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AFRIKA/1051: Namibia - Marginalisierung nach deutschem Völkermord, Herero und Nama klagen an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2011

Namibia: Marginalisierung nach deutschem Völkermord - Herero und Nama klagen an

von Servaas van den Bosch und Karina Böckmann

Aus Deutschland überführte Totenschädel - Bild: © Servaas van den Bosch/IPS

Aus Deutschland überführte Totenschädel
Bild: © Servaas van den Bosch/IPS

Windhuk, Berlin, 7. Oktober (IPS) - Mehr als 100 Jahre nach dem Versuch der ehemaligen deutschen Kolonialmacht, die namibischen Völker der Nama und Herero auszurotten, sind 20 der damals 'zu Forschungszwecken' nach Deutschland verschickten Opferschädel nach Namibia zurückgekehrt. Den sterblichen Überresten wurde ein ehrenvoller Empfang bereitet - und der Regierung in Berlin ein Mangel an Respekt im Umgang mit den Nachfahren der deutschen Völkermordopfer vorgeworfen.

"Durch den damaligen Krieg wurden wir unserer Stimme beraubt. Bei Wahlen fallen wir nicht ins Gewicht. Dafür haben sie gesorgt", wirft Florah Kaapaa Katjivikua, eine junge Herero in den 20ern, der einstigen Kolonialmacht Deutschland vor. In der traditionellen Tracht ihrer Volksgruppe - mit der eigenwilligen Kopfbedeckung, die an Hörner von Rindern erinnert, die den Herero stets wichtig waren - schreitet sie zur Landebahn des internationalen Flughafens von Windhuk.


Ehrenvoller Empfang

Etwa 100 Meter entfernt ist der Airbus A340-300 gelandet, mit den Gebeinen ihrer Vorväter an Bord. An diesem Dienstag, dem 4. Oktober, finden sich auf Hosea-Kutako-Airport 4.000 Herero und Nama ein, um singend, tanzend oder auch nur abwartend den von einer namibischen Delegation heimgeholten Schädeln ihr Geleit zu geben. Männer in Militäruniformen halten Transparente hoch, auf denen sie vom deutschen Staat Reparationen verlangen.

Frauen schirmen die Augen gegen die blendende Sonne ab. Die meisten warten bereits seit zwei Uhr morgens auf die Landung des Fliegers. Als der Airbus endlich da ist und entladen werden kann, stürmen sie zu Tausenden zu der Maschine, um den lebenden und toten Heimkehrern ihre Erehrbietung zu erweisen.

"Wir sind her, um die Schädel unserer Vorväter in Empfang zu nehmen", sagte Hengari Erenfried in Windhuk bei dem Versuch, einen Blick auf die kostbare Lieferung zu erhaschen. "Das da sind unsere Großeltern, die von den Deutschen brutal ermordet wurden. Wir wollen, dass das Massaker an unseren Leuten, dass das Abschlagen ihrer Köpfe anerkannt wird."


Rassismusvorwurf

Nach Ansicht von Katjivikua muss Deutschland für das an den Herero und Nama begangene Unrecht Wiedergutmachung leisten. "Warum werden unsere Völker nicht so entschädigt wie die Juden nach dem Holocaust? Etwa, weil wir keine Weißen sind?"

Die Nachfahren der Opfer des ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts machen die deutsche Kolonialzeit für Elend und Ausgrenzung verantwortlich, unten denen die meisten von ihnen heute leiden. Der Verlust von Land und Vieh machte sie zu Landlosen, die besonders an einer hohen Arbeitslosigkeit und Armut zu tragen haben. Rund 80 Prozent des namibischen Agrarlandes befindet sich in der Hand weißer Farmer, von denen viele deutscher Herkunft sind.

Anfang Oktober 1904 hatte der Gouverneur des deutschen 'Schutzgebiets' Deutsch-Südwestafrika, General Lothar von Trotha, seinen berüchtigten 'Vernichtungsbefehl' nach einem niedergeschlagenen Aufstand der Herero gegeben: "Das Volk der Herero muss jetzt das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, werde ich es mit dem großen Rohr (Kanone) dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen."

Obwohl Namibia seit nunmehr 21 Jahren unabhängig ist, betrachteten viele den Tag der Schädelrückführung als den eigentlichen Abschluss der deutschen Kolonialgeschichte, der in den Jahren 1904 bis 1908 rund 80.000 Menschen den Tod brachte.

Ein Großteil der Herero und auch die Hälfte der Nama, die sich dem Kampf gegen Besatzung, Landraub und Entrechtung angeschlossen hatten, wurden ermordet oder in die wasserlose Omaheke-Steppe getrieben, wo sie unter den Augen der deutschen Soldaten verdursteten oder erschossen wurden.

Nach der Einstellung der vom deutschen Kaiserreich gebilligten Vernichtungskampagne wurden die Überlebenden in Konzentrationslager gesperrt, in denen die Hälfte an Entkräftung in Folge von Zwangsarbeit und schlechter Ernährung zugrunde ging. Etliche der Opfer wurden enthauptet und zum Zweck der 'Rassenforschung' nach Deutschland geschickt.


Empörung über Verhalten der Bundesregierung

20 Schädel von neun Herero und elf Nama - vier Frauen, 15 Männern und einem Kind - wurden nun nach dreijährigen Verhandlungen mit dem Auswärtigen Amt und der Berliner Charité nach Namibia repatriiert. Doch der Übergabeakt am 30. September in der deutschen Hauptstadt sollte für die Gäste zu einer herben Enttäuschung werden. Nicht nur, dass sich die deutsche Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, in ihrer von Protesten begleiteten Ansprache nicht für die Gräuel vor 107 Jahren entschuldigte - sie verließ die Veranstaltung, ohne die Rede des namibischen Kulturministers abzuwarten. Damit löste sie Unmut unter den Delegationsmitgliedern aus.

"Wir sind hierher gekommen, um der deutschen Regierung die Hand zu reichen", sagte Ueriuka Festus Tjikuua vom Rat der Ovaherero/Ovambanderu für den Dialog über den Völkermord von 1904. Ovaherero und Ovambanderu sind Untergruppen der Herero.

Die namibischen Völker erlebten "einen weiteren Verrat an den Herero und Nama durch die Deutschen", meinte Advocate Krukuro vom Komitee für den Völkermord an den Ovaherero in Berlin. Die Weigerung der deutschen Regierung, mit den Opfern der deutschen Kolonialzeit zu sprechen, "drückt eine fortgesetzte nationalsozialistische Haltung gegenüber den legitimen Forderungen der namibischen Völker aus".

Auch bei den namibischen Feierlichkeiten zu Ehren der Opfer am 5. November nahe Windhuk riss die Kritik an der Bundesregierung nicht ab. "Ich bin zutiefst enttäuscht, dass sich der deutsche Staat weigert, die Gräuel gegen mein Volk anzuerkennen", sagte Nama-Chief David Fredericks, der der namibischen Delegation in Deutschland angehört hatte.


"Man betrachtet uns offenbar noch als Untermenschen"

"Dass es der (deutschen) Regierung an Verantwortung während der Übergabe der Schädel fehlen ließ, ist eine Verneinung der menschlichen Existenz der Nama- und Herero-Völker", fügte er hinzu. "Man betrachtet uns offenbar immer noch als Untermenschen, als Souvenirs, die nach Hause zurückgebracht werden."

In der brutalen Behandlung der Herero and Nama durch die deutsche Kolonialmacht - Enteignung, rassistisch motivierter Massenmord, die Einrichtung von Konzentrationslagern, Vernichtung durch Arbeit, Rassenforschung zur Bestätigung der vermeintlichen weißen Überlegenheit - war der Holocaust am jüdischen Volk bereits angelegt.

Der Mediziner und 'Rassenhygieniker' Eugen Fischer, der in Deutsch-Südwestafrika 'Bastard-Studien' an den Nachkommen von Deutschen und Buren und indigenen namibischen Frauen durchführte, war später Lehrer von Josef Mengele, der in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten tausende Menschen zu Tode folterte.

Man sei "verletzt und empört über den Mangel an Gastfreundschaft", den man in Deutschland erfahren habe, sagte der Paramount Chief der Herero, Alfons Maharero, und fügte hinzu: "Wir verlangen eine Entschädigung für das Blutbad an unseren Vorvätern."

An dem Festakt außerhalb der Hauptstadt Windhuks hatten hunderte Herero und Nama teilgenommen, die jedoch in der Minderheit waren, gemessen an der Zahl der in glänzenden schwarzen Limousinen vorgefahrenen hohen Würdenträger und deren Entourage. Viele Nama und Herero werfen der vom Volk der Wambo dominierten namibischen Regierung vor, nichts gegen ihre Ausgrenzung zu unternehmen.


Wunsch nach Repatriierung aller gestohlenen Gebeine

Auf einem festlich drapierten Tisch waren 18 Kartons und zwei Vitrinen mit den aus Deutschland repatriierten Schädeln zu sehen. "Diese sterblichen Überreste waren nach dem Völkermord von den Kolonialmächten als Zeichen ihres Triumphes und ihrer Überlegenheit geschändet worden", sagte der lutheranische Bischof Zepeniah Kameeta während des Festakts. "Mit der Rückführung sind die Weichen für die Heimkehr aller anderen (ins Ausland verschleppten) Schädel gestellt."

"Die Deutschen haben nicht nur eine ganze Bevölkerung ausradiert, sie trennten sogar kleinen Kindern die Köpfe ab und schickten sie für Experimente nach Deutschland. Das ist eine Verletzung des allgemeinen Anstands und ein Affront gegen unsere afrikanischen Werte", sagte der namibische Staatspräsident Hifikepunye Pohamba in seiner Ansprache.

Die Regierungsvertreter verzichteten jedoch auf Entschädigungsforderungen und betonten - wie schon die deutsche Staatssekretärin Pieper in ihrer Rede in der Charité - die guten Beziehungen zwischen beiden Ländern. Der deutsche Botschafter Egon Kochanke drückte sein "tiefstes Bedauern" aus und enthielt sich ebenfalls einer Entschuldigung.

"Heute dürfen sich die Geister unserer Vorfahren freuen, auf afrikanischem Boden ihre Muttersprache zu hören, nachdem zur Bestätigung einer rassistischen und faschistischen Ideologie über die Unterlegenheit des schwarzen Mannes ihre Köpfe abgeschlagen, ihre Gehirne entfernt und ihre Schädel gekocht und abgeschabt wurden", erklärte Maharero. "Nachdem sie unsere Vorfahren wie Laborschimpansen behandelt hatten, holten wir sie - mit Tränen in unseren Augen - in ihre Heimat zurück." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.ips.org/africa/2011/10/namibia-skulls-repatriated-but-no-official-german-apology/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=105350

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2011