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AFRIKA/793: Der Wahlverlauf in Namibia. Vergleich mit Südafrika (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, Dezember 2009 / Januar 2010

Wahlen mit Qualen
Der Wahlverlauf in Namibia. Vergleich mit Südafrika

Von Henning Melber


Vor zwanzig Jahren fiel die Mauer und wühlte Namibias Volk in einer von den Vereinten Nationen überwachten Übergangsphase zur staatlichen Unabhängigkeit die eigene künftige Regierung. Die veränderte globalpolitische Großwetterlage bescherte knapp fünf Jahre danach auch Südafrika eine demokratisch gewählte Mehrheitsregierung. Seither wird die Politik beider Länder maßgeblich von einer Befreiungsbewegung an der politischen Macht bestimmt und gestaltet. Allgemeine Wahlen fanden im April in Südafrika und Ende November in Namibia statt. Sie bestätigten in unterschiedlicher Weise die ungebrochene Vormachtstellung der ehemaligen Befreiungsbewegungen. Der folgende Vergleich dient der Standortbestimmung Namibias nach den Ergebnissen der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen.


Sowohl die Swapo als auch der ANC waren antikoloniale soziale Bewegungen, deren kleinster gemeinsamer Nenner die Erlangung des Selbstbestimmungsrechtes der Bevölkerungsmehrheit und die Abschaffung der verankerten rassischen Diskriminierung war. Beide unterteilten sich in einen Exilflügel und eine Widerstandsorganisation im Inneren. Die Umwandlung dieser Bewegungen in politische Parteien übertünchte zumindest vordergründig teilweise sehr grundsätzliche politisch-ideologische Unterschiede innerhalb derer Reihen. Diese waren häufig Anlass interner Rivalitäten und Machtkämpfe. Deren Ursachen lagen oft in individuellen Animositäten und Rangeleien um den Zugang zu Ämtern und Privilegien begründet. Frustrationen über verloren geglaubte Machtkämpfe und darauf folgende Marginalisierungsprozesse waren ebenso Anlass für die Gründung neuer Parteien wie unterschiedliche politische Auffassungen.


Abspaltungen ohne Fortune

In Namibia waren die Gründung des Congress of Democrats (CoD) im Wahljahr 1999 und die Etablierung der Rally for Democracy und Progress (RDP) 2007 das Ergebnis. In Südafrika formierte sich 2008 aus den Reihen des ANC der Congress of the People (Cope). Bislang vermochte keine dieser Parteineugründungen die Vormachtstellung der Befreiungsbewegungen an der Macht zu brechen oder sich auch nur als deutliche politische Alternative zu präsentieren. Allerdings büßte im April 2009 der ANC als Ergebnis der Wahlen seine Zweidrittelmehrheit im Parlament ein, da er einige der Wählerstimmen an den Cope verlor.

In Namibia mauserte sich der CoD in den Wahlen 1999 gleich zur größten politische Oppositionspartei. Diesen Status konnte er 2004 konsolidieren. Aufgrund interner Zerrüttungen, Intrigen, Macht- und Verteilungskämpfen implodierte die Partei 2008. Mit dem Wahlergebnis 2009 versank sie nahezu in Bedeutungslosigkeit: Einzig der Parteiführer Ben Ulenga erreichte mit knapper Not noch ein Abgeordnetenmandat. Sein damaliger Gründungskollege Ignatius Shixwameni (wie Ulenga seinerzeit Vizeminister) schaffte es mit seiner neu gegründeten All Peoples' Party (APP) - die dem Namen zum Trotze einzig in seiner Herkunftsregion Kavango über eine Basis in der Wählerschaft verfügt - sogar deutlicher ebenfalls wieder ins Parlament. Sie gesellen sich dort zu den anderen einzelnen Mandatsträgern der dezimierten Republican Party (RP) sowie der South West African National Union (Swanu) als der ältesten Befreiungsbewegung Namibias, die den letzten Sitz im Parlament ergatterte und damit die Monitor Action Group (MAG) aufgrund ihrer 281 Stimmen Vorsprung ins politische Abseits schickte. Mit RP und MAG, aber auch der DTA, die zwei Sitze gewann, gehörten die Parteien mit einem Großteil der bisherigen weißen Wählerstimmen zu den Verlierern. (Wahlergebnisse siehe Tabelle)


Wahlergebnisse Namibia 2009
Partei
Stimmen
Prozent
Sitze
Sitze 2004
Swapo
RDP
DTA
Nudo
UDF
APP
RP
CoD
Swanu
MAG
weitere 4
ungültig
Gesamt
602.580
90.556
25.393
24.422
19.489
10.795
6.541
5.375
4.989
4.718
5.709
10.576
811.143
74,29
11,16
3,13
3,01
2,40
1,33
0,81
0,66
0,62
0,58
0,71
1,30
100,00
54
8
2
2
2
1
1
1
1
0
0
72
55
4
3
3
1
5
1

72

Quelle: ECN. An den Wahlen 2009 haben 14 Parteien teilgenommen;
9 schafften den Sprung ins Parlament.


Ende der Geschichte?

Swapo wie ANC reklamieren für sich, die eigentlichen (und im Falle Namibias auch die alleinigen) Befreier ihrer Gesellschaften vom Joch der Apartheid und Fremdbestimmung zu sein. Die Verwirklichung dieses Zieles durch den Befreiungskampf wurde auch als ein "Ende der Geschichte" wahr genommen. Mit Erlangung der formal legitimierten politischen Macht festigten sie ihr politisches Selbstverständnis auf ähnliche Weise wie die anderen Befreiungsbewegungen im Südlichen Afrika in Angola (MPLA), Mosambik (Frelimo) und Simbabwe (Zanu-PF). Sie verstehen sich als quasi natürliche Herrschaftspartei mit dem Anspruch auf ungebrochene Fortsetzung der politischen Dominanz. Jegliche politische Alternative, die nicht den eigenen Reihen entstammt, wird als illegitimer Regimewechsel begriffen, der von externen dunklen Mächten des Imperialismus ausgeheckt und betrieben wird. Dank solcher Verschwörungstheorien wird ein enger Schulterschluss betrieben, der die Sicherung der Macht im eigenen Land und in den Nachbarstaaten als Akt unverbrüchlicher Solidarität begreift.

Sowohl ANC wie Swapo operieren auch mittels separater Einheiten wie der Frauen- und der Jugendliga. Diese spielen eine wichtige strategische Rolle in der politischen Mobilisierung und dem öffentlichen Diskurs, nicht zuletzt durch die Propagierung radikaler Positionen. Diese dienen oft der wenig verdeckten Unterstützung militanter und pseudo-radikal populistischer oder auch dogmatischer Strömungen, denen Intoleranz gegen abweichende Meinungen und ein Mangel an demokratischem Grundverständnis inne wohnt. Führungskräfte im Establishment nutzen die Zweigorganisationen zur Verbreitung ihrer eigenen extremen Meinungen, die sie als offizielle politisch-staatliche Funktionsträger nicht artikulieren sollten. Durch den geleisteten Amtseid sind sie nämlich eigentlich an verfassungskonforme Prinzipien gebunden, deren Respektierung ihnen einen Maulkorb umbindet - obgleich dieser von ihnen nicht immer getragen wird und keine wirksame "Beißhemmung" garantiert.

Die Swapo war 1976 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Mehrheitsbeschluss zur "alleinigen authentischen Vertretung des namibischen Volkes" gekürt worden. Dies billigte der Organisation einen exklusiven Status zu, der auch von deren Aktivisten in den Führungspositionen verinnerlicht und praktiziert wurde. Damit ging das (Selbst-)Verständnis einher, die alleinige legitime Instanz für die Belange der Bevölkerung Namibias zu sein und darüber befinden zu können, was authentisch namibisch ist. Im Unterschied dazu war der ANC immer eine von mehreren rivalisierenden Befreiungsbewegungen mit offiziellem Status, die im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika international unterstützt wurden.

Die demographische und sozialökonomische Komplexität der industrialisierten südafrikanischen Gesellschaft hat ein differenziertes Panorama unterschiedlich organisierter Interessen hervor gebracht und verankert. Dazu gehört eine relativ lange Bildungstradition auch innerhalb der schwarzen Bevölkerungsmehrheit und die entsprechende Austragung von Differenzen durch intellektuelle Diskussionen zu politisch-ideologischen Fragen. Im Gegensatz dazu ist die Bevölkerung Namibias (deren Gesamtzahl geringer ist als das städtische Konglomerat am Witwatersrand) noch immer stark ländlich geprägt und sehr überschaubar.

Der öffentliche wie auch innerparteiliche Diskurs in Südafrika ist deshalb erheblich nuancierter und diversifizierter als in Namibia. Nichtregierungsorganisationen und andere Formen zivilgesellschaftlichen Engagements reklamieren deutlich mehr öffentlichen Raum und mischen sich auch in mobilisierender Funktion direkt in die politische Sphäre ein. Kritische Stimmen können sich Gehör verschaffen, ohne sofort grundsätzliche Konsequenzen von die Existenz bedrohendem Ausmaß befürchten zu müssen. Demgegenüber liegt das individuelle materielle Risiko für abweichendes Verhalten in Namibia deutlich höher, und es finden sich kaum alternative "Überlebensnischen". Eine entsprechend ausgeprägte "Kultur der Angst" mit dem Ergebnis einer "Kultur des Schweigens" ist die Folge. Auch ist aufgrund des überschaubareren sozialen Zusammenhangs die Sozialkontrolle über die Aktivitäten Anderer und die Abstrafung dessen, was als subversives Verhalten gilt, stärker ausgeprägt.


Ethnisch-regionale Orientierung der Parteien

Der CoD etablierte sich kurzfristig 1999 als Alternative zur Swapo durch die Abspaltung einiger jüngerer Parteikader, die mit der offiziellen Politik der Führung nicht konform gingen. Die zwei wesentlichen Punkte waren dabei die Verfassungsänderung zur Ermöglichung einer dritten Amtszeit des Präsidenten Nujoma sowie die Beteiligung am Krieg in der Demokratischen Republik Kongo. Doch die CoD erwies sich als keine Bedrohung der Zweidrittelmehrheit der Swapo. Diese konnte ihre Dominanz eher festigen, während die Oppositionsparteien immer zersplitterter wurden und häufig nur eine ethnisch-regionale Basis hatten. Das Wahlergebnis von Ende November dokumentiert erneut die ethnisch-regionale Dimension insbesondere der kleineren Parteien.

Die United-Democratic Front (UDF) sammelte ihre zwei Mandate in den unter dem Einfluss von Häuptling Garoeb stehenden Hochburgen der Damara. Die National Unity Democratic Organisation (Nudo) verdankt ihre zwei Mandate den Stimmen, die Häuptling Riruako unter den Herero sichern konnte. Auch die Swanu dürfte den Einzug ins Parlament dank der Basis unter den Herero geschafft haben, während die APP es der Bevölkerung im Kavango schuldet, dass der CoD-Abtrünnige Shixwameni seine parlamentarische Laufbahn fortsetzen darf. Genau besehen wird angesichts dieser Tendenzen selbst die Swapo zunehmend zur ethnisch-regional gestützten Partei, denn ihre überwältigende Mehrheit kann sie trotz Verlusten andernorts dank der breiten Unterstützung unter der ovambosprachigen Mehrheitsbevölkerung festigen.

Der ANC war dagegen immer in eine Koalitions- und Allianzpolitik verstrickt, um diverse politische Kräfte einzubinden, die - wie die Kommunistische Partei und der Gewerkschaftsdachverband Cosatu - als Bündnispartner gemeinsame Positionen aushandelten. Die Swapo musste demgegenüber nie solchen separaten Organisationsforderungen Rechnung tragen. Die Gewerkschaft war bereits im Befreiungskampf integraler Bestandteil der Bewegung und ihre Verhandlungsmacht erwies sich als relativ bedeutungslos. Die relativ einflussreichen und mit eigenen Vorstellungen operierenden Gewerkschaftsführer wurden meist durch die Kooptation in das Establishment der Partei oder durch eine Karriere in der Privatwirtschaft unschädlich gemacht - was letztlich zur Schwächung der organisierten Arbeiterschaft beitrug. Im Unterschied zu Südafrika spielen so auch Arbeiterinteressen im namibischen Wahlkampf - trotz der historischen Entstehungsgeschichte der Swapo aus den Reihen der Kontraktarbeiterschaft Ende der 1950er-Jahre - allenfalls eine untergeordnete Rolle.


Wahlablauf mit Mängeln

Die ordentliche Durchführung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 27. und 28. November wurde vielleicht allzu eilfertig trotz eines deutlich rabiateren Wahlkampfes von den Beobachtermissionen der SADC und der AU noch vor Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses bescheinigt. Hingegen äußerte die Mission des Panafrikanischen Parlamentes ein paar Tage später deutliche Kritik an einigen Mängeln. So monierte sie den Missbrauch des Staatsmonopols über den nationalen Rundfunk und das Fernsehen des NBC, der die Swapo bevorzugte. Auch die staatliche Wahlkommission bekam ihr Fett ab und musste sich mangelnde Professionalität bescheinigen lassen. In der Empfehlung, diese in eine unabhängige Institution umzuwandeln, liegt wohl die größte Brisanz.

Die politische Opposition - allen voran die RDP - hatte erheblich weniger Organisationsfreiheit im Wahlkampf erhalten, als ihr dies verfassungsrechtlich zusteht. Swapo-Aktivisten störten oder verhinderten mehrfach Wahlveranstaltungen und andere Kampagnenarbeit. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten bis hin zur Anwendung von Waffengewalt. Ordnungskräfte mussten mehrfach einschreiten und machten mitunter gar von Tränengas Gebrauch, um die Menge aufzulösen. Erstmals seit der Unabhängigkeit konnte von einem insgesamt friedlichen Wahlkampf nicht mehr die Rede sein. Inwieweit dies auf wechselseitiger Provokation durch die Anhänger sowohl der Swapo als auch der RDP beruhte, ist hierbei ein sekundäres Element, das die Schuldzuweisung, aber nicht den Besorgnis erregenden Tatbestand betrifft. Am Ende zählt, dass Namibia auf dem Wege ist, seine relativ gute Reputation aufs Spiel zu setzen.


Kaum parteipolitische Alternativen

Spekulationen, ob die RDP genug Wählerstimmen aus den Reihen der Swapo erhält, um sich als ernsthafte politische Alternative zu etablieren, fanden durch die ersten vorgezogenen Ergebnisse der Stimmen Nahrung, die in den namibischen Auslandsvertretungen abgegeben wurden. Die unverzügliche Bekanntgabe dieser quantitativ irrelevanten, aber als Indikator höchst interessanten Ergebnisse noch vor dem eigentlichen Wahlakt im Lande selber war eine zusätzliche Irritation. Ergebnisse in einigen der Botschaften, in denen erstmals im Ausland befindliche Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben konnten, verliehen der RDP ein Gewicht, das Vermutungen stärkte, die Zweidrittelmehrheit der Swapo könnte gefährdet sein, sofern diese Proportionen auch für den nationalen Rahmen repräsentativ wären.

Diese Erwartungen wurden enttäuscht. Obgleich die RDP in einigen städtischen Zentren (selbst in Katutura) sowie den mittleren und südlichen Landesteilen und in Teilen des Caprivi gute Ergebnisse erzielte und in mehreren Wahlbezirken (Wie Rehoboth) sogar zur stärksten Kraft wurde, reichte es am Ende mit knapp über 11 Prozent der Stimmen doch nur zum Ehrentitel der "offiziellen Opposition" gegen die ungebrochene Dreiviertelmehrheit der Swapo-Übermacht, die mit etwas über 74 Prozent zwar weniger Stimmzettel auf sich vereinte als fünf Jahre zuvor, aber nur eines Mandats verlustig ging und weiterhin uneingeschränkt die parlamentarischen Geschicke bestimmt. Vier der acht RDP-Parlamentarier haben zuvor bereits für die Swapo in dieser Rolle agiert. Sie müssen nun beweisen, dass ihre neue Partei mehr als nur alter Wein in neuen Schläuchen ist.


Präsidentschaftswahlen Namibia 2009
Kandidat/Partei
Stimmen
Prozent
Hifikepunye Pohamba (Swapo)
Hidipo Hamutenya (RDP)
restliche 10 Kandidaten
611.241
88.640
99.989
75,25
10,91
12.32

Quelle: ECN, ungültige Stimmen: 1,52 Prozent


Kann sich der Präsident freischwimmen?

Die namibische Wählerschaft hat bislang der Swapo wegen ihrer Rolle im Befreiungskampf die Treue gehalten. Das politische Programm scheint deutlich weniger ein Kriterium gewesen zu sein, wenngleich erstmals im Wahlkampf durch die Herausforderung der RDP auch die Errungenschaften seit der Unabhängigkeit thematisiert wurden. Dabei unterscheiden sich die politischen Programme der meisten Parteien so wenig, dass dies kaum eine Präferenz für eine der Alternativen sein kann. Es mag eine neue Ära anbrechen, in der die Parteien (und insbesondere die regierende Partei) auch daran gemessen werden, inwieweit sie das Interesse der Bevölkerungsmehrheit tatsächlich auch in Politik zu deren Gunsten umsetzen. Das könnte insbesondere unter der Jungwählerschaft, den so genannten born frees, zu einer anderen Stimmverteilung führen. Da die Alternativen zur Swapo bisher nicht sonderlich attraktiv scheinen, wäre dies wohl eher eine Form von Protestwahl, sozusagen als Denkzettel für ausbleibende Änderungen und die Abzocke der politischen Elite.

Swapo-interne Differenzen und Rivalitäten haben sich mit der Abspaltung der RDP keinesfalls ganz gelegt. Die vom Parteikongress Ende August festgelegte Wahlliste, von der die ersten 54 Plätze in das 72-köpfige Parlament einziehen, bietet keine verlässlichen Anzeichen für eine genaue Einschätzung der parteiinternen Machtverhältnisse. Es bleibt abzuwarten, welche der Fraktionen bei der Neubesetzung des am 21. März 2010 für die nächste fünfjährige Amtszeit vereidigten Kabinetts am einflussreichsten ist. Bisher wurde die namibische Politik noch immer von der ersten Generation der Befreiungsbewegung dominiert. Ein Generationswechsel steht an und lässt sich bereits anhand der Wahlliste in Ansätzen erkennen. Ob und wie sich dies auch in der Zusammensetzung des neuen Kabinetts dokumentiert, ist offen.

Swapos und Namibias erster Präsident Sam Nujoma (der mit der Pensionierung als Staatsoberhaupt vom Parlament den offiziellen Titel des Gründungsvaters der Republik Namibia verliehen bekam) ist weiterhin deutlich hör- und sichtbar politisch aktiv geblieben. Die Liste der nominierten Parteikandidaten für die Parlamentswahlen lässt aber keine Rückschlüsse zu, inwieweit sein Einfluss noch reicht. Erneut wird wohl erst die Zusammensetzung des Kabinetts im März genauere Indizien für Rückschlüsse liefern, wessen Hand dabei die Federführung hatte: die des Gründungsvaters oder die des (wieder-)gewählten Staatsoberhauptes und Parteivorsitzenden. Dass Präsident Pohamba zu seiner Wiederwahl (die mit getrennten Stimmzetteln im gleichen Wahlgang erfolgte) einige tausend Stimmen mehr erhielt als die Swapo, sollte seinen Führungsanspruch festigen. Er hat ihn bislang eher zögerlich - wenn überhaupt - reklamiert. Lange galt er als ein Interimspräsident, der nur eine Amtszeit (eher aus Pflichterfüllung denn Berufung) absolviert. Doch dann zeigte er den Vorsatz, im Amt bestätigt zu werden. Seine zweite (und letzte) Amtszeit könnte ihm die Gelegenheit bieten, sich als der auf Ausgleich bedachte und gegen Machtmissbrauch und Korruption handelnde Amtsinhaber zu bestätigen, der in ihm ursprünglich gesehen wurde. Die darin gesetzten Erwartungen erfüllte er in den ersten fünf Jahren nicht.

Er setzt sich seit längerem der innerparteilichen Kritik der Populisten aus, die ihn für zu nachgiebig halten und eine härtere, orthodoxe Gangart gegen jegliches vermeintliche "Abweichlertum" fordern. Auf deren Seite mausert sich der frühere Premierminister Hage Geingob zum Anwärter auf die Nachfolge. Nach mehrjähriger Auszeit im politischen Abseits (die er als Gastarbeiter bei einer Weltbank-finanzierten Einrichtung für Afrika in Washington verbrachte) feierte er ein unerwartetes Come-back als Industrie- und Handelsminister und avancierte beim letzten Parteikongress zum stellvertretenden Parteipräsidenten. Damit ist er derzeit bereits qua Amt der Nachfolger, falls Pohamba unerwartet den Dienst als Staatsoberhaupt quittieren würde.

Geingob, der noch vor 15 Jahren vor den Wahlen Ende 1994 meinte, eine Zweidrittelmehrheit für die Swapo würde der Demokratie im Lande schaden, profilierte sich in der Endphase des Wahlkampfes als populistischer Heißsporn. Der RDP unterstellte er in einer Wahlkampfveranstaltung, an einem "Savimbi-Syndrom" zu leiden, und zum Ende des Wahlkampfs warnte er die "Heulsusen" (cry babies), sich nicht zu beschweren, wenn die Swapo ihre Vormachtstellung behauptet.


Dünne Haut und starke Töne

Solche Töne waren bislang keinesfalls Standard-Repertoire im namibischen Wahlkampf. Angesichts der verschärften Gangart und wenig zimperlichen Umgangsweise wundert es auch nicht, dass die Toleranz gegenüber abweichenden öffentlich geäußerten Meinungen deutlich geringer wurde. Die Printmedien im Lande hatten bislang eine weitgehend autonome und unabhängige Rolle. Sie glichen darin den privaten Medien in Südafrika, die sich die Kritik an den bestehenden Verhältnissen nicht verbieten lassen. Es bleibt auch hier abzuwarten, inwieweit die mittlerweile höchst empfindsamen Reaktionen staatlicher Funktionsträger dem einen Riegel vorschieben werden. Das neu verabschiedete Kommunikationsgesetz sowie die Sicherheitsgesetzgebung lassen einen weiten Handlungsraum zur Intervention zu und könnten die Freiheit der Presse durch neue Medienkontrollmaßnahmen und Einschüchterungen unterminieren.

Innerhalb der Swapo gibt es eine deutlich artikulierte Aversion gegen die Meinungsfreiheit, wo sie sich in Kritik an der Partei und einer vermuteten Unterstützung von Oppositionspolitik (insbesondere der RDP) äußert. Die unabhängige Tageszeitung The Namibian und deren couragierte Chefredakteurin Gwen Lister gerieten seit der Endphase des Wahlkampfes unter massiven Beschuss, da ihr Parteinahme zugunsten eines "Regimewechsels" unterstellt wurde. Dieses Schlagwort dient der Diffamierung jeglicher Ernst zu nehmender Opposition oder abweichender Meinung. Die Swapo-Hardliner denunzieren und brandmarken mit an Verfolgungswahn grenzendem Misstrauen alle, die aufgrund kritischer Äußerungen als Handlanger einer imperialistischen Verschwörung des versuchten "Regimewechsels" verdächtigt werden. Um diesen Status der Ausgrenzung zu erlangen, gehört im heutigen Namibia nicht viel.

Pendukeni Ithana, Generalsekretärin der Swapo und Justizministerin, hat mit an Rassismus grenzenden Attacken gegen die couragierte und alles andere als opportunistische Chefredakteurin Lister zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Wenig ausgleichend wirkt auch die zur Jahresmitte 2009 installierte Internetseite der Swapo (www.Swapoparty.org), die von ihr und dem Swapo-Jugendliga-Führer Eliah Ngurare maßgeblich betrieben wird. Der Wahlkampfauftakt erfolgte nicht etwa durch eine Kampagne, die über das politische Programm informierte, sondern indem über mehrere Wochen hinweg insgesamt vier Individuen (darunter Gwen Lister und der Leiter der Menschenrechtsgesellschaft Phil ya Nangolo) mit Photo und Kurztext wegen ihres vorgeblich unpatriotischen Anti-Swapo-Gebarens an den Pranger gestellt wurden. Auf dem blog wurde dazu eine Debatte entfacht, die an mittelalterliche Hexenjagden erinnerte.

Dem namibischen Botschafter bei den Vereinten Nationen reichte zur endgültigen Diskreditierung, dass in dem Stimmenergebnis der vorgezogenen Wahlen in der New Yorker Vertretung die RDP eine hauchdünne Mehrheit vor der Swapo erzielte. Damit hatte sich der Diplomat in den Augen der Swapo-Jugendliga und dem der Swapo verbundenen namibischen Gewerkschaftsdachverband NUNW als U-Boot der neuen Partei enttarnt. In einer Pressekonferenz verlangten die beiden Vorsitzenden dessen sofortige Abberufung durch das Staatsoberhaupt, da er nur diesem gegenüber zu Loyalität verpflichtet sei und mit dem Wahlergebnis dagegen vorsätzlich verstoßen habe. Die namibische Lesart des diplomatischen Dienstes ist, wie dies zeigt, vergleichsweise eng. Pohambas Reaktion auf solche Interventionen wird Anhaltspunkte liefern können, inwiefern er sich der orthodoxen Parteidogmatik unterwirft und den autistischen Tendenzen nachgibt.


Zweifel an der Glaubwürdigkeit

Erstmals nach fast zwei Jahrzehnten Unabhängigkeit hat die namibische Zivilgesellschaft in unterschiedlich organisierten Formen konkrete Verantwortung durch eine aktive Beteiligung an der Wahlüberwachung übernommen. Angesichts der gerichtlichen Einsprüche gegen das amtliche Wahlergebnis durch zehn der Oppositionsparteien bleibt abzuwarten, inwiefern diese wichtigen Akteure ihrer Aufgabe entsprechen konnten. Bisherige Stellungnahmen fallen - mit Ausnahme der nationalen Menschenrechtsorganisation NSHR, die sich durch eine rabiate Anti-Swapo-Haltung profiliert - eher zurückhaltend aus und scheinen von der Vorsicht geprägt, sich angesichts der fortdauernden Hegemonie der Swapo nicht allzu sehr zu exponieren. Letztlich bleibt vorerst die Frage offen, ob das offizielle Wahlergebnis der Überprüfung auch vor Gericht standhalten wird, denn die Mehrheit der Oppositionsparteien hat sich in diesem Punkt darauf geeinigt, es nicht so einfach auf sich beruhen zu lassen. Wie schon vor fünf Jahren werden erneut die namibischen Justizinstanzen bemüht, die Rechtmäßigkeit des Wahlvorganges und seiner Ergebnisse zu prüfen.

Jenseits der einseitigen Bevorteilung der Swapo im Wahlkampf durch die kostenlose Nutzung staatlicher Ressourcen und ergo einer Teilfinanzierung des Wahlkampfes mit Steuermitteln bleiben auch Zweifel hinsichtlich der Wählerregistrierung, der Wahlliste und der Stimmenabgabe in einzelnen Bezirken. Dass angeblich die nach Stimmabgabe erfolgte Markierung an einem Finger der Wählerinnen und Wähler wieder entfernt werden konnte (und damit eine neuerliche Stimmabgabe im Prinzip nicht ausgeschlossen wäre), diente kaum der Beruhigung besorgter Gemüter. Fragen wirft auch eine höhere Wahlbeteiligung von deutlich über 100 Prozent in einigen Wahlkreisen auf, die sich nur schwer damit erklären lassen, dass nach dem Wahlgesetz auch eine Stimmabgabe von anderswo registrierten Wahlberechtigten zulässig ist.

Die einwöchige Warteschleife bis zur Bekanntgabe des verifizierten amtlichen Endergebnisses (die der Auszählung der insgesamt nicht viel mehr als 800.000 Stimmen am jeweiligen Wahlbezirk folgte, ohne dass die Wahlbeobachter der Parteien davon zuvor unterrichtet waren) erwies sich ebenfalls nicht als vertrauensbildende Maßnahme. So bleiben selbstverschuldete Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Resultats. Die namibische staatliche Wahlkommission ECN jedenfalls hat ihren Auftrag nicht erfüllt. Ob die unbotmäßige Verzögerung der offiziellen Ergebnisse einer Inkompetenz oder Schlimmerem geschuldet ist, bedarf noch der Klärung. Die bestehenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ergebnisses tragen leider zu keiner Verbesserung des angeschlagenen Images eines Landes bei, das vor 20 Jahren als Vorbild für afrikanische Demokratie gefeiert wurde. Ungeachtet solcher Erosionsprozesse scheint allerdings auch zwei Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit die politische Hegemonie der Swapo als Befreiungsbewegung an der Macht den Herausforderungen stand zu halten. - Fragt sich nur, um welchen Preis.


Der Autor ist geschäftsführender Direktor der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala/Schweden und seit 1974 Mitglied der Swapo.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
38. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2009/Januar 2010, S. 13-17
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2010