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AFRIKA/1028: Südafrika - Die Landreform ist ausgeblieben (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2011

Die Landreform ist ausgeblieben
Interview mit Mercia Andrews, Direktorin der südafrikanischen Landrechtsbewegung "Trust for Community Outreach and Education" (TCOE)

von Andreas Bohne


Seit der Überwindung der Apartheid und der demokratischen Transformation Südafrikas ist die Landreform eine der dringlichsten politischen Vorhaben. Mercia Andrews ist nationale Direktorin der südafrikanischen Landrechtsbewegung "Trust for Community Outreach and Education" (TCOE) mit Sitz in Kapstadt. TCOE wurde 1983 gegründet. Mit Mercia Andrews sprach Andreas Bohne, SODI-Projektmanager, über den Stand der südafrikanischen Landreform und die Aufgaben der Landrechtsbewegungen.


ANDREAS BOHNE: Was ist TCOE?

MERCIA ANDREWS: TCOE ist eine nationale Nichtregierungsorganisation (NRO), die in verschiedenen Regionen und Provinzen in Südafrika tätig ist. TCOE ist eine NRO mit langer Tradition, deren Gründung auf Steve Biko zurückzuführen ist. Überwiegend arbeiten wir mit Kleinbauern, ländlichen Gemeinschaften und Fischern zusammen. Unser Hauptziel ist es, die Selbstorganisation der ländlichen Bevölkerung zu stärken, damit sie einen besseren Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen erhält und so ihre Lebensgrundlage verbessern und sicher kann.

ANDREAS BOHNE: Seit der Überwindung der Apartheid steht die Landreform auf der politischen Agenda. Was beinhaltet sie?

MERCIA ANDREWS: Die Landreform beinhaltet drei Elemente: die Rückgabe von unrechtmäßig enteigneten Landbesitzes während der Apartheid, die Umverteilung von Land an vormals benachteiligte schwarze Südafrikaner sowie die Verbesserung der Rechte von Landarbeitern und die Regelung von Landbesitzrechten in den ehemaligen Homelands.

ANDREAS BOHNE: Was wurde bisher erreicht?

MERCIA ANDREWS: Leider erst wenig. Insbesondere die ländliche Rückgabe hat kaum stattgefunden. In den letzten 15 jahren wurden weniger als sechs Prozent der landwirtschaftlichen Fläche an die rechtmäßigen Eigentümer zurück gegeben oder umverteilt. In der Provinz Limpopo zum Beispiel ist noch immer eine große Anzahl von Landansprüchen nicht geklärt. Am tragischsten ist jedoch, dass in den letzten 15 jahren mehr als eine Million Farmarbeiter und Farmbewohner vertrieben wurden - legal und illegal.

ANDREAS BOHNE: Wie ist die gegenwärtige Lage in den ländlichen Gebieten? Wo liegen die Probleme und die Herausforderungen?

MERCIA ANDREWS: Die Armut in den ländlichen Gebieten ist gravierend. Millionen von Menschen sind abhängig von staatlichen Leistungen wie Pensionen, Kindergeld für ihr Überleben. Die Arbeitslosigkeit steigt. Bisher hat erst eine sehr geringe Umstrukturierung der ländlichen Ökonomie stattgefunden. Es trat sogar eine größere Monopolisierung ein. Während es 1994 65.000 weiße kommerzielle Farmer gab, gibt es heute nur mehr 28.000 Farmer. Diese besitzen jedoch zum Teil mehr Land als vor der Landreform.

Einige ländliche Gebiete leiden unter zunehmender Abwanderung. In anderen Gebieten hingegen nimmt die Bevölkerungszahl zu. Ein Grund dafür ist z.B. die Rückkehr von Arbeitern, die zuvor in entfernt gelegenen Minen gearbeitet haben, in ihre alte Heimat.

ANDREAS BOHNE: Auch für den gegenwärtigen Präsident Jacob Zuma ist die Landreform eine der wichtigsten Prioritäten. Was wurde seit dem Beginn seiner Präsidentschaft erreicht?

MERCIA ANDREWS: Präsident Zuma sagt zwar, dass für ihn die Landreform ein wichtiges Thema ist, aber bis heute haben wir kein einziges politisches Dokument von seinem Ministerium gesehen. Was jedoch getan wurde, ist den Bereich Landreform und ländliche Entwicklung vom Ministerium für Landwirtschaft abzuspalten. Ich bin der Meinung, dass nicht ausreichend finanzielle Mittel für die Landreform bereitgestellt werden. Ich denke auch, dass die landwirtschaftliche Umstrukturierung, welche 1994 als Priorität begonnen wurde, immer noch durch die alte kommerzielle Klasse verhindert wird. Somit fand bis heute nur sehr wenig Landtransformation statt.

ANDREAS BOHNE: Was sind ihre Forderungen und Erwartungen an die Regierung?

MERCIA ANDREWS: Erstens fordern wir von der Regierung eine Zusammenführung der Agrarpolitik und Landreform - diese gehören unmittelbar zusammen, wenn in der Landwirtschaft Arbeitsplätze entstehen sollen. Man kann keine neuen Arbeitsplätze schaffen, ohne Agrarwirtschaft und Land zu berücksichtigen - so wie es die Zuma-Regierung betreibt Zweitens werden öffentliche Flächen, z. B. von Verwaltungen und Teile von Staatsland, nicht ausreichend in dem Prozess der Landreform berücksichtigt. Hier muss viel mehr getan werden, um das öffentlich verfügbare Land in einen stärkeren systematischen Weg der Landreform zu integrieren.

Drittens bleibt die Frage des Klimawandels. Es ist wichtig zu untersuchen, inwieweit die Landwirtschaft zum Klimawandel beiträgt. Viertens beobachten wir, dass die Regierung in verschiedenen Landesteilen mit genmodifizierten Pflanzen experimentiert. Die Provinz Eastern Cape ist das acht größte Anbaugebiet von genveränderten Samen in der Welt. Wir sind der Meinung, dass der Ernährungssouveränität und der Nutzung lokaler Saaten zum Erhalt einheimischer Saatgutpflanzen eine größere Bedeutung zugeschrieben werden muss.

ANDREAS BOHNE: Südafrika hat eine international wettbewerbsfähige Landwirtschaft. Wieso fordern Sie eine Veränderung?

MERCIA ANDREWS: Der Schwerpunkt der südafrikanischen Landwirtschaft liegt auf dem Anbau von Cash Crops, d.h. Agrargüter, die für den Export produziert werden. Und das ist eines der größten Probleme. In der Western Province liegt der Schwerpunkt zum Beispiel auf dem Anbau von Wein und Blumen. Diese Flächen stehen somit in unmittelbarer Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. TCOE führte vor kurzem eine Studie im Breede River Valley durch. Dabei haben wir herausgefunden, dass die Farmarbeiter vor allem in den Wintermonaten Hunger leiden, weil es keine Nahrung auf den Farmen gibt, auf denen sie arbeiten, da die Flächen vornehmlich für den Anbau von Cash Crops verwendet wurden.

ANDREAS BOHNE: Wie schätzen Sie die aktuelle Rolle der südafrikanischen Landrechtsbewegungen wie TCOE in der politischen Diskussion ein?

MERCIA ANDREWS: Wir haben eine Menge getan, um uns in politische Debatten einzubringen. Wir wollen die Bedingungen für arme Menschen, Farmarbeiter und die ländliche Bevölkerung verbessern. Als Organisation haben wir uns strategisch weiterentwickelt und ein größeres Gewicht auf den Aufbau und den Erhalt von Bewegungen der ländlichen Bevölkerung gelegt. Dadurch können sie sich stärker politisch ein bringen, ihre eigenen Bedürfnisse artikulieren und eine eigene politische Kraft bilden. Darin besteht der Gegensatz zu NRO. Denn die Regierung kann NRO, die im Normalfall nur eine geringe Anzahl von Mitarbeitern beschäftigt, umgehen. Sie kann aber Bewegungen mit einer großen Anzahl von Menschen nicht einfach ignorieren.

ANDREAS BOHNE: Wie können Organisationen mehr Gehör bei den Entscheidungsträgern erreichen?

MERCIA ANDREWS: Es ist wichtig, Organisationen zu stärken, so dass sich große nationale Stimmen bilden können, die einen Dialog mit der Regierung beginnen. In Brasilien gibt es den MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra) und in Mosambik die Unac (União Nacional de Camponeses). Das ist der Weg, wie auch wir vorwärts gehen wollen.

ANDREAS BOHNE: Eine Schwierigkeit - und oftmals ein Argument gegen die Landreform - ist das Fehlen landwirtschaftlichen Wissens und somit eine geringere Produktivität neuer Farmer. Daneben wird aber auch die geringe Unterstützung im Anschluss an die Landvergabe kritisiert. Was können Landrechtsbewegungen wie TCOE hier tun?

MERCIA ANDREWS: Das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn 80 Prozent aller Neufarmer scheitern. Der Grund ist vorwiegend fehlendes technisches Wissen und mangelnde technische Fähigkeiten. Wie führe ich eine Farm? Wie mache ich Gewinn? Ein großer Teil des Problems liegt in der Regierungspolitik und dem Beratungsservice für neue Farmer. Unsere Aufgabe besteht darin, sicherzustellen, dass die zukünftigen Farmer auch die Möglichkeit bekommen, die notwendigen landwirtschaftlichen Kenntnisse zu erlernen. Dazu bieten wir als landwirtschaftliche Organisation den Farmern umfangreiche Unterstützung an. So führen wir Trainingsmaßnahmen durch und fördern den Erfahrungsaustausch zwischen Organisationen aus Mosambik und Simbabwe. Mit Saatbanken und der eigenen Züchtung von Samen erhalten Kooperativen und Farmer bessere Startchancen.

ANDREAS BOHNE: Gibt es Probleme bei der Umsetzung ihrer Arbeit und der gezielten Unterstützung für die Farmer?

MERCIA ANDREWS: Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten. So besitzen wir nicht genügend finanzielle und materielle Ressourcen. Wir sind abhängig von ausländischen Gebern, um unsere politische Einflussnahme und unsere Arbeit zu gewährleisten. In diesem Bereich ist auch unsere Regierung viel stärker gefordert.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2011, S. 31 - 32
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2011