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AFRIKA/1008: Die "Unberührbaren" von Südafrika fordern Gehör (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April 2011

Die Flammenschrift von Phaphamani
Die "Unberührbaren" von Südafrika fordern Gehör

Von Pedro Alexis Tabensky


In den Townships und Armenviertel Südafrikas gärt es. Die Verantwortlichen verspielen jedes Vertrauen und setzen auf Gewalt, wie die Ereignisse in Phaphamani bei Grahamstown im Ostkap zeigen.


Die Wut unter den Armen wächst, es brodelt. Sie haben wenig zu verlieren, es sei denn die Hoffnung, die ihre Bewegungen umtreibt, befeuert vor allem von der Forderung nach Gerechtigkeit für alle, die heute in unserem Lande systematisch entmenschlicht werden. Zu diesen Bewegungen gehören: Abahlali baseMjondolo (AbM), die Bewegung der Armen und die Bewegung der Landlosen, die Anti-Eviction Campaign, die Mandela Park Backyarders und Sikhula Sonke. In meiner Heimatstadt Grahamstown zählen dazu die Arbeitslosenbewegung Unemployed Peoples' Movement (UPM) und die Frauenorganisation Woman' Social Forum (WSF).

All diese Bewegungen stehen miteinander in Verbindung, mischen sich in Konferenzen ein wie unlängst in die Konferenz der Demokratischen Linken in Johannesburg. Sie nutzen die Gerichte und das Internet, um ihre Ziele bekannt zu machen. Sie organisieren sich selbst, akquirieren Gelder, ohne sich von den Gebern an die Kette legen zu lassen, sie denken nach über eine Zukunft ohne wirtschaftliche Ungerechtigkeiten, sie lesen Steve Biko und Frantz Fanon, sie gebrauchen ihre Füße und ihre Stimmen. Nur wenig kann sie aufhalten, es sei denn direkte Repression oder ein spürbarer Wandel zum Besseren. Doch immer wieder werden sie von der Polizei und von ANC-Rüpeln gewaltsam aufgehalten. Doch die Gewalt vermag sie nur auf kurze Zeit stoppen. Auf mittlere Sicht wirkt sie wie ein Katalysator. Je mehr sie auf den Straßen überall im Lande gehetzt und auf den Polizeistationen geschlagen werden, um so mehr wächst ihre Überzeugung, dass ihr Kampf ein Kampf um Humanität ist, aber auch, dass sie weitgehend auf sich gestellt sind und Veränderungen nur durch eigene Anstrengungen erreicht werden können.

Sie artikulieren sich immer bestimmter und deutlicher, um gehört und vom Mainstream wahrgenommen zu werden; trotz der ungezählten Gewaltakte von offizieller und halboffizieller Seite und obwohl sie in der öffentlichen Meinung weitgehend als unzufriedene Kinder abgestempelt werden, die unproduktiv ihrem Frust freien Lauf lassen, oder als blinde Automaten einer ominösen "Dritten Gewalt".


Phaphamani: Proteste gegen Gewalt an Frauen

Ich will mich vornehmlich auf jüngste Ereignisse in meiner Heimatstadt Grahamstown beziehen. Sie sind exemplarisch für das, was überall im Lande geschieht.

Am Mittwoch, den 9. Februar dieses Jahres, wurden in den Straßen von Phaphamani, einer informellen Siedlung in Grahamstown, Reifen in Brand gesteckt. Vorausgegangen war ein vergeblicher Versuch - einer von vielen -, den Bürgermeister des zuständigen Stadtteils Makana, Vumile Lwana, zu sprechen, um die Klagen der Ansässigen vorzubringen. Auf der Website der Verwaltung ließt man folgenden vollmundigen Satz: "Wir werden uns einsetzen für nachhaltige, leistungsfähige, gleiche und qualitativ gute Dienstleistungen in einem gerechten, freundlichen, sicheren und gesundem Umfeld, das soziales und wirtschaftliches Wachstum für alle fördert." Würde sich die Verwaltung an ihre eigenen Verpflichtungen halten, hätte es in Phaphamani keine Brände gegeben.

Die Flammen von Phaphamani waren nur die Folge von vergeblichen friedlichen Protesten gegen die zahlreichen Vergewaltigungen und Morde in jüngster Zeit. Im Dezember vergangenen Jahres wurde Zingidwa Centwa, eine Schülerin an der Nombulelo High School, vergewaltigt und umgebracht. Nur wenige Tage später wurde Ntombekhaya Blaatjie ebenfalls vergewaltigt und so zugerichtet, dass sie schwere Hirnverletzungen davontrug. Diese Verbrechen sind nur einige von zahlreichen sexuellen Übergriffen, über die in Grahamstown beichtet wurde. Das Frauenforum WSF und die Arbeitslosenbewegung UPM organisierten daraufhin gemeinsam am Tag der Gerichtsverhandlung gegen den Vergewaltiger und Mörder von Centwa einen Protestmarsch. Sie forderten längst überfällige staatliche Maßnahmen wie eine bessere Beleuchtung, um die Gewalt vor allem gegen Frauen einzudämmen. Aber sie formulierten auch allgemeinere Forderungen. Die mangelnde Sicherheit auf den Straßen der Townships ist lediglich einer von vielen Faktoren für die Lage in Südafrika heute, wo nur einige wenige Bürgerinnen und Bürger als vollwertige Menschen behandelt werden.

Die Organisatoren hatten ihre Protestkundgebung rechtzeitig und in vorgeschriebener Form angemeldet und beantragt. Die Verwaltung von Makana verbot jedoch den Marsch, ohne die rechtliche Grundlage zu würdigen, und erklärte die Demonstration für illegal. Angesichts dieser Missachtung der Gesetze von Seiten der Verwaltung beschlossen die Organisatoren, den Protestmarsch vom Amtsgericht zum Rathaus zu verlagern und dort ein sit-in zu veranstalten. Dort forderten sie, den Bürgermeister Lwana zu sprechen. Sie verbrachten den größten Teil des Tages im Rathaus. Doch der Bürgermeister ließ sich nicht sehen. An seiner Stelle kam schließlich am Abend die Leiterin des Bürgermeisteramtes, Ntombi Baart. Sie versicherte der Menge, ein Gespräch mit dem Bürgermeister für die nächsten 48 Stunden zu arrangieren. Sie werde den Termin in wenigen Minuten mitteilen können. Kurz nachdem sie die Protestierenden verlassen hatte, tauchte Polizei auf.

Frau Baart habe sie gerufen, erklärte sie und löste den Protest auf. Die erregten Bewohner von Phaphamani, die Zeugen dieser Hinterlist waren, entschieden, ohne Rücksprache mit den Organisatoren des Protestes in ihr Viertel zurückzukehren. Dort steckten sie Reifen in Brand und rissen eine erst kürzlich geteerte Durchgangsstraße durch Phaphamani auf.

Das zugesagte Treffen mit dem Bürgermeister kam übrigens nie zustande. Das Versprechen von Frau Baart wurde nicht eingehalten - ein weiteres Beispiel dafür, dass den Kommunalpolitikern nicht zu trauen ist.


Überzogene Polizeiaktion

Von außen gesehen könnte es scheinen, als seien Brandlegung und Zerstörung öffentlichen Eigentums Ausfluss sinnloser Wut. Doch man sollte mal einige Zeit darüber nachdenken, warum die Bewohner von Phaphamani sich zu diesen Taten entschieden haben. Zunächst waren sie sicherlich über die Gesprächsverweigerung des Bürgermeisters aufgebracht. Dann aber - und das steht damit in engem Zusammenhang - waren sie auch nicht gefragt worden, ob der mit Steuergeldern finanzierte Bau einer Straße, die nur dem schnelleren Fortkommen einer relativ reichen Gruppe diente, vorbei an den prioritären Bedürfnissen der Bewohner von Phaphamani ging. Sie sind zu arm, auch nur ein Taxi zu nutzen. Wofür brauchen sie dann diese Straße, während ihre Forderungen nach Wohnungen, angemessenen Toiletten, Wasser, Sicherheit und Arbeitsplätzen ungehört bleiben?

Die Flammen von Phaphamani erhellten die ganze Nacht. Am nächsten morgen erhielten Ayanda Kota, der Vorsitzende der UPM, und der Sprecher der Organisation, Xola Mali, einen Anruf von Nombulelo vom WSF. Sie berichtete vom gewaltsamen Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten. Beide eilten in die Siedlung und sahen, wie die Polizei Gummigeschosse in die Menge feuerte und Pfefferspray einsetzte. Sie wandten sich an die Polizei und forderten sie auf, unnötige Härten zu vermeiden, worauf hin sie mit Frau Yami verhaftet und mit Handschellen in ein Polizeiauto gezerrt wurden. Dort hörten sie zufällig, wie ein Polizist den Fahrer bat, ihm "mehr von den Zuckerstückchen für seinen Spaß" zu geben. Er wollte Gummigeschosse und erhielt sie. Eine weitere Demonstrantin, Ntombentsha Budaza, wurde geschlagen und in den Wagen geworfen.

Die Festgenommenen wurden auf eine Polizeistation gebracht und am folgenden Tag gegen Auflagen freigelassen. Die Auflagen verstoßen in beunruhigender Weise gegen Verfassungsgrundsätze, sagt Professorin Jane Duncan von der Rhodes-Universität. Ihnen wurde jede Organisierung und Teilnahme an öffentlichen Kundgebungen untersagt - ein Verstoß gegen die Rede- und Meinungsfreiheit.

Fazit: Überzogene Gewalt, dubios motivierte Verhaftungen und Einschüchterungen, illegale Aktionen und arglistige Täuschung werden von den Repräsentanten des Staates eingesetzt, um jene mundtot zu machen, die man die "Unberührbaren Südafrikas" bezeichnen könnte.


aus: Pambazuka News, Issue 518, Februar 2011. Der Autor lehrt Philosophie an der Rhodes-Universität


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 2, März/April 2011, S. 26 - 27
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
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"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2011