern leben sollten und alle Menschen ohne Papiere ausnahmslos abgeschoben werden sollten. Allein in seiner Provinz leben eine Million Afghanen.

Der Polizeioffizier Khalid Khan berichtet von etwa 100 Festnahmen pro Tag. "Jedes Haus wird durchsucht", erklärte er gegenüber IPS. Afghanen, die in den reichen Stadtteilen von Peshawar lebten, müssten mit Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht rechnen.


Afghanen als wirtschaftliche Konkurrenz wahrgenommen

Terroranschläge und Kriminalität sind nicht die einzigen Probleme, für die Afghanen verantwortlich gemacht werden. Händler und Unternehmer in der Provinz klagen über Einbußen, für die sie illegale Aktivitäten afghanischer Flüchtlinge verantwortlich machen. Auch weisen sie darauf hin, dass die hohe Konzentration an Flüchtlingen die Mietpreise in exorbitante Höhen getrieben habe.

Nach Aussagen von Ghulam Nabi, Vizevorsitzender der KP-Kammer für Handel und Industrie, gibt es in Peshawar zwischen 10.000 und 20.000 Läden, die von Afghanen geführt werden. Da sie nicht als reguläre Geschäftsleute anerkannt seien, müssten sie weniger Steuern zahlen als die pakistanischen Unternehmer. Die Kammer fordert deshalb von der pakistanischen Bundesregierung die Repatriierung der Afghanen.

Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

In der Hauptstadt der nordpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa haben es 10.000 bis 20.000 afghanische Flüchtlinge zu Ladenbesitzern gebracht
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Außer den Millionen Afghanen gibt es in Khyber Pakhtunkhwa auch zahlreiche pakistanische Binnenflüchtlinge. Bei den meisten der Vertriebenen handelt es sich um Einwohner des Verwaltungsbezirks Nord-Waziristan, in dem die pakistanische Armee im letzten Sommer eine Militäroffensive zur Bekämpfung der Rebellen gestartet hat.

Abdullah Khan, Professor an der Universität von Peshawar, berichtet, dass mittlerweile zwei Millionen vertriebene Pakistaner aus den Nachbarprovinzen in Khyber Pakhtunkhwa untergekommen seien. Die meisten lebten in provisorischen Zeltstädten im Bezirk Bannu.

Khan zufolge hat die graduelle Rückkehr zur Demokratie in Afghanistan den Weg für eine sichere Heimkehr der afghanischen Flüchtlinge geebnet. Er und andere Experten und Behördenvertreter stimmen darin überein, dass es keinen Grund mehr gibt, dass Pakistan so viele Menschen aus dem Nachbarland beherbergt - zumal das 180 Millionen Einwohner zählende Land selbst genügend eigene Probleme zu bewältigen hat.

Wie die ehemalige Kricketlegende Imran Khan am 18. Dezember erklärte, dessen Partei 'Pakistan Tehreek-e Insaf' ('Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit') die Regierungsgeschäfte in Khyber Pakhtunkhwa führt, mangelt es an einem wirksamen Flüchtlingskontrollsystem. "Die Regierung stattet am Grenzposten Torkham jeden Tag 500 Afghanen mit pakistanischen Visa aus. Insgesamt passieren jedoch 15.000 bis 20.000 Afghanen pro Tag die Grenze", betonte er. Torkham ist ein größerer Grenzübergang, der die afghanische Provinz Nangarhar mit den FATA verbindet.


Razzien angelaufen

Doch inzwischen ist die Polizei in Khyber Pakhtunkhwa dazu übergegangen, die Mobiltelefone von Afghanen zu blockieren und Schritte zu unternehmen, um die Bewegungsfreiheit von Afghanen einzuschränken, die gegen ihren Visa-Status verstoßen.

Die Afghanen selbst weisen die gegen sie erhobenen Vorwürfe als haltlos zurück. Zudem gibt es viele, die seit Generationen in Pakistan leben und das Land als ihre Heimat empfinden. Andere haben einfach nur Angst davor, heimzukehren, weil sie nicht wissen, was sie dort erwartet.

Gul Jamal, ein älterer Afghane, berichtet, dass seine Familie liebend gern in die alte Heimat zurückkehren würde, wäre die Situation vor Ort nicht so "desolat". Es gebe keine Bildungsmöglichkeiten, keine Gesundheitsversorgung, keine Jobs, keinen Strom. Die Pakistaner bittet er deshalb um Mitgefühl.

In einem IPS-Interview erklärte der Minister für die Bundesstaaten und Grenzregionen, Abdul Qadir Baloch, dass die anerkannten afghanischen Flüchtlinge, wie mit dem UNHCR vereinbart, bis Ende 2015 bleiben dürfen. "Bisher gibt es keinen Fall, dass registrierte afghanische Flüchtlinge in Terroranschläge verwickelt waren", fügte er hinzu. "Wir werden sie nicht gegen ihren Willen zurückschicken." (Ende/IPS/kb/2015)

Link:
http://www.ipsnews.net/2015/01/pakistans-tribal-areas-demand-repatriation-of-afghan-refugees/

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IPS-Tagesdienst vom 2. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2015


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