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ASIEN/759: Pakistan - Soldaten töten, Zivilisten schonen; Strategie der Taliban zieht nicht mehr (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juli 2011

Pakistan: Soldaten töten, Zivilisten schonen - Strategie der Taliban zieht nicht mehr

Von Ashfaq Yusufzai

Nach Bombenanschlag in Peschawar vom 12. Juni - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Nach Bombenanschlag in Peschawar vom 12. Juni
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peschawar, 27. Juli (IPS) - In Pakistan führen die Taliban derzeit selektiv Anschläge auf die pakistanischen Sicherheitskräfte durch. Politische Beobachter vermuten dahinter eine Strategie der selbst ernannten Gotteskrieger, ihr schlechtes Ansehen in der Bevölkerung aufzupolieren. Mit ihren Anschlägen auf Zivilisten haben die Taliban die Menschen gegen sich aufgebracht.

"Solange die Taliban ausschließlich Sicherheitskräfte ins Visier nahmen, wurden sie von den Menschen vor Ort als Jihadisten im Kampf gegen die USA unterstützt", erläutert Maulana Abdul Wahid, ein islamischer Gelehrter in Peschawar, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa. "Gegen Ende 2005 jedoch, als die Taliban die Öffentlichkeit mit Terror überzogen und Moscheen, Marktplätze, Schulen und Regierungsgebäude anvisierten, verwandelte sich die Sympathie in Unmut", sagt Wahid. Der Prediger gehört zu den vielen Menschen, die einst Spendengelder für die Taliban-Kämpfer sammelten, die nach ihrer Vertreibung aus dem benachbarten Afghanistan 2001 nach Pakistan flohen.

Zu den Taliban-Größen, die nach der US-geführten Invasion in den von Paschtunen dominierten Gebieten Pakistans einen sicheren Hafen fanden, gehörte auch der ehemalige afghanische Staatschef Mullah Mohammed Omar. Er wird von der US-Regierung gesucht, weil er dem Terroristenführer Osama bin Laden Unterschlupf gewährte.


Taliban in der Bevölkerung schlecht gelitten

Wie Wahid betont, ist es mit der Unterstützung der Taliban-Kämpfer vorbei, seit sie dazu übergegangen sind, auf Zivilisten loszugehen. "Die Menschen hier bereuen inzwischen, dass sie den Taliban einst zugeneigt waren", versichert der Prediger. Das anfängliche Wohlwollen rührt daher, dass die Provinz Khyber Pakhtunkhwa, die Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) und Teile von Belutschistan von Paschtunen dominiert werden, die den Rückhalt der Taliban-Bewegung in Afghanistan bilden. Paschtunen stellen 16 Prozent der 174 Millionen Pakistaner und 42 Prozent der 30 Millionen Afghanen.

Der ehemalige Armeeoffizier Khalid Khan hat an zahlreichen pakistanischen Militäroperationen gegen die Taliban in den FATA teilgenommen. Wie er gegenüber IPS erklärt, sind die Taliban bestrebt, die Sympathien der Menschen zurück zu gewinnen, indem sie sie als Ziele ihrer Anschläge ausnehmen. Die neue Strategie sei bereits bei den Vergeltungsschlägen der Taliban für die Tötung von Osama Bin Laden durch eine US-Sondereinheit in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad am 2. Mai sichtbar geworden. Die Kämpfer hatten am 13. Mai mit einem Doppelselbstmordattentat in Schabkadar im nordwestpakistanischen Bezirk Charsadda 80 Soldaten in den Tod gerissen.

Am 18. Mai griffen Taliban-Kämpfer einen Sicherheitsposten außerhalb von Peschawar an. Bei den vier Stunden langen Kämpfen wurden 17 Menschen getötet, unter ihnen Zivilisten. "Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer haben die Taliban jede Mitwirkung bestritten", kommentiert Maulana Zaheerul Haq, der Leiter einer religiösen Schule.

Im Gegenteil dazu bekannten sich die Taliban zu der Erstürmung einer Marinebasis in Karachi, bei der zwölf Militärs getötet und zwei US-unterstützte Überwachungsflugzeuge zerstört wurden. Am 28. Mai fuhren militante Taliban ein mit Sprengstoff beladenes Auto in eine Polizeistation in Peschawar im Nordwesten des Landes. Auch in diesem Fall bekannten sich die Taliban zu dem Attentat, das elf Menschen das Leben kostete und 39 verletzte. Die Mehrheit der Opfer waren Polizisten.

In Übereinstimmung mit dem neuen Muster wiesen die Gotteskrieger den Vorwurf zurück, in den zweifachen Anschlag auf einen überfüllten Supermarkt in Peschawar am 12. Juni beteiligt gewesen zu sein. Bei den Anschlägen starben 45 Menschen, ebenso viele wurden verletzt.

"Die Taliban sind verzweifelt darum bemüht, ihr schlechtes Bild in der Öffentlichkeit reinzuwaschen", sagt der Informationsminister von Khyber Pakhtunkhwa, Mian Iftikhar Hussain, in Reaktion auf die Distanzierung der Taliban von dem Attentat. "Alle Opfer waren Zivilisten und die Menschen wissen sehr wohl, dass die Taliban dahinter steckten."

Der Taliban-Sprecher Ihsanullah Ihsan wurde in den Medien mit den Worten zitiert, dass "ausländische Agenturen" versuchten, die islamistischen Gelehrten in Misskredit zu bringen, indem sie gewaltsam gegen Zivilisten vorgingen. Er ließ sich zudem zu der Aussage hinreißen, "dass die Taliban diese unschuldigen Opfer rächen werden".


"Ansehen des Islam beschädigt"

Selbst die religiös-politischen Parteien, die einst die Taliban tatkräftig unterstützten, sind eines Besseren belehrt. "In den letzten drei Jahren haben die Taliban hunderte unschuldige Menschen einschließlich Frauen, Kinder und ältere Menschen getötet und somit das Ansehen des Islam beschädigt", sagt der Führer einer politischen Partei, der sich Anonymität ausbittet.

Dem religiösen Führer zufolge wurden die Angriffe auf den Chef der Jamiat-Ulema-Islam-Partei und ehemaligen Taliban-Unterstützer Maulana Fazlur Rehman von der pakistanischen Talibanfraktion Tehreek-e-Taliban durchgeführt, die geschworen hat, die in Afghanistan von der NATO geführten Truppen zu bekämpfen.

Nach Angaben des pakistanischen Innenministers Rehman Malik haben die Taliban-Anschläge in den letzten Jahren 30.000 Pakistanern den Tod gebracht. Hinzu kommen weitere 5.000 Pakistaner, die während der Operationen gegen Al-Kaida und Taliban ums Leben kamen.

"Die neue Strategie der Taliban, die Sicherheitskräfte zu töten und die Zivilisten zu schonen, um die Bevölkerung für sich einzunehmen, wird nicht funktionieren. Die Menschen haben von den Taliban die Nase voll", meint Maulana Kifayatullah, Leiter einer Moschee in Peschawar. "Die Taliban-Angriffe haben nicht die USA, sondern arme Pakistaner getroffen. Die Taliban zu unterstützen bedeutet Aggressoren zu unterstützen. Wer Aggressoren unterstützt, wird am Tag des Jüngsten Gerichts den Zorn des allmächtigen Gottes auf sich ziehen." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2011