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AFRIKA/988: Aufruhr in Mittelost - Lektionen für den ANC? (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2011

Aufruhr in Mittelost
Straßenproteste in Südafrika: Lektionen für den ANC?

Von Tom Wheeler


Die jüngsten Proteste in Tunesien, Ägypten, Dschibuti, Algerien, Libyen und anderen Teilen der arabischen Welt sind eine ernste Botschaft an herrschende Parteien: Die Menschen sind nicht mehr bereit, eine politische Führung hinzunehmen, die sich um das Wohlergehen derer, für die sie angeblich arbeitet, keinen Deut kümmert.


Die dramatischen Aufstände der letzten Wochen im Mittleren Osten haben Medien und Kommentare dominiert und andere Fragen an den Rand gedrängt. Ein Ende ist nicht in Sicht. Kaum hat ein Ereignis eine Art Zwischenlösung erreicht, nimmt ein anderes die Aufmerksamkeit gefangen. Selbst wenn die Gurus einen bestimmten Grund für die Probleme eines Landes ausgemacht haben, erfolgen Volksaufstände in einem anderen Land aus ganz anderen Gründen.

Die Erklärungen greifen in der Regel auf die Arbeitslosigkeit unter gut ausgebildeten Jugendlichen zurück, auf die Möglichkeiten der neuen sozialen Medien, mit denen eine Organisierung in Windeseile aufgebaut werden kann, auf die Korruption der herrschenden Eliten und die autoritären Regime, die sich gegenüber den Bedürfnissen einer Mehrheit gleichgültig zeigen. Vielleicht hat man noch die Bilder vor Augen, wie arme Ägypter ihre Hütten zwischen den Grabsteinen auf dem historischen Friedhof, der City of Dead, im alten Kairo zusammengezimmert haben, die eine Ahnung davon geben, wie groß die Diskrepanz zwischen Arm und Reich in der Stadt ist.

Die erwähnten Faktoren haben sicher alle eine Rolle gespielt. Doch mit jedem neuen Land, in dem die Menschen sich erhoben haben, kamen neue Faktoren ins Spiel. Zu diesen Faktoren zählen die unterschiedlichen islamischen Stränge. In Bahrain gehören die Herrscherfamilie und die Oberklasse zu den Sunniten, während die Mehrheit der Bevölkerung der schiitischen Richtung anhängt, die im Nachbarland Iran Staatsreligion ist.

Der Iran stellte zu Beginn die Probleme in Ägypten in den Vordergrund. Ägypten war schließlich der langjährige Gegner von Iran im Mittleren Osten. Als säkularer Staat rangierte Ägypten als Feind Irans nur knapp hinter Israel. Die Herrscher in Teheran erwarteten, dass die Demonstrationen in Kairo, Alexandria, Ismailia und anderen Städten Ägyptens zu einem ähnlichen Ausgang führen würden wie die Vertreibung des Schahs 1979. Sie sahen schon eine islamische Regierung im Präsidentenpalast von Kairo. Die Ansteckung Ägyptens begann kurz zuvor in Tunesien, und nach Ägypten blieb schließlich auch der Iran nicht verschont. Die Machthaber in Teheran hatten die Aufstände in ihrem eigenen Land nach den Wahlen von 2009 ebenso geflissentlich übersehen wie den Fakt, dass der Unmut gegen die Regierung weiterhin besteht. Obwohl die Revolutionsgarden die Proteste gewaltsam unterdrücken konnten, gelang es den moderaten Oppositionskräften über Handys und Internet, Proteste in verschiedenen Landesteilen zu organisieren und die Sicherheitskräfte auszumanövrieren.

Es scheint, dass Libyen die Proteste eindämmen kann. Das Land ist reich aufgrund des Öls und hat gemessen an Ägypten nur eine geringe Bevölkerung und zudem ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als die unmittelbaren Nachbarn.

Ein weiterer Faktor beeinflusst die Proteste. Wieder spielt hier die autoritäre Regierungsform eine Rolle. Die Regierung Libyens hat nicht nur den Zorn der gemeinen Bürger und Bürgerinnen auf sich gezogen, sondern auch den der Richter und Rechtsanwälte in der zweitgrößten Stadt des Landes Bengasi, ausgelöst durch die Verhaftung eines Rechtsanwaltes. Hinzu kommt die skandalöse Lebensweise der Söhne Gaddafis, ihre Selbstbereicherung und die ihrer Gefolgsleute. Die Antwort der Regierung galt nicht der Beseitigung der Ursachen der Unzufriedenheit. Sie organisierte vielmehr ihre eigenen Leute zu einer Gegendemonstration in der Hauptstadt Tripolis. Die Unterdrückung der Proteste kostete vielen Menschen das Leben. Mehr als 2.000 Menschen wurden von den Sicherheitskräften erschossen oder anderswie umgebracht.

Ein anderes Umfeld haben die Proteste im kleinen Küstenstaat Dschibuti. Dort liegt die einzige Militärbasis der USA in Afrika. Im unruhigen Ölscheichtum Bahrain ist die 5. US-Flotte stationiert. Die USA haben lange die ägyptische Armee generös finanziert und ausgestattet. Die Außenpolitik der US-Regierung steht vor dem Dilemma, wie sie ihren Anspruch auf Demokratieförderung mit der Unterstützung autoritärer Regime in Einklang bringen kann. Es dürfte für die Obama-Regierung nicht einfach sein, aus dieser Zwickmühle heraus zu kommen.

Hat das alles irgendeine Bedeutung für Südafrika? Moeletsi Mbeki, der Bruder des ehemaligen Staatspräsidenten Thabo Mbeki, warnte kürzlich, "Tunesien könnte bald auch Südafrika erreichen". Präsident Jacob Zuma tat diesen Satz ab mit dem Hinweis, Südafrika sei im Gegensatz zu den arabischen Staaten eine konstitutionelle Demokratie. Der ANC würde einen schweren Fahler begehen, wenn er meint, ein Urnengang reiche für eine konstitutionelle Demokratie. Allzu viele Funktionsträger des ANC sehen nicht, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen einem Wahlvotum für sie und dem Anspruch, dass die Gewählten sich auch um die Bedürfnisse ihrer Wähler kümmern. Eine Regierung, die das nicht tut, beschwört den Unmut geradezu herauf.

Nur unzulänglich hat Zuma auf die Gewaltausbrüche in Wesselton, Ermelo und anderen Townships reagiert, die ihren Protest über fehlende Jobs, mangelnde kommunale Dienstleistungen und das ignorante Gehabe der Kommunalräte gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern ausdrückten. Das müssen die regierende Partei und die Regierung noch lernen: Nichts ist gut auf lokaler Ebene. Es gibt allerdings erste Zeichen, dass sich das Luthuli House, das Hauptquartier des ANC, der Gefahr für die Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres bewusst ist. Der Parteibericht über das Versagen der Kommunalräte in der Nord-West-Provinz und über die Probleme, akzeptable Kandidaten für die Wahlen zu finden, sind deutliche Anzeichen dafür, dass auf der zentralen Ebene die Gefahr erkannt wird.

In einer konstitutionellen Demokratie haben die Menschen die Möglichkeit, ihre Unzufriedenheit an den Urnen auszudrücken, eine andere Partei zu wählen oder der Wahl fernzubleiben. Doch was ist zwischen den Wahlen, wenn die Wähler mit ihren Kandidaten gänzlich unzufrieden sind und sich betrogen fühlen? Früher oder später werden sie ihre Abgeordneten zur Rechenschaft ziehen. Wenn sie den Eindruck gewinnen, das nicht über Wahlen erreichen zu können, dann werden sie es auf der Straße tun - wie gerade in Nordafrika und in Ansätzen in den Slums und Townships Südafrikas.

Der Autor arbeitet beim South African Institute for International Affairs (SAIIA).


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2011, S. 13
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2011