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AFRIKA/1142: Südafrika - Neuregelung der Befugnisse der traditionellen Gerichte (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, Juli/August 2012

Respektiert unsere Rechte!

Die Befugnisse der traditionellen Gerichte sollen neu geregelt werden.
Ein vorliegender Gesetzentwurf droht, Südafrikas Frauen vor traditionellen Gerichten weiter unmündig zu halten.

von Pumla Gqola



Bisher werden die Aufgaben und Befugnisse traditioneller Gerichte vom Black Administration Act von 1927 geregelt. Dieses Gesetz aus den Zeiten der Rassentrennung soll nun durch ein neues ersetzt werden, das der jetzigen Verfassung entspricht. Ein erster Entwurf (Traditional Courts Bill) liegt vor.

Das Gesetz wird zwischen 17 und 21 Millionen Menschen in den ländlichen Gebieten Südafrikas betreffen. Wenn der vorliegende Entwurf durchgesetzt wird, hätten diese weniger Rechte als die Menschen, die in urbanen Regionen leben. 59 Prozent von ihnen sind Frauen. Sie werden im Gesetzentwurf eher als Objekte denn als Menschen gesehen.

Die Traditional Courts Bill sieht ein separates Rechtssystem für die Menschen vor, die in traditionellen Gebieten und Verbänden leben. Es erinnert an die Homelands, und das ironischerweise am Vorabend der 100-jährigen Wiederkehr des Land Act von 1913, mit dem Südafrika in weiße und schwarze Gebiete geteilt wurde.


Frauen bei Anhörungen übergangen

Ich möchte auf zwei grundsätzliche Probleme des Beratungsprozesses hinweisen. Der Entwurf wurde ausschließlich zwischen Staat und traditionellen Stammesführern ausgehandelt. Die Einlassungen der Rural Women's Movement wurden übergangen. Sie hatte im Vorfeld Hunderte von Frauen befragt. Sie wies auf die verschiedenen Taktiken hin, mit denen Einwände von Frauen bei traditionellen Anhörungen übergangen werden. In diesem Fall wurde die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung absichtlich nicht über den Gesetzgebungsprozess informiert. Viele ländliche Gemeinschaften reagierten nun empört, als sie mit dem Entwurf konfrontiert wurden.

Diejenigen, die immer die Bewahrung des kulturellen Erbes im Munde führen, müssten eigentlich gegen diesen Entwurf aufstehen. Doch von ihnen werden ausgerechnet die, die gegen den Entwurf opponieren, gerügt, sie seien Feinde afrikanischer Rechtssysteme und Disputierkunst. Der Gesetzesentwurf bestätigt in vielen Fällen die gängige Praxis. Den herrschaftlichen Patriarchen gesteht es z. B. ausdrücklich zu, Mädchen zwecks Heirat zu entführen.

Viele ländliche Gemeinschaften organisieren sich gegen diese patriarchalischen Praktiken, sie leisten Widerstand gegen unbezahlte Arbeitsverpflichtung, lehnen Stammesabgaben ebenso ab wie die fügsame Unterwerfung unter einen Chief, dem das Gesetz absolute Macht einräumen will.

Die Rechtswissenschaftlerin Dr. Simiso Mnisi erinnert daran, dass seit jeher Bräuche, Kultur und Praktiken von der ländlichen Bevölkerung beständig geformt und umgeformt wurden. Sie nennt das gelebte Bräuche. Sie machen es möglich, dass Kultur, Sitten und Gebräuche stetig im Interesse ihrer Träger und Trägerinnen wirken. Die Akademikerin Mamphela Ramphele lehnt die Unterscheidung zwischen indigenen Rechtssystemen, die von dem Gesetzesentwurf geschützt werden sollen, und fremden Rechtssystemen, die sonst im Land herrschen, als falsch ab. Dieses Argument wird häufig von konservativen Kulturalisten ins Feld geführt. Ramphele weist darauf hin, dass Verfassung und Rechtsrahmen von uns selbst geschaffen und nicht von außen importiert wurden. Die Verfassung wurde mit voller Gewissheit über die Brutalität erarbeitet, die Gesetze ermöglichen können. Alle Gesetze stehen im selben Rechtsraum. Die Traditional Courts Bill dagegen will das letzte Wort den Chiefs überlassen.

Es ist ein Rückschlag für die innovativen Anwendungen und Erscheinungsformen von Kultur. Aufgeschlossene Chiefs brauchen ein solches Gesetz nicht, um ihre Stammesführung staatlich absegnen zu lassen, als gewählte oder anders installierte Führungspersonen, die die Legitimität der herrschenden Chiefs herausfordern. Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, werden die Menschen auf dem Lande ihrer freien Selbstbestimmung entzogen. Es verankert eine feudale Ordnung, in der es auf die Menschen nicht ankommt.

Ich bin in einem Landesteil aufgewachsen, der über Nacht zu einem Homeland wurde. Homelands dienten nur den Mächtigen und ihren Speichelleckern. In einer Demokratie sollten alle die gleichen Rechte haben. Die Befürworter dieses "Homeland-Gesetzes" setzen auf unsere Komplizenschaft, darauf, dass wir wegschauen.

Wir können das Gesetz stoppen, wenn wir die Geheimniskrämerei durchbrechen, indem wir es öffentlich anprangern und unsere Regierung zur Rechenschaft ziehen.


Die Autorin lehrt Literaturwissenschaften und Gender-Studien an der Universität Witwatersrand.

Quelle: Pambazuka 584, 9.5.2012

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afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
41. Jahrgang, Nr. 4, Juli/August 2012, S. 12
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
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"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2012