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AFRIKA/804: Aminatou Haidar - Die Gandhi der Westsahara (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 111, 1/10

Die Gandhi der Westsahara
Die Menschenrechtsaktivistin Aminatou Haidar kämpft für Selbstbestimmung der Saharauis

Von Gundi Dick


Vor 35 Jahren wurde die Westsahara von Marokko besetzt. Seither lebt ein Teil der Saharauis unter Besatzung, ein anderer Teil in Flüchtlingslagern in Algerien. Längst ist der Westsahara-Konflikt aus dem Blick der internationalen Öffentlichkeit geraten. Der Hungerstreik von Aminatou Haidar hat die noch immer unerfüllte Forderung nach Selbstbestimmung wieder bewusst gemacht.


Am Abend des 17. Dezember 2009 konnte Aminatou Haidar endlich von Lanzarote nach El Ayun zurückkehren. Mit schwacher Stimme kommentiert sie ihre Rückkehr: "Das ist ein Sieg für das internationale Recht, die Menschenrechte, die Gerechtigkeit und die Sache des saharauischen Volkes."

Es ist auch ein Sieg für die Würde einer mit friedlichen Mitteln kämpfenden Frau. Aminatou Haidar, die bekannteste saharauische Menschenrechtlerin, hat bereits viele internationale Auszeichnungen verliehen bekommen - zuletzt erhielt sie den Civil Courage Prize der Train Foundation in New York. Bei ihrer Rückreise in die Westsahara nahmen ihr am Flughafen El Ayun die marokkanischen Behörden den Pass ab und verfrachteten sie nach Lanzarote, Spanien. Die Begründung lautete: sie hätte als ihre Nationalität "saharauisch" statt "marokkanisch" angegeben. Am Flughafen in Lanzarote begann sie ihren Hungerstreik, den sie 32 Tage aufrecht hielt. Sie forderte, in ihre Heimat zu ihren Kindern und ihrer Familie zurückkehren zu dürfen. Ihre Entschlossenheit und ihre Aussage, sie würde lebendig oder tot in die Westsahara zurückkehren, wurde mit jedem Tag ihres Widerstands ernster genommen. Ihr Gesundheitszustand hatte sich bereits besorgniserregend verschlechtert. Der "Fall Haidar" war an die internationale Öffentlichkeit gelangt. Die engsten Verbündeten Marokkos - Spanien, Frankreich und die USA - bemühten sich, auf König Mohammed VI. einzuwirken. Marokko geriet unter Druck und gestattete schließlich am 17. Dezember Haidars Rückkehr.


Jahrzehntelanger Konflikt

Sowohl Haidars Widerstand als auch die Repression Marokkos reichen in die Geschichte zurück. Aminatou Haidar war bereits 1987, damals 21-jährig, bei einer friedlichen Demonstration für die Abhaltung des Referendums zur Selbstbestimmung, gemeinsam mit 17 weiteren Frauen, verhaftet worden. Sie wurde schwer gefoltert und verbrachte vier Jahre ohne Anklage oder Gerichtsbeschluss in marokkanischen Gefängnissen, lange Zeit in Dunkelhaft und lange Zeit, ohne dass ihre Angehörigen wussten, ob sie noch lebte und wo sie sich aufhielt.

2005 wurde sie erneut verhaftet, gefoltert und saß weitere sieben Monate im berüchtigten marokkanischen "Schwarzen Gefängnis" in El Ayun. Auch damals trat sie in Hungerstreik. Durch die Unterstützung von 179 Abgeordneten des EU-Parlaments kam sie schlussendlich frei. Ihre Gesundheit ist seither schwer angegriffen. Immer wieder kommt es zu Übergriffen durch marokkanische Behörden, selten erfährt die Öffentlichkeit davon.

Marokko besetzt seit 1975 die Westsahara, die bis zu diesem Zeitpunkt spanische Kolonie war. Die Hälfte, 150.000 Saharauis, flieht nach dem Einmarsch der Marokkaner und nach Angriffen mit Napalmbomben nach Algerien und baut in der Wüste mehrere Flüchtlingslager auf. Die politische Vertretung der Saharauis, die Polisario (Frente Popular para la liberacion de Saguia el hamra y Rio de Oro), geht ebenso dorthin ins Exil. 1976 ruft die Polisario die Gründung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) aus. Ein Guerillakrieg der Polisario fügt dem marokkanischen Militär große Verluste zu.

1991 tritt ein Waffenstillstand, vermittelt durch die UNO, von Marokko und der Polisario in Kraft und im gleichen Jahr gibt der UNO-Sicherheitsrat der Westsahara-Mission (MINURSO) den Auftrag, ein Referendum zum Status der Westsahara vorzubereiten. Seither überwachen im besetzten Gebiet Blauhelme mit einem Jahresbudget von 47 Mio. US Dollar den Waffenstillstand, befassen sich mit dem Referendum und bemühen sich, die Minengefahr zu reduzieren. Entlang des besetzten Gebietes baute Marokko über die Jahre einen mittlerweile 2.750 km langen Sandwall (Berm), der vermint ist und von 130.000 marokkanischen Soldaten bewacht wird. Marokko wendet die Hälfte seines Militärbudgets für die Aufrechterhaltung der Besetzung auf.

Seit 1966 verfasste die UNO über hundert Resolutionen für eine Unabhängigkeit der Westsahara. Die UNO verfolge jedoch in ihrem Bemühen um Streitschlichtung einen widersprüchlichen Kurs, kritisiert die International Crisis Group.(1) Einerseits gestehe sie der Westsahara das Selbstbestimmungsrecht dezidiert zu, andererseits verlange sie Verhandlungen ohne Vorbedingungen, mit konsensualem Ergebnis zwischen den Konfliktparteien Polisario und Marokko. Zwei unterschiedliche Zugänge, die nicht gleichzeitig funktionieren. Denn so kann Marokko ständig Vorschläge seitens der Polisario und der UNO sanktionslos zurückweisen und Verhandlungen zum Stillstand bringen. Würde hingegen das Selbstbestimmungsrecht angewandt, müsste das Recht durchgesetzt werden - auch gegen den Widerstand einer Besatzungsmacht.

Marokko setzt auf gute Beziehungen mit seinen engsten Verbündeten und der EU. Mohammad VI. wird von Frankreich für seine "liberale" Amtsführung gelobt, Marokko wird von der EU für seine Rolle als Grenzwächter wertgeschätzt. Die spanischen Enklaven Melilla und Ceuta liegen auf marokkanischem Staatsgebiet und Marokko leistet bezahlte Dienste bei der Abwehr von MigrantInnen, die über das Mittelmeer nach Europa kommen wollen.


Bodenschätze und Fischreichtum

Marokko beutet zwischenzeitlich die Phosphatvorkommen in Bou Craa im Gebiet der Westsahara aus und lukriert dafür Einnahmen in Höhe von 1,2 Mrd. US-Dollar (2008).(2) Das Meer vor der saharauischen Küste ist fischreich. Marokko fischt einerseits selbst, verschafft sich damit jährlich Einnahmen in Höhe von 242 Mio. Dollar (2005) und lässt sich von EU-Staaten die Abfischung dieser Gewässer abgelten. Die internationale Kampagne "Fish Elsewhere!"(3) protestiert gegen das Fischereiabkommen der EU-Staaten und kritisiert, dass gemäß internationalem Recht Ressourcen in besetzten Gebieten nicht gegen den Willen der Bevölkerung ausgebeutet werden dürfen. Kritisiert wird ebenso von Fish Elsewhere, dass mit diesem Abkommen der Unrechtzustand gefestigt wird und Marokko die Kontrolle über das besetzte Gebiet zugestanden wird.

Marokko argumentiert, dass die "südlichen Provinzen" seit jeher, mit Unterbrechung durch die spanische Kolonialisierung (1884 bis 1975), zum marokkanischen Großreich gehört hätten. Es hätte nie einen Saharauischen Staat gegeben, weshalb die Polisario lange Zeit als Verhandlungspartnerin nicht akzeptiert wurde. Marokko wirft der Polisario vor, die mittlerweile 120.000 sahaurischen Flüchtlinge in der Wüste als Geisel zu halten, um politischen und moralischen Druck auszuüben. Die Menschen in den Lagern seien gezwungen, dort zu bleiben, auch wenn sie zurück in die Westsahara wollten. Vorwürfe richten sich auch gegen Algerien, die die Polisario und ihren Kampf für einen eigenen Staat deshalb unterstützten, um Zugang zu den Ressourcen zu bekommen.


Leben in den Flüchtlingslagern

In den vier Flüchtlingslagern El Ayun, Smara, Ausserd und Dajla, benannt nach saharauischen Städten, steht inzwischen die Zeit still. Die Geröllwüste im Südwesten Algeriens, 50 km von der Oasenstadt Tindouf entfernt, gehört zu den unwirtlichsten aller Wüsten, es gibt kaum Wasser, es kann nichts angebaut werden, die Temperaturen sind extrem: 50 Grad Celsius im Sommer, 0 Grad Celsius im Winter. Seit 35 Jahren bestehen die Lagerstädte, genauso lang leben dort Menschen, die vom UNHCR und von internationalen Organisationen mit allem versorgt werden müssen. Das Überleben ist hart, die Menschen fühlen sich isoliert und von der Welt vergessen, doch ihr politischer Wille ist aufrecht. "Was immer wir hier lernen, es ist eine Vorbereitung auf die Zeit der Selbstbestimmung in der Westsahara. Dann kehren wir zurück und leben dort vereint mit unseren Familien und unserem Volk in Frieden" ist eine häufig gehörte Vision.

Aminatou Haidar steht seit ihrer Rückkehr in ihr Haus in El Ayun im besetzten Gebiet der Westsahara unter Hausarrest. Sie erholt sich nur schwer von ihrem Hungerstreik. Marokkanische Polizisten bewachen ihr Haus und kontrollieren Ein- und Ausgehende. "Nichts kann mich von meinem Kampf für die Selbstbestimmung der Westsahara abhalten - weder Gefängnis, Folter, Entführung, noch Exil"(4), sagt sie.


Anmerkungen:
(1) Western Sahara: Out of the Impasse. Middle East/North Africa Report No. 66 - 11 June 2007
(2) Western Sahara Resource Watch www.wsrw.org/index.php?cat=128&art=735
(3) www.fishelsewhere.eu/index.php?parse_news=single&cat=139&art=1024
(4) www.morningstaronline.co.uk/index.php/news/content/view/full/85425


Webtipps:
www.arso.org - ARSO/Association de soutien à un référendum libre et régulier au Sahara Occidental
www.wsrw.org - West Sahara Resource Watch
www.oesg.ws - Österreichisch-Saharauische Gesellschaft

Zur Autorin:
Gundi Dick ist entwicklungs- und frauenpolitisch engagiert. Sie arbeitet bei der Volkshilfe Österreich und koordiniert dort den Bereich der Internationalen Zusammenarbeit. Sie lebt in Baden bei Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 111, 1/2010, S. 26-27
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2010