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AFRIKA/885: Namibia wehrt sich gegen das EPA-Handelsabkommen der EU (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Juli / August 2010

Gefahr im Verzug

Namibia wehrt sich gegen das EPA-Handelsabkommen der EU

Von Henning Hintze


Sieben der fünfzehn Staaten der Regionalgemeinschaft SADC stehen in gemeinsamen Verhandlungen mit der Europäischen Union über ein Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA): Angola, Botswana, Lesotho, Mosambik, Namibia, Südafrika und Swasiland. Vier Länder - Botswana, Lesotho, Mosambik und Swasiland - haben ein Interimsabkommen unterzeichnet, aber nach einer Reihe von Krisensitzungen Anfang 2010 formelle Schritte zur Umsetzung vorläufig ausgesetzt. Der Druck kam vor allem von der namibischen und südafrikanischen Regierung. Windhoek war sauer darüber, dass die EU-Kommission das Abkommen ohne zuvor getroffene Ergänzungen zur Annahme in die EU-Instanzen eingebracht hatte. Europäische Nichtregierungsorganisationen haben sich der Kritik Namibias angeschlossen und in Brüssel protestiert.

Namibia gehört mit seinen knapp zwei Millionen Einwohnern und keinen übermäßigen Rohstoffvorkommen sicher nicht zu den bedeutendsten afrikanischen Ländern. Unlängst aber kam von dort ein politisches Signal, das internationale Beachtung findet. Namibia zählt zu den 76 Entwicklungsländern, mit denen die Europäische Union seit längerem ein brisantes Handelsabkommen mit dem Namen EPA abschließen möchte, doch nun hat die namibische Regierung gravierende Bedenken geltend gemacht und quasi die Notbremse gezogen. Es geht um das Economic Partnership Agreement (EPA), das die EU mit 76 Entwicklungsländern, sämtlich ehemalige europäische Kolonien in Afrika, der Karibik und im Pazifischen Raum, abschließen möchte. EPA beinhaltet so tiefgreifende Veränderungen, dass manche Fachleute gar von einem Epochenwechsel der europäischen Handelspolitik sprechen.

Inzwischen haben sich auch über 25 Nichtregierungsorganisationen aus verschiedenen europäischen Ländern - darunter Oxfam International und die WTO-AG von Attac Deutschland - der Kritik angeschlossen, die Namibia an dem Abkommen übt.


Tausende Arbeitsplätze gefährdet

Der namibische Handelsminister Hage Geingob hat unlängst in einer Parlamentsrede erläutert, wie sehr Namibias Entwicklung zurückgeworfen würde, falls man das vorliegende Abkommen unterzeichnen würde. Der Lebensunterhalt Tausender von Kleinbauern würde durch das Abkommen gefährdet, sagte er. Allein dies sei seiner Ansicht nach schon Grund genug, es nicht zu unterzeichnen.

Das von der EU so dringlich gewünschte EPA sieht vor, dass für die AKP-Staaten jene Importerleichterungen, die Europa ihnen jahrzehntelang für ihre Waren gewährte, nunmehr von einer einschneidenden neuen Voraussetzung abhängig gemacht werden: Die 76 Staaten müssen ihrerseits europäische Produkte künftig ohne Importzölle in ihre Länder lassen. Es wäre im Wesentlichen ein Freihandelsabkommen, jedes einzelne dieser Länder würde praktisch auf eine Stufe mit einem Wirtschaftsgiganten wie der EU stellt. Die Sorge des namibischen Ministers, tausende von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft seien in Gefahr, ist begründet, denn zweifellos würde der namibische Markt, sobald die Einfuhrzölle wegfielen, mit subventionierten europäischen Landwirtschaftsprodukten überschwemmt.

Einheimische oder regionale Produzenten könnten einem solchen Wettbewerb nicht standhalten, über kurz oder lang müssten sie europäischen Anbietern das Feld überlassen. Arbeitsplätze würden vernichtet, die Nahrungsunsicherheit würde zunehmen, das ohnehin große Elend vergrößert.

Der EPA-Vertrag beinhaltet aber Gefahren weit über die Landwirtschaft hinaus. "Wenn wir unterschreiben", sagte der namibische Handelsminister wörtlich, "würden wir die politische Option aufgeben, Steuern auf Exporte von Rohstoffen zu erheben." Namibia exportiert u.a. Uran und Diamanten, es würde damit auf die Möglichkeit wichtiger Einnahmen verzichten. Gerade in einer Zeit, in der die Einnahmen der "Zollunion des Südlichen Afrika" - zu deren Mitgliedern Namibia gehört - zurückgehen, wäre der Verzicht auf eine solche Möglichkeit ein großer Nachteil. Die europäischen Länder würden hingegen weiter billig an die Rohstoffe der AKP-Staaten kommen.

In Namibia ist in bescheidenem Maße in den zwanzig Jahren, die das Land jetzt unabhängig ist, eine industrielle Entwicklung erreicht worden. Auch diese wäre mit dem vorgesehenen EPA gefährdet, dann wäre das Land gezwungen, die Protektion seiner jungen Industrie aufzugeben. Der namibische Handelsminister befürchtet konkret, das könne das Ende der einheimischen Molkerei- und Teigwarenindustrie sein.


Wegfall wichtiger Einnahmen

Mit dem Wegfall von Zolleinnahmen würden sämtliche AKP-Staaten einen festen Bestandteil ihrer Staatseinnahmen verlieren, die nach Schätzungen zwischen 10 und 20 Prozent ausmachen. Diese Gelder würden besonders im Bildungs- und im Gesundheitswesen fehlen. Die EU hat zwar zugesagt, das durch zusätzliche Leistungen der Entwicklungshilfe auszugleichen, aber die Zusagen sind vage, und es bestehen starke Zweifel, ob das die eintretenden Nachteile wirklich ausgleichen würde.

Es gibt aber noch weitere Nachteile. Auf der einen Seite betont die EU seit langem, dass sie die regionale Integration von Entwicklungsländern befürworte. Doch die EPA-Bestimmungen kollidieren in vielen Fällen mit einem Ausbau der regionalen Integration.

Der EPA-Abkommen ist 116 Seiten lang und der Text ist es alles andere als leicht verständlich. Kein Wunder, denn er wurde von Wirtschaftsjuristen in Brüssel verfasst. Ob Parlamentarier der betroffenen Entwicklungsländer in ihrer Mehrheit das Abkommen verstehen, ist fraglich. Selbst die wenigsten Minister verstehen es, ist in Afrika zu hören. Warum viele AKP-Staaten das Abkommen dennoch unterzeichneten, hat einen einfachen Grund: Die EU übte dadurch Druck aus, dass sie ankündigte, andernfalls für diese Länder die bisherigen Exportquoten nach Europa zu senken. Das käme empfindlichen finanziellen Einbußen gleich, im Falle von Mauritius z.B. wurden Einbußen von 31 Prozent errechnet.

Genau genommen wurde bisher nicht das eigentlich angestrebte EPA-Abkommen unterzeichnet, sondern ein Interimsabkommen (IEPA), das ein wenig abgeschwächt ist. Das war ein Zugeständnis an die AKP-Staaten, die Interimsverträge sollen aber nach einigen Jahren durch langfristige Verträge ersetzt werden.

Im Interim-EPA wurde immerhin ein sehr wichtiger Bereich vorerst ausgeklammert. Es handelt sich um die Einbeziehung des Dienstleistungssektors in die Marktöffnung - ein riesiger Sektor, zu dem u.a. die Versorgung mit Strom und Wasser, das Verkehrswesen sowie Banken und Versicherungen gehören. Sobald das einmal in ein volles EPA aufgenommen ist, wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis europäische Großunternehmen auch in diesem lukrativen Bereich die AKP-Staaten dominieren würden. Die Deutsche Bahn beispielsweise, die seit einiger Zeit in Polen die Bahn betreibt, wäre allzu gern bereit, auch am Bahnverkehr in Entwicklungsländern Gewinne zu erzielen. Ebenso gibt es bei europäischen Banken und Versicherungen Begehrlichkeiten, durch Markteroberungen in Entwicklungsländern ihre Gewinne zu vergrößern.

In einem Offenen Brief an den Handelskommissar der EU haben kürzlich fast 30 Nichtregierungsorganisationen Namibia in seinen Vorbehalten gegen den Vertrag bestärkt. Eine Unterschrift hätte ernste Konsequenzen für Namibias landwirtschaftliche und industrielle Entwicklung, deshalb seien die Bedenken vollkommen legitim. Die EU müsse mehr Flexibilität zeigen und die Priorität der regionalen Integration respektieren.

Schon vor einem Jahr war eine von der Organisation Germanwatch erstellte ausführliche Studie zu einem negativen Urteil über die EPAs gekommen. Darin heißt es, sie seien für die AKP-Staaten aus entwicklungspolitischer und menschenrechtlicher Sicht höchst problematisch. Es sei "mehr als unklar, wie sie mit dem Ziel der regionalen Integration in Einklang gebracht werden können". Germanwatch befürchtet, dass Armut und Ungerechtigkeit weiter verschärft anstatt bekämpft würden.


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Wider die altkoloniale Arroganz

Am 19. Mai 2010 hat der namibische Minister für Handel und Industrie, Hage Geingob, vor dem Parlament die ablehnende Haltung seiner Regierung gegen die Unterzeichnung eines regionalen Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union in der vorliegenden Form begründet. Wir bringen Auszüge aus seiner Rede:

"In den vergangenen Monaten haben sich eine Reihe wichtiger Entwicklungen vollzogen. In unserer SADC-Verhandlungsgruppe haben vier Mitglieder, Botswana, Lesotho, Mosambik und Swasiland, Mitte 2009 ein Interims-EPA unterzeichnet. Angola, Namibia und Südafrika haben sich gegen eine Unterschrift entschieden."

Würden, so Geingob weiter, diese Unterschriften, wie von der Europäischen Kommission gefordert, bei der Welthandelsorganisation WTO hinterlegt und ratifiziert und umgesetzt, "würde das den Ausschluss Namibias vom derzeitigen Zugang zum europäischen Markt bedeuten und - ganz wichtig - wahrscheinlich den Bruch der Zollunion des Südlichen Afrika SACU."

"Die Lösung ist nicht einfach für Namibia... Die Unterzeichnung hätte ernste wirtschaftliche und politische Konsequenzen für Namibia.

So würden wir z.B. unsere politische Option aufgeben, Steuern auf Exporte von Rohstoffen zu erheben, was ein Anreiz für eine Wertschöpfungskette aus den Rohstoffen und eine potenziell wichtige neue Einnahmequelle ist.

Wir müssten das gerade zu einem Zeitpunkt tun, in dem die Diversifizierung unserer Einnahmen von national vorrangigem Interesse ist, um die sinkenden Einnahmen aus der SACU und in Folge der allgemeinen Liberalisierung der Tarife aufzufangen.

Wir müssten ebenfalls unser derzeitiges System zum Schutz junger Industrien aufgeben zugunsten eines von der Kommission geforderten viel weicheren Systems. Diese Auflage steht direkt unseren Bemühungen um Industrialisierung entgegen; es würde die Industrien, die derzeit vom Schutz profitieren, vollständig ausgeliefert lassen. Wir müssten uns von unserer Molkerei- und Teigwarenindustrie verabschieden.

Ferner müssten wir bei einer Unterzeichnung alle mengenmäßigen Beschränkungen bei Importen und Exporten streichen. Damit riskieren wir, alle unsere Errungenschaften im Gartenbau und bei der Getreideproduktion zu verspielen. Und Sie wissen: Wir hingen in der Vergangenheit viel zu sehr von Nahrungsmittelimporten ab und wir haben versucht, diese Situation umzukehren. Unsere Fortschritte bei der Nahrungssicherung und der ländlichen Entwicklung haben wir dadurch erreicht, dass wir unseren Produzenten sichere Märkte garantiert haben, indem wir die Einfuhr von Früchten, Gemüse und Getreide mengenmäßig begrenzt haben.

Ich fürchte, dass unsere bisherigen Investitionen in das Green Scheme, die Vermarktung von Gartenbauprodukten, Getreidesilos, Ausweitung der Landwirtschaft und Wertschöpfung bei Lebensmitteln, umsonst waren und unsere ländliche Ökonomie ernsthaft untergraben und der Lebensunterhalt tausender Kleinbauern gefährdet wird. Allein das ist wirklich Grund genug, diesen Vertrag nicht zu unterzeichnen. Niemand sollte von uns erwarten, diejenigen als unsere Freunde zu bezeichnen, die unsere ländlichen Gebiete derart destabilisieren. Es gibt weitere Gründe, auf die ich nicht näher eingehen möchte: Da ist die Meistbegünstigungsklausel, die von der EU zulasten unserer Süd-Süd-Handelsbeziehungen gefordert wird, und da ist die unakzeptable Definition der Vertragsparteien, die Konflikte in der SACU und der SADC programmiert.

Für nahezu alle Probleme haben wir Lösungen mit der EU-Kommission ausgearbeitet. Die Kommission weigert sich jedoch aus Gründen, die nur sie kennt, hartnäckig, diese Lösungen vertraglich angemessen abzusichern, entweder durch Ergänzungen im Vertragstext zu einem Interimsabkommen, durch eine verbindliche gemeinsame Erklärung oder durch Garantien, diese Vereinbarungen in einem abschließenden Vertrag über eine Wirtschaftspartnerschaft (EPA) aufzunehmen.

Ich rufe unsere Freunde in Europa auf, uns nicht fallen zu lassen und an einer gemeinsamen Lösung der ausstehenden Fragen zu arbeiten. Letztlich geht es beim EPA um eine Partnerschaft in gemeinsamen Zielen wie Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung. Nehmen wir Abstand von Einschüchterungstaktiken und alter kolonialer Arroganz. Lasst uns Partner sein auf Augenhöhe."


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 3, Juli / August 2010, S. 25 - 26
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2010