Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/762: Lesotho - Attentat auf Premierminister Mosisili gescheitert (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, Juli/August/September 2009

Attentat auf Premierminister Mosisili gescheitert SADC-Vermittlungsversuch für Lesotho abgebrochen

Von Brigitte Reinhardt


Zweieinhalb Jahre nach den letzten Parlamentswahlen versinken Regierung und Opposition in Lesotho immer tiefer im Morast ihres Streits um die Verteilung der Listenmandate. Aggressive politische Agitation, Generalstreiks und mysteriöse bewaffnete Übergriffe schüren Unsicherheit in der Bevölkerung. Frustriert über den mangelnden Willen beider Seiten, zu einer Einigung zu kommen, hat SADC-Vermittler Masire seine Mission abgebrochen.


In den frühen Morgenstunden des 22. April stürmten etwa zehn bewaffnete Männer die Residenz von Premierminister Mosisili in der lesothischen Hauptstadt Maseru mit der Absicht, den Premier zu töten. Als sie auf den erbitterten Widerstand der Wachen trafen, ließen sie von ihrem Vorhaben ab und flohen. Vier von ihnen wurden von Sicherheitskräften erschossen, andere gingen der Polizei von Lesotho und Südafrika ins Netz. Zuvor war die Gruppe, die aus Südafrikanern und Mosambikanern bestand, in die Makoanyane-Kaserne am Rande der Stadt eingedrungen, hatte die wachhabenden Soldaten zusammengetrieben und geknebelt und war mit erbeuteten Waffen und Fahrzeugen weitergezogen.

Dies ist die offizielle Version der Ereignisse an jenem Morgen. Für die Regierung stand von Anfang an außer Zweifel, dass es sich um einen von der Opposition in Auftrag gegebenen Umsturzversuch handelte.

Seit den vorgezogenen Parlamentswahlen vom Februar 2007, aus denen die bisherige Regierungspartei Lesotho Congress for Democracy (LCD) erneut als Sieger hervorgegangen war, hatte der Streit zwischen Opposition und Regierung um die Verteilung der Listenmandate (s. afrika süd Sept./Nov.2007) die politische Atmosphäre im Land vergiftet. Mit Massenaktionen und einem Verfahren vor dem Obersten Gericht hatte die Opposition vergeblich versucht, eine Neuverteilung der Parlamentsmandate zu ihren Gunsten zu erreichen.

Im Juni 2007 war es schon einmal zu einer Zuspitzung der Lage in Maseru gekommen. Wohnhäuser von Ministern wurden beschossen, Wachsoldaten entwaffnet und entführt, Armee- und Polizeifahrzeuge überfallen und Waffen und Munition geraubt. Die Hauptbeschuldigten an diesem "Umsturzversuch" waren Männer aus dem Umfeld des Oppositionsführers Thomas Motsoahae Thabane, einem ehemaligen LCD-Minister. Auch Armeeangehörigen wurde eine Beteiligung vorgeworfen.


Hintermänner des Anschlags gesucht

Angesichts der dürftigen Faktenlage ist es naheliegend, dass die Armee auch diesmal wieder ins Zentrum der Spekulationen rückt. Sie war 1994 in einen Coup verwickelt und gilt manchen noch immer als Unsicherheitsfaktor. Ihr wird zumindest passive Mittäterschaft unterstellt. Wie sonst sei es zu erklären, dass sich eine Handvoll Angreifer in einer Kaserne der Lesotho Defence Forces bedienen kann, unbehelligt entkommt und ohne einen Alarm auszulösen ihr Ziel ansteuert?

Zweifel an dieser Theorie kommen u.a. vom Politikwissenschaftler Prof. Makoa, der die für eine solche Aktion notwendige politische Einigkeit unter den Soldaten für unwahrscheinlich hält. Für ihn sind die Vorkommnisse vielmehr ein Ausdruck hochgradiger Nachlässigkeit in Fragen der nationalen Sicherheit, für die die Regierung gerade stehen müsse. Auch der katholische Bischof Khoarai, der 1994 eine Kommission zur Untersuchung der Auseinandersetzungen innerhalb der Armee leitete, äußerte sich besorgt. Die Art, wie der Angriff durchgeführt wurde, zeige, dass "wir in gefährlichen Zeiten leben in diesem Land."

Im Mai d.J. wurden zwei der Angreifer in Lesotho vor Gericht gestellt. Der Hauptverdächtige, ein pensionierter Offizier der lesothischen Streitkräfte, der zu den Bodyguards von Oppositionsführer Thabane gehörte, wurde in Pretoria festgenommen. Lesotho bemüht sich seitdem um seine Auslieferung. Er hatte bereits 2007 in Lesotho vor Gericht gestanden wegen seiner angeblichen Beteiligung an den Juni-Ereignissen, war jedoch freigesprochen worden und hatte sich nach Südafrika abgesetzt.

Das Verfahren wird fortgeführt. Über die Hintermänner des Anschlags gibt es nach wie vor nur Spekulationen.


SADC-Vermittlungsmission erfolglos

Anfang Juli legte der von der SADC ernannte Vermittler im Streit um die Listenmandate, Botswanas Ex-Präsident Ketumile Masire, seinen Abschlussbericht vor. Darin macht er ohne Umschweife die Regierung Lesothos für das Patt in der Auseinandersetzung mit der Opposition verantwortlich. Nach anfänglicher Zustimmung habe sie es abgelehnt, das Mixed Member Proportional (MMP)-Wahlsystem und seine Anwendung bei den Wahlen 2007 erneut durch Experten überprüfen zu lassen und erklärt, sie sehe keinen Bedarf an der Fortführung des Dialogs.

Masire stellt sich auf den Standpunkt, das MMP-Wahlsystem, eine Mischung aus 80 Direkt- und 40 Listenmandaten (entsprechend dem Stimmanteil der jeweiligen Partei), sei in seiner Absicht, den kleineren Parteien eine Chance zu geben, unterlaufen worden. Die Independent Electoral Commission (IEC) hätte es nicht zulassen dürfen, dass die beiden großen Parteien Lesotho Congress fan Democracy (LCD) und All Basotho Convention (ABC) mit zwei kleineren Parteien Wahlbündnisse eingehen, mit denen sie ihre eigene Position gestärkt hätten. Die beiden schwächeren Parteien hatten damals auf die Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten in den Wahlkreisen verzichtet, LCD und ABC hatten im Gegenzug keine Parteienlisten eingereicht, jedoch ihr Spitzenpersonal auf den Listen der Bündnispartner platziert. Dadurch waren u.a. drei LCD-Minister, die in ihren Wahlkreisen verloren hatten, ins Parlament gekommen.

Eine dezidiert andere Meinung als die Regierung Lesothos vertritt Masire auch hinsichtlich des Urteils in einem von der Oppositionspartei Marematlou Freedom Party (MMF) beim Obersten Gericht angestrengten Verfahren zur Klärung der umstrittenen Anwendung des MMP-Wahlsystems durch die IEC. Es war mit der Begründung abgewiesen worden, die MFP sei nicht klageberechtigt. Mit dem Anliegen selbst hatte sich das Gericht nicht befasst und sich grundsätzlich für nicht zuständig erklärt. LCD und Regierung beharren jedoch darauf, das Gericht habe das letzte Wort gesprochen und damit sei die Frage der Mandatsverteilung abschließend geklärt. Dieser Interpretation des Urteils widerspricht Masire.

Kritisch äußert er sich auch zu einem weiteren Ärgernis der Opposition, nämlich der Weigerung der Parlamentspräsidentin, den ABC-Vorsitzenden Tom Thabane formal als ordnungsgemäß gewählten Führer der Opposition anzuerkennen.

Abschließend appelliert Masire an alle politischen Parteien im Königreich Lesotho, die Interessen des Landes und der Basotho über alles andere zu stellen. "Es ist traurig, dass das Königreich immer wieder nach Wahlen derartige Auseinandersetzungen erleben muss." Die Parteien in Lesotho fordert er auf, den Dialog fortzusetzen. Ob dies auch für die SADC gilt, nachdem er persönlich sein Amt niedergelegt hat, bleibt offen.


IEC vor schwieriger Aufgabe

Wie zu erwarten, reagierte die Regierung auf diesen Bericht verärgert. Sie warf Masire vor, er habe sein Mandat überschritten, schließlich sei er nur gebeten worden, den Dialog zwischen den Konfliktparteien zu ermöglichen und nicht, sich zum Schiedsrichter aufzuschwingen. Die Opposition hingegen fühlte sich bestätigt und forderte die IEC auf, umgehend das Verfahren zur Neuverteilung von 21 Parlamentssitzen einzuleiten.

Die IEC steht nun vor einer schwierigen Aufgabe, für die es in Lesotho keinen Präzedenzfall gibt. Sie steht nicht nur vor einer juristischen Herausforderung, sondern muss auch ihre politische Neutralität beweisen, selbst wenn dies bedeuten würde, bisher vertretenen Rechtsauffassungen der Regierung zu widersprechen.

In der Vergangenheit war sie immer wieder angegriffen und beschuldigt worden, Handlangerin von LCD-Interessen zu sein, weil ihre Mitarbeiter ja schließlich "von der Regierung" bezahlt würden. Trotz aller Bemühungen war es der Vorsitzenden der IEC, Limakatso Mokhothu, nicht gelungen, einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, dass die IEC keine willkürlichen Entscheidungen gefällt, sondern lediglich das geltende Wahlrecht angewandt habe. Dies schreibe der IEC nicht vor, die eingereichten Parteienlisten danach zu überprüfen, ob die aufgeführten Personen tatsächlich der entsprechenden Partei angehörten, und im Zweifelsfall die Listen zurückzuweisen.


Polarisierung statt Konfliktlösung

Auch wenn es in der Öffentlichkeitsarbeit der IEC Defizite geben mag, so ist der Informationsmangel in diesem Zusammenhang wohl eher auf die geringe Bereitschaft von Regierungsgegnern zurückzuführen, Aspekte und Fakten, mit denen die andere Seite "entlastet" werden könnte, zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren. Lange Zeit verdrängten die ABC-Wählerinnen und Wähler z.B. auch die Tatsache, dass ihre Partei ebenfalls mit einer kleineren Partei ein Wahlbündnis eingegangen war, dass sich in keiner Hinsicht von dem des LCD unterschied.

Umgekehrt gilt diese Haltung natürlich auch für Parteigänger des LCD. Beide Seiten kultivieren eine Lagermentalität, die zu Polarisierung führt und Spannungen im Land verstärkt. Wenn auf einer LCD-Kundgebung von Überläufern aus dem ABC-Lager auf T-Shirts der ABC rumgetrampelt wird, dann ist dies mehr als eine temperamentvolle Abrechnung ehemaliger Thabane-Anhänger mit ihrem früheren Idol. Wenn Premierminister Mosisili auf einer LCD-Versammlung Ende Juli d.J. erklärt, niemand werde aus dem Parlament entfernt, solange er - Mosisili - lebe, und wenn er dann noch verkündet, die Wahlentscheidung des Volkes (die dem LCD die Mehrheit bescherte) sei eine Entscheidung "von Gott", dann ist dies eine Provokation und zeugt nicht gerade von dem Willen zu friedlicher Konfliktlösung.


Alles auf Anfang

Die Opposition ihrerseits ist auch nicht zimperlich. Ermutigt durch den Masire-Bericht, reagierte sie auf die starre Haltung der Regierung mit einem erneuten Aufruf zum "Stay away", dem Generalstreik, mit dem sie das gesamte öffentliche Leben lahm legen will. Wie schon mehrfach seit den Wahlen 2007 instrumentalisiert sie die Öffentlichkeit, um Ziele zu erreichen, mit denen sich jedoch zunehmend weniger Menschen identifizieren können, selbst dann, wenn sie keine Sympathisanten von LCD und Regierung sind. Die Bereitschaft, mit der Teilnahme an einem Streik auf Lohn und Einkommen zu verzichten, damit - wie manche es sehen - eine Hand voll Oppositionspolitiker in den Genuss von Abgeordnetendiäten kommen, ist kaum noch vorhanden. Wie es ein Straßenhändler drastisch ausdrückte: "Sollen sie doch ihre Kämpfe untereinander ausfechten und sich gegenseitig mit ihren Schlipsen erwürgen!"

Wie sehr der Stern des einstigen Heilsbringers Tom Thabane, dem Führer des Oppositionsbündnisses, gesunken ist, zeigte sich auch bei diesem jüngsten Streik am 3. August. Vollmundig als unbefristet angekündigt, wurde er nach einem Tag abgebrochen, da kaum jemand dem Aufruf gefolgt war. Das Vertrauen in Politiker, die ihren Rückhalt in der Bevölkerung so maßlos überschätzen, sinkt, je länger dieser inzwischen von vielen als "kindisch" bezeichnete Streit anhält.

Wie wird es nun weiter gehen? Wird sich das Oberste Gericht - auf Antrag der IEC - noch einmal mit dem Fall befassen und tatsächlich die Neuverteilung von 21 Listenmandaten anordnen? Wie werden die von der Mandatsenthebung Betroffenen darauf reagieren? Werden sie gerichtlich dagegen vorgehen? Müssten sie dann die zinslosen Kredite, die ihnen als Parlamentariern gewährt wurden, wieder zurückzahlen? Und wie lange würde es dauern, bis dieser ganze Prozess abgeschlossen ist?

Die nächsten regulären Wahlen sind für 2012 vorgesehen. An den offensichtlichem Mängeln des Wahlgesetzes wurde bisher noch nicht gearbeitet. Dies wäre die Grundvoraussetzung, um ein ähnliches Debakel zu vermeiden, aber auch für die letztendlich sauberste Lösung: vorgezogene Neuwahlen.


*


Weitere Artikel in afrika süd Nr. 4, Juli/August/September 2009


"Eine Nation im Protest vereint"
Ein Kommentar von Hein Möllers.

aktuell

simbabwe
Farce oder Hoffnung?
Seit dem 11. Februar wird Simbabwe von einer Regierung der Nationalen Einheit geführt. Aus der Krise hat sie das gebeutelte Land bislang kaum führen können. Farce oder Hoffnung? fragt Johann Müller.

Ein Besseres Simbabwe für wen?
In der letzten Ausgabe von "afrika süd" haben wir einen kontroversen Beitrag zur Debatte um die Fast Track-Landrefrom in Simbabwe gebracht. Roland Fett greift in dieser Ausgabe die Diskussion auf.

malawi
Erdrutschsieg für Bingu wa Mutharika
Bei den Wahlen am 19. Mai in Malawi wurden die bisherige Minderheitsregierung und Präsident Bingu wa Mutharika überraschend deutlich bestätigt. Heiko Meinhardt war als Wahlbeobachter der EU vor Ort.

From poverty to prosperity?
Andreas Baumert sieht in den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Malawi den Wunsch der Bevölkerung nach Stabilität und Entwicklung bestätigt.

lesotho
Attentat auf Premierminister Mosisili gescheitert
Aggressive politische Agitation, Generalstreiks und mysteriöse bewaffnete überfälle kennzeichnen die angespannte innenpolitische Lage in Lesotho. Auch die SADC konnte nicht vermitteln. Von Brigitte Reinhardt.

südafrika
Albie Sachs - Leidenschaft für Recht und Gerechtigkeit.
Albie Sachs verkörpert in seiner Person die jüngste Geschichte Südafrikas - dramatisch und gleichzeitig hoffnungsvoll. Mit dem früheren Anti-Apartheid-Aktivisten und heutigen Verfassungsrichter unterhielt sich Hans-Georg Schleicher.

Das Verfassungsgericht

Mr. Bean zu Gast im Township
Tim Staffel, Berliner Hörspiel-, Theater- und Romanautor, war für einen Monat Gast von Jozi:artlab, einem Projekt der Stiftung Sylt-Quelle. Außer Johannesburg hat er nichts gesehen - und war trotzdem mittendrin.

Eiszeit für Atom Industrie am Kap
Das atomare Know-how kam damals zu Apartheid-Zeiten aus Deutschland. Doch heute hat Südafrika kein Geld mehr, um den umstrittenen Hochtemperaturreaktor bei Koeberg bauen zu können. Von Horst Blume.

namibia
Namibias politische Gefangene
Seit September 1999 schmoren 120 Gefangene des sog. Caprivi-Hochverratsprozesses im Gefängnis, viele sind dort bereits gestorben. Henning Melber erinnert an den in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Justizskandal in Namibia.

Ecosan und Frauen
Der Genderaspekt spielt in der Sanitätsdiskussion in Namibia eine große Rolle. Ali Hensel macht das am Beispiel des geplanten Netzes von umweltverträglichen Toiletten, den sog. Ecosan-Toiletten, im Rahmen der "National Sanitation Strategy" des Landes deutlich.

namibia: epa
Keine Unterschrift!
Namibias Regierung zögert, das Interim-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der EU (IEPA) zu unterzeichnen. Sie wird dabei von der Handels- und Industriekammer des Landes ebenso unterstützt wie von der Zivilgesellschaft. Von Wallie Roux.

afrika: epa
Ein Begräbnis der regionalen Integration?
Am Beispiel der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS zeigt sich, wie die von der EU forcierten Interim-EPAs mit einzelnen Staaten die regionale Integration gefährden können. Von Ken Ukaoha.

afrika: entwickungshilfe
"Eine andere Entwicklungspolitik!"
Der "Bonner Aufruf" wurde im September von einem Initiativkreis veröffentlicht und von Unterzeichnern unterstützt. Im März wurde der Text erweitert und vertieft. Wir dokumentieren den Aufruf leicht gekürzt.

service
Nord-Süd-Infos, Rezensionen, Leserbriefe


*


Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
38. Jahrgang, Nr. Nr. 4, Juli/August/September 2009, S. 20 - 21
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org

"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2009