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AFRIKA/1348: Rassismus in Namibia (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, Juli/August 2015

"Habt ihr eigentlich noch alle Tassen im Schrank?"
Rassismus in Namibia

von Henning Melber


Vorurteile, diskriminierende Sichtweisen und tief sitzende Ressentiments, zu denen auch der Rassismus gehört, verschwinden nicht von selbst - auch dann nicht, wenn sich gesellschaftliche Verhältnisse ändern. Namibia ist da keine Ausnahme. Das rückte am letzten Juni-Wochenende dieses Jahres wieder in das öffentliche Bewusstsein.


Da trat der südafrikanische Sänger und selbst erkorene Märtyrer des Burenvolkes Steve Hofmeyr an der exklusiv weißen Windhoeker Afrikaanse Privatschule auf. Er tingelt daheim durch die Bollwerke des Burentums und trägt die alte Nationalhymne Südafrikas ("Die Stern") mit Pathos vor. Zuletzt hatte er einen Auftritt in der von Buren im nördlichen Kap gegründeten "Republik Orania". Er bezichtigt die Schwarzen, die eigentlichen Architekten der Apartheid gewesen zu sein, und warnt davor, dass sein Volk Opfer eines Genozids würde. Auf die Einladung angesprochen, meinte die Organisatorin der Veranstaltung nur, es würde sich um ein ausschließlich kulturelles Ereignis ohne politische Inhalte handeln.

Am gleichen Wochenende feierten in Swakopmund an die 800 hauptsächlich Deutschsprachige auf dem Maskenball des Küstenkarnevals (Küska) die "Narrenzeit". Unter den "Jecken" tummelten sich auch Jugendliche drapiert in Gewänder des Ku-Klux-Klan sowie als Arbeiter in Overalls mit "blackfacing", also auf schwarz geschminkten Gesichtern. Weder bei der Kostümierung daheim, noch beim Einlass in den Saal und offensichtlich auch nicht während des Abends schien dies Anstoß zu erregen. Im Gegenteil: Beide Gruppen posierten für Fotos, die in der Montagsausgabe der "Allgemeine Zeitung" (AZ) auf einer Bildseite veröffentlicht und mit wohlwollenden Kommentaren versehen wurden.


Rassistische Auftritte

Das als KKK-Mörderbande abgelichtete Trio wurde als "einfallsreiches Kostüm, das wenig Beschreibung benötigt", kommentiert - zwei Wochen nach dem von Rassenhass motivierten Massaker in der Kirche von Charleston durch einen US-amerikanischen Fanatiker, der sich zuvor als Bewunderer der früheren weißen Minderheitsregime im südlichen Afrika geoutet hatte. Dass der KKK mit Lynchjustiz Schwarze mordete, schien für die namibische Berichterstattung ebenso wenig von Bedeutung.

Die drei als schwarze Arbeiter einer örtlichen Salzgewinnungsfirma Abgelichteten hatten sich laut Bildunterschrift in der AZ "mit dem Make-up viel Mühe gegeben". - Zur Erinnerung: "Blackfacing" findet als rassistische Verunglimpfung internationale Verurteilung und sorgte unlängst in den Niederlanden für Kontroversen. In Pretoria hatten vergangenes Jahr zwei als schwarze Hausangestellte kostümierte Studentinnen der Universität während einer Party im Studentenwohnheim mittels Facebook ihr Konterfei verbreiten lassen. Statt aus der Uni zu fliegen, kamen sie mit der Ausweisung aus dem Wohnheim davon. Und das auch erst, nachdem es landesweit erregte Diskussionen gegeben hatte.

In beiden Fällen übersteigt das auf dem Swakopmunder Maskenball Geschehene die Vorstellung, dass dies als "Narretei" goutiert werden könnte. Wer nun meinte, was in der AZ erscheint, wird ohnehin nur von einem Bruchteil der deutschsprachigen Minderheit registriert (und dem deutschtümelnden, ewiggestrigen Fan-Club andernorts, der sich dank Internet rege an den reaktionären Diskursen auf den Leserbriefseiten beteiligt), sah sich allerdings enttäuscht. Ein Sturm der Empörung und eine Unterschriftenkampagne auf Facebook zeigten, dass diese Entgleisungen sehr wohl unter Anders sprachigen Wirkung hatten.


Offizielle Reaktionen

Am 30. Juni reagierte das Ministerium für Information und Kommunikationstechnologie auf die "schockierenden" Bilder. Es bekräftigte, dass die namibische Verfassung allen Bürgern das Recht auf Rede- und Meinungs-, Gedanken- und Glaubensfreiheit gewähre, doch "die Regierung wird keine verachtenden und herabsetzenden Aktivitäten im Lande dulden." Sollte diese Warnung nicht beherzigt werden, "würde dies die Regierung dazu zwingen, Veranstaltungen solcher Art ein Ende zu setzen, da sie die Einheit, den Aufbau der Nation und die Stabilität aller in Namibia lebenden Menschen gefährden."

Wie das Ministerium weiter betonte, stellt Artikel 23(1) der Verfassung rassistische Diskriminierung unter Strafe. Auch sei das Recht auf Redefreiheit mit Verantwortung auszuüben. So weist Artikel 21(2) der Verfassung ausdrücklich darauf hin, dass es die in einer Demokratie notwendigen vernünftigen Einschränkungen gebe. Diese seien im Interesse nationaler Sicherheit und öffentlicher Ordnung sowie von Anstand und Moral erforderlich. Der Staat beließ es bei dieser Mahnung, solche Praktiken künftig zu unterlassen.


Selbstgerechtigkeit

Angesichts der massiven Reaktionen sahen sich das Verlagshaus sowie die Zeitung zu einer offiziellen Entschuldigung genötigt und löschten die Fotos im Netz. Auch der Swakopmunder Karnevalsverein sowie die Jugendlichen entschuldigten sich öffentlich. Doch die weitere Diskussion zeigte: ein Unrechtbewusstsein war keinesfalls allgemein vorhanden. Zwar ließen einige Angehörige der deutschsprachigen Minderheit durch Leserbriefe insbesondere in der AZ und dem "Namibian" keinen Zweifel daran, dass sie sich von solchen Entgleisungen distanzierten und diese als Bärendienst an einer Versöhnung im Lande empfanden.

Doch meldeten sich auch diejenigen, die meinten, man solle die Kirche im Dorf lassen, und dies wäre wirklich kein Grund zur Aufregung. Sie fühlten sich als neuerliche Opfer einer "political correctness", die alles viel zu ernst nähme, zugleich aber die Diskriminierungen der Weißen im Lande nicht kritisiere. Die Einsicht, dass mit den Entgleisungen die Wahrnehmung der deutschsprachigen Minderheit im Lande negativ verstärkt wird und diese Gruppe damit enormen Schaden erleidet, wurde unter diesen durch Selbstgerechtigkeit und Verharmlosung ersetzt. Vermutlich wurde in der Selbstbezogenheit des "deutschen Daseins" von vielen nicht einmal registriert, wie in den anderen Medien die Emotionen hohe Wellen schlugen. Denjenigen, die sich als Deutschsprachige kritisch zu Wort meldeten, wurde vorgeworfen, sie würden den Schaden nur vergrößern und sich auf Kosten anderer profilieren wollen.


Kritik

Doch öffentliche Reaktionen der Kritiker, mit der sie sichtbar auf Distanz zu den Verfehlungen gingen, mögen als einzig positives Zeichen dafür gelten, dass es innerhalb der Deutschsprachigen auch Menschen mit hinreichendem Bewusstsein gibt, die sich entsprechend aktiv verhalten. Im Gegensatz zur "schweigenden Mehrheit" bezogen sie Stellung und dokumentierten damit zugleich: Es ist keine homogene Bevölkerungsgruppe, die da ihr Unwesen treibt. Sie korrigierten dadurch den in seiner Allgemeinheit irreführenden Anschein, die Deutschsprachigen würden weiterhin als "Südwester" allesamt im Gestern leben und sich um die Gefühle der Mehrheit - zumal vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte und Apartheid - keinen Deut scheren.

"Es sieht leider so aus, als hätten die Deutschen in Namibia beschlossen, wohlig unwissend zu bleiben, was unsere historische Rolle ... betrifft. Kann es sein, dass wir 25 Jahre nach der Unabhängigkeit noch nicht im Ansatz versucht haben, die Gesellschaft, in der wir leben, zu verstehen?" fragte einer der Jüngeren. Die Leiterin der namibisch-deutschen Stiftung für kulturelle Zusammenarbeit und des Goethe-Instituts reagierte mit "Wut und Trauer" und endete mit der Feststellung: "Es schockiert mich, dass die AZ derart offenkundig rassistische Auswüchse unkritisch verbreitet und sich nicht laut dagegen stellt!" Die Dozentinnen der Sektion Deutsch der Universität Namibia nahmen "die rassistische Berichterstattung ebenso mit Entsetzen zur Kenntnis ... wie die Tatsache, dass bislang keinerlei personelle Konsequenzen aus diesem Vorfall gezogen wurden." Sie wiesen ferner darauf hin, "dass ein derartiger Vorfall nicht dazu beiträgt, Deutsch als Studienfach für namibische Studierende attraktiver zu machen."

Einer unter den Kritikern einer neuen Generation brachte es vielleicht am besten gegenüber der eigenen Bevölkerungsgruppe auf den Punkt: "So, super gemacht! Mit Eurem Foto von den idiotischen Swakopmunder Karnevalsdeppen habt ihr einen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet, dass das Verhältnis zu Deutschen und Weißen im Allgemeinen in Namibia nachhaltig gestört ist. Habt ihr eigentlich noch alle Tassen im Schrank?" Nachhaltig gestört scheint ein solches Verhältnis leider schon dadurch zu sein, dass sich solche Vorfälle auch noch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der weißen Minderheitsherrschaft ereignen. Die nachkolonialen Mühen der alltäglichen Ebene in dem seit einer Generation unabhängigen Namibia zeigen deutlich die Grenzen der Befreiung - auch hinsichtlich der Mentalitätsstrukturen unter Teilen der weißen Minderheit.


Der Autor ist Senior Advisor der Dag-Hammarskjöld-Stiftung und Professor an den Universitäten Bloemfontein und Pretoria. Aktuelle Buchpublikation: Namibia, Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit (2014).

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 4, Juli/August 2015, S. 10 - 11
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2015

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