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AFRIKA/1071: Zur Situation von Flüchtlingen in Südafrika (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, September/Oktober 2011

Zum Verzweifeln

Interview mit Gabriel Shumba zur Situation von Flüchtlingen in Südafrika


Südafrika ist, gemessen an seiner Bevölkerungszahl von knapp 50 Millionen Menschen, weltweit das größte Einwanderungsland. Zwischen vier und sechs Millionen afrikanische Migranten leben in Südafrika. Statt die Menschenrechte der Geflüchteten zu stärken, orientiert sich die südafrikanische Regierung an der europäischen Abschottungspolitik.

Wie sieht die Situation der simbabwischen Flüchtlinge in Südafrika aus? Darüber sprachen Sabine Eckert und Anne Jung von medico international mit Gabriel Shumba, Jurist und Direktor des "Zimbabwe Exiles Forum" in Pretoria. Das Forum setzt sich für Bleiberecht der Flüchtlinge in Südafrika ein und dokumentiert die Verletzung von Menschenrechten in Simbabwe. Das Interview wurde im Juli 2011 aufgezeichnet, kurz bevor mit Monatsende die Frist auslief, in der simbabwische Flüchtlinge sich legalisieren lassen konnten.


FRAGE: Seit den gewalttätigen Ausschreitungen gegen Flüchtlinge aus Simbabwe und anderen afrikanischen Ländern in 2008 und danach haben sich die Lebensbedingungen für Asylsuchende in Südafrika deutlich verschlechtert. Wie ist die Lage heute?

GABRIEL SHUMBA: Es gibt weiterhin keinen Schutz für die Flüchtlinge, die Menschen leben auf der Straße. Die Gewalt gegen sie dauert an. Es leben heute schätzungsweise 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Simbabwe in Südafrika, die meisten ohne anerkannten Flüchtlingsstatus. Daher kennt niemand die genauen Zahlen.

Auch anerkannte Flüchtlinge leben unter prekären Umständen. Sie werden von den Arbeitgebern auf Großfarmen, im Bergbau oder in der Industrie ausgebeutet. Bei Polizeikontrollen müssen sie sich regelmäßig mit Schmiergeld freikaufen. Hier versuchen wir zu intervenieren.

FRAGE: Im Jahr 2008 kamen sehr viele Flüchtlinge über die Grenze. Gibt es Schätzungen über die aktuelle Fluchtbewegung? Wie viele Flüchtlinge passieren gegenwärtig die Grenze?

GABRIEL SHUMBA: Heute kommen täglich etwa 1.000 Menschen aus Simbabwe nach Südafrika, und etwa 1.000 Menschen pro Monat beschließen, zurück nach Simbabwe zu gehen. Mit der zunehmenden staatlichen Repression in Simbabwe zeichnet sich bereits eine Steigerung der Flüchtlingszahlen ab.

FRAGE: Wie werden die Flüchtlinge untergebracht?

GABRIEL SHUMBA: Anders als in Europa gab es in Südafrika nie offizielle Lager, die meisten Flüchtlinge campierten auf der Straße oder kamen in Kirchen unter. In der Methodistischen Kirche in Johannesburg gibt es ein inoffizielles Camp mit 3.000 simbabwischen Flüchtlingen. Das Problem ist, dass sich niemand für die Flüchtlinge zuständig fühlt. Die südafrikanische Regierung tituliert sie als "Wirtschaftsmigranten", die Internationale Organisation für Migration (IOM) kümmert sich ausschließlich um Menschen, die in ihre Herkunftsländer zurückkehren wollen.

FRAGE: Wie ist die rechtliche Situation? Werden die Menschen aus Simbabwe und anderen Ländern in Südafrika geduldet, bekommen sie einen Aufenthaltsstatus?

GABRIEL SHUMBA: Die südafrikanische Regierung weigert sich bis heute zuzugeben, dass die Politik in Simbabwe überhaupt Flüchtlingsströme hervorruft. Nur die wenigsten werden daher als Flüchtlinge anerkannt, meist bekanntere Persönlichkeiten wie ein Richter des Obersten Gerichtshofes. In Südafrika gibt es derzeit über 300.000 unbearbeitete Asylanträge. Die südafrikanische Regierung genehmigt befristete Arbeitserlaubnisse, aber nach drei Jahren droht die Abschiebung, wenn Flüchtlinge sich auf diesen Deal einlassen.

FRAGE: Gleichen sich die europäische und die afrikanische Flüchtlingspolitik an? Welche Rolle spielt Südafrika dabei?

GABRIEL SHUMBA: Neu ist die Anwendung des Drittstaatenprinzips nach europäischem Vorbild. Das heißt, wenn ein Flüchtling über einen sogenannten sicheren Drittstaat einreist, dann wird ihm der Asylstatus verweigert. Es droht eine Abschiebung bis ins Herkunftsland. Zeitgleich werden gezielt qualifizierte Arbeitskräfte angeworben. Hier europäisiert sich der südafrikanische Umgang mit Migrantinnen und Migranten.

FRAGE: Worin liegen die Ursachen der andauernden Gewalt und Ausgrenzung von Migranten in Südafrika?

GABRIEL SHUMBA: Die Regierung Südafrikas bestreitet einfach die Fluchtgründe aus Simbabwe. Für das Innenministerium handelt es sich auch bei Asyl suchenden Simbabwern ausnahmslos um "Wirtschaftsflüchtlinge", die der chaotischen Situation in ihrem Herkunftsland entkommen wollen.

Darüber hinaus sind die eigentlichen Fluchtursachen in der südafrikanischen Bevölkerung wenig bekannt. Noch immer existiert das veraltete Bild vom vormals reichen Nachbarland Simbabwe, das einst als Kornkammer Afrikas galt. Wir vom Zimbabwe Exile Forum versuchen dieses Bild durch Informationskampagnen zu korrigieren. Hinzu kommt, dass die Flüchtlinge zu Mitkonkurrenten der ebenfalls benachteiligten Südafrikaner auf dem Arbeitsmarkt im informellen Sektor geworden sind.

Die Xenophobie ist in Südafrika institutionalisiert. In Krankenhäusern herrscht eine rassistische Grundstimmung, genauso bei der Polizei und im Rechtswesen.

FRAGE: Droht die Lage erneut zu eskalieren?

GABRIEL SHUMBA: Flüchtlinge werden immer wieder attackiert, wenn sich vor den Behörden Schlangen bilden, um eine Duldung in Südafrika zu erreichen. Ich habe mir vor Ort ein Bild der Lage gemacht und war schockiert über die Situation. Einige Menschen harren tagelang vor der Behörde aus, aus Angst, dass sie sonst diese Chance verpassen. Wir befürchten, dass es in der nächsten Zeit nicht nur zu einer Zunahme von Abschiebungen kommen wird, sondern auch zu einem Wiederaufflammen xenophober Gewalt. Deshalb haben wir eine Informationskampagne gestartet, die sich an die Bevölkerung in Südafrika richtet und zudem den Flüchtlingen Rechtsberatung anbietet.

FRAGE: Du hast die Kampagne gegen Konfliktdiamanten initiiert. Was sind die wichtigsten Forderungen der Kampagne und welche Gruppen sind an ihr beteiligt?

GABRIEL SHUMBA: Der Reichtum, der durch die großen Diamantenfunde ins Land kam, böte ein hervorragendes Entwicklungspotenzial, wenn etwas davon bei den Menschen ankäme. Leider ist die Realität davon weit entfernt. Die Anwohner aus der Region Chiadzwa wurden vertrieben, das Militär hat Menschen aus Helikoptern beschossen und Frauen vergewaltigt. Der Reichtum bleibt im Umfeld der Partei. Der Kimberley-Prozess zur Kontrolle der Diamanten ist unzureichend, hier ist auch Europa aufgefordert, Simbabwe auf die schwarze Liste zu setzen. Der Umgang mit den Konfliktdiamanten stabilisiert Mugabes Regime.

Über die Aktivist/innen kann ich nicht offen sprechen, weil es für sie in Simbabwe sehr gefährlich ist, sich in dem Bereich zu engagieren.


Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen

FRAGE: Ihr sammelt Daten zu den gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Simbabwe. Wie stellt ihr die Beziehung zu den opfern der staatlichen Folter her?

GABRIEL SHUMBA: Unsere Gesprächspartner wissen, dass wir selbst ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Wir haben uns inzwischen mit Organisationen zusammengeschlossen, die psychologische Beratungen anbieten. Die Chance auf eine Weiterbehandlung ermöglicht es den Betroffenen, sich uns gegenüber zu öffnen.

Viele Menschen sind in doppelter Hinsicht traumatisiert, weil sie nach ihren schlimmen Erlebnissen in Simbabwe in Südafrika keinen Schutz bekommen, sondern erneut verfolgt oder vergewaltigt werden.

Unser Ansatz geht weit über die Datensammlung hinaus, wir möchten mit unserer Arbeit zu nationaler Versöhnung in Simbabwe beitragen und das Land bei seinem Übergang begleiten. Auf diese Weise treten die Betroffenen aus ihrem Opferstatus heraus und werden zu Akteur/innen des politischen Wandels.

FRAGE: Wie schätzt ihr die Chancen ein, dass den Opfern des Regimes Mugabe Gerechtigkeit widerfahren wird?

GABRIEL SHUMBA: Es wird sicher noch eine Weile dauern, aber es wird die Zeit einer juristischen Aufarbeitung des Regimes kommen. Die Verfolgung der Verbrechen in Ruanda und Sierra Leone zeigt, dass in Afrika die Kultur der Straflosigkeit begonnen hat zu enden.


Interview: Sabine Eckert und Anne Jung


Zimbabwe Exiles Forum

Das Zimbabwe Exiles Forum (ZEF) wurde 2003 in Südafrika als Nichtregierungsorganisation registriert. Es dokumentiert Verletzungen der Menschenrechte in Simbabwe und macht sie öffentlich. Das Forum versucht immer wieder, diese Verletzungen vor regionale Gerichte zu bringen. Seit 2008 befasst sich das ZEF auch mit den xenophoben Ausschreitungen gegen afrikanische Migranten und Migrantinnen, besonders aus Simbabwe, in Südafrika. Es beschäftigt und organisiert humanitäre Hilfe für die Opfer. Außerdem ist das Forum in verschiedenen Vernetzungsinitiativen zur Prävention xenophober Gewalt aktiv.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 5, September/Oktober 2011, S. 10 - 11
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2011