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ASIEN/854: Pakistan - Taliban-Gefängnisausbruch beunruhigt Bevölkerung, Racheakte befürchtet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. August 2013

Pakistan: Taliban-Gefängnisausbruch beunruhigt Bevölkerung - Racheakte befürchtet

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Schlecht reparierte Mauern haben den gefangenen Taliban die Flucht aus der Haftanstalt in Dera Ismail Khan erleichtert
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 20. August (IPS) - In Dera Ismail Khan herrscht nach dem Angriff auf das lokale Hochsicherheitsgefängnis vom 30. Juli gespannte Ruhe. Bei der militärähnlichen Operation wurden 250 Häftlinge befreit, darunter auch etliche Taliban-Kommandanten.

Dera Ismail Khan ist einer von 25 Bezirken der nordwestpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa. In der Nähe liegen die Provinzen Nord- und Süd-Waziristan, die zu den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) gehören. Die FATA dienten den Taliban viele Jahre als Rückzugsgebiet.

Die Sorge, dass die befreiten Taliban ihre Aktivitäten wieder aufnehmen und gegen Menschen vorgehen könnten, die sie für ihre Festnahmen verantwortlich machen, ist groß. "Es besteht die Gefahr, dass sie den Frieden in der Region stören", warnt Ahmed Sultan, Professor für politische Wissenschaften an der Gomal-Universität von Dera Ismail Khan, im IPS-Gespräch.

Auch in anderen Regionen geht die Angst um. So berichtet der Polizeiinspektor im Distrikt Tank, zwischen Dera Ismail Khan und Waziristan gelegen, dass die Menschen in diesem Teil des Landes nun Racheakte befürchten, weil es hier Personen geben könnte, die die gesuchten Taliban an die Sicherheitskräfte verraten hätten. Tank liegt im Süden der Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Hier soll es viele Taliban geben.


Zweifelhafte Rolle der Sicherheitskräfte

Was die Furcht der Menschen weiter verstärkt, ist die zweifelhafte Rolle, die Polizei und Militär bei dem Ausbruch aus dem Gefängnis gespielt haben. "Die Taliban haben genügend Freunde und Sympathisanten innerhalb der Polizei und der Verwaltung", bestätigt Muhammad Nabi Gul, ein ehemaliger Gefängnisvorsteher.

"Es ist sogar ziemlich wahrscheinlich, dass die Polizei den Taliban aus Angst oder gegen Geld beim Ausbruch geholfen hat", meint Muhammad Shah Khan, ein Einwohner von Dera Ismail Khan. "Die militanten Kräfte sind so mächtig geworden, dass die Polizei nicht den Mut hat, sie aufzuhalten."

Der Verdacht hat sich erhärtet, seit ein Sprecher der verbotenen 'Tehreek-e-Taliban Pakistan' (TTP) drei Tage nach dem Gefängnisausbruch vom 30. Juli gegenüber den Medien erklärte: "Wir danken der Polizei und dem Gefängnispersonal für ihre volle Unterstützung." Die Zusammenarbeit mit diesen "guten Muslimen" habe die Befreiung von 250 Gefangenen ermöglicht, die sich nun ihren Kameraden in den FATA angeschlossen hätten.

In Khyber Pakhtunkhwa gibt es 22 Haftanstalten mit 15.000 Gefangenen. 700 der Insassen sitzen im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten hinter Gittern. Die Befreiungsaktion in Dera Ismail Khan hätte Gul zufolge verhindert werden können, wenn die Regierung den Ausbruch aus der Strafvollzugsanstalt von Bannu am 15. April 2012 vernünftig untersucht und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt hätte. Die Taliban hatten dort 384 Häftlinge befreit, darunter 20, die von der Todesstrafe bedroht waren.

Nach Ansicht des neuen Chefministers von Khyber Pakhtunkhwa steckt der geflohene Häftling Adnan Rashid hinter dem nächtlichen Anschlag auf das Gefängnis in Dera Ismail Khan. Rashid ist ein ehemaliges Mitglied der pakistanischen Luftwaffe. Er wird für den missglückten Mordanschlag auf den ehemaligen Staatspräsidenten Pervez Musharraf am 14. Dezember 2003 verantwortlich gemacht. Er soll einen Trupp aus zehn Personen, die vor der Erstürmung des Gefängnisses Geheimdienstinformationen gesammelt hatten, auf den Angriff vorbereitet haben.

"Die Taliban hatten Filme von den Ausbrüchen in Bannu und in Dera Ismail Khan gedreht", berichtet Ali Amin Gandapur, Finanzminister von Khyber Pakhtunkhwa. "Auf ihnen waren die Polizisten, die zur Bewachung der Gefängnisse abgestellt waren, nirgendwo zu sehen." Gegen sie soll nun ermittelt werden. Auch die Armee ist in die Kritik geraten. "Wie kann es sein, dass die Taliban ihre Angriffe seelenruhig und präzise durchführen konnten, obwohl 25.000 Soldaten in der Stadt Dera Ismail Khan stationiert waren?", fragt sich Imran Khan, Vorsitzender der Partei 'Tehree-k-e-Insaf'.


Unbehelligte Anfahrt

Khan kündigte an, sich in dieser Frage mit Armeechef General Ashfaq Parvez Kayani auseinander zu setzen. "Wir werden auch der Frage nachgehen, wie es möglich sein konnte, dass die Taliban auf dem Weg zum Gefängnis ungehindert ein halbes Dutzend Kontrollposten passieren konnten. Fast 100 Kämpfer fuhren mit Fahrzeugen vor dem Gefängnis in Dera Ismail Khan vor, ohne dass die Armee eingegriffen hätte."

Wie Khattak gegenüber IPS erklärte, hatte er einen Kommandanten zum Zeitpunkt des Angriffs dazu aufgefordert, die Kämpfer aufzuhalten. Doch dieser habe erklärt, dass man erst die Genehmigung von Vorgesetzten einholen müsse. Khan wiederum will nun um ein Treffen hinter verschlossenen Türen mit Kayani und Ministerpräsident Nawaz Sharif ansuchen, um die Gründe für die Untätigkeit der Militärs zu erfahren.

Die Taliban haben die erfolgreiche Befreiungsaktion mit Freudenschüssen gefeiert, wie Muhammad Shah, ein Ladenbesitzer in Waziristan, berichtet. "Eine Mehrheit der befreiten Gefangenen wurde hierhergebracht und von den Taliban aufs Herzlichste begrüßt." Für die Mehrheit der Bevölkerung ist der Gefängnisausbruch jedoch kein Grund zu Freunde, wie Shakoor Ahmed, ein Geschäftsinhaber in Dera Ismail Khan versichert. "Hier sähe man die Verbrecher und Kämpfer lieber hinter Gittern."

Nach den beiden spektakulären Ausbrüchen will die Regierung nun Hochsicherheitsgefängnisse bauen. "Wir haben zudem vor, mobile Alarmanlagen und Durchgangsschleusentore in allen Gefängnissen zu installieren", meint der Informationsminister von Khyber Pakhtunkhwa, Shah Farman. Kurz nach der jüngsten Attacke habe man die Armee zum Schutz des Gefängnisses in Peshawar abgestellt, wo ebenfalls hochrangige Taliban einsitzen. (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/08/when-the-taliban-ran-with-their-feat/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2013