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ASIEN/849: Pakistan - Vergeltungsschläge für Drohneneinsätze, Taliban kappen Nachschub nach Afghanistan (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Juni 2013

Pakistan: Vergeltungsschläge für Drohneneinsätze - Taliban kappen Nachschub nach Afghanistan

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

NATO-Transporte von Versorgungsgütern werden in Pakistan häufig Angriffsziele von Extremisten
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 20. Juni (IPS) - Vor dem für 2014 geplanten Truppenabzug aus Afghanistan wird von den USA bis in kleinste Detail vorausgeplant. Doch offenbar macht sich Washington keine Gedanken darüber, wie sehr die fortgesetzten Drohnenangriffe auf Stammesgebiete im benachbarten Pakistan den Rückzug belasten.

Eine Gruppe von Kämpfern der pakistanischen 'Tehreek-e-Taliban Pakistan' (TTP) verübte kürzlich einen Brandanschlag auf drei Container, in denen sich Nachschub für die NATO-Truppen in Afghanistan befand. Der Konvoi wurde auf dem steinigen Bergpass Torkham in der nördlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa überfallen, der als wichtigste Versorgungslinie für die NATO-Truppen in Afghanistan gilt.

Die Extremisten erklärten, die Attacke sei eine Vergeltung für den Drohnenangriff vom 29. Mai gewesen, bei dem TTP-Vize Waliur Rehman in der Provinz Nord-Waziristan innerhalb der Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) getötet wurde.

Mit dem Zwischenfall erhöhte sich die bisherige Zahl der Drohnenangriffe in der Region auf mehr als 355 seit dem Jahr 2005. Die US-Regierung stellt sich angesichts der verschiedenen Proteste gegen ihre Kampagne des ferngesteuerten Krieges taub. Doch der Brandanschlag auf den Laster mit NATO-Nachschub könnte einen Wendepunkt in der umstrittenen Außenpolitik bedeuten.


Mehr als 5.000 NATO-Fahrzeuge verbrannt

Wie Mohammad Mushtaq von der Vereinigung der Lieferanten der NATO - ein lokales Kollektiv von Fahrern, Reinigungskräften und Fahrzeugbesitzern - berichtet, sind seit 2008 mehr als 5.000 NATO-Fahrzeuge in Peshawar und Khyber Pakhtunkhwa in Brand gesteckt worden. Alle befanden sich auf dem Weg nach Afghanistan, wo sie den seit 2002 gegen den Terrorismus kämpfenden Truppen Versorgungsgüter liefern.

Laut Mushtaq haben die Angriffe in dem Zeitraum nicht nur Ausrüstungsgegenstände und Nachschub im Wert von etwa zehn Millionen Dollar vernichtet, sondern mehr als 500 Menschen, unter ihnen auch Fahrer und Reinigungspersonal, das Leben gekostet.

Im Dezember 2008 wurden nach Angaben von Mushtaq 160 NATO-Laster, die 'Humvee'-Geländewagen nach Afghanistan bringen sollten, bei einem einzigen Angriff nahe Peshawar niedergebrannt. Extremisten stellten sich später inmitten züngelnder Flammen zur Schau, die den Himmel in schwarzen Rauch hüllten.

Die meisten Fahrzeuge mit Ziel Afghanistan haben Militärausrüstung, Lebensmittel und weiteren logistischen Nachschub an Bord, wie der Major a. D. Anwar Khan erklärt. In Afghanistan sind etwa 100.000 ausländische Soldaten stationiert. "Dieselbe Route wird wahrscheinlich für den Rücktransport schweren militärischen Geräts und von Soldaten genutzt", sagte er.

Sollten die Drohnenangriffe in Pakistan also andauern, riskieren die USA, ihre wichtigste Zugangs- und Rückzugsstraße der Gefahr von Anschlägen auszusetzen. Nach Ansicht von Khan sollten die USA und ihre Partner im so genannten Kampf gegen den internationalen Terrorismus ihre militärische Strategie überdenken, wenn sie an dem Rückzug 2014 festhalten wollen. "Ansonsten bleiben die Chancen für ihren Abzug und für Frieden in Pakistan und Afghanistan ein Traum."

Als die US-geführten Truppen 2001 die Taliban-Regierung in Kabul stürzten, war dies der Beginn eines Krieges, der mehr als ein Jahrzehnt andauern sollte. Mitglieder des entmachteten Regimes flohen mit ihren Unterstützern in Scharen in die Gebirgsregion, die die rund 1.200 Kilometer lange Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan bildet. Pakistan schloss sich daraufhin mit den USA zusammen, um die Extremisten daran zu hindern, sich in den unsicheren pakistanischen Stammesgebieten niederzulassen.

Die vielen Versprechungen, Al Qaeda in die Knie zu zwingen, haben sich bisher nicht erfüllt. Zahlreiche Kommentatoren sind vielmehr der Ansicht, dass das Terrornetzwerk, das die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA beging, stärker ist als je zuvor.

Die Proteste in der Öffentlichkeit gegen die US-Drohneneinsätze nehmen immer weiter zu. Im Mai unterzeichnete US-Präsident Barack Obama angesichts steigender Kosten und Opferzahlen ein strategisches Partnerschaftsabkommen mit dem afghanischen Staatschef Hamid Karsai. Vereinbart wurden ein Truppenabzug bis 2014 und die Übergabe der Macht an eine afghanische Regierung.


Taliban-Angriffe für die USA teuer

Experten wie der Politologe Pervez Jamal von der Universität Peshawar halten einen solchen Plan jedoch nur dann für aussichtsreich, wenn unverzüglich Maßnahmen zur Besänftigung der TTP ergriffen werden. "Das Abbrennen der Fahrzeuge hat den Krieg gegen den Terrorismus für die USA und ihre Alliierten bereits verteuert", erklärte er.

Derzeit werden 70 Prozent der Nachschubgüter für die westlichen Streitkräfte in Afghanistan, das keinen Zugang zum Meer hat, durch Pakistan transportiert. Nach dem Ausladen am Hafen von Karachi werden diese Güter über eine Strecke von rund 3.000 Kilometern auf dem Landweg zur Luftwaffenbasis Bagram in Kabul befördert.

Im November 2011 ordnete Pakistan die Sperrung dieser Nachschubroute an, nachdem US-Militär bei einem Angriff auf einen pakistanischen Sicherheitsposten in Mohmand, einer Region innerhalb der FATA, 24 Soldaten getötet hatte. Die USA mussten sich daraufhin alternative Wege suchen, etwa Luftrouten durch Russland und die ehemaligen Sowjetrepubliken, die an Afghanistan angrenzen. In diesem Zeitraum stiegen die Kosten für die Transporte von 17 Millionen auf 104 Millionen Dollar.

Die US-Regierung, die diese nicht dauerhaft aufbringen konnte, entschuldigte sich für den Angriff auf den Stützpunkt. Die Nachschubroute wurde 2012 wiedereröffnet, mit der Aussicht, dass sie bis 2015 genutzt werden könnte, um den reibungslosen Rückzug aus Afghanistan zu erleichtern.

Diese Einigung ist aber jetzt bedroht. Denn die Vernichtung der Versorgungsgüter gefährdet die rund 10.000 in Afghanistan verbliebenen US-Soldaten, die den afghanischen Sicherheitskräften in der Übergangsphase zur Seite stehen. Die afghanischen Truppen sind bisher schlecht ausgebildet und unzureichend ausgestattet. Sollten sie nicht stärker unterstützt werden, können sie nach Ansicht politischer Beobachter den Extremisten, die nach der Macht greifen, nicht wirksam entgegentreten. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/06/the-taliban-torches-a-lifeline/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2013