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AFRIKA/1346: Tunesien - Militär baut Wassergraben an der Grenze zu Libyen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. September 2015

Tunesien: Militär baut Wassergraben an der Grenze zu Libyen


TUNIS (IPS) - Im Mittelalter dienten Wassergräben der Verteidigung von Burganlagen. Der fast 170 Kilometer lange Kanal, der derzeit an der 520 Kilometer langen tunesisch-libyschen Grenze entsteht, soll gleich ein ganzes Land schützen.

Von Seiten der tunesischen Regierung heißt es, der Graben diene dazu, die Dschihadisten auf libyscher Seite außer Landes zu halten. Doch kritischen Stimmen zufolge könnte er aber durchaus als Bollwerk gegen die Invasion von Flüchtlingen gedacht sein, die vor Armut und Gewalt aus und über Libyen fliehen.

Den Plänen zufolge wird der Graben mit Dünen verstärkt und dann mit Meerwasser gefüllt. In Ras Ajdir, einem Wüstendorf an der Mittelmeerküste in der Nähe der libyschen Grenze, geht es ungewohnt umtriebig zu. Bagger sind dort seit Wochen im Einsatz. Journalisten, die die Baustelle besuchen wollten, wurde der Zutritt mit der Begründung untersagt, das Gebiet sei eine militärische Sperrzone.

"Die Mauer zwischen West- und Ostdeutschland ist gefallen, doch bei uns zieht man wieder eine hoch", kritisierte Salim Grira Mzioui, ein Ratsherr des libyschen Dorfes Wazen unlängst gegenüber der französischen Zeitung 'Le Monde'. "Das stellt uns vor schier unlösbare Probleme. So gibt es Bauern, die dies- und jenseits der Grenze ihr Land bestellen. Außerdem durchstreifen Kamelherden das Grenzgebiet."


Ende der traditionellen Mobilität

Die Sperranlage wird auch der traditionellen Mobilität in dem Grenzgebiet ein Ende setzen. Bisher hatten die dort lebenden Völker die künstlich geschaffene Grenze zwischen beiden Ländern erfolgreich ignoriert. "Das wird die Menschen auseinander reißen", empörte sich Adel Arjoun, ein Hotelier aus dem südosttunesischen Medenine.

Laut Regierung hatten die beiden Terroranschläge auf Touristen den Ausschlag für die Entscheidung gegeben, den Graben zu ziehen. Im Juni hatte ein Attentäter, der angeblich ein libysches Trainingslager durchlaufen hatte, am Strand nahe Sousse 38 Urlauber erschossen. Zwei Monate zuvor hatten zwei Terroristen 21 ausländische Besucher des Nationalmuseums in der Hauptstadt Tunis getötet.

Doch angesichts der geringen Zahl der in Tunesien begangenen Anschläge regt sich bei manchem der Verdacht, dass sich Tunesien mit dem Anti-Flüchtlings-Fieber anderer Staaten angesteckt haben könnte. Libyen lehnt die Maßnahme ab und spricht von einer "einseitigen Entscheidung".

Der tunesische Wassergraben ist nur eine von vielen Maßnahmen, mit denen Staaten die Invasion der Massen stoppen wollen. Ungarn, Bulgarien und Griechenland wollen Grenzzäune aufstellen, die Ukraine hat vor, ihre fast 2.000 Kilometer lange Grenze zu Russland zu schließen, und Estland ist bereits dabei, sich mit einer mehr als 100 Kilometer langen Mauer gegen Russland abzuschotten.

Doch solche Maßnahmen können die Menschen, die vor Krieg, Terror und Armut fliehen, nicht aufhalten und sie riskieren auch weiterhin ihr Leben. Im letzten Monat gingen mehr als 500 Flüchtlinge, die von Libyen aus übers Meer in Richtung Europa unterwegs waren, über Bord, nachdem ihre Boote gekentert waren. (Ende/IPS/kb/18.09.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/09/tunisia-digs-a-100-mile-moat-to-keep-refugees-at-bay/

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IPS-Tagesdienst vom 18. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2015

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