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BAYERN/2749: SPD-Sprecherin Annette Karl fordert Moratorium beim Landesplanungsgesetz (SPD)


Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion vom 11.04.2012

SPD-Sprecherin Annette Karl fordert Moratorium beim Landesplanungsgesetz - erst nach Zukunftskongress mit Betroffenen und Beteiligten weitere Beratungen

Pressekonferenz im Landtag mit zehn zentralen Punkten zur Landesentwicklung



Die Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion für Fragen des ländlichen Raums, Annette Karl, fordert ein Moratorium in den weiteren Beratungen zum Landesplanungsgesetz und zum Landesentwicklungsprogramm und die Durchführung eines Zukunftskongresses mit allen Betroffenen und Beteiligten. Ihre Kritik erläuterte die SPD-Abgeordnete am Mittwoch (11.‍ ‍April) auf einer Pressekonferenz im Bayerischen Landtag unter dem Titel "Gehen auf dem Land die Lichter aus? Landesplanung und Landesentwicklung am Scheideweg" mit zehn Punkten zum Stand der Diskussion um den Entwurf des neuen Landesplanungsgesetzes (LPlG).

1.‍ ‍Das politische Ziel zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Bayern, das auch in die Bayerische Verfassung aufgenommen werden soll, bedeutet die Verwirklichung von Gerechtigkeit in allen Teilräumen Bayerns. Der Handlungsbedarf ist groß: Bayern ist das reichste Bundesland, aber auch das mit den größten regionalen Disparitäten. Prosperierende und strukturschwache Regionen entwickeln sich immer weiter auseinander - gemessen an den bedeutenden Indikatoren Anzahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter (Arbeitsplätze), Bruttoinlandsprodukt (Wirtschaftswachstum), Bevölkerungszahl (Abwanderung).

2.‍ ‍Gleichwertige Lebensverhältnisse bedeuten gleiche Chancen auf einen Arbeitsplatz, gute Bildung, Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben, Gesundheitsversorgung, soziale Absicherung, unabhängig vom Wohnort. Gleiche Lebenschancen dürfen nicht von der "Gnade des richtigen Geburtsortes" abhängen (z.B. leben die Menschen im Landkreis Wunsiedel durchschnittlich drei Jahre kürzer als im Landkreis Starnberg).

3.‍ ‍Landesplanung ist das wichtigste Instrument, um hier Ausgleich zu schaffen - in einer Verantwortungspartnerschaft von Stadt und Land; denn die Abwanderungsproblematik der einen ist die Zuwanderungsproblematik der anderen (siehe Schulen, Mieten, Gesundheitsversorgung).

4.‍ ‍Der vorliegende Entwurf der Staatsregierung zum LPlG bedeutet jedoch einen deutlichen Rückzug aus der Landesplanung und eine Verlagerung der Verantwortung für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse allein auf die Kommunen.

Dies läuft unter den Stichworten Deregulierung (Abbau oder Vereinfachung von Marktregulierung in Form von staatlichen Normen und Vorschriften, "der Markt regelt es schon, auch die gleichmäßige Entwicklung Bayerns"), Liberalisierung (Abbau staatlicher oder gesellschaftlicher Eingriffe und Vorschriften), Verschlankung (Eliminierung von vermeintlich unproduktiven Hierarchieebenen, um eine Organisation effizienter und kundenorientierter auszugestalten).

5.‍ ‍Beispiele einer falsch verstandenen Deregulierung sind

- die Abschaffung der förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung in Raumordnungsverfahren (das Gegenteil von Nachhaltigkeit, denn damit werden bei Großprojekten nicht mehr umfänglich Folgen für Natur und Umwelt geprüft, sondern nur noch kursorisch),

- die Streichung von Eignungsgebieten (das sind Gebiete, wo nur genau eine bestimmte Nutzung zugelassen ist und dafür anderswo explizit nicht - ein wichtiges Instrument z.B. bei der Standortsuche für Windräder, weil Bürger dann sicher sein können, das ein gefundenes Gebiet nicht ausgeweitet wird),

- das Doppelsicherungsverbot (z.B. Schulplanung, zu der es fachplanerisch Regelungen gibt, darf nicht landesplanerisch behandelt werden, stellt Verhältnis Fach- und Landesplanung auf den Kopf!), - die Beschränkung der Anwendung von Raumordnungsverfahren (Verfahren bei Großprojekten, wie Straßenbau, Großanlagenbau), die eine gute Möglichkeit bieten, im Vorfeld Konflikte auszugleichen.

Ich habe deshalb sehr früh den Änderungsantrag gestellt, mögliche Trassenalternativen bei Straßengroßprojekten sollten in das Raumordnungsverfahren eingeführt werden. Die FW und die Grünen haben sich dieser Forderung angeschlossen. Durch unseren Druck konnte erreicht werden, dass besagte Trassenalternativen jetzt in die Verfahren eingebracht werden "können", wenn auch leider nicht "sollen" oder am besten "müssen".

6.‍ ‍Der wichtigste Punkt im LPlG, nämlich ob sich Landesplanung auch weiterhin mit den Bereichen Soziales, Bildung und Kultur beschäftigt, hat zu einem massiven Streit innerhalb der Regierungsfraktionen geführt. Während sich ein Teil der CSU unserer Auffassung und der der Verbände angeschlossen hat, dass diese Bereiche unverzichtbar zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse sind, beharrt die FDP darauf, das dies keine Aufgabe einer landesweiten Planung sei; sie ist sogar der Auffassung, dass dies nicht Teil der Landesplanung sein darf.

7.‍ ‍Aufgrund dieses Streites, der sich seit Vorlage des Gesetzentwurfes im Januar ohne Ende hinzieht, musste die Behandlung der Art. 19 und 21 LPlG (regelt die Inhalte von Landesentwicklungsprogramm und Regionalplänen) in der letzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses am 29.3. auf den 19.4. vertagt werden. Die CSU muss jetzt Farbe bekennen, wie wichtig ihr die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse wirklich ist!

8.‍ ‍Warum sind diese Bereiche so wichtig:

a) Bildung ist ein wichtiger Standortfaktor, gerade in von Abwanderung bedrohten Regionen. Der Wegfall des staatlichen Ziels z.B. der wohnortnahen Schulversorgung oder der wohnortnahen hochqualitativen Kinderbetreuung ist zum einen ein katastrophales Signal an die örtliche Bevölkerung ("meine Heimat wird abgehängt") und zum anderen eine riesige Belastung für die betroffenen Kommunen, die im Alleingang mit der Sicherung der Daseinsvorsorge eine Aufgabe erledigen müssen, die immer schwieriger wird und zu dessen Erledigung der Freistaat nicht mehr beitragen will.

b) Der Bereich Soziales mit wohnortnaher Gesundheitsversorgung und anderen wichtigen Sozialeinrichtungen wird für die alternde Bevölkerung immer wichtiger. Bereits jetzt beobachten wir einen Wegzug älterer Menschen aus den peripheren Regionen in die Städte, da sie Angst haben, im Alter nicht richtig versorgt zu sein. Dabei soll das neue LPlG doch auch und gerade eine Antwort auf die demographische Herausforderung sein!

c) Wenn, wie von Staatssekretärin Hessel angekündigt (Aktionsprogramm "Bayerns ländlicher Raum", S. 54/55), Kindergärten auf dem Lande - weil dies für den Staat billiger kommt - durch Großpflegestellen ersetzt werden sollen ("Hauptsache satt und trocken"), wird deutlich, wohin der Zug geht, falls der Staat sich aus der Selbstverpflichtung zur Einhaltung von Standards herausmogelt: Junge Familien, für deren Kinder keine gute Betreuung zur Verfügung steht, ziehen weg.

d) Durch den Wegfall des Bereichs Kultur in der Landesplanung wird es zu massiven Interessenskonflikten - z.B. Naturdenkmäler gegen andere Nutzungen wie Rohstoffabbau oder Produktion erneuerbarer Energien - kommen. Hierzu betonte aktuell Thomas Goppel, CSU-MdL, Vorsitzender des Landesdenkmalrats, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien die bayerische Kulturlandschaft verändern wird und möglicherweise gravierende Folgen für die Denkmäler mit sich bringen wird (SZ, 4.4.12).

e) Wenn die Organisation einer guten Bildung, guter Sozialstandards und eines guten Kulturangebotes in ganz Bayern nicht mehr Staatsziel ist, ist dies auch ein Schlag ins Gesicht all derer, die in diesen Bereichen haupt- oder ehrenamtlich arbeiten. Wer fühlt sich noch ernst genommen in seinem Engagement für die Mitmenschen, wenn der Freistaat bei der Bestimmung seiner Staatsziele nur noch ökonomistischen Vorstellungen folgt?

9.‍ ‍Wer den eigenen Anspruch der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ernst nimmt und nicht nur als billige Vorwahlkampfnummer ansieht, muss sich gegen die Beschneidung all der Instrumente der Landesplanung, die dies umsetzen helfen, stemmen! Messen wir die Staatsregierung an ihren Taten, nicht an den Sonntagsreden ihrer Mitglieder!

10.‍ ‍Die Diskussion im Wirtschaftsausschuss hat gezeigt, dass die Regierungsparteien CSU und FDP sich bis jetzt überhaupt noch nicht vertieft mit der Thematik auseinandergesetzt haben, geschweige denn, wie die SPD-Fraktion und ich, die betroffenen Verbände an einen Tisch geholt haben.

Ich fordere deshalb ein Moratorium in den weiteren Beratungen zum Landesplanungsgesetz und zum Landesentwicklungsprogramm und die Durchführung eines Zukunftskongresses mit allen Betroffenen und Beteiligten!

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Quelle:
Pressestelle der BayernSPD-Landtagsfraktion
Bayerischer Landtag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2012