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ASIEN/663: Zum USA-Flottenbesuch in Vietnam (Gerhard Feldbauer)


Zum USA-Flottenbesuch in Vietnam

Eigentlich eine ganz normale Sache.
Wären da nicht die Schatten des furchtbaren Krieges.

Von Gerhard Feldbauer, 6. Oktober 2010


Zum Unterhalt diplomatischer Beziehungen zwischen den Staaten, auch unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen, gehören in der Regel militärische Kontakte. Gestalten sich die Beziehungen normal, sind im Gastland meist auch Militärattachés akkreditiert, findet dann ebenso der Austausch entsprechender Delegationen statt. So geschah es im August dieses Jahres auch in Vietnam, wo ein Flottenbesuch der USA stattfand. Das Ereignis ließ sich allerdings nicht so ohne weiteres in das übliche Schema einordnen. Das begann schon damit, dass der Schauplatz sich in Da Nang befand.

Dort befand sich während des Krieges der USA gegen Vietnam eine waffenstarrende Luftwaffen- und Marinebasis. Über 100 Kampfflugzeuge starteten von hier aus zu ihren Tod und Verderben bringenden Angriffen. Hier lagerte ein Großteil der 80 Millionen Liter Herbizide (Agent Orange), die über Südvietnam versprüht, 17 Millionen Menschen schädigten, drei bis vier Millionen davon bis heute anhaltend schwer. Am 29. März 1975, einen Monat vor der Befreiung Saigons, der heutigen Ho Chi Minh Stadt, wurde die einst als uneinnehmbar gepriesene Festung von den Befreiungskämpfern eingenommen. Die Kriegsschiffe der 7. Flotte verließen fluchtartig den Hafen.

Im August 2010 kamen zwei nach Da Nang zurück. Der Flugzeugträger George Washington und der Lenkwaffenzerstörer John S. McCain. Besonders pikant, der zu den Namensgebern gehörende John Sydney McCain wurde als Major der Marineflieger am 26. Oktober 1967 bei einem Angriff auf ein Kraftwerk mit seiner F4 "Phantom" über Hanoi abgeschossen. Er besuchte inzwischen mehrmals Vietnam und gilt als ein "Versöhnungspolitiker". Das hinderte ihn jedoch nicht, während seines Wahlkampfes um die Präsidentschaft 2008, die er gegen Barak Obama verlor, ins Feld zu führen, dass er in nordvietnamesischer Gefangenschaft gefoltert worden sei.

Während des Flottenbesuchs fanden auf den Schiffen und in Da Nang gemeinsame Veranstaltungen, Volleyballspiele und Grillpartys statt, auf offener See Rettungsmanöver und Übungen zur Schadensbehebung, ferner ein Austausch zu medizinischen Fragen. Zum protokollarischen Teil gehörte, wie nach internationalen Gepflogenheiten üblich, das Hissen der vietnamesischen Flagge auf den Gästeschiffen.


Offene Fragen

Der Besuch warf heikle Fragen auf. Wie vertrauenswürdig sind die unverändert für ihre Weltherrschaftspläne bekannten und weltweit eine kriegerische Expansion betreibenden USA als Partner. Dann haben die USA bis heute nicht ihre in den Pariser Abkommen von 1972 übernommene Verpflichtung (Artikel 21) "zur Heilung der Wunden des Krieges und zum Nachkriegsaufbau der DRV und ganz Indochinas beizutragen", erfüllt (1). Keine Regierung in Washington hat sich bis heute für die in Vietnam begangenen Verbrechen entschuldigt. Obendrein wies das Bundesberufungsgericht der USA 2008 in letzter Instanz eine Klage vietnamesischer Agent Orange-Opfer mit der perfiden Begründung, "den Opfern sei kein Schaden zugefügt worden", zurück. Das führte bei vielen der betroffenen Menschen zu sehr kritischen Reaktionen.

Ein anderes Problem betrifft die strategische Bedeutung der Region des südchinesischen Meeres vor Vietnam. Hier liegen die umstrittenen Spratley- und Paracelinseln, die sowohl Vietnam als auch China beanspruchen, aber auch Taiwan, Malaysia und Brunei. Neben reichen Fischfanggebieten werden hier riesige Vorkommen an Erdöl und Erdgas vermutet. Das Gebiet durchqueren wichtige Schifffahrtswege, die sowohl für den Handel, aber auch unter militärischen Gesichtspunkten, darunter für die USA, von strategischer Bedeutung sind. China erklärte das ganze südchinesische Meeres zu seinen Hoheitsgewässern. Der Kommandant der "Georg Washington" gab während des Aufenthalts kund, "diese Gewässer gehören niemanden. Sie gehören jedermann. China hat das Recht, hier zu operieren, ebenso wie jeder andere Staat der Welt."


Politik der Friedenssicherung

Die Sozialistische Republik Vietnam geht, wie vorher die Demokratische Republik Vietnam, von einer Politik der Friedenssicherung aus, um damit den auf Krieg und Expansion setzenden imperialistischen Kräften entgegenzuwirken. Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den USA 1995 hatte Vietnam seine Bereitschaft signalisiert, die Beziehungen 20 Jahre nach Kriegsende nicht länger durch die Vergangenheit zu belasten und sie zu normalisieren. Als Frankreich nach seiner Niederlage im achtjährigen Krieg zur erneuten kolonialen Unterjochung Vietnams 1954 die Unabhängigkeit des Landes und die dazu 1955 geschlossenen Genfer Indochinaabkommen respektierte, entstanden schon bald normale staatliche Beziehungen, in denen Vietnam geschickt die Aversionen von Paris gegen Washington nutzte. Neben einem solchen Pragmatismus, den Hanoi schon immer praktizierte, sind auch eine tief im Volk verwurzelte Friedensliebe und Verständigungsbereitschaft zu sehen. Es sei daran erinnert, dass Nordvietnam und die südvietnamesische Befreiungsfront 1970, während Washington seinen Vernichtungskrieg im Süden weiter führte und es immer wieder zu Luftüberfällen auf den Norden kam, mit den USA in Paris über ein Friedensabkommen verhandelten, das 1972 unterzeichnet wurde.


Vietnam wird moderner Industriestaat

Vietnam ist heute auf dem Weg zu einem modernen Industriestaat, mit seit 2001 Zuwachsraten bis zu 8,4 Prozent, 2009 trotz der Auswirkungen der Internationalen Finanzkrise noch 6 Prozent. Im Maschinen- und Anlagenbau entstehen gewaltige Industriekomplexe, Stahlwerke und Wasserkraftwerke, insgesamt Projekte im Umfang von 98 Mrd. $. Der legendäre Ho Chi Minh-Pfad wird eine moderne Autobahn, vom Norden bis Ho Chi Minh-City ist ein Hochgeschwindigkeitszug für 350 kmh geplant. In der Stadt beginnt der Bau einer U-Bahn. 2008 startete vom französischen Kourou aus der erste Weltraumsatellit, der den Anspruch zur Teilnahme an der Weltraumfahrt belegte. Er wurde bei Lockheed für 200 Mio $ gekauft.

Kenner meinen, dass die vietnamesische Führung nach der entscheidenden internationalen Rolle des Landes im nationalen Befreiungskampf nicht die irgendeines drittklassigen Entwicklungslandes spielen wollte. Die Wurzeln dafür sind auch in der Geschichte zu sehen. Wie selten ein früheres Kolonialland hat Vietnams KP die von Marx entworfene historische Befreiungsmission der Arbeiterklasse verinnerlicht. Die Vietnamesen galten als gute Soldaten, aber es wurde immer behauptet, sie würden nie die Wirtschaft beherrschen lernen. Vietnam will, und das hat es in bestimmtem Maße auch bereits getan, diese Stimmen eines Besseren belehren, so wie vorher in der Führung eines Befreiungskrieges gegen die stärkste westliche Militärmacht. Damals nahm auch kaum jemand an, dass die Vietnamesen nach Beginn des Luftkriegs der USA 1964 in kürzester Zeit die modernste konventionelle Militärtechnik, Luftabwehrraketen und MIG-Jäger, beherrschen, den USA eine Niederlage in der vierjährigen Luftschlacht über Nordvietnam beibringen und schließlich in modernen Feldschlachten in Südvietnam siegen würden.


Selbstbewusste Verhandlungspartner

Solche Gesichtspunkte sind als Grundlagen dafür zu sehen, dass Vietnam mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) 2007 den mit vielen Risiken gepflasterten Weg der Kooperation mit dem internationalen Kapital einschlug. In den Verhandlungen mit der WTO erwies es sich als zäher Verhandlungspartner, der um jede Position kämpft. Und es verfügt über hochintellektuelle und schnell lernende Politiker und Wirtschaftsexperten, die es verstehen selbstbewusst ihre Positionen zu vertreten. Zugute kommt dem Land auch, dass seine Führung, die intellektuelle Elite des Landes, es immer ausgezeichnet verstanden hat, sich in die positiven Wurzeln des progressiven Erbes dessen, was man westliche Kultur und Zivilisation nennt, hineinzuversetzen und es sich zu Nutze zu machen.(2)

Neben Investitionsquellen und Technologie-Einfuhren ging es um neue Märkte oder um die Verhinderung der Schließung bestehender. In diesem Prozess tätigen die USA heute die größten Auslandsinvestitionen in Vietnam und sind der wichtigste Handelspartner geworden. Beim geplanten Bau mehrerer Atomkraftwerke wollen beide Staaten kooperieren. Nach Russland, China, Indien, Südkorea und Argentinien ist im März 2010 mit den USA ein Memorandum über zivile nukleare Zusammenarbeit unterzeichnet worden. Ausdrücklich erklärte Vietnam, sich für nukleare Abrüstung und gegen die Weiterverbreitung von Kernwaffen einzusetzen.


Für zuverlässige Partnerschaft

Wenn ausländische Medien von "engen freundschaftlichen Beziehungen" schrieben, sorgte das für Irritationen mehr unter den Freunden der Vietnamesen als bei diesen selbst. Berichte über "gemeinsame Flottenmanöver" wies Vizeverteidigungsminister Nguyen Chi Vinh in der Zeitung der Volksarmee "Quan Doi Nhan Dan" als "falsche Interpretationen" nachdrücklich zurück.(3) Vietnams Verteidigungspolitik beruhe "auf seiner eigenen Stärke" und es habe nicht die Absicht, einer "militärischen Allianz beizutreten". Die staatlichen Kontakte wurden als "freundliche Beziehungen" (nicht freundschaftliche) charakterisiert. Gegen Spekulationen, Hanoi stelle sich gegen die VR China, war offensichtlich gerichtet, dass Vietnam "nicht die Partei eines Landes gegen ein anderes" ergreife. Die Besuche der USA-Schiffe stünden in Übereinstimmung mit "den üblichen Praktiken zwischen souveränen Staaten" und seien Ausdruck der Politik "der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung". Vinh verwies auf bereits unterhaltene maritime Kontakte mit der VR China, Kambodscha, den Philippinen, Thailand und Singapur, darunter gemeinsame Patrouillen auf See, Rettungsaktionen und der Unterhalt entsprechender Hotlines, die nun auch mit den USA aufgenommen würden. Die mit Peking bereits unterhaltenen Kontakte in Verteidigungsfragen werde es nun auch mit Washington geben.

Freunden Vietnams, die sich um die Fortsetzung des sozialistischen Entwicklungsweges der SRV sorgen, stehen die Beschlüsse des 10. Parteitages der KPV vom April 2006 entgegen, welche dem von Kreisen des Auslandskapitals ausgeübten Druck nach Aufgabe des "Führungsmonopols" der Partei oder auch nur einer "Lockerung" ihrer Funktion und damit der des Staates eine klare Absage erteilten. Der Parteitag definierte, "ein unabhängiges, demokratisches, blühendes und starkes Vietnam mit einer gerechten zivilisierten Gesellschaft aufzubauen, die ohne Ausbeutung Sozialismus und Kommunismus als ihr Endziel realisiert". Die Diskussionen im Vorfeld des im Frühjahr 2011 vorgesehenen 11. Parteitages vermitteln den Eindruck, dass Vietnam diesen Weg fortsetzen wird.

Dass Vietnam sehr sorgsam allen Angriffen auf seine sozialistische Entwicklung entgegentritt wurde 2004 deutlich, als eine von den USA aus gelenkte konterrevolutionäre Verschwörung im Gebiet der nationaler Minderheiten im zentralvietnamesischen Bergland von Tay Nguyen niedergeschlagen wurde.


Gerhard Feldbauer schrieb zusammen mit seiner Frau Irene das Buch "Sieg in Saigon, Erinnerungen an Vietnam." Pahl Rugenstein, Bonn 2005, zweite Aufl. 2006. Er selbst "Die nationale Befreiungsrevolution Vietnams. Zum Entstehen ihrer wesentlichen Bedingungen von 1925 bis 1945." Pahl Rugenstein, Bonn 2007, und "Damals Vietnam, heute Irak. Wie sich die Bilder gleichen." Offensiv, Hannover 2005.



Anmerkungen

(1) Präsident Nixon hatte am 1. Februar 1973 konkretisiert, Vietnam dazu etwa 3.250 Millionen $ für einen Zeitraum von zehn Jahren als nichtrückzahlbare Hilfe zur Verfügung zu stellen.

(2) Siehe dazu den Bericht über einen Vortrag von Irene und Gerhard Feldbauer vor der Schweizer Vietnamgesellschaft in Zürich zum Thema "Bleibt Vietnam sozialistisch", in: "Schattenblick", 18. Juni 2010.
Schattenblick -> Infopool -> Politik -> Ausland
ASIEN/614: Bleibt Vietnam sozialistisch? (Doris Tatus)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ausland/paasi614.html

(3) Wiedergabe, wie auch anderer Quellen in "Vietnamkurier", 2/2010


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Quelle:
© 2010 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2010