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AFRIKA/1333: Südafrika - "Aus der Distanz schwer möglich" (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2015

"Aus der Distanz schwer möglich"

von Jakob Krameritsch


BASF, LONMIN UND DAS MARIKANA-MASSAKER. Südafrikas Platinarbeiter leben unter menschenunwürdigen Bedingungen. BASF, international größter Abnehmer dieses wertvollsten Metalls, versteckt sich hinter Oden an seine Lieferkettenverantwortung.


Wird es konkret, weist der Chemiekonzern die Verantwortung von sich. So geschehen im Fall von Lonmin, jenem Bergbauunternehmen, bei dem am 16. August 2012 34 Minenarbeiter, die für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen streikten, von der südafrikanischen Polizei erschossen wurden. Fast drei Jahre nach dem Massaker in Marikana ist niemand dafür zur Rechenschaft gezogen worden. Der südafrikanische Präsident Jacob Zuma hält den Schlussbericht der Untersuchungskommission zurück. BASF, Hauptkunde von Lonmin, schwieg sich aus - bis Jo Seoka, Bischof von Pretoria und Hauptrepräsentant der Minenarbeiter von Lonmin, BASF bei der Aktionärsversammlung Ende April 2015 in Mannheim dazu aufforderte, seine eigenen Versprechungen zur Lieferkettenverantwortung beim Wort zu nehmen. Der Dachverband der kritischen Aktionäre hatte Bischof Seoka für die BASF-Hauptversammlung Stimmrechte übertragen. Seoka, Vorsitzender der südafrikanischen Bench Marks Foundation, die transnationale Unternehmungen monitort, trat für mehr Verteilungsgerechtigkeit ein. Der weltweit größte Chemiekonzern reagierte defensiv, er könne die Situation "aus der Distanz" nur schwer beurteilen, hieß es. Die Probleme seien "zuerst im eigenen Land zu lösen".


Luft holen

Zu den Hintergründen: Was in der Produktion von Autokatalysatoren in Deutschland oder den USA endet, beginnt in Südafrikas Minen. Dort lagern rund 80 Prozent des weltweiten Platinvorkommens; sie sind notwendiger Bestandteil von Katalysatoren. Als Hauptkunde von Lonmin kauft BASF jährlich rund 450 Millionen Euro Platin und verwandte Edelmetalle für die Katalysatorenproduktion ein. BASF macht Deutschland zum zweitgrößten Platinimporteur - gleich nach den USA, wo der Konzern ebenfalls Katalysatoren produziert.

BASF ist Gründungsmitglied des UN Global Compact und gibt sich als internationaler Vorreiter in Sachen Lieferkettenverantwortung und in der Definition von Nachhaltigkeitsstandards, die "über gesetzliche Verpflichtungen hinausreichen". Das Unternehmen verspricht, Grundsätze "für ein verantwortliches Handeln", z.B. Menschenrechte, Arbeitsnormen, soziale Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit, auch von seinen Lieferanten einzufordern. Regelmäßig, so ist zu lesen, werden die Standorte von Rohstofflieferanten auf ihre Nachhaltigkeit kontrolliert. Und weiter: "Stellen wir Verbesserungsbedarf fest, unterstützen wir unsere Lieferanten bei der Erarbeitung von Maßnahmen, um unsere Standards zu erfüllen."

Einerseits hilft Platin in Autokatalysatoren, die Luftqualität zu verbessern. Die andere Seite heißt Silikose: eine spezifische Lungenerkrankung, an der jährlich hunderte Minenarbeiter in Südafrika sterben. Die künstliche Luft unter Tage ist mit Partikeln durchsetzt, die tief in die Lunge eindringen, zu chronischen Entzündungen führen und die Lunge schrumpfen und verhärten lassen. Eine so geschädigte Lunge ist Nährboden für weitere Erkrankungen wie Lungenkrebs und Tuberkulose. Außerhalb der Mine wiederum verpesten die Fabriken der Minenbetreiber die Luft; die zugelassenen (Schwefel-)Dioxid-Emissionswerte werden regelmäßig überschritten, dazu kommt permanente Feinstaubbelastung.

Die schlecht entlohnten Arbeiter und ihre Familien leben unter unmenschlichen Bedingungen: in Wellblechhütten-Slums, wie Nkaneng, einer informellen Siedlung nahe Marikana, ohne Strom und Wasser, ohne Kanalisation. Vor allem in der Regenzeit steigen Gestank und Infektionskrankheiten. Ein Minenarbeiter muss durchschnittlich acht Familienmitglieder von seinem Einkommen ernähren, vor Ort und meist auch im Herkunftsgebiet, dem infrastrukturell schwachen Südosten des Landes.


Profite steigern

Für eine Verbesserung dieser Arbeits- und Lebensbedingungen traten Minenarbeiter im August 2012 in den Streik, den die Polizei mit Waffengewalt niederschlug. Das Massaker an 34 Streikenden in Marikana ist das größte seit jenem von Sharpeville 1960; die live übertragenen Bilder von Leichen und schwer verletzten Minenarbeitern verdeutlichten schockartig, wie brüchig die Postapartheid-Ordnung ist, die 1994 so hoffnungsvoll begann.

Die Gründe und Ursachen des Massakers sind komplex und vielschichtig. Auf struktureller Ebene reichen sie bis in die Kolonialzeit und die Apartheid zurück. Auf ökonomischer Ebene profitieren transnationale Unternehmen weiterhin vom geringen südafrikanischen Lohnniveau, das im Apartheidsystem installiert wurde und sich als persistent erweist. Der Rohstoffreichtum kommt weiterhin nicht oder nur im geringen Maße der Bevölkerung vor Ort zu Gute, die Profite landen größtenteils außer Landes, auf den Firmenkonten transnationaler Unternehmen und deren Aktionären. Seit dem Massaker 2012 sind mehr als vierzig Streikende und Protestierende von der Polizei erschossen worden. Es war also keine einmalige, "tragische Panne", sondern steht für eine Krise des Postapartheid-Systems, an dessen neoliberaler Architektur transnationale Unternehmen mitgearbeitet haben und von dem sie weiter profitieren.


Leere Versprechungen

Diese strukturell-historischen Ebenen wurden von der im September 2012 vom Präsidenten eingesetzten Marikana-Untersuchungskommission nicht behandelt, sehr wohl jedoch die unmittelbare Verantwortung für das Massaker. Nach über zwei Jahren wurde Ende März 2015 der Endbericht dem Präsidenten vorgelegt. Dieser hält ihn noch unter Verschluss, der Druck jedoch steigt, ihn umgehend zu veröffentlichen. Die Verhandlungen und Zeugenvernehmungen waren aber live zu sehen und die Berichte der in der Kommission vertretenen Parteien sind schon längst öffentlich. So auch der knapp 700seitige Abschlussbericht des Leiters der Beweisaufnahme, also der neutralen Partei in der Kommission. Er stellt der hoch militarisierten und politisierten Polizei ein vernichtendes Zeugnis aus, lässt aber auch nicht den geringsten Zweifel daran, dass Lonmin am Massaker Mitverantwortung trägt.

Der weltweit drittgrößte Platinminenbetreiber wird darin beschuldigt, seine gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber der Arbeiterschaft und der lokalen Gemeinde wiederholt übergangen und gebrochen zu haben. 2006 wurde der Bau von 5.500 neuen Häusern bis 2011 versprochen, gebaut wurden jedoch bis dahin nicht mehr als drei - für seine mehr als 28.000 Arbeiter! Anstatt mit den Streikenden im August 2012 zu kommunizieren, unterstützte das Unternehmen logistisch wie infrastrukturell einen hoch militarisierten Polizeieinsatz, der schlussendlich - bewiesenermaßen absehbar für Lonmin - zu den Morden am 16. August 2012 geführt hat. Zudem sind Angestellte des Lonmin-Sicherheitsdienstes für erste Gewalteskalationen und Schüsse auf Streikende verantwortlich, die von den Leitern der Beweisaufnahme als ungerechtfertigt und überzogen eingestuft wurden. All diese Vergehen brechen mit Grundsätzen der BASF-Unternehmensführung, dennoch bezog diese keine Stellung zum Marikana-Massaker.


Jo Seoka fordert Verantwortung

Das änderte sich erst kürzlich, als der Anglikanische Bischof von Pretoria, Jo Seoka, bei der BASF-Aktionärsversammlung Ende April 2015 eine klare Positionierung von BASF verlangte: Um seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, sollte BASF seine Verantwortung als Hauptabnehmer von Lonmin beim Wort nehmen und Letzteren finanziell bei Reparationszahlungen an die Verletzten und die Familien der Getöteten unterstützen sowie sich an nachhaltigen Verbesserungen der Infrastruktur vor Ort beteiligen.

Bischof Seoka forderte die Einrichtung eines Fonds von umgerechnet 3,4 Millionen Euro und mehr Verteilungsgerechtigkeit. Er weiß, dass nicht der Preis für Platin der deutschen Rohstoffpolitik Kopfzerbrechen bereitet, sondern fehlende Planungssicherheit, etwa durch Streiks. In dieser Logik forderte er BASF auf, selbst zur Planungssicherheit beizutragen und mit 10 Prozent der Kosten, für die sie Platin bei Lonmin einkaufen, eine "Planungssicherheits-Abgabe" einzurichten, die gezielt den Arbeitern vor Ort zugute kommt. Damit brachte Seoka BASF in Verlegenheit. Er forderte nämlich konkrete Taten angesichts konkreter Missstände.


BASF weicht den Forderungen aus

Seokas Rede sorgte bei der Aktionärsversammlung (nachzulesen unter basflonmin.wordpress.com) für Aufregung. Zum einen war es den Aktionären nicht bekannt, dass BASF mit Lonmin und damit auch mit dem Massaker von Marikana in Verbindung steht. Bei BASF ist über diese Verbindung nichts zu finden, auch Lonmin spricht meist nur verklausuliert von einem "principal customer". In der Tat fordert kein Gesetz Firmen dazu auf, ihre Lieferanten zu nennen und ihre Liefer- und Verwertungsketten transparent machen. Dementsprechend schwierig bis unmöglich sind Kontrollen. Zum anderen waren viele Aktionäre entsetzt über die Reaktion des BASF-Vorstandsvorsitzenden Kurt Bock auf Seokas Fragen und Forderungen. Bock zeigte sich zwar "bestürzt über die Vorgänge in Südafrika" am 16. August 2012. Aus der Distanz sei es für die BASF aber schwer, sich ein eigenes Urteil zu bilden, meinte er. Zur Zeit könne sein Unternehmen nichts tun, da der Bericht der Marikana-Untersuchungskommission bei Präsident Zuma liege und noch nicht veröffentlicht sei; die Probleme seien "zuerst im eigenen Land zu lösen". Deshalb könne BASF auch keinen Beitrag zum geforderten Entschädigungsfonds leisten, so Bock.

Mehrere Aktionärinnen und Aktionäre bezogen sich daraufhin in ihren eigenen Reden auf die Forderungen von Bischof Seoka und die Reaktion von BASF. "Wir leben im 21. Jahrhundert und nicht im kolonialen 19. Jahrhundert. Es ist unglaublich, dass weiterhin Menschen, die das wertvollste Metall der Welt ausgraben, das BASF zu Katalysatoren weiterverarbeitet, unter inhumanen Bedingungen leben und arbeiten. Diese Zustände sind übrigens seit Jahren gut dokumentiert und haben sich nun durch die Ergebnisse der Untersuchungskommission bloß erhärtet. Es ist beschämend, dass die BASF bisher nichts getan hat, um Verantwortung zu übernehmen", so eine Aktionärin.

Erstaunlich ist ein Widerspruch in der Reaktion von BASF. Der Konzern präsentiert sich im Jahr seines 150jährigen Firmenjubiläums als ein modernes, weltweit gewandt und flexibel agierendes Unternehmen. Für den global vernetzten Konzern gilt Multilingualität und "interkulturelle Kompetenz" als Selbstverständlichkeit. Wird jedoch konkret "verantwortliches Handeln" eingefordert, verweist BASF auf "Distanz". Bischof Seoka kritisierte: "Bock sagte, BASF stehe mit Lonmin seit Jahren in einem vertrauensvollen, engen Verhältnis. Er sagt, BASF hat von der schwierigen Situation in Marikana gewusst. Wie kommt es dann, dass er sich kein klares Urteil bilden kann?"

Es ist in der Tat anzunehmen, dass ein Betrieb, der jährlich für eine halbe Milliarde Euro Rohstoffe einkauft, genau über die Zustände vor Ort Bescheid weiß. In seiner schriftlichen Antwort beteuert BASF, "jedes Interesse daran zu haben, dass unsere Lieferanten die international üblichen Standards für ein verantwortliches Handeln einhalten." Und wie agieren, wenn sie es erwiesenermaßen nicht tun? Im konkreten Fall: Sich als einflussreicher Akteur aus dem Spiel nehmen, sich als handlungsunfähig geben, eine bloß provinzielle Reichweite behaupten und Verantwortung auf weit entfernte, undurchsichtige Strukturen schieben, die man nicht beeinflussen könne. Mit gutem Gewissen sollte ein "global player" im 21. Jahrhundert damit nicht schlafen können.

Der Autor ist Historiker an der Akademie der bildenden Künste in Wien und Herausgeber der Feldstudie "Das Massaker von Marikana. Widerstand und Unterdrückung von Arbeiter_innen in Südafrika". In engem Austausch mit der Marikana Support Campaign arbeitet er derzeit mit der Filmemacherin Maren Grimm an einem Projekt zu Verwertungsketten von Platin.

Weblinks:

Website zu Jo Seokas Intervention bei BASF:
basflonmin.wordpress.com

Bench Marks Foundation:
www.bench-marks.org.za

Weitere Informationen

Dachverband der Kritischen Aktionäre:
www.kritischeaktionaere.de

Kirchliche Arbeitstelle Südafrika, KASA, die gemeinsam mit den Kritischen Aktionären Seoka nach Deutschland eingeladen hat:
kasa.woek.de

Preisgekrönter Dokumentarfilm über das Massaker von Marikana aus der Sicht der Arbeiter:
www.minersshotdown.co.za

BASF zum Thema Nachhaltigkeit:
www.basf.com/de/company/sustainability/employees-and-society/human-rights.html

Schriftliche Antwort von BASF auf Seokas Forderungen:
business-humanrights.org/en/basf

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2015, S. 8-10
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2015

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