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ASIEN/729: Indien - Hungerstreik gegen Korruption, Bevölkerung zollt neuem "Gandhi" Respekt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. April 2011

Indien: Hungerstreik gegen Korruption - Bevölkerung zollt neuem 'Gandhi' Respekt

Von Ranjit Devraj


Neu-Delhi, 8. April (IPS) - Wer den 73-jährigen Anna Hazare beobachtet, der im Herzen der indischen Hauptstadt Neu-Delhi die Regierung mit einem Hungerstreik zu wirksamen Antikorruptionsmaßnahmen bewegen will, fühlt sich unweigerlich an Mahatma Gandhi erinnert - den Mann, der Indien in die Unabhängigkeit führte.

Hazare ist selbst ein großer Verehrer Gandhis. Bevor er sich am 5. April zum Dauerfasten unter einen Baldachin niederließ, hatte er das Grab seines Vorbilds besucht und geschworen, sein Leben für sein unmittelbares Ziel zu opfern: ein Gesetz zu verhindern, das einem zahnlosen Ombudsmann die Revision hochkarätiger Korruptionsfälle anvertraut.

Hazare und seine Mitstreiter verlangen, dass die Zivilgesellschaft bei der Wahl der künftigen Ombudsmänner ein Wörtchen mitzureden hat. Sie wollen zudem erreichen, dass sich die Untersuchungen von Korruptionsfällen nicht bis ins Unendliche hinziehen, wie dies bisher der Fall ist, sondern innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein müssen. Darüber hinaus halten sie eine Erhöhung der Haftstrafen für Korruptionsvergehen von derzeit sechs Monaten bis sieben Jahre auf fünf Jahre bis lebenslänglich für angebracht.

Wie Gandhi flößt auch Hazare den Menschen Respekt ein. Die Menschen, die sich hinter dem Baldachin auf der zur Jantar Mantar-Sternwarte gehörenden Rasenfläche niederlassen haben, die eigens für die Proteste freigegeben wurde, zeugen von der großen Popularität des alten Mannes und seines Anliegens.


Unterstützung von Politikern unerwünscht

Hazare stellte von Anfang an klar, dass ihm an der Unterstützung von Vertretern politischer Parteien nicht gelegen ist. Politiker, die sich ihm in der Hoffnung auf ein schnelles Foto dennoch nähern, werden von der Menschenmenge zurückgedrängt.

"Wir sind es leid, einen Korruptionsfall nach dem anderen zu erleben, ohne dass die darin verwickelten Politiker, Bürokraten und Geschäftsleute zur Verantwortung gezogen werden", meinte Ashish Arora, ein Anhänger Hazares.

Indien wird seit Monaten von einer Korruptionsaffäre nach der anderen heimgesucht, die die Regierungsallianz 'United Progressive Alliance' (UPA) in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise stürzten und den Ruf nach einem Rücktritt des Regierungschefs immer lauter werden lässt.

"Der Ministerpräsident muss zurücktreten", meinte Lal Krishna Advani, Chef der hindu-nationalistischen Bharatiaya-Janata-Partei (BJP) im Zusammenhang mit einer Affäre, die ein Zeitungsbericht ausgelöst hatte, der sich auf von WikiLeaks veröffentlichte Protokolle US-amerikanischer Diplomaten bezog. Demnach hat die indische Regierung Millionen Rupien für den Kauf von Abgeordnetenstimmen ausgegeben, um ein Geschäft mit den USA über die zivile Nutzung von Atomkraft durchs Parlament zu bringen

Im März hatte der Oberste Gerichtshof die Ernennung von P. J. Thomas zum Leiter der 'Central Vigilance Commissioner' (CVC), der Korruptionsbekämpfungsbehörde Indiens, rückgängig gemacht. Das Gericht berief sich auf Thomas' Verwicklung in einen Erdölimportskandal, der von seiner Behörde nicht entdeckt worden war. Politischen Analysten zufolge war das Urteil der größte Schlag gegen die Singh-Regierung, zumal der Ministerpräsident den Ausschuss geleitet hatte, der der Ernennung von Thomas zum CVC-Leiter zustimmte.

Der Oberste Gerichthof wirft der Regierung ferner vor, keine Maßnahmen ergriffen zu haben, um zu verhindern, dass wohlhabende Inder ihre Gelder in Steueroasen verbringen. Einem Bericht der 'Global Financial Integrity' (GFI) zufolge hat Indien zwischen 1948 und 2008 213 Milliarden Dollar durch solche illegalen Finanzflüsse verloren.

Zudem müssen sich derzeit der ehemalige Telekom-Minister A. Raja und mehrere Firmenmanager vor Gericht verantworten. Sie stehen in Verdacht, den Staat um mehr als 39 Milliarden US-Dollar geprellt zu haben. So soll Raja Breitbandlizenzen der zweiten Generation weit unter Wert an große Mobiltelefondienstanbieter wie 'Reliance Telecom' und 'Unitech Wireless' verkauft zu haben. Die Unternehmer veräußerten die Lizenzen später zu erheblich höheren Preisen.


Gesetz verwässert

Angesichts dieser vielen Skandale halten Anti-Korruptionsaktivisten die Ernennung eines unabhängigen Lok Pal (Ombudsmann) für einen absoluten Imperativ. "Auch ist es wichtig, dass der Lok Pal eigene, unabhängige Untersuchungen einleiten kann", meinte Jayaprakash Narayan. "Sonst kann er nichts bewegen." Nach Ansicht von Narayan fehlt es der Regierung am nötigen politischen Willen, die Korruption im Lande nachhaltig zu bekämpfen. Das zeige sich an der mangelnden Bereitschaft, die Anti-Korruptionskonvention der Vereinten Nationen zu ratifizieren.

Dem Menschenrechtsaktivisten Prashant Bhushan zufolge ist die Einführung eines Gesetzes zur Ernennung eines Ombudsmanns nicht ohne Grund acht Mal am Widerstand der Abgeordneten gescheitert. Die neue Version sei inzwischen soweit verwässert, dass korrupte Politiker nichts zu fürchten hätten.

Die Organisation 'People Against Corruption' (PAC), der auch Bhushan angehört, ist der Meinung, dass ein künftiger Ombudsmann von einem Komitee aus unterschiedlichen Akteuren und nicht wie im vorliegenden Gesetzesentwurf vorgesehen von einem dreiköpfigen Komitee aus pensionierten Richtern gewählt wird. PAC fordert ferner, dass die künftigen Ombudsmänner befähigt werden, Ermittlungen gegen korruptionsverdächtige Abgeordnete aufzunehmen anstatt auf Hinweise des indischen Unter- oder Oberhauses zu warten.

Korrupte Staatsbedienstete dürfen bisher nur auf Grundlage des aus Kolonialzeiten stammenden indischen Strafrechts von 1860 belangt werden. Die Ermittlungen können ebenfalls erst dann beginnen, wenn die Zentralregierung den Fahndern grünes Licht gibt.

Bhushan zufolge hat sich in den zehn Jahren, in denen die Regierung einen strikten Privatisierungs- und Liberalisierungskurs fährt, eine unerhörte Zunahme der Korruption bemerkbar gemacht. "Auch das ist ein Grund, warum wir unverzüglich einen starken Lok Pal brauchen."

Der 73-jährige Hungerstreiker Hazare ist offenbar fest entschlossen, bis zum Äußersten zu gehen, um dieses Ziel zu erreichen. "Anna Hazare ist ein hartnäckiger Mann und ein wahrer Gandhianer", bestätigt der ehemalige Polizeioffizier Kiran Bedi. "Er wird erst aufgeben, wenn die Regierung einer Beteiligung der Zivilgesellschaft am Ernennungsprozess für den Lok Pal zustimmt." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2011