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ASIEN/754: Nepal - Offiziell landminenfrei, doch nicht alle Sprengfallen geräumt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Juni 2011

Nepal: Offiziell landminenfrei - Doch nicht alle Sprengfallen geräumt

Von Sudeshna Sarkar


Kathmandu, 21. Juni (IPS) - Bhagwati Devi Gautam stand in der Schlange an einem Polizei-Checkpoint und wartete darauf, dass ihre Handtasche kontrolliert wurde. Als sie einen Schritt zur Seite trat, sah sie plötzlich einen grellen Blitz, dem ein ohrenbetäubender Donnerschlag folgte. Dann verlor die nepalesische Feldarbeiterin das Bewusstsein.

Gautam war gerade 40, als sie vor neun Jahren bei der Explosion einer Landmine einen Teil ihres rechten Beines verlor. Damals tobte in dem südasiatischen Staat noch ein Bürgerkrieg, der erst 2006 endete. Der Distrikt Rukum, in dem die Frau lebte, gehörte zu den Rückzugsgebieten der maoistischen Guerilla.

Purna Shova Chitrakar von der 1995 gegründeten unabhängigen Hilfsorganisation 'Ban Landmines Campaign Nepal' sieht einerseits das persönliche Schicksal des Opfers. Der Vorfall habe aber auch die Regierung, die bis dahin den Einsatz von Landminen geleugnet habe, der Lüge überführt, meinte die Koordinatorin der 1995 gegründeten Nichtregierungsorganisation.

Gautams Fall zwang die Regierung in Kathmandu zu dem Eingeständnis, Minen gelegt zu haben. Die Gebiete wurden daraufhin abgesperrt und mit Warnschildern versehen. Wie Chitrakar erklärte, kam Nepal als Staat, der Landminen einsetzte, international in die Schlagzeilen.


Nepal und China gelten in Asien als landminenfrei

Kürzlich sprengten der nepalesische Ministerpräsident Jhala Nath Khanal und Armeechef Chhatra Man Singh Gurung im Tal von Kathmandu die letzten beiden vom Militär gelegten Minen. Damit gilt Nepal nach China als zweiter minenfreier Staat in Asien.

Obwohl die Sprengaktion offiziell ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Landes beendet hat, fürchten viele Leute, dass dies noch nicht das Ende ist. "Nach wie vor kommt es zu Detonationen, die von Menschen ausgelöst werden", sagte Will Park, der Vertreter des UN-Kinderhilfswerks UNICEF in Nepal. "Vor allem Kinder werden dabei verstümmelt oder getötet."

Die maoistische Partei Nepals war 1996 in den Untergrund gegangen, um für die Abschaffung der Monarchie und eine demokratische Verfassung zu kämpfen. Nachdem die Polizei gegen die Guerilla nichts ausrichten konnte, entsandte die Regierung Soldaten, die Minen zum Schutz ihrer Garnisonen und strategischer Orte wie Flughäfen und Kraftwerke legten.

Dem Armeesprecher Brigadegeneral Ramindra Chhetri zufolge deponierte das Militär 10.941 Minen in 53 zentralen Kampfgebieten. Im Oktober 2007, ein Jahr nach dem Friedensschluss, habe man mit der Räumung der Sprengkörper begonnen.

Das Friedensabkommen sah vor, dass binnen 60 Tagen alle Landminen und unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) beseitigt werden müssten. In dem politisch instabilen Staat dauerte es letztlich aber fünf Jahre, bis ein großer Teil der Arbeiten beendet war.

2007 schickten die Vereinten Nationen ein Expertenteam zur Beobachtung der Armee und der maoistischen Volksbefreiungsarmee (PLA) nach Nepal. Die Regierung bat die Weltorganisation darum, ihr bei der Zerstörung der Minen und der anderen Sprengkörper behilflich zu sein.

"Die Armee hatte USBV in mehr als 275 Gebieten ausgelegt", sagte Shaligram Sharma, Unterstaatssekretär für Frieden und Wiederaufbau. Die PLA habe zudem mehr als 52.000 USBV in ihren Waffenlagern gehabt. Während das Militär 170 Gebiete von den gefährlichen Hinterlassenschaften befreite, übergaben die Rebellen der UN ihr gesamtes Arsenal, das daraufhin vernichtet wurde.

Nepal benötigte umgerechnet mehr als acht Millionen US-Dollar, um die Soldaten für die Minenräumung in den ehemaligen Konfliktzonen auszubilden. Der größte Teil dieses Geldes kam von den Regierungen Großbritanniens und Dänemarks.

Seit dem Ende des Bürgerkriegs kamen nach offiziellen Angaben 473 Menschen durch Landminen zu Schaden. 78 von ihnen überlebten die Explosionen nicht. Bei mehr als der Hälfte der Opfer handelte es sich um Kinder zwischen acht und 14 Jahren. Die zweitgrößte Gruppe der Opfer bildeten Frauen, die sich auf der Suche nach Brennholz in Waldgebiete vorwagten.


Hilfsanträge schwierig zu stellen

Die Opfer beklagen sich über die bürokratischen Hürden, die ihnen den Zugang zu Entschädigungen versperren. Offiziell gibt es zwar einen Hilfsplan für die Verletzten und die Hinterbliebenen der Toten. "Das Verfahren ist jedoch lang und unfreundlich", sagte Chitrakar.

Die Antragsteller müssen demnach alle Rechnungen erst bei den lokalen Behörden einreichen und sie dann an zwei Ministerien weiterleiten. Auch Versehrte, die in entlegenen Regionen leben, müssen die Unterlagen persönlich in Kathmandu abgeben. Oftmals gibt es in den Gebäuden keinen Fahrstuhl für diejenigen, denen Beine, Arme oder Augen fehlten. Und die Menschen, die oft alles Hab und Gut verkauft haben, um sich im Krankenhaus behandeln zu lassen, bekommen meist nur einen Bruchteil ihrer Auslagen zurück.

Die Opfer einer Busexplosion in Bandamude 2005 haben bis heute keinerlei Entschädigung erhalten. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen hatten die maoistischen Rebellen den Bus in einer südlich gelegenen Touristenregion in die Luft gesprengt. Es war der schlimmste Vorfall dieser Art während des gesamten Krieges. 39 Menschen starben, mehr als 70 wurden verletzt. Ein Überlebender beging Selbstmord, ein weiterer wurde wahnsinnig.


Zahl der von Rebellen gelegten Minen unbekannt

Unterstaatssekretär Sharma warnte nun davor, dass eine nicht genau bekannte Zahl von Landminen immer noch in der Erde verborgen sein könnte. "Die Armee hatte alle Minen und USBV registriert, die Rebellen haben das jedoch nicht getan", erklärte er. Viele PLA-Kämpfer, die die Orte gekannt hätten, seien entweder tot oder lebten im Ausland.

Aktivisten wie Chitrakar, die sich für die Minenräumung stark machen, drängen unterdessen die Regierung, dem Ottawa-Abkommen zum Verbot von Anti-Personenminen beizutreten. Wie der UN-Koordinator Robert Piper erklärte, wäre Nepal in diesem Fall der 157. Staat, der sich verpflichten würde, keine Landminen mehr einzusetzen, zu lagern, zu produzieren und weiterzugeben. (Ende/IPS/ck/2011)


Link:
http://nepal.icbl.org/
http://www.undg.org/unct.cfm?module=Rco&page=CountryRCO&CountryID=NEP&fuseaction=Resident%20Coordinator%20Office
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56139

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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2011