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ASIEN/824: Der XVIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas - Teil 2 (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 49 vom 7. Dezember 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Festhalten am Ideal und am Kommunismus
Der XVIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (Teil 2)

von Helmut Peters



Der Parteitag beschloss, am erfolgreichen Weg der volksdemokratischen Entwicklung des Landes und damit am Prinzip, dass alle Macht im Staate dem Volk gehöre, festzuhalten und das politische System zu reformieren.

Die Reform müsse in sicherer Weise in "organischer Einheit von Führung durch die Partei, das Volk als Hausherr und Regierung nach Gesetz" durchgeführt werden. Das Ziel sei die Mobilisierung der Aktivität des Volkes zur Erweiterung der sozialistischen Demokratie, zum beschleunigten Aufbau eines sozialistischen Rechtsstaates und zur Entwicklung der politischen Kultur des Sozialismus. Die Leitungs- und Regierungsformen der Partei müssten geändert werden, um abzusichern, dass die Partei das Volk führen kann, das Land wirksam zu regieren. Es müsse mehr Gewicht auf die Vervollkommnung des demokratischen Systems, die Bereicherung der Formen der Demokratie und darauf gelegt werden, dass das Volk nach Gesetz wählen, sich demokratisch entscheiden, demokratisch leiten und demokratisch kontrollieren kann. Der Parteitag stellte eine Reihe von Aufgaben für den Aufbau und die Reform des politischen Systems. Dazu gehört, die Ausübung der Staatsmacht durch den NVK zu gewährleisten, das demokratische System an der Basis zu vervollkommnen und allseitig nach Gesetz zu regieren.

Es fällt auf, dass die übliche Redeweise "Die Partei regiert für das Volk" nicht in den Bericht an den Parteitag aufgenommen wurde, sondern von der Regierung durch das Volk selbst die Rede ist. Ich sehe darin eine spezielle Position Hu Jintaos, die von anderen Kräften in der Führung so nicht geteilt sein dürfte. Die Durchsetzung dieses Gedankens seinem Sinn nach würde den gegenwärtigen autoritären Charakter der politischen Macht in der Volksrepublik infrage stellen. Ich sehe in der gegenwärtigen Politik der Partei jedoch vielmehr das Bestreben, bei allen Reformen diesen Charakter der Macht nicht anzutasten.

Der Parteitag fordert zugleich eine Vertiefung der Reform des administrativen Systems. Beabsichtigt ist die Trennung der Regierung von den Unternehmen, vom Kapital und anderen und ihre Umwandlung in eine saubere und effektive Regierung vom Typ der Dienstleistung, mit der "das Volk zufrieden ist". In diesem Zusammenhang werden seit einiger Zeit bestimmte untergeordnete Amtsleistungen der Regierungen auf unteren Ebenen nach dem Beispiel der Sonderzone Shenzhen an NGOs übertragen. Das ist sicher ein Weg, Spannungen zwischen Administration und Bürgern abzubauen und die NGOs in die staatliche Tätigkeit einzubinden. Ob allerdings damit allein die Spannungen zwischen staatlichen und Bürgerinteressen auf Dauer aufzuheben sind, ist zu bezweifeln.


"Theorie des Sozialismus chinesischer Prägung"

Diese Problematik stand im Mittelpunkt des Berichtes des ZK an den Parteitag. In dem "Sozialismus chinesischer Prägung", heißt es im Bericht, hätte die KP Chinas den Weg aus dem ökonomisch und kulturell außerordentlich rückständigen China zur "Renaissance der chinesischen Nation" gefunden. Nach einem Kommentar im Internet-Portal der Partei ist dieser Weg die Schlussfolgerung "aus der nationalen Geschichte der Neuzeit mit Blick auf die zu verwirklichende Renaissance der chinesischen Nation", d. h. der Ausgangspunkt sind der Sache nach die hundert Jahre Unterdrückung, Ausbeutung und Diskriminierung Chinas, die Zeit der Marginalisierung der ehemaligen Weltmacht. Diese Sicht ist in erster Linie eine nationale, keine soziale.

Im Bericht heißt es weiter, dieser Weg wäre durch die "Verbindung der Grundprinzipien des Marxismus mit der Praxis Chinas und den Besonderheiten der Zeit "entwickelt" worden. Wir erfahren nicht, was die Partei unter Grundprinzipien des Marxismus oder Besonderheiten der Zeit versteht. Für Mao Zedong widerspiegelte sich seinerzeit (1945) die "allgemeingültige Wahrheit des Marxismus-Leninismus" in der "Praxis des Kampfes des Weltproletariats", die "mit der konkreten Praxis des revolutionären Kampfes des Proletariats und der breiten Volksmassen " in China zu integrieren wäre. (Mao Tse-tung, Über die Koaltionsregierung,in: AW, Bd. III, Peking 1969, S. 312) Das trifft auf die Haltung und Politik der heutigen KP Chinas zweifelsohne nicht mehr zu.

Die historische Weg zum "Sozialismus chinesischer Prägung" wird im Bericht nach den bisherigen Führungsgenerationen in vier Phasen nachgezeichnet: Die erste Führungsgeneration unter Mao Zedong hätte (bis 1956 - H. P.) "das grundlegende System des Sozialismus in China errichtet". (Feststellung Maos am Vorabend des VIII. Parteitages 1956 auf dem Hintergrund der fast unveränderten mittelalterlichen Rückständigkeit.) Von der zweiten bis zur vierten Führungsgeneration unter Hu Jintao wäre diese Sozialismus-Konzeption dann entwickelt und vervollkommnet worden. "Das theoretische System des Sozialismus chinesischer Prägung", heißt es dann im Bericht zusammenfassend, "ist ein System wissenschaftlicher Theorie, das die Theorie Deng Xiaopings, den wichtigen Gedanken der 'dreifachen Vertretung' (Danach hat die Partei die fortschrittlichen Produktivkräfte, die fortschrittliche Kultur und die Interessen der breiten Masse zu vertreten.) (Jiang Zemin zugeschrieben - H. P.) und das wissenschaftliche Entwicklungskonzept (mit dem Namen Hu Jintaos verbunden - H. P.) (Wissenschaftliches Entwicklungskonzept: An die Stelle der ausschließlichen Orientierung auf eine schnelle Entwicklung des BIP tritt eine Politik der umfassenden Planung der Entwicklung mit dem Menschen als dem Wesentlichen.) enthält." Dabei werde am Marxismus-Leninismus und den Ideen Mao Zedongs festgehalten und die Theorie weiterentwickelt.

Abgesehen von Deng Xiaoping, der z. B. mit der These vom Anfangsstudium des Sozialismus eine Theorie entwickelte, sehe ich im Text des Berichts mehr Strategien und Politiken als theoretische Ansätze. Nehmen wir als Beispiel die Ausführungen über den "Weg des Sozialismus chinesischer Prägung": Der Weg stehe "unter der Führung der KP Chinas, er fußt auf den grundlegenden nationalen Gegebenheiten, hat den wissenschaftlichen Aufbau zum Kern, hält an den Vier Grundprinzipien ("Vier Grundprinzipien": Festhalten am sozialistischen Weg, an der Diktatur des Proletariats, an der Führung der kommunistischen Partei und am Marxismus-Leninismus und den Ideen Mao Zedongs, formuliert von Deng Xiaoping 1979. In: Ausgewählte Schriften Deng Xiaopings (1975-1982), Beijing 1983, S. 150-151, chines.) fest, hält an der Reform und Öffnung fest, befreit und entwickelt die Produktivkräfte, schafft die sozialistische Marktwirtschaft, die sozialistische demokratische Politik, die sozialistische demokratische Kultur, die sozialistische harmonische Gesellschaft, die sozialistische ökologische Zivilisation, verwirklicht allmählich den gemeinsamen Wohlstand und schafft einen reichen, starken, demokratischen, zivilisierten, harmonischen und modernen sozialistischen Staat." In gleicher Weise ist auch der Absatz über das "System des Sozialismus chinesischer Prägung" abgefasst. Weg, theoretisches System und politisches System des Sozialismus werden als Einheit betrachtet, wobei das "theoretische System" der Kompass und das "politische System" der grundlegende Garant für die Umsetzung dieses Sozialismus seien. Sein Aufbau erfolge in dem langen Zeitraum des Anfangsstadiums des Sozialismus in der "Einheit der fünf Zivilisationen" Wirtschaft, Politik, Kultur, Soziales und Ökologie. Ungeachtet dessen geht die KP Chinas, was mitunter bestritten wird, davon aus, dass die heutige Volksrepublik bereits einen sozialistischen Charakter aufweist. Die Partei schätzte auf ihrem XIII. Parteitag 1987 ein, dass in China eine anfängliche sozialistische Gesellschaft besteht, in der über einen langen Zeitraum hinweg (nachholende) ökonomische Aufgaben anstehen, die eigentlich die Bourgeoisie zu lösen gehabt hätte. (XIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas. Materialien, Dietz Verlag Berlin 1988, S. 12-13.) Aus meinen Untersuchungen ergibt sich ein anderes Bild: Die Volksrepublik befindet sich nach wie vor in einer langen Entwicklungsphase, in der die materiellen und geistigen Voraussetzungen für den umfassenden, wissenschaftlich begründeten Aufbau des Sozialismus zu schaffen sind.

Mit dem Beitritt des Landes zur WTO im Dezember 2001 haben sich die internationalen Bedingungen für die Lösung dieser historischen Aufgabe grundlegend verändert. Die chinesische Wirtschaft integrierte sich in die kapitalistische Weltwirtschaft. Heute ist sie mit dieser "bereits hochgradig verschmolzen". (Li Kequan, Den großen Geist des XVIII. Parteitages studieren, die anhaltend gesunde Entwicklung der Wirtschaft und den sozialen Fortschritt fördern. In: Renmin Ribao v. 21.11.12.) Das wirft allein schon die Frage auf, ob es unter dieser Bedingung überhaupt möglich ist, in China den Sozialismus aufzubauen.

Überdies ist nicht zu übersehen, dass sich die KP Chinas ungeachtet ihrer verbalen Bekenntnisse auch gegenüber der marxistischen Lehre recht pragmatisch verhält. In ihrer Sozialismus-Rezeption, vor allem in ihrer praktischen Politik, findet sich eine Reihe von Elementen, die der wissenschaftliche Sozialismus zweifelsohne anders einordnet: Sie bewegt sich nicht mehr auf den Klassengrundlagen dieser Lehre. An ihre Stelle ist die Auffassung von der nationalen Harmonie der Beziehungen in der chinesischen Gesellschaft (auch zwischen Arbeit und Kapital) und in der kapitalistischen Welt getreten. Die KP Chinas hat sich de facto von den Grundprinzipien der führenden Rolle der Arbeiterklasse und des Bündnisses zwischen Arbeiter und Bauern gelöst. Die Arbeiterklasse und die werktätige Bauernschaft sind im Verlaufe der Reform- und Öffnungspolitik marginalisiert worden.

Die KP Chinas misst im Unterschied zu Lenin den entscheidenden Systemen und Mechanismen zur Realisierung des Kapitals (wie Marktwirtschaft, Kapitalund Arbeitsmarkt, Börse) einen grundsätzlich sozialistischen Charakter bei. (Ihre zeitweise Ausnutzung bis zur Schaffung einer funktionierenden sozialistischen Wirtschaftsweise ist eine andere Frage.)

Die gegenwärtige Sozialismus-Rezeption der KP Chinas und der autoritäre Charakter der politischen Macht versperren den Weg zu einer tatsächlichen Ausübung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und das gesamte werktätige Volk. Die VR China hat sich im Zeichen der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit ihrer Politik von jeder Form des proletarischen Internationalismus und des Geistes der Zusammenarbeit mit anderen kommunistischen und Arbeiterparteien gelöst. Ich würde die Erkenntnisse aus solchen Vergleichen in folgender Hypothese zusammenfassen:

Die Sozialismus-Rezeption der heutigen KP Chinas ist durch die Koexistenz von sozialistischen, marxismusfremden, sozialistisch deklarierten kapitalistischen und klassenneutralen, realen und utopischen Elementen gekennzeichnet. Es existiert gewissermaßen ein Mix verschiedener Elemente, die sich unter dem Einfluss innerer und äußerer Probleme und Widersprüche in diese oder jene Richtung gewichten.


Die Partei

Hu Jintao hatte das neue Projekt initiiert, eine innovative und lernende marxistische Partei vom Typ der Dienstleistung aufzubauen. Die Mission dieser Partei sei die Verwirklichung der "sozialistischen Modernisierung" und die "Renaissance der chinesischen Nation". Die Ausführungen vermitteln den Eindruck, dass sich Hu als Generalsekretär des ZK voll der Gefahren bewusst war, denen die Partei, vor allem ihre Führungskader, nach Jahrzehnten der Kooperation mit dem Kapital und der Praktizierung von Marktwirtschaft ausgesetzt ist - Korruption, nachlassendes politisches Bewusstsein und Degeneration, Lösung von den breiten Massen des Volkes und unzulängliche Fähigkeiten zur Regierung ("Die vier großen Risiken"). Mit allem Nachdruck fordert Hu im Bericht des ZK, die Korruption energisch zu bekämpfen und die politische Integrität eines Kommunisten zu wahren, damit die Partei vor dem Kollaps und der Staat vor dem Verfall bewahrt bleiben. Einige Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit scheinen ihn veranlasst zu haben, vor allem die hoch angestellten Führungskader aufzufordern, sich vom Prinzip der sauberen Regierung leiten zu lassen, Selbstdisziplin zu üben, nach keinerlei Privilegien zu streben und in diesem Sinne auch die Kontrolle über ihre Familien und Mitarbeiter auszuüben.

Die die Partei zersetzenden Erscheinungen haben einen zusätzlichen Nährboden im patriarchalischen System, durch das die "Ersten" ("diyiba shou" - "die erste Hand") aller Ebenen und Einheiten seit den 90er Jahren die gesamte Macht in ihren Bereichen bisher unkontrolliert ausüben konnten. (Gao Mingyu, Erklärung der "Krux der Abhängigkeit" vom Ersten. In: Zeitschrift "Parteileben", Heilongjiang, zitiert nach: Nachrichtenportal der KP Chinas v. 16.4.12.)

Das scheint selbst für die Unternehmen der chinesischen Festlands-Bourgeoisie zu gelten, wie das Beispiel des Parteitagsdelegierten Zhou Haijiang aus Jiangsu zeigt, der Generaldirektor und zugleich Parteisekretär in seinem Unternehmen ist. (Internetportal der KP Chinas v. 7.11.12.) Ob diese Macht der "Ersten" durch die neue Zusammensetzung der Ständigen Ausschüsse der Parteikomitees und die Rotation der Führungskader eingeschränkt werden kann, bleibt abzuwarten.

Hu Jintao hinterließ der Partei gewissermaßen ein Vermächtnis anhand der Forderungen an die Kader und Mitglieder der Partei, "an unserem Ideal und am Kommunismus festzuhalten", engste Beziehungen zum Volk zu pflegen und das Volk immer an die erste Stelle zu stellen, innerparteiliche Demokratie und Kreativität zu fördern, die besten Kräfte für die Sache der Partei und des Landes zu gewinnen und sich jederzeit der zentralisierten Führung der Partei unterzuordnen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, 49 vom 7. Dezember 2012, Seite 12
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2012