Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

ASIEN/793: Malaysia - Arabischer Frühling nutzt allen Muslimen, Interview mit Ex-Premier Anwar (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Februar 2012

Malaysia: Arabischer Frühling nutzt allen Muslimen - Interview mit Ex-Premier Anwar

von Marwaan Macan-Markar

Anwar Ibrahim - Bild: © Marwaan Macan-Markar/IPS

Anwar Ibrahim
Bild: © Marwaan Macan-Markar/IPS

Bangkok, 27. Februar (IPS) - Malaysias charismatischer Oppositionsführer Anwar Ibrahim will den Geist des Arabischen Frühlings auch nach Südostasien bringen. Wie er im IPS-Gespräch erklärte, kämpft er im Rahmen einer Kampagne für ein Ende der 55-jährigen Herrschaft der UMNO-Partei und ihrer Verbündeten in der Region.

"Malaysia kann nicht isoliert werden von dem Geschehen in der Welt, vor allem in der muslimischen Welt", sagte der 64-jährige Vorsitzende der 'Parti Kedilan Rakyat' (PKR) oder Volksgerechtigkeitspartei. "Für uns in Malaysia sind das sehr beruhigende Zeichen: der Trend in der arabischen Welt geht zu Demokratie, Freiheit und mehr Verantwortlichkeit."

Anwars Kampagne für größere Freiheiten wird bei den kommenden Wahlen auf nationaler und provinzieller Ebene auf die Probe gestellt werden. 2008 errang die PKR einen historischen Erfolg, indem sie in fünf der 13 Bundesstaaten siegte und 82 der 222 Sitze im Parlament in Kuala Lumpur gewann.

In dem Interview, das in der thailändischen Hauptstadt Bangkok stattfand, räumte der Oppositionsführer allerdings auch ein, dass er vor großen Herausforderungen stehe. Er erinnerte sich daran, wie die UMNO, in deren Reihen er zunächst aufgestiegen war, ihn verfolgte, nachdem er 1998 unter dem Vorwurf der Korruption und Homosexualität als Ministerpräsident des südostasiatischen Landes abgesetzt worden war.

Erst nach sechs Jahren kam Anwar aus dem Gefängnis frei, nachdem ihn ein Gericht von allen Vorwürfen freigesprochen hatte. 2008 wurde er abermals der Homosexualität beschuldigt. Ihm wurde vorgeworfen, einen früheren Referenten sexuell missbraucht zu haben. In Januar dieses Jahres wurde er auch in diesem Fall rehabilitiert. Es folgen Auszüge aus dem Interview.


*


Frage: Hat Ihr jüngster Sieg vor Gericht Ihnen größeren politischen Rückhalt beschert?

Anwar Ibrahim: Meinen Anhängern war es gleich, denn sie wussten, dass der Fall auf erfundenen Anschuldigungen basierte.

Frage: Würden Sie es vorziehen, wenn in diesem Jahr allgemeine Wahlen stattfänden? Oder lieber abwarten, bis die Legislaturperiode des Parlaments im März 2013 abläuft?

Anwar: Es ist sehr wahrscheinlich, dass noch in diesem Jahr gewählt wird. Die massive Kampagne der Regierung lässt darauf schließen, dass die Wahlen Ende März oder im Juni anberaumt werden könnten. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Wahlen in Malaysia sind eine Verhöhnung der Demokratie. Die Medien werden kontrolliert, und der Wahlkampf dauert nur sieben bis acht Tage. Damit ist er der kürzeste auf der ganzen Welt.

Frage: Nach jahrzehntelanger korrupter und autoritärer Herrschaft der Regierungskoalition gelten Sie als Symbol für das neue Malaysia. Haben die Wähler Grund dafür, optimistisch zu sein?

Anwar: Und das, obwohl ich gar nicht so jung bin (lacht). Wir verfolgen die klare Strategie, Malaysia zu einer Demokratie reifen zu lassen. Wir artikulieren das, was die Aktivisten des Arabischen Frühlings und der Bewegung 'Occupy Wall Street' meinen, wenn sie über Gerechtigkeit und Widerstand gegen den ungezügelten Kapitalismus sprechen, der nur wenigen Schwerreichen zugutekommt.

Frage: Bedeutet das eine Zäsur für den vom Staat vorangetriebenen Kapitalismus, den die UMNO vertritt?

Anwar: Unsere Wirtschaftsagenda soll eine Alternative zu dieser Strategie anbieten, die ich als überholt betrachte. Sie hat nur den reichen Familien, den Mitgliedern der herrschenden Clique und ihren Kumpanen genutzt, die die Privilegien der Bevölkerungsmehrheit der Malaien für sich in Anspruch nahmen und dadurch Milliardäre wurden. Dieses System verteidigen sie noch immer mit Zähnen und Klauen, weil es in ihrem persönlichen Interesse liegt.

Frage: Die UMNO-Partei wird auch durch ihre rassenorientierte Politik charakterisiert. Sie hingegen stehen an der Spitze einer Koalition, die sich auf verschiedene ethnische Gruppen stützt. Ist Malaysia und vor allem die Mehrheit der Malaien dazu bereit, diese tiefen Gräben zu überschreiten?

Anwar: Das ist eine Herausforderung. Ich leugne nicht, dass dies schwierig werden wird. Die regierende Partei hat mir vorgeworfen, dass ich das Land an die Chinesen verkaufen oder es christianisieren lassen wollte. Wenn ich religiöse Zeremonien von Hindus besuche, wird auch dies zu einem Problem. Ich werde also über die rassistische Schiene angegriffen.

Aufgrund seiner Herkunft diskriminiert zu werden, ist für mich in diesem Zeitalter undenkbar und inakzeptabel. Ich glaube, dass die Mehrheit der Malaysier davon überzeugt werden kann, sich meiner Haltung anzuschließen.

Frage: Was denken Sie über Homosexualität?

Anwar: Ich habe gesagt, dass das Gesetz über Homosexualität ein Verbrechen ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich für die Homo-Ehe bin. Als Moslem glaube ich wie die Mehrheit der Nicht-Muslime im Land an die Unantastbarkeit der Ehe.

Frage: Sie sind nicht der einzige Oppositionsvertreter in Südostasien, der von der Regierung seines Landes schikaniert wird. Burma hat Aung San Suu Kyi, Kambodscha Sam Rainsy und Singapur Chee Soo Juan. Warum fürchten diese Staaten eine dynamische Opposition?

Anwar: Wir haben erst spät verstanden, dass unsere Länder zu Demokratien reifen müssen, um demokratische Institutionen, das Recht auf abweichende Meinungen und das Recht auf Freiheit zu respektieren. In dieser Hinsicht war der Arabische Frühling der muslimischen Welt besonders hilfreich. Er hat einen Einfluss auf die Bedeutung von Demokratie gehabt.

Frage: Ist es an der Zeit, ein Requiem auf die 'asiatischen Werte' zu schreiben, die von Machthabern wie Singapurs früherem Premierminister Lee Kuan Yew und Malaysias ehemaligem Regierungschef Mahathir Mohamad aufrecht erhalten wurden, um ihre jahrzehntelange autoritäre Herrschaft zu rechtfertigen?

Anwar: Der Begriff 'asiatische Werte' ist obsolet und war sowieso nie relevant. Es ging gar nicht um asiatische Werte, als wir von islamischen Werten sprachen. Der Begriff war ein pervertierter Vorwand, der denen nutzte, die an der Macht waren.

Frage: Sie waren aber selbst auch Teil des Systems und haben von ihm profitiert, bevor Sie sich mit dem damaligen Premier Mahathir überwarfen.

Anwar: Davon kann ich mich nicht freisprechen. In meinen Reden erwähnte ich aber die herablassende Haltung der Herrschenden gegenüber ihren Bürger. Solche Haltungen haben in der heutigen Politik keinen Platz mehr. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.keadilanrakyat.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106871

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Februar 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Februar 2012