Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


PRESSEKONFERENZ/1866: Regierungspressekonferenz vom 3. Juni 2019 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Regierungspressekonferenz vom 3. Juni 2019

Themen: Lage im Sudan, Medienberichte über eine Anzeige von Menschenrechtsanwälten gegen Mitgliedstaaten der EU wegen ihrer Migrationspolitik vor dem Internationalen Strafgerichtshof, Zustand der Großen Koalition, Situation in der Ukraine

Sprecher: StS Seibert, Burger (AA), Alter (BMI), Fähnrich (BMVg)


Vorsitzender Mayntz eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Burger: Ich habe Ihnen eine Erklärung zum Thema Sudan vorzutragen: Wir sind zutiefst über die jüngste Entwicklung in Khartum besorgt. Sicherheitskräfte haben das Protestgelände vor dem Armeehauptquartier geräumt. Dies geschah offenbar unter dem Einsatz von Schusswaffen und es gab Tote und zahlreiche Verletzte. Diese Gewalt ist nicht zu rechtfertigen und muss sofort aufhören.

Die gewaltsame Räumung des Protestgeländes gefährdet in erheblichem Maße den Prozess der Übergabe der Regierungsgewalt an eine zivil geführte Regierung. Zu dieser Übergabe in den nächsten Wochen hatte die Afrikanische Union den Militärrat mehrfach aufgerufen und der Militärrat hatte sich dazu auch verpflichtet.

Deutschland unterstützt die Bemühungen der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen. Wir rufen die Verhandlungspartner dazu auf, Eskalationen zu vermeiden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Vielen Dank!

Frage: Herr Burger, vor dem Hintergrund der tödlichen Proteste wurde auch das Büro von Al Jazeera in Khartum geschlossen. Gibt es darauf eine Reaktion?

Burger: Wir haben über diesen Vorgang noch keine eigenen Erkenntnisse und kennen die Hintergründe nicht. Wenn sich das so bestätigen sollte, dann wäre das aus unserer Sicht natürlich sehr kritisch zu beurteilen. Sie kennen unser Engagement für die Pressefreiheit weltweit. Die Freiheit der Berichterstattung ist zu gewährleisten.

Frage: Ist die Bundesregierung irgendwie aktiv in die Verhandlungen oder die Herbeiführung von Verhandlungen involviert?

Burger: Wir konzentrieren uns derzeit darauf, die dortigen Bemühungen der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen zu unterstützen. Dort gehören diese Vermittlungsbemühungen hin, und das unterstützen wir.

Frage: In welcher Weise sind deutsche Staatsbürger möglicherweise von einer veränderten Sicherheitslage betroffen? Gibt es da Empfehlungen oder Kontakte?

Helfen Sie mir; ich weiß es aus dem Stand heraus nicht: Ist Deutschland nicht an der Polizeiausbildung beteiligt oder beteiligt gewesen? Ist das noch relevant und existent? Wird das im Moment eingefroren? Können Sie uns einen Überblick über die Lage geben, vielleicht auch vonseiten des Bundesinnenministeriums?

Burger: Nach unserem Kenntnisstand befinden sich zurzeit ungefähr 200 deutsche Staatsangehörige in Sudan. Mit denen steht unsere Botschaft in Khartum auch in Kontakt. Unsere Botschaft ist auch nach wie vor telefonisch erreichbar.

Wir haben derzeit keine Hinweise darauf, dass deutsche Staatsangehörige im Zuge der jüngsten Eskalationen zu Schaden gekommen sind. Wir beobachten das aber ganz genau. Es wird heute auch eine Telefonschaltung mit der Botschaft unter Leitung des Krisenbeauftragten des Auswärtigen Amtes stattfinden. Natürlich aktualisieren wir auch unsere Reise- und Sicherheitshinweise ständig.

Auf die Frage, ob im Moment möglicherweise in amtlicher Funktion befindliche deutsche Kräfte betroffen sein könnten, müsste ich die Antwort nachreichen. Dazu habe ich den aktuellen Stand nicht vorliegen.

Alter: Vielleicht kommt von mir noch ergänzend: Sie erkennen ja, dass die Information relativ frisch ist. Es müssen jetzt Gespräche geführt werden, aus deren Ergebnis man Schlussfolgerungen ziehen muss. Dabei wird selbstverständlich auch der Aspekt eine Rolle spielen, dass man das Engagement in diesem Land derzeit sozusagen in die Gesamtschau mit einbezieht, aber ich kann da momentan keine Entscheidung vorwegnehmen.

Zusatzfrage: Gibt es direkte Kontakte zwischen der Bundesregierung, dem Auswärtigen Amt und dem Militärrat, oder läuft das alles, wie Sie sagten, über die Afrikanische Union?

Burger: Aus unserer Sicht ist der richtige Kanal für die Vermittlung in dieser innenpolitischen Krise im Moment wie gesagt der Kontakt zwischen den Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union und den Parteien im Sudan.

Frage: Ich hätte eine Frage zu Libyen. Heute werden Menschenrechtsgruppen beim Internationalen Strafgerichtshof um eine Voruntersuchung gegen europäische Regierungen bitten, die für die Rücksendung tausender Migranten nach Libyen und somit auch für ihre dortige Misshandlung verantwortlich sein sollen. Explizit werden Frankreich, Italien und Deutschland genannt. Sieht sich die Bundesregierung für die Rücksendung der Migranten verantwortlich? Was tut die Bundesregierung, um die Misshandlung von Migranten in Libyen zu verhindern?

StS Seibert: Ich kann zunächst einmal sagen, dass wir die Medienberichte, wonach diese Anwälte unter anderem die Bundesregierung - mit anderen - beim Internationalen Strafgerichtshof angezeigt haben, zur Kenntnis genommen haben. Zu laufenden Verfahren - das wissen Sie - äußern wir uns nicht. Ich will trotzdem für die Bundesregierung ganz klar sagen: Den Vorwurf, wir seien für die Zustände in Libyen verantwortlich, weise ich zurück.

Die Bundesregierung setzt sich gemeinsam mit der Europäischen Union, mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen und mit der Internationalen Organisation für Migration beständig dafür ein, dass sich die Situation von Flüchtlingen und Migranten in Libyen verbessert.

Wir setzen uns dafür ein, die freiwillige Rückkehr und Reintegration von Migranten in ihre Heimatländer zu fördern. Wir setzen uns dafür ein, dass sichere, legale Wege für schutzbedürftige Flüchtlinge gestärkt werden. Wir setzen uns insbesondere dafür ein, dass es Alternativen zu diesen sogenannten "detention centers" gibt, in denen - das wissen wir - zum Teil schlimme Zustände herrschen. Es gibt zum Beispiel eines, das vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen betrieben wird, eine Alternative zu diesen "detention centers", ein Transitzentrum für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in Tripolis, eine "Gathering and Departure Facility". Von dort werden diese Schutzbedürftigen evakuiert, um dann im Rahmen des Resettlements Sicherheit und Schutz in anderen Staaten - zum Beispiel auch in Deutschland - zu finden. Deutschland hat gerade in der Vergangenheit ein Kontingent von 300 Personen von dort übernommen, und die Bundeskanzlerin hat gerade Anfang des letzten Monats bei ihrem Besuch in Niger angekündigt, dass wir ein weiteres Kontingent von 300 Menschen aus dieser Gruppe der besonders Schutzbedürftigen in Deutschland aufzunehmen bereit sind.

Das ist unser Einsatz in einer sehr, sehr schwierigen Situation, die in Libyen herrscht. Deswegen würde ich also auf jeden Fall diesen Vorwurf, wir seien für die Zustände zuständig oder verantwortlich, zurückweisen.

Zusatzfrage: Es wird auch explizit die Entscheidung, die Mission "Mare Nostrum" zu beenden und sie durch eine Mission zu ersetzen, die nicht direkt vor der libyschen Küste patrouilliert, für den Tod tausender Menschen im Mittelmeer verantwortlich gemacht. Ich weiß, dass die Bundesregierung darauf oft Antwort gegeben hat. Aber gibt es dazu im Lichte dieses Versuchs, eine Anklage zu erreichen, jetzt noch einmal eine Stellungnahme?

StS Seibert: Dazu gibt es keine neue Position der Bundesregierung. Der Auftrag dieser Operation "Sophia" - - - Auf die beziehen Sie sich ja, wenn ich das richtig verstehe, oder?

Zusatz: Die kam ja danach, soweit ich weiß.

StS Seibert: Ach so. Gut, ich war jetzt bei der Operation "Sophia". Dann verstehe ich Ihre Frage vielleicht nicht ganz.

Zusatzfrage: Die Mission "Mare Nostrum", die bis 2014 lief, ging ja bis vor die Küste von Libyen. Danach war das nicht mehr so. Die Zahl der Geretteten - jedenfalls durch internationale Schiffe - ist drastisch zurückgegangen. Ich weiß nicht, ob Sie oder Herr Fähnrich dazu noch einmal Stellung nehmen wollen.

Fähnrich: 2014/2015? Mir sagt das jetzt auch nichts, wenn es nicht "Sophia" oder die davor gewesene Rettungsaktion auf nationaler Ebene gewesen ist, die ja niemals einen Fuß an Land gesetzt hat oder in den libyschen Hoheitsgewässern gewesen ist. Das war ja alles im freien Seeraum außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer.

StS Seibert: Europa bekennt sich ja zu der Aufgabe, die libysche Küstenwache auszubilden und zu stärken und in die Lage zu versetzen, ihren Seeraum, ihren Küstenraum sozusagen selber zu kontrollieren. An dieser Aufgabe haben wir uns ja auch beteiligt, das ist auch ein Teil der europäischen Mission dort, und da sind erhebliche Fortschritte erzielt worden.

Frage: Herr Seibert, Sie sagten, dass Sie eine Verantwortung abweisen. Wie ist es denn mit einer Mitverantwortung für die Zustände in Libyen? Weisen Sie die auch zurück?

StS Seibert: Deutschland bemüht sich mit anderen europäischen Partnern, die Verhältnisse, die Lebensverhältnisse der Migranten und Flüchtlinge in Libyen, die zum Beispiel sehr, sehr schlecht sind, zu verbessern. Das, denke ich, kann man aus dem, was wir hier in den vergangenen Wochen und Monaten zu diesem Thema zu berichten hatten, immer wieder auch belegen. Unsere Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration, die dort konkret Migranten zugutekommt, unsere Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk, das konkret Flüchtlingen zugutekommt, unsere Bereitschaft, ein weiteres Kontingent besonders Schutzbedürftiger zu übernehmen: Das alles sind Bemühungen zugunsten der Menschen dort.

Frage: Nichtsdestotrotz, Herr Seibert: In den vergangenen Jahren, als dieses Thema diskutiert wurde, war es ja immer die Position der Bundesregierung, die Sie auch persönlich vertreten haben, dass man keine Pull-Faktoren herstellen wolle, die dafür sorgen, dass sich noch mehr Flüchtlinge über Libyen auf den gefahrvollen Weg machten. Sie wollten - das waren immer Ihre Zitate - nicht das Geschäft der Schlepper befördern. Das, worauf sich jetzt die Anwälte beziehen, sind aber offenbar doch Tote, gestorbene Menschen, die zwischen die Mühlsteine einer weiter andauernden Schlepperpolitik und des Einstellens oder Herunterfahrens von Hilfsmaßnahmen - auch seitens der EU - geraten sind. Wenn dieses Szenario - und ich glaube, wir haben die Diskussion alle noch in Erinnerung - so stimmt, hat Deutschland oder die EU dann nicht doch ein Stück weit eine Mitverantwortung dafür, dass Menschen zwischen diese Mühlsteine geraten und dann eben - den Bemühungen, die Sie schildern, die ja keiner bestreitet, zum Trotz - zu Tode kommen?

StS Seibert: Erstens. Wenn es da jetzt eine Anzeige beim Internationalen Strafgerichtshof gibt, dann wird die dort bearbeitet werden und dann würde ich mich zu einem laufenden Verfahren - zumal ich die Anklageschrift nicht im Detail kenne - hier nicht äußern wollen.

Zweitens. Jeder, der im Mittelmeer als Flüchtling oder Migrant zu Tode kommt, ist einer zu viel. Die Schuld an diesen Todesfällen tragen in allererster Linie die kriminellen Schlepper und Schleuser, die diese Menschen auf hohe See schaffen und ihnen dabei seeuntüchtige Boote und defekte oder gar keine Schutzwesten mitgeben und ihnen auch noch sämtliches Geld dafür abknöpfen. Das ist der mörderische Aspekt dieses kriminellen Schleppergeschäfts.

Frage: Herr Seibert, inwiefern treffen denn die Unruhen innerhalb der Parteien die Arbeit der Koalition? Wir haben jetzt, glaube ich, auch schon erste konkrete Auswirkungen in Form einer Absage einer Reise von Herrn Maas nach Frankreich gesehen. Gibt es noch andere Auswirkungen?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hat gestern gesagt - und ich zitiere das jetzt einmal aus der Erinnerung -, dass wir die Regierungsarbeit mit Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein fortsetzen werden, weil die großen Themen, die wir gemeinsam zu lösen haben, ja auf dem Tisch liegen. Genau in diesem Geist und mit dieser Entschlossenheit arbeiten das Kanzleramt und die Ministerien, die wir hier zu vertreten die Ehre haben.

Zusatzfrage: Gibt es weitere Absagen von Arbeitsbesuchen oder Ähnliches - Herr Burger oder irgendwelche anderen Ministerien?

Burger: Ich habe abgesehen von dem Besuch, der heute in Frankreich nicht stattfinden konnte, keine weiteren Terminveränderungen mitzuteilen.

Vorsitzender Mayntz: Gibt es ansonsten aus den anderen Häusern etwas? - Allgemeines Kopfschütteln.

StS Seibert: Sicherlich nicht Kopfschütteln, sondern Nicken zu dem, was ich gerade gesagt habe.

Zusatzfrage: Ihre Minister sind also alle voll bei der Regierungsarbeit?

StS Seibert: Aber natürlich.

Frage: Zum Thema D-Day/Normandie: Wird sich in diesem Zusammenhang auch das Normandie-Format noch einmal informell mit der Situation in der Ukraine befassen, oder ist das angesichts des historischen Ereignisses völlig außerhalb der Diskussionsebene?

StS Seibert: Es gibt in diesem Normandie-Format immer wieder auf den verschiedenen Ebenen Kontakte und Besprechungen, auch Treffen; aber ein Datum für ein Treffen der Staats- und Regierungschefs im Normandie-Format kann ich Ihnen hier im Augenblick nicht bekanntgeben.

Burger: Ich kann vielleicht ergänzen: Der Außenminister war ja am Donnerstag in Kiew und hat dort gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen ein erstes Gespräch mit dem neuen ukrainischen Präsidenten, Herrn Selensky, geführt. In diesem Gespräch haben sich auch noch einmal alle Seiten ausdrücklich zum Minsker Prozess und auch zum N4-Format, zum Normandie-Format als dem Rahmen bekannt, in dem über diesen Prozess gesprochen wird.

Montag, 3. Juni 2019

*

Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 3. Juni 2019
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/regierungspressekonferenz-vom-3-juni-2019-1634174
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang