Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/1135: Alter Wein in neuen Schläuchen? - Der ANC überarbeitet sein Parteiprogramm (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Alter Wein in neuen Schläuchen?
Der ANC überarbeitet sein Parteiprogramm

von Axel Schmidt, August 2012



• Die führende Regierungspartei Südafrikas, der African National Congress (ANC) befindet sich seit Langem in einer Glaubwürdigkeitskrise. Ein neues Parteiprogramm, in dessen Mittelpunkt die Transformation der Wirtschaft und die organisatorische Erneuerung des ANC stehen sollten, konnte auf dem Parteitag im Juni 2012 nicht verabschiedet werden. Zu unterschiedlich waren die Interessen innerhalb der Partei.

• Programmatisch bekennt sich der ANC zu einer Art Sozialdemokratie und propagiert die bürgerliche Revolution. Seine Allianzpartner in der Regierung, der Gewerkschaftsdachverband COSATU und die kommunistische Partei Südafrikas SACP, fordern jedoch weiterhin die Abschaffung des bürgerlichen und die Errichtung eines sozialistischen Staates. Dieser dauernde Zielkonflikt innerhalb der Allianz verhindert dringend notwendige Reformen.

• Präsident Jacob Zumas Grundsatzpapier zur »zweiten Transition«, mit dem er sich für die Wiederwahl zum Parteivorsitzenden und somit zum Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen in 2014 positionieren wollte, fand keinen Anklang bei den Delegierten. Diese Niederlage stärkte nun auch innerparteilich seinen Konkurrenten Vizepräsident Kgalema Motlanthe, der in öffentlichen Meinungsumfragen bereits deutlich vor Zuma rangiert.

• Die Wähler verlieren zunehmend ihre Geduld. Hinter der wachsenden Korruption der Führungselite und den eklatanten sozialen Missständen im Land, die immer häufiger zum Auslöser gewalttätiger Demonstrationen werden, verblassen die historischen Verdienste des ANC im Befreiungskampf. Vor allem die erfolgreiche junge schwarze Generation sieht in der Oppositionspartei Democratic Alliance unter der Führung von Helen Zille zunehmend eine wählbare Alternative.


Zur Vorbereitung des 53. Parteitags im Dezember 2012 in Mangaung trafen sich vom 26. bis 29. Juni 2012 in der Nähe von Johannesburg über 3500 Delegierte des African National Congress (ANC) um über ein neues Parteiprogramm zu beraten. Ging es vordergründig darum, sich als die führende politische Kraft Südafrikas für die nächsten Jahrzehnte zu behaupten, so rangelten im Hintergrund der Parteivorsitzende Jacob Zuma und sein Stellvertreter Kgalema Motlanthe um die Startposition für die Neuwahl des Parteivorsitzes im Dezember.

Unter der Fragestellung, ob Südafrika eine zweite Transitionszeit benötige, um die Ziele der »nationalen demokratischen Revolution« zu erreichen - nämlich ein »vereintes, nicht-rassistisches, nicht-sexistisches, demokratisches und wohlhabendes Südafrika« -, legte die Partei ihren Delegierten eine Reihe von Diskussionspapieren vor. In ihnen zog sie selbstkritisch Bilanz ihrer 18 Jahre Regierungszeit. Die verschiedenen Diskussionsvorlagen waren von unterschiedlicher Qualität und verrieten, dass sie von Autoren mit teils diametralen Weltanschauungen geschrieben worden waren. Inhaltlich boten sie wenig Neues, sondern konsolidierten alte Positionen und Empfehlungen früherer Parteitage, die angereichert waren mit Politikentwürfen der Zuma-Regierung seit 2009. Ihre mangelnde analytische Tiefe wurde von politischen Kommentatoren aber auch vom Gewerkschaftsdachverband COSATU, Teilen des ANC und der South African Communist Party (SACP) kritisiert.

Im Zentrum der Debatte standen die Empfehlungen zu einer »Zweiten Transition«, zur »Transformation der Wirtschaft« und zur »organisatorischen Erneuerung« des ANC. Mit ihnen wollte die Parteiführung auf populistische Forderungen ihrer Jugendliga und ihres alliierten Gewerkschaftsdachverbands COSATU reagieren, die in den Vormonaten mit Rufen nach Verstaatlichung der Wirtschaft und der Farmen ohne Entschädigung der Eigentümer die Schlagzeilen beherrscht hatten. Die laut Delegierten logistisch ausgezeichnet vorbereitete Konferenz konnte zum Schluss wegen widersprüchlicher Berichterstattung der verschiedenen Kommissionen keine eindeutigen Empfehlungen abgeben. Der Parteivorstand wird in den nächsten Wochen die mühselige Aufgabe haben, die verschiedenen, zum Teil sich widersprechenden Anträge der Delegierten zu einer kohärenten Entschließung zusammenzufügen. Die Bedeutung der Programmdebatte muss im Kontext der wirtschaftlichen und sozialen Lage Südafrikas und des Zustands des ANC gesehen werden, der sich nach seinen eigenen Worten in einer »Glaubwürdigkeitskrise« befindet.


Erblasten aus der Apartheidszeit

Trotz international anerkannt gutem makroökonomischen Management, reichhaltigen mineralischen Ressourcen, einer relativ gut entwickelten Infrastruktur und einem modernen Finanzwesen ist die südafrikanische Wirtschaft seit 1994 durchschnittlich nur um jährlich 3,3 Prozent gewachsen und hinkt dem Wachstum anderer Schwellenländer hinterher. Das relativ schwache Wirtschaftswachstum und die Regierungspolitik haben es bislang nicht geschafft, die extrem hohe soziale Ungleichheit zu beseitigen, die sich seit 1994 sogar noch verschärft hat. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die südafrikanische Wirtschaft nicht in der Lage ist, genügend Arbeitsplätze zu schaffen, um die Arbeitslosenquote von etwa 25 Prozent (inoffiziell über 40 Prozent) zu reduzieren. Sie ist zum einen übermäßig abhängig vom Export unverarbeiteter Rohstoffe und hohen Kapitalimporten und zum anderen leidet sie an der Dominanz des Minen- und Finanzsektors sowie an einer veralteten, wenig ausdifferenzierten Industrie, die international kaum wettbewerbsfähig ist.

Hauptbetroffen von der Arbeitslosigkeit ist die schwarze Bevölkerungsmehrheit und in ihr vor allem die junge Generation unter 35 Jahren. Zwar hat sich ihr Lebensstandard seit 1994 durch immense staatliche Sozialtransfers leicht verbessert, jedoch kann sich Südafrika die Sozialleistungen im derzeitigen Umfang auf Dauer nicht leisten. 2011 erhielten fast 30 Prozent der Bevölkerung Sozialhilfe, die zum großen Teil vom Einkommen der zehn Prozent formell Beschäftigten und Förderabgaben der Mineneigentümer bezahlt wird. Überdurchschnittliche Wohlstandsgewinne hat seit 1994 vor allem die weiße Bevölkerungsminderheit erzielt. Mit dem Einkommensgefälle unter den Bevölkerungsgruppen korreliert das Bildungsniveau, das unter der schwarzen Bevölkerung überdurchschnittlich niedriger ist als das der verschiedenen Bevölkerungsminderheiten (Weiße, Farbige und Indischstämmige). Die veraltete Industrie und das niedrige Bildungsniveau bedingen eine im Vergleich mit anderen Schwellenländern relativ geringe Arbeitsproduktivität. Laut Berechnungen des südafrikanischen Finanzministeriums braucht Südafrika in den nächsten 20 Jahren ein jährliches Wirtschaftswachstum von sieben Prozent. So viel hat Südafrika in seiner Geschichte noch nie erreicht.


Politische Fehlentscheidungen im demokratischen Aufbruch

Seit seiner Regierungsübernahme 1994 hat sich der ANC redlich bemüht, notwendige Strukturreformen einzuleiten. Wenige Reformen haben jedoch nachhaltige positive Effekte gezeigt, weil sie entweder isoliert konzipiert und nicht mit anderen Sektorpolitiken verzahnt worden waren oder - wenn überhaupt - nur unzureichend umgesetzt wurden. An schnellen Erfolgen interessiert, übersah die Regierung, dass Strukturreformen lange Zeit brauchen, um wirksam zu werden, und ersetzte begonnene Reformen durch neue. Hinzu kam, dass die staatliche Verwaltung immer weniger in der Lage war, sie zu implementieren.

Aus Furcht, dass eine weiße Verwaltung den Regimewechsel sabotieren könne, verhandelte der ANC mit der alten Apartheidsregierung sogenannte Sunset-Klauseln, die den Austausch der bis dato ausschließlich weißen Staatsbediensteten durch schwarzes Personal bis 1999 vorsah. Des Weiteren leitete der ANC in den ersten Regierungsjahren grundlegende Verwaltungsreformen ein, die stark von Gedanken des sogenannten »New Public Management« beeinflusst waren. Dazu gehörten u.a. ein Abbau von Verwaltungsstellen, Verlagerung öffentlicher Dienstleistungen auf den privaten Sektor und Dezentralisierung von Entscheidungen, Management und Kontrolle an untere Verwaltungsebenen. Als im Jahr 2000 die Mehrzahl der weißen Beamten aus dem Dienst ausschied, fehlte es auf allen Ebenen an qualifiziertem schwarzen Personal, um die freiwerdenden Stellen zu besetzen. Viele Posten blieben vakant. Außerdem wurden Schlüsselpositionen in den Verwaltungen mit fachlich inkompetenten Parteikadern besetzt. Infolgedessen konnte der Aufbau einer neuen, effizienten und bürgernahen Verwaltung bis heute nicht umgesetzt werden.

Im Ergebnis sind große Teile der südafrikanischen Verwaltung auf Landes-, Provinz- und Kommunalebene derzeit so dysfunktional, dass der südafrikanische Rechnungshof im Januar 2012 seine große Sorge über die zunehmende Korruption und die Missachtung von Verwaltungsvorschriften in Ministerien zum Ausdruck brachte. Dies betrifft vor allem die für öffentliche Dienstleistungen zuständigen Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Wohnungsbau und Infrastruktur.


Schwindender Rückhalt des ANC in der Bevölkerung

Im allgemeinen Enthusiasmus über das Ende der Apartheid und den demokratischen Aufbruch gelang es dem ANC, sich einer breiten Sympathie in der Gesellschaft zu versichern, die 2004 in einem Wahlergebnis von 69,7 Prozent der wahlberechtigten Bürger kulminierte. Seitdem sackt der ANC von Wahl zu Wahl ab und erreichte bei den Kommunalwahlen 2011 nur noch 61,9 Prozent. Für diesen Trend sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Der ANC verliert seit 2004 in urbanen Zentren an Einfluss in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Das Jahr 2004 koinzidiert mit den ersten sogenannten »Service Delivery Protests« im Land, bei denen Einwohner in Townships und Slums zum ersten Mal seit Apartheidszeiten auf die Straße gingen, um gewalttätig auf mangelhafte Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen wie Strom, Wasser und Wohnungen oder auf amtliche Korruption aufmerksam zu machen.

Dieses Phänomen verstetigte und breitete sich in den Folgejahren zunehmend landesweit aus. Die Gründe dafür sind jedoch nicht nur amtliches Versagen, sondern auch in vielen Fällen fehlende Kommunikation zwischen Mandatsträgern des ANC und ihren Wahlkreisen sowie Machtkämpfe lokaler Cliquen darum, politischen Einfluss auf kommunale Ressourcen zu gewinnen. Trotz aller Affinität zum ANC drückten Wähler aus den Unterschichten ihre Enttäuschung über die Partei durch zunehmende Wahlenthaltung aus. Die dramatische Abwahl des Parteivorsitzenden Thabo Mbeki 2007 und politische Säuberungen im ANC im Zuge von Jacob Zumas Aufstieg zum Parteivorsitzenden verprellten Teile der alten Parteigarde und große Teile der Wähler im Eastern Cape, der Heimatregion Thabo Mbekis. Sie wählten 2009 die aus dem ANC abgespaltene Partei COPE zusammen mit Teilen der städtischen schwarzen Mittelschicht, die in COPE eine politische Alternative zum ANC sahen. Zunehmende Verbalattacken aus ANC-Reihen auf die Minderheiten 2010 und 2011 entfremdeten diese Gruppen vom ANC. Ein weiterer Faktor für den abnehmenden Rückhalt des ANC in der Bevölkerung ist, dass die junge Generation zwischen 18 und 30 Jahren sich kaum an die Apartheidszeit erinnert. Sie betrachtet den ANC kritischer als ihre Eltern und misst die Partei weniger an ihren historischen als vielmehr an ihren gegenwärtigen Leistungen. Von diesen Entwicklungen konnte die oppositionelle Democratic Alliance (DA) profitieren, die von 2004 bis 2011 ihren Stimmenanteil auf 23,9 Prozent fast verdoppelte. 2011 gelang es ihr, als Partei der weißen Minderheit nicht nur aus ihrer regionalen Bastion im Western Cape auszubrechen, sondern auch erhebliche Stimmen aus den farbigen und schwarzen Bevölkerungsgruppen hinzuzugewinnen.

Auch wenn sich dieser für den ANC negative Trend fortsetzen sollte, wird er mittelfristig weiterhin eine solide Mehrheit hinter sich haben. Parteiintern hat man jedoch Angst davor, unter die 60 Prozent-Marke abzusacken, da dies das Selbstverständnis als die hegemoniale politische Kraft in Südafrika infrage stellen könnte.


Braucht Südafrika eine zweite Transition?

Unter dieser Fragestellung argumentiert das Grundsatzpapier, dass der ANC in den letzten 18 Jahren eine erste Transition durchlaufen habe, die zur Demokratie und politischen Emanzipation der Bevölkerung geführt habe. Eine zweite Transition sei nun nötig, um in den nächsten 30 bis 50 Jahren die soziale und wirtschaftliche Transformation Südafrikas zu erreichen. Um an die politische Macht zu kommen, hätte der ANC 1994 in seiner Wirtschaftspolitik Zugeständnisse an das »weiße« Kapital machen müssen, z.B. freie Marktwirtschaft, freier Kapitalverkehr, Priorität für makroökonomische Stabilität und Öffnung des südafrikanischen Markts für den Welthandel. Im Gegenzug hätte der ANC eine Öffnung des »weißen« Kapitals für »schwarze« Anteilseigner erhalten. Die politischen Kräfteverhältnisse hätten sich nun zugunsten des ANC gewandelt und in einer zweiten Transition wolle er nun »wirtschaftliche Freiheit zu Lebenszeit« für die schwarze Mehrheitsbevölkerung erreichen. Dazu müsse Südafrika in einen Entwicklungsstaat umgebaut werden, der durch staatliche Eingriffe in Wirtschaftsabläufe und Beteiligung an der Wirtschaft die derzeitige »freie« Marktwirtschaft in eine »gemischte« Wirtschaft umwandelt. Antriebskräfte für die sozioökonomische Transformation und deren Nutznießer seien die schwarze Arbeiterklasse, die Armen auf dem Land und die schwarze Mittelschicht. Um die Antriebskräfte in Schwung zu bringen, müsse der ANC sich durch organisatorische Erneuerung von einer Widerstandsbewegung in eine »transformative Bewegung und effektive Regierungspartei« verwandeln.

Das Grundsatzpapier wurde in seiner eingereichten Form von der überwiegenden Mehrzahl der Delegierten abgelehnt, weil zum einen der Tonfall zu sozialistisch sei und zum anderen die Freiheitscharta des ANC von 1955 eine umfassende Umwandlung Südafrikas vorsehe, die die politische von der sozioökonomischen Transformation nicht künstlich trenne. Unter der neuen Überschrift: »Eine zweite Phase« soll das Grundsatzpapier überarbeitet dem Parteitag vorgelegt werden. Zumas Ambitionen für eine Wiederwahl zum Parteivorsitzenden im Dezember 2012 erhielten dadurch einen gewissen Rückschlag, da er das Projekt einer »Zweiten Transition« als seine Wahlplattform nutzen wollte.


Organisatorische Erneuerung des ANC

Das Diskussionspapier zur organisatorischen Erneuerung des ANC diagnostiziert erhebliche Schwächen der Partei. Sie komme aus drei wesentlichen Gründen ihrem Mandat, nämlich »dem Volk zu dienen«, nur unzureichend nach. Erstens habe auf der ideologischen Ebene mit der Regierungsübernahme »neoliberales« Gedankengut den progressiven Charakter des ANC verwässert. Zweitens sei die politische Kultur von Neo-Patrimonialismus, Disziplinlosigkeit, andauernden Fehden von Seilschaften um politische Ämter und öffentliche Ressourcen, Stimmenkauf und Manipulation von Mitgliederversammlungen geprägt. Drittens habe sich die Partei von der Basis entfernt. Parteimitgliedschaft diene persönlichen Ambitionen und sei nicht Ausdruck einer auf gesellschaftliche Veränderung ausgerichteten politischen Überzeugung. Parteikadern und einfachen Mitgliedern würden die ideologische Verankerung und die organisatorischen Fähigkeiten fehlen, um die gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren und anzuführen. Der ANC habe zwar derzeit über eine Million Mitglieder, von denen seien aber nur etwa 20 Prozent in irgendeiner Form aktiv.

Um diese Schwächen in den nächsten zehn Jahren zu überwinden, müsse der ANC seinen dualen Charakter als nationale Befreiungsbewegung und Regierungspartei beibehalten, jedoch eine Avantgarde gut ausgebildeter und moralisch integrer Parteikader und eine politisch informierte Parteibasis aufbauen, die von einer mit an menschlichen und finanziellen Ressourcen gut ausgestatteten Parteizentrale angeleitet werden. Während die Parteimitglieder die Schnittstellen zu den gesellschaftlichen Antriebskräften seien, sorgten die Kader für das Parteimanagement und, wenn in Staat, Verwaltung und Wirtschaft entsandt, dort für die angestrebte Transformation. Um die Qualität von Parteiführern auf allen Organisationsebenen zu verbessern, sollen Wahlkommissionen nur solche Kandidaten für Parteiämter zulassen, die die moralischen Grundwerte des ANC verkörpern und frei von Korruptionsvorwürfen sind. Finanziert werden soll die Parteireform durch nach Einkommen gestaffelte Mitgliedsbeiträge (derzeitiger Jahresbeitrag umgerechnet etwa 1,20 Euro), höhere öffentliche Parteifinanzierung und ein breiteres wirtschaftliches Investmentportfolio der Partei.

Wie notwendig die anvisierten Parteireformen auch sind, so unrealistisch erscheint ihre Umsetzung. Das Diskussionspapier bietet keine Lösungen für Grundwidersprüche im ANC, die vermutlich zu seiner organisatorischen Schwäche beitragen. Programmatisch bekennt sich die Partei zu einer Art Sozialdemokratie und will im Grunde eine bürgerliche Revolution. Sie ist aber 1994 eine bis heute andauernde Allianz mit der kommunistischen Partei Südafrikas SACP und dem ihr nahestehenden Gewerkschaftsdachverband COSATU eingegangen. Auf deren Agenda stehen jedoch die Abschaffung des bürgerlichen und die Errichtung eines sozialistischen Staates. Ohne gewähltes Mandat wollen sie die Regierungspolitik mitbestimmen. Dies begründet ideologische Spannungen und Zielkonflikte in der Allianz, die die Umsetzung von politischen Beschlüssen beeinträchtigen.

Als Partei will der ANC sich nicht zu einer modernen Volkspartei wandeln, sondern verharrt in einer Parteiorganisation, die an europäische kommunistische Parteien des frühen 20. Jahrhunderts erinnert. Ob sich damit in den kommenden Jahren weiterhin regierungsfähige Mehrheiten organisieren lassen, ist fraglich, vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die südafrikanische Gesellschaft ausdifferenziert und selbstbewusster wird. Sie will zunehmend Regierungsergebnisse sehen und keinen »revolutionären« Pathos hören, der eher einer Opposition als einer Regierungspartei zusteht. Das größte Problem dürfte für den ANC die Besetzung politischer Ämter mit integren Persönlichkeiten bereiten. Seit 1997 beklagt der ANC auf verschiedenen Parteitagen den moralischen Verfall seiner Führer, ohne bis dato ernsthafte Konsequenzen gezogen zu haben. Ob die vorgeschlagenen Wahlkommissionen jemals Licht sehen werden, bleibt abzuwarten.


Wirtschaftliche Transformation

Im Diskussionspapier zur wirtschaftlichen Transformation Südafrikas schrieb der ANC viele seiner Forderung fort, die er bereits 2007 auf dem Parteitag von Polokwane aufgestellt hatte. Er will eine Wirtschaft aufbauen, in der sich Staat, privates Kapital, Kooperativen und andere Formen gesellschaftlicher Eigentümerschaft auf eine integrierte Weise ergänzen, um Armut zu beseitigen und Wirtschaftswachstum zu stimulieren. Der anvisierte Entwicklungsstaat werde hierbei im Zentrum einer Mischwirtschaft stehen, die sich aus Privatsektor und Staatsunternehmen zusammensetzen werde. Angesichts der ungenügenden Beteiligung der schwarzen Bevölkerung in der Wirtschaft soll die Transformierung des südafrikanischen Kapitals, das weiterhin in »weißen« Händen ist, vorangetrieben werden.

Jedoch erteilte die Konferenz der ANC-Jugendliga eine klare Absage in der umstrittenen Forderung nach Enteignung ohne Entschädigung. Eine dazu notwendige Änderung der Verfassung lehnten die Delegierten ab. Vom ANC beauftragte Studien hatten ergeben, dass eine Verstaatlichung der Minen erstens zu teuer sei und zweitens der Staat keine Kapazitäten habe, die Minen selbst zu betreiben. Stattdessen soll der Staat nun stärker an den Gewinnen der Minenunternehmen beteiligt werden. Für die südafrikanische Wirtschaft wichtige Mineralien wie Kohle und Kupfer aber auch Stahl sollen als strategische Güter klassifiziert und dem einheimischen Markt zu Vorzugspreisen zur Verfügung gestellt werden. Analog lehnten die Delegierten eine generelle Verstaatlichung der von Weißen betriebenen Farmen ab. Um die seit Jahren nur mühsam vorankommende Bodenreform zu beschleunigen, soll der Staat nun durch selektive Enteignung mit Kompensationszahlungen aktiver in den Grundstücksmarkt eingreifen. Bis 2014 sollen 30 Prozent des landwirtschaftlichen Bodens an schwarze Farmer umverteilt werden.

Um Jugendlichen den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern, wollte die ANC-Führung eine staatliche Lohnsubvention einführen, um Arbeitgeber zur Einstellung von Berufsanfängern zu bewegen. Diese wurde auf Betreiben von COSATU von der Mehrzahl der Delegierten abgelehnt. COSATU befürchtet, dass eine Lohnsubvention von den Arbeitgebern zu Lasten von älteren Beschäftigten missbraucht werden könnte.

Der Ruf nach einem Entwicklungsstaat ist nicht neu, wie er jedoch aussehen soll, hat der ANC noch nicht überzeugend konkretisiert. Im Unterschied zu seinen ostasiatischen Vorbildern soll er demokratisch sein, was angesichts der Stärke des privaten Kapitals und der Gewerkschaften Südafrikas wohl unumgänglich ist, aber die gleichen dirigistischen Fähigkeiten haben wie jene, wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Ob der ANC dazu in der Lage ist, ist mehr als fraglich. Die asiatischen Tigerstaaten verdankten ihren Erfolg vor allem einer starken und effizienten Bürokratie. Über eine solche verfügt Südafrika derzeit nicht.


Reform der Gebietskörperschaft

Entgegen den radikalen Forderungen von COSATU und der SACP, alle Provinzen abzuschaffen und Südafrika in einen Zentralstaat zu verwandeln, empfahl das Diskussionspapier die Zusammenlegung einiger Provinzen. Um die Verwaltungseffizienz und die Wirtschaftskraft der Provinzen zu steigern, sollen die Provinzen Northern Cape, Western Cape und Eastern Cape zusammengelegt werden und die Nordwestprovinz auf die Provinzen Gauteng und Limpopo verteilt werden. Auf Gemeindeebene sollen einige Kommunen zu größeren Einheiten zusammengelegt werden. Da dazu eine Änderung der Verfassung notwendig ist und der ANC derzeit keine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament hat, soll die Reform der Gebietskörperschaften erst nach den Wahlen von 2014 in Angriff genommen werden.

Die Anzahl der südafrikanischen Provinzen ist ein Dauerthema auf Parteitagen des ANC. Die derzeit neun Provinzen Südafrikas sind das Ergebnis der Verhandlungen des ANC mit dem ehemaligen Apartheidsregime um eine neue Verfassung. Abgesehen von Prinzipien der vertikalen Gewaltenteilung sollten sie Ängste der Afrikaaner vor einem schwarzen Zentralstaat mildern und der in Natal verankerten regionalen Partei IFP entgegenkommen. An ihrer Ineffizienz in der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen gemessen, haben sie immer wieder Fragen nach ihrem Kosten-Nutzen-Verhältnis aufgeworfen. Die anvisierte Zusammenlegung der drei Kapprovinzen zielt unausgesprochen darauf ab, die politische Basis der oppositionellen DA im Western Cape zu zerschlagen, die dort effizient regiert. Jedoch ist es unwahrscheinlich, dass der ANC 2014 eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament erlangen wird, um die Anzahl der Provinzen zu reduzieren, oder die Zustimmung der jeweiligen betroffenen Provinzen erhalten wird.


Weichenstellung für Mangaung?

Auch wenn der ANC beteuerte, dass die Programmkonferenz kein Testlauf für die im Dezember anstehenden Vorstandswahlen gewesen sei, konnte die Parteiführung die Spannung unter den Delegierten nicht wegreden. So formierten sich immer wieder Lager um Jacob Zuma und Kgalema Motlanthe. Der Parteivorsitzende Jacob Zuma verfügt derzeit über eine fragile Mehrheit unter den Delegierten. Jedoch ist in der Partei die Frustration über seine schwache Führung und mangelnde Liebe fürs Detail groß. Seit seinem Antritt als Staatspräsident 2009 hat seine Regierung wenig geleistet. Abgesehen von der Ausweitung der staatlichen Sozialhilfe sind viele Reformen aus dem Entwurfsstadium nicht herausgekommen. Des Weiteren hat er keine glückliche Hand in der Besetzung von strategischen Stellen in der Staatsanwaltschaft, der Polizei und in den Sicherheitsdiensten gezeigt. Wegen Korruptions-, Betrugs- oder Mordverdachts mussten dort einige seiner Gefolgsleute ihren Hut nehmen. Auf der Programmkonferenz selber konnte er einige von ihm favorisierte Vorschläge nicht durchbringen. Das Grundsatzpapier wurde in »Die zweite Phase der ersten Transition« umgetauft. Die Lohnsubvention für Berufsanfänger, die Zuma zum ersten Mal im Januar 2010 angekündigt hatte, wurde abgelehnt. Ebenso wurde der umstrittene Gesetzentwurf zur Etablierung von traditionellen Gerichten verworfen, mit denen Zuma sich die Unterstützung der traditionellen Führer auf dem Lande sichern wollte. Im Gegenzug stimmten die Delegierten einigen Vorschlägen zu, die er ablehnte. An manchen Stellen verlor er auch die Kontrolle über das Plenum und musste am Veranstaltungsende aus Sicherheitsgründen den Veranstaltungssaal kurzfristig verlassen, um nicht in das Handgemenge einiger Delegierter zu geraten.

Hingegen steigt in der Parteigunst der stellvertretende Parteivorsitzende Kgalema Motlanthe, der auch in öffentlichen Meinungsumfragen vor Jacob Zuma rangiert. Bis vor kurzem hatte er sich aus allen Nachfolgespekulationen herausgehalten und sich erst vor der Konferenz positioniert, indem er das von Zuma lancierte Grundsatzpapier heftig kritisierte. Der intellektuelle, politisch eher links stehende Motlanthe verfügt über ausgezeichnete Zeugnisse aus der Zeit des ANC-Widerstands gegen das Apartheidsregime.

Nach einer zehnjährigen Haft engagierte er sich 1987 in der Minengewerkschaft NUM, deren Generalsekretär er 1992 wurde. Von 1997 bis 2007 war er Generalsekretär des ANC und übernahm 2008 nach dem Rücktritt von Thabo Mbeki interimsmäßig die Staatspräsidentschaft. Seit 2007 ist er stellvertretender Vorsitzender des ANC und seit 2009 stellvertretender Staatspräsident. Dem in der Öffentlichkeit bescheiden auftretenden Motlanthe fehlt das populistische Charisma seines Rivalen Zuma. Auf der anderen Seite ist er auch noch nicht durch Amtsvergehen ins Gerede gekommen. Er genießt die Unterstützung einiger Landesbezirke des ANC, der ANC-Jugendliga und von Teilen COSATUs. Ob dies ohne eine eigene programmatische Vision ausreicht, um im Dezember zum Parteivorsitzenden gewählt zu werden, bleibt eine spannende Frage.


Über den Autor

Axel Schmidt ist Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Johannesburg/Südafrika.

*


Impressum

Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Entwicklungszusammenarbeit | Referat Afrika
Hiroshimastraße 17 | 10785 Berlin | Deutschland
Verantwortlich:
Michèle Auga, Leiterin, Referat Afrika
Tel.: ++49-30-269-35-7435 | Fax: ++49-30-269-35-9217
www.fes.de/afrika

Bestellungen / Kontakt hier: blanka.balfer@fes.de

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese Publikation wird auf Papier aus nachhaltiger Forstwirtschaft gedruckt.

Eine gewerbliche Nutzung der von der FES herausgegebenen Medien ist ohne schriftliche Zustimmung durch die FES nicht gestattet.

ISBN 978-3-86498-247-7

*

Quelle:
Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Entwicklungszusammenarbeit | Referat Afrika
Hiroshimastraße 17 | 10785 Berlin | Deutschland
Verantwortlich: Michèle Auga, Leiterin, Referat Afrika
Tel.: ++49-30-269-35-7435 | Fax: ++49-30-269-35-9217
www.fes.de/afrika


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2012