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AFRIKA/1457: Kenia - Vom Selfmademan zur Selfmade-Nation? (WeltTrends)


WeltTrends Nr. 193 / November 2022
Das außenpolitische Journal

Kenia: Vom Selfmademan zur Selfmade-Nation?

Das Programm des neuen Präsidenten

von Katrin Voß


"Ich bin der lebende Beweis dafür, dass Träume wahr werden können". Diese Aussage stammt aus der Antrittsrede des neu gewählten kenianischen Präsidenten William Ruto. Gehalten hat er sie am 13. September 2022 vor seinen jubelnden AnhängerInnen. Dabei ist sein rhetorisches Muster immer gleich: Mehrfach verweist er in seiner Rede auf seine Herkunft aus armen Verhältnissen und seine Vergangenheit als "Hustler", ein Begriff für junge Menschen, die aus finanzieller Not als "Stricher" jede sich bietende Arbeit annehmen müssen. "Wenn man nur hart arbeite, sei alles zu schaffen und dann sollte mein Beispiel nicht die Ausnahme, sondern die Norm sein", versprach Ruto weiter.

Seine Biographie ist sein politisches Programm: Ein geschäftsfreundliches Umfeld für Investitionen großer Firmen der Abbau bürokratischer Hürden, insbesondere bei der Verwirklichung kleinerer Geschäftsideen, sind Rutos wichtigste Eckpunkte zur Überwindung der Armut und bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Der Jugend den Zugang zu Arbeit zu ermöglichen, ist eines der wichtigsten Themen für das Land. Aktuell sind mehr als ein Viertel der KenianerInnen im arbeitsfähigen Alter arbeitslos. Weit mehr als die Hälfte geben an, im informellen Sektor beschäftigt zu sein. Das von Ruto präferierte Bottom-up-Modell - Wirtschaft von unten nach oben - zielt dabei auf die Eigeninitiative junger Menschen ab. Der Staat soll in diesem Modell finanziell die Umsetzung von Geschäftsideen für kleinere Unternehmen und Start-ups während einer ersten Anfangsphase unterstützen.

Auf diese Weise will Ruto Chancengleichheit und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung erreichen. Umgesetzt werden soll dies durch einen einzurichtenden sogenannten "Hustler-Fonds", der Gelder in Höhe von insgesamt 50 Milliarden Schilling (etwa 420 Millionen Euro) pro Jahr zur Verfügung stellt. Kenias Wirtschaft soll damit wieder in Schwung gebracht und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. So wie es auch Ruto selbst gelungen ist, sich bis in das Präsidentenamt hochzuarbeiten, könnte es mit diesem Modell auch jedem anderen gelingen, wiederholt er unablässig. Jeder müsse nur gewillt sein, hinreichend hart zu arbeiten. Ganz nach dem Vorbild des amerikanischen Traums "vom Tellerwäscher zum Millionär". Rutos Ankündigung, zwanzig neue Marktplätze in Kenias Hauptstadt Nairobi zu schaffen, die den inländischen Handel befördern sollen, sieht er als einen ersten wichtigen Schritt in die gewünschte Richtung. Es scheint, als würde er sein Selfmademan-Narrativ auf die Nation übertragen wollen.

Ruto als Vorbild?

Rutos Karriere ist jedoch keinesfalls dazu geeignet, als Leitbild für Kenia und alle arbeitslosen Jugendlichen zu dienen. Klar ist, dass er schon lange der Armut entkommen ist und inzwischen als einer der reichsten Kenianer gilt. Vom ehemaligen Straßenhändler, der Hühner verkaufte, hat er es zum Besitzer riesiger Geflügelfarmen gebracht; er investierte in die Hotelindustrie und ist Eigner einer 2.500 Hektar großen Farm. Sein Vermögen hat er jedoch nicht ausschließlich mit harter eigener Arbeit erwirtschaftet. Immer wieder wurde er mit Korruptionsskandalen in Verbindung gebracht. Während seiner politischen Karriere wurde ihm wiederholt Machtmissbrauch zur persönlichen Bereicherung nachgewiesen. Seine politischen Gegner beschreiben ihn als skrupellos und bereit, alles zu tun, um Macht zu erlangen. Kenia gilt als das Land mit den teuersten Wahlen weltweit. Um eine Chance auf einen Sieg zu haben, muss viel Geld in den Wahlkampf fließen. Selbst unter Berücksichtigung Rutos bescheidener Herkunft hat er einen bescheidenen Lebensstil längst hinter sich gelassen. Nur als Teil eines komplexen Korruptionsnetzwerks gelingt es in Kenia überhaupt, Wahlen zu gewinnen. Ruto kann somit nicht den Wandel repräsentieren, als dessen Vorreiter er sich ausgibt. Dies sind keine guten Voraussetzungen für eine Interessenvertretung des Volkes in einer Präsidialrepublik wie Kenia, in der die exekutive Macht fast vollständig beim Präsidenten liegt.

Entgegen seiner volksnahen Inszenierung bei öffentlichen Auftritten ist Ruto seit langem Teil der politischen Elite Kenias. In den letzten zehn Jahren bekleidete er das Amt des Vizepräsidenten und war bereits als Agrar- und als Bildungsminister tätig. Sein größter Konkurrent zur Wahl im August war der vom bisherigen Präsidenten Uhuru Kenyatta als Nachfolger nominierte Raila Odinga. Odinga, Sohn des ersten Vizepräsidenten Kenias, gilt als Teil der alten Politikerdynastie und steht für Kontinuität und eher sanfte Veränderungen. Gegen ihn konnte sich Ruto im Wahlkampf recht einfach absetzen.

Knappes Ergebnis in der Wahl

Das enge Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden politischen Schwergewichte ging wie prognostiziert nur mit einem knappen Vorsprung für Ruto aus. Nicht nur im Wahlkampf traten etliche Unregelmäßigkeiten auf, vor allem auch während der Stimmauszählung. Erst nach zähem Ringen innerhalb der unabhängigen Wahlkommission gab diese das Ergebnis der Wahl bekannt. 50,49 Prozent der abgegebenen Stimmen wurden letztlich Ruto und seinem Wahlbündnis zugeschrieben. Für Odinga und seine Allianz stimmten 48,85 Prozent. Nach Bekanntgabe der Ergebnisse durch den Vorsitzenden der unabhängigen Wahlkommission erklärten vier der insgesamt sieben Mitglieder, dass sie mit dem Ergebnis der Wahlauszählung nicht einverstanden seien. Sie beschrieben den Prozess der Auszählung als undurchsichtig und sähen sich daher nicht in der Lage, Verantwortung für das Wahlergebnis zu übernehmen. Etliche Gerüchte über Manipulationen bei der Stimmauszählung machten die Runde. Odinga wandte sich an den Obersten Gerichtshof, um das Ergebnis der Wahl anzufechten - jedoch erfolglos.

Herausforderungen für Ruto

Die Ernährungssicherheit Kenias ist nicht mehr gegeben. Etwa vier Millionen Kenianer leiden akut an Hunger und benötigen unmittelbare Unterstützung durch Lebensmittellieferungen. Die Ursachen sind vielfältig. Kenia erlebt gerade eine der schlimmsten Trockenperioden, denn bereits seit vier Jahren bleiben bedingt durch die Klimakrise die üblichen Regenfälle aus. Es kam zu massiven Ernteausfällen. Die Landwirtschaft ist Kenias beschäftigungsintensivster und zweitgrößter Wirtschaftsbereich, nach dem Dienstleitungssektor. Fast 60 Prozent der Bevölkerung generiert ihr Einkommen aus der Landwirtschaft.

Aufgrund von Ernteausfällen durch klimatische Veränderungen und Dürreperioden gerät das Land zunehmend in die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten. Der Erwerb von Lebensmitteln ist aufgrund einer durchschnittlichen Inflationsrate von neun Prozent für viele KenianerInnen jedoch schlicht nicht mehr leistbar. Der vorherige Präsident Kenyatta führte während der heißen Wahlkampfphase kurzzeitig eine staatliche Subventionierung von Lebensmitteln ein. Diese ist jedoch bereits wieder ausgesetzt. Ruto will diese nicht wiedereinsetzen, da er behauptet, dass dies nur ein politischer Anreiz für Odingas Wählerschaft war und das Verfahren von Korruption durchsetzt sei. Die Kassen des kenianischen Staates sind nahezu leer. Kenia ist mit über 70 Milliarden US-Dollar hoch verschuldet. Das entspricht in etwa 70 Prozent des kenianischen Bruttoinlandsproduktes. Ruto hat also wenig finanziellen Handlungsspielraum für sozialpolitische Maßnahmen. Um die dringend notwendige Senkung der Lebenshaltungskosten zu erreichen, setzt er auf die Stärkung der ProduzentInnen. Ganz klar in Abgrenzung zu seinem Vorgänger Kenyatta und dessen Lebensmittelsubventionen versprach Ruto bei seinem Amtsantritt, über einen kurzen Zeitraum eine staatliche Bezuschussung für Düngemittel zu gewähren. Diese Maßnahme wird jedoch sicher nicht ausreichend sein, um kurzfristig den Hunger in Kenia zu beseitigen.

Die Bekämpfung von Korruption würde zu einer deutlichen Verbesserung der allgemeinen Lebenssituation der Bevölkerung beitragen. Derzeit besetzt Kenia Platz 124 von 180 auf dem Korruptionsindex von Transparency International. Das Land ist geprägt von einem tiefgreifenden Netzwerk aus Patronage, Korruption und Klientelstrukturen. Ruto ist Teil dieses Netzwerks und dementsprechend gering ist sein Engagement in diese Richtung. Seine angekündigten Maßnahmen beschränken sich auf die Gewährleistung der politischen Unabhängigkeit der Polizei, um deren Korruptionsbekämpfungsmöglichkeiten zu erleichtern, sowie auf ein Versprechen, der Judikative mehr finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Insbesondere letztere Maßnahme wirkt eher wie die Einlösung eines gegebenen Versprechens an seine UnterstützerInnen während des Wahlkampfes. War es doch der Oberste Gerichtshof, der Rutos Wahlsieg anerkannte und nun finanziell bedacht wird. Darüber hinaus gelingt es Ruto mit diesem Versprechen, auch die zukünftige Loyalität der Judikative zu sichern.

Kenia braucht dringende Reformen in der Steuerpolitik, im Bereich Gesundheitspolitik, im Bildungsbereich, sowie innerhalb des öffentlichen Beschäftigungssektors. In Rutos Antrittsrede hörte man dazu wohlklingende Allgemeinplätze und wenig Konkretes. Die Einrichtung einer Task Force, die Erfahrungsberichte aus dem Bildungssektor zusammentragen soll, um daraus Maßnahmen abzuleiten, klingt aus dem Mund eines ehemaligen Bildungsministers nicht nach großem Reformwillen. Rutos Antrittsrede endete mit dem Slogan "Hustlers matter". Die Erwartungen der "Hustler" an ihren neu gewählten Präsidenten sind groß. Ob es ihm gelingen wird, die gegebenen Versprechen zur schnellen Schaffung von Arbeitsplätzen und der allgemeinen Verbesserung der Lebensumstände einzulösen, muss Ruto nun in den nächsten Tagen unter Beweis stellen.

Zur Autorin:
Katrin Voß, Diplom-Psychologin, Büroleiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Ostafrika mit Sitz in Dar-es-Salaam (Tansania), davor langjährige Mitarbeiterin im Bereich Internationales der Partei DIE LINKE

Der Schattenblick veröffentlicht den Artikel mit der freundlichen Genehmigung der Autorin und der Redaktion WeltTrends.

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Quelle:
WeltTrends Nr. 193 / November 2022, S. 8-13
Das außenpolitische Journal
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 6. Dezember 2022

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