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ASIEN/702: Pakistan - US-Drohnenopfer kämpfen um Entschädigung, Regierung in Erklärungsnot (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Dezember 2010

Pakistan: US-Drohnenopfer kämpfen um Entschädigung - Regierung in Erklärungsnot

Von Zofeen Ebrahim


Karachi, Pakistan, 23. Dezember (IPS) - Kareem Khan hätte eigentlich erwartet, dass seine Frau beim Anblick des getöteten Sohnes zusammenbrechen würde. Doch stattdessen lächelte sie nur und verabschiedete sich still von ihrem 18-jährigen Kind. "Nach der Lehre des Islam kommt ein Mensch, der im Krieg fällt, direkt in den Himmel. Deshalb haben wir nicht um ihn getrauert", erläutert der Vater.

Dass der Sohn Zainullah zu Lebzeiten ein 'Hafiz' gewesen war, ein Gläubiger, der den gesamten Koran auswendig konnte, ist seiner Familie ein ganz besonderer Trost. "Diesen Menschen sagt man nach, dass sie zehn weitere Personen mit ins Himmelreich mitnehmen dürfen", freut sich Khan.

Am 31. Dezember 2009 hatte eine unbemannte US-Drohne Raketen auf das Gründstück der Familie in Machikhel in Nord-Waziristan abgeworfen, einem Stammesgebiet im Nordwesten Pakistans nahe der afghanischen Grenze. Zainullah, sein Onkel Asif Iqbal, ein örtlicher Lehrer und ein Bauarbeiter kamen dabei ums Leben. "In unserem Haus hatte sich weder ein militanter Moslem aufgehalten, noch wurde das Gelände als Ausbildungslager missbraucht", berichtet Khan. "Wozu also dieser Angriff?"

Die vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA ferngesteuerten Flugmaschinen zielen auf Al-Kaida- und Taliban-Stellungen in den Stammesgebieten im Nordwesten Pakistans. Seit Juni 2004 wurden in den Gebieten mehr als 200 Drohnenangriffe geflogen.


Kontraproduktive Kriegswaffe

Washington hat nach eigenen Angaben mit dem Töten per Knopfdruck einige bedeutende Al-Kaida-Führer und ihre Alliierte ausgeschaltet. Doch den Preis zahlten zahlreiche Zivilisten mit ihrem Leben. Diese 'Kollateralschäden' haben den Hass gegen die USA geschürt und die militanten Kämpfer nach Aussagen vieler Beobachter nur noch vergrößert.

"Diese Ungläubigen wollen uns Muslime ausradieren", meint Khan, ein Journalist, der für die Medienorganisationen 'Al Jazeera' und 'Al Qudds' schreibt. "Sie bezeichnen uns als Extremisten, obwohl wir nichts anderes tun, als nach den Gesetzen des Islams zu leben."

"Der CIA tötet die Stammesangehörige und ermöglicht dadurch Schulen zur Ausbildung von Selbstmordattentätern", meint auch der Rechtsanwalt Mirza Shahzad Akbar. "Damit hilft er den Taliban mehr als dass er ihnen schadet."

Die genaue Zahl der Drohnenopfer ist unbekannt. Sie wird von der 'New America Foundation' (NAF) in Washington mit 1.290 bis 1.985 angegeben, wobei es sich in 32 Fällen um "hochkarätige Ziele" handeln soll. NAF zufolge waren 1.400 der Opfer militante Kämpfer.

Doch wie Akbar betont, gibt es genügend Anzeichen dafür, dass durch die Angriffe vor allem unschuldige Stammesangehörige tödlich getroffen wurden. "Die Opfer sagen uns, dass das Etikett 'militant' sehr großzügig verwendet wird. Da es keinen Krieg zwischen den USA und Pakistan gibt, können diese Angriffe nur als Morde oder extralegale Hinrichtungen bezeichnet werden."

Vor einigen Wochen hatte der Jurist dem Journalisten Khan bei der Formulierung einer Entschädigungsklage geholfen. So soll der CIA für den "irrtümlich" herbeigeführten Tod Zainullahs und dessen Onkels mit 500 Millionen US-Dollar zur Kasse gebeten werden. "Ich kann den Amerikanern diese irrtümlichen Tötungen nicht verzeihen", so der Journalist im Telefoninterview mit IPS. "Hätten sie sich auf dem Boden befunden, ich schwöre, ich hätte sie gejagt."

Khan hatte kürzlich mehre Stammesangehörige auf ihrem Weg nach Islamabad begleitet, wo sie zwei Tage lang vor dem Parlament protestierten. Zu den Demonstranten gehörte auch der 18-jährige Muhammad Faheem aus Nord-Waziristan, der 2009 sein linkes Bein und dann bei einem weiteren Drohneangriff ein Auge verloren hatte. Er hat als einziger von neun Familienmitgliedern die Angriffe überlebt.

Faheem ist nicht nur körperlich versehrt. Wie er im Telefoninterview mit IPS berichtete, fängt sein Herz sofort zu rasen an, wenn er das Geräusch von Drohnen hört. "Ich kann dann nicht mehr lernen. Und immer ist da die Angst, ich könnte erneut getroffen werden."


Entschädigungsklagen

Obwohl seine Bemühungen um Entschädigung bislang erfolglos geblieben sind, macht Khan weiter. Am 13. Dezember ließ er sich auf einer Polizeistation einen Bericht gegen den CIA-Chef von Islamabad, Jonathan Banks, bestätigen. Als nächsten Schritt wollen er und Akbar eine erste Klage gegen Banks wegen nicht bewilligter Drohnenattacken auf pakistanischem Territorium einreichen. "Und dann werden wir dafür sorgen, dass der High Court von unserer Regierung Auskunft verlangt, welche Behörde diese Drohnenflüge gestattet hat und warum sie ihre Bürger nicht schützt", so der Jurist.

Akbar wurde nach eigenen Angaben von etlichen Pakistanern kontaktiert, die nach Islamabad kommen und ebenfalls Klage einreichen wollen. Er selbst vertritt die Interessen von 15 Familien, die durch die US-Drohnenflüge Angehörige verloren oder selbst lebenslange Verletzungen davongetragen haben. Der Anwalt ist zuversichtlich, dass diese Menschen Gerechtigkeit erfahren werden, wenngleich sie lange warten müssten.

Auch I. A. Rehman von der Pakistanischen Menschenrechtskommission rechnet damit, dass die Opfer der Drohnenangriffe entschädigt werden. Allerdings geht er nicht davon aus, dass der CIA vor Gericht gestellt werden kann oder die Drohnenflüge ein Ende finden werden.

Die Regierung in Islamabad hat die ferngesteuerten Todesflüge wiederholt als Verstoß gegen die nationale Souveränität verurteilt. Doch aus seiner Depesche, die von WikiLeaks veröffentlicht wurde, geht hervor, dass Premierminister Syed Yousaf Raza Gillani der US-Botschafterin Anne W. Patterson bei einem Treffen 2008 im Zusammenhang mit den Drohneneinsätzen versichert hat: "Wir werden in der Nationalversammlung dagegen protestieren und dann das Ganze vergessen." (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2010