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AFRIKA/992: Sierra Leone - Jetzt ist Selbsthilfe gefragt, Bezirksräte enttäuschen ihre Wähler (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2011

Sierra Leone: Jetzt ist Selbsthilfe gefragt - Bezirksräte enttäuschen ihre Wähler

Von Mohamed Fofanah


Freetown, 2. Mai (IPS) - Ismail Bakarr aus dem 106. Bezirk in Freetown ist bitter enttäuscht. "Unser Kandidat für die Bezirksratswahlen hatte uns das Blaue vom Himmel versprochen, auch eine Wasserleitung und eine stabile Stromversorgung. Er wurde 2008 gewählt, hat sich seitdem aber nicht mehr bei uns blicken lassen."

Wie der Journalist kritisieren viele Sierraleoner das Versagen der 2004 mit der Einrichtung gewählter Bezirksräte angestrebten Basisdemokratie in dem westafrikanischen Land, das jahrzehntelange Bürgerkriege politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich verwüstet hatten.

Jetzt stellt sich heraus, dass die bislang unbekannte Einrichtung von Bezirksräten mit den in sie gesetzten Erwartungen der Politik und der Bevölkerung vorerst nicht Schritt hält. Ihnen fehlen nicht nur die notwendigen Qualifikation, sondern auch die finanziellen Mittel.

Zudem können sie die infrastrukturellen Probleme in ihren Bezirken nicht lösen, solange die Zentralregierung ihre Zuständigkeit für Basisdienste wie Wasserversorgung, Straßenbau und Abfallwirtschaft in eigener Regie behält. Auch die traditionellen Stammesfürsten, die hier bislang das Sagen hatten und Abgaben kassierten, sind wenig geneigt, an die neuen Autoritäten Steuern zu zahlen.

Das zivile Netzwerk 'Campaign for the Voiceless' (CAMPVO) versucht, Missverständnisse und Ineffizienz auszuräumen und das Interesse der Bevölkerung an einer verlässlichen Basisdemokratie in Sierra Leone zu verbessern. Mit finanzieller Hilfe des Fonds für gute Regierung und Transparenz des britischen Ministeriums für internationale Entwicklung erforschten die Aktivisten mögliche Systemfehler und arbeiten jetzt an der Lösung der Probleme, die sich den Bezirksräten und -Komitees stellen.

"Die meisten Probleme liegen offenbar darin, dass weder die Ratsvertreter noch ihre Wähler ihre Rollen und ihre Aufgaben wirklich kennen", erklärte CAMPVO-Direktor Mohamed Turay. "Die Leute wissen nicht, an wen sie sich im Krisenfall wenden können, etwa beim Ausbruch einer Krankheit in ihrer Gemeinde oder bei Gefahr für ihre Sicherheit", stellte er fest. Stattdessen übernehmen Familien oder Einzelpersonen das Krisenmanagement und kümmern sich um die Anliegen der Gemeinde."

So etwa gingen kürzlich Bewohner des Viertels New England Ville in Freetown von Haus zu Haus und sammelten Geld für einen neuen Transformator. Sie wollten nicht länger darauf warten, dass sich der zuständige Bezirksrat oder das Elektrizitätswerk um ihr Anliegen kümmerten.


Basisdemokratisches Ehrenamt bringt nichts ein

"Wir müssen uns bedeckt halten", entschuldigte sich Bezirksrat Michael Bayoh aus dem Wahlkreis 246 im Stammesgebiet Tinkonko im ländlichen Bo. "Die Leute halten uns für Politiker und damit selbstverständlich für wohlhabend", stellte er im Gespräch mit IPS fest. "Wenn wir sie zu einer Ratsversammlung einladen, erwarten sie, dass man sie bewirtet. Dazu fehlt uns aber das Geld. Wenn wir jedoch unsere Wähler enttäuschen, schaufeln wir unser eigenes Grab und werden nicht wiedergewählt."

"Weil man uns nicht einmal die Fahrtkosten zu entlegenen Distrikten erstattet, kann schon mal ein Jahr ins Land gehen, bevor die nächste Ratssitzung anberaumt wird", räumte Bayoh ein.

Remi Martin, ebenfalls Ratsmitglied im Distrikt Bo und zuständig für Bezirk 250 im Stammesland Lugbu, klagte über die miserable Bezahlung, die das Ehrenamt eines Bezirksrats einbringt. "Wir erhalten monatlich eine Sitzungspauschale von umgerechnet rund 70 US-Dollar. Sie wird vierteljährlich und meistens viel zu spät ausbezahlt. Und von uns erwartet man nun, dass wir kommunale Projekte aus eigener Tasche finanzieren."

Dabei sind die meisten Bezirksräte im bitterarmen Sierra Leone arbeitslos und wenig gebildet. Viele hoffen darauf, als gewählter Bezirksvertreter der Armut zu entkommen.

Das Dezentralisierungssekretariat, das für die Umsetzung lokaler Regierungsverantwortung zuständig ist, hat inzwischen begonnen, die Bezirksräte zu schulen und fortzubilden und stellt ihnen auch technisches Personal zur Seite.

Unterdessen arbeitet CAMPVO daran, zwischen den Bürgern und ihren lokalen Vertretern eine Vertrauensbasis zu schaffen und das kommunale Engagement beider Seiten zu verbessern. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2011