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AFRIKA/1257: Côte d'Ivoire - Mal Fluch, mal Segen, Milizionäre im ehemaligen Niemandsland (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Dezember 2013

Côte d'Ivoire: Mal Fluch, mal Segen - Milizionäre im ehemaligen Niemandsland

von Marc-André Boisvert


Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Dozo sind Mitglieder einer traditionellen Bruderschaft aus Jägern, die in vielen westafrikanischen Ländern zu finden sind
Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Duékoué, Côte d'Ivoire, 27. Dezember (IPS) - In Côte d'Ivoire wird eine Bruderschaft aus traditionellen Jägern beschuldigt, die lokale Bevölkerung zu terrorisieren und Schutzgeld zu erpressen. Doch in zahlreichen Regionen sind die 'Dozo' die einzigen, die für Ruhe und Ordnung sorgen.

Marie Doh betrachtet eingehend eine Gruppe traditionell gekleideter junger Männer, die an einem Kontrollposten stehen. "In den viel zu weiten Klamotten sehen sie irgendwie lustig aus", sagt sie. Doch zum Lachen ist ihr nicht zumute. Dafür sorgen schon die Gewehre, die die Milizionäre mit sich führen.

"Sie sind angeblich hier, uns zu schützen", raunt sie. "Doch in Wirklichkeit haben sie es auf unser Geld abgesehen." Doh hat nach eigenen Angaben zwar keine Angst vor den Dozo, lässt es sich aber auch nicht nehmen, ihnen für alle Fälle hin und wieder 100 CFA-Franc (rund 20 US-Cent) zuzustecken.

Für die Dozo, die in etlichen westafrikanischen Ländern anzutreffen sind, spielt die ethnische und religiöse Zugehörigkeit bei der Rekrutierung keine Rolle. Die meisten von ihnen sind Malinke und Muslime.


UN-Vorwürfe

Wie aus einem kürzlich von der UN-Mission in Côte d'Ivoire (ONUCI) veröffentlichten Bericht hervorgeht, haben Dozo in verschiedenen Teilen Côte d'Ivoires zwischen März 2009 und Mai 2013 mindestens 228 Menschen getötet, 164 verletzt und 162 illegal festgenommen. Darüber hinaus wurden 274 Fälle von Plünderungen, Brandschatzungen und Lösegelderpressungen bestätigt.

In Duékoué, einer Stadt im gleichnamigen südwestlichen Departement, sitzen zwölf Dozo in einem unfertigen Gebäude zu Gericht. Sie sind in Zivil gekleidet. "Diese Aufgabe haben wir uns nicht ausgesucht. Wir handeln aus Pflichtgefühl", meint Dembele Balla, der Dozo-Chief von Duékoué. "Ich bin seit meiner Kindheit ein Dozo", erzählt er. "Die Aufnahme in die Bruderschaft erfolgt nach traditioneller Art und Weise." Dozo werden einem Initiationsritus unterzogen und tragen Amulette, von denen mystische Kräfte ausgehen sollen.

"2002 bekamen wir einen Anruf vom Präfekten", berichtet er. Damals war ein Aufstand unzufriedener Soldaten in einem Bürgerkrieg ausgeartet, durch den das Land in zwei Hälften geteilt wurde. Zwischen 2002 und 2007 war Duékoué Niemandsland, eingeklemmt zwischen den Rebellen der Neuen Kräfte ('Forces Nouvelles') und den Truppen der Regierung im Süden.

Jahrelang herrschte in dem Gebiet Gesetzlosigkeit. Nach der Krise 2010/2011 im Anschluss an die Wahlen nahmen die Dozo informell an Militäroperationen zur Sicherung der Region teil. Dem Chief zufolge leben in der Region Duékoué rund 2.300 Dozo.

Der Sicherheitschef Souleymane Fofana fährt auf seinem kleinen Motorrad in Duékoué Patrouille. "Bevor wir herkamen, wurden die Bauern auf ihren Feldern getötet", berichtet er. Von dem Farmer Yacouba Dosso wird er freundlich gegrüßt. "Wir sind heilfroh, dass wir die Dozo haben. Sie sind die einzigen, die uns schützen", sagt Dosso. "Vor allem während der Kakaoernte sind hier immer viele Gangster unterwegs." Die Region werde nicht von Polizisten und Soldaten gesichert.

Die Dozo haben auf den staubigen Straßen unzählige Kontrollposten errichtet. Zu sehen sind Unterstände und Feuerstellen, auf denen die Wächter ihre Mahlzeiten zubereiten. Örtliche Milizionäre gehen nachts auf Patrouille. "Wir fahren hier nicht mit auffälligen Pickups durch die Gegend", erläutert Fofana. "Wir gehen unauffällig zu Werke, denn wir wollen von den Kriminellen nicht gesehen werden. Wir sind ziemlich effizient", fügt er hinzu.


Ethnische Spannungen

Fofana stellt sein Motorrad vor einem Haus ab - nur wenige Meter vom ehemaligen Nahibly-Flüchtlingslager entfernt. "Hier wurden fünf Menschen von Kriminellen getötet", weiß er.

Am 20. Juli hatten rund 1.000 Menschen, angeführt von Dozo und Mitgliedern der nationalen Armee, das Lager angegriffen. Mindestens 14 Insassen, die meisten waren ethnische Guerze und Anhänger des ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo, kamen ums Leben. Hunderte wurden verletzt.

Die Dozo sind keine neutralen Selbstverteidigungskräfte in dieser von ethnischen Spannungen heimgesuchten Region. Der ivorische Kakaosektor hat viele Menschen aus anderen Teilen des Landes angezogen, zumal der ehemalige Präsident Félix Houphouet Boigny (1960-1993) stets die Meinung vertrat, dass das Land denjenigen gehören sollte, die es bewirtschaften.

In den vergangenen zehn Jahren kam es immer wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen einheimischen Guerze und den Zuwanderern, die in vielen Fällen für das neue Land bezahlt, aber keine Landtitel erhalten hatten. In diesem Zusammenhang werden die Neuankömmlinge häufig von den Dozo vor der Gewalt junger arbeitsloser Guerze geschützt, die ihrerseits Anspruch auf das Land ihrer Vorfahren erheben, und vor Gbagbo-freundlichen Milizen geschützt, die die lokale Bevölkerung terrorisieren.

Doch Fofana betont, dass man sich nicht in die Politik einmische. "Wir schützen die Gemeinden vor Banditen", betont er. "Dass Menschen schikaniert, getötet und verletzt werden, verträgt sich nicht mit der Ethik der Dozo. Ein Dozo tötet nicht. Menschenrechtsverletzungen werden von Personen begangen, die sich als Dozo ausgeben."

Eugène Nindorera leitet die Menschenrechtsabteilung von ONUCI. "Es gibt richtige und falsche Dozo", bestätigt er. "Es gibt Menschen, die sich wie Dozo kleiden und bewaffnet sind, aber die Wertvorstellungen der Dozo nicht teilen." Doch seiner Meinung nach sollten alle Milizionäre demobilisiert und Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich verfolgt werden.

Die Regierung hat zwar Maßnahmen zur Demobilisierung der Dozo und die Einsetzung der regulären Sicherheitskräfte angekündigt. Doch der UN-Vertreter vermisst den politischen Willen, die Pläne umzusetzen. "Die Regierung würde die Dozo gerne entwaffnen, doch verfügt sie nicht über das erforderliche Kontingent an Polizisten und Militärs, die dies bewerkstelligen könnten", erläutert er. Als Polizisten einen Dozo festgenommen hätten, seien wenige Stunden später 40 bewaffnete Dozo aufgetaucht, berichtet Nindorera. "Die derzeitigen Machtverhältnisse müssen verändert werden." (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/12/local-militias-hold-sway-cote-divoire-lawless-duekoue/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2013