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PRESSEKONFERENZ/1759: Kanzlerin Merkel nach dem informellen Treffen des Europäischen Rates, 20.09.2018 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Salzburg - Donnerstag, 19. September
Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel nach dem informellen Treffen des Europäischen Rates


BK'in Merkel: Ich möchte nach unserem Europäischen Rat hier in Salzburg zunächst dem österreichischen Bundeskanzlerin Sebastian Kurz und seiner Mannschaft ganz herzlich danken und sagen, dass wir uns hier sehr, sehr wohl gefühlt haben - sowohl gestern beim Abendessen auf außergewöhnlicher Bühne - im wahrsten Sinne des Wortes - als auch heute hier im Mozarteum, begleitet auch immer durch schöne musikalische Einlagen.

Das hat sicherlich auch unsere Diskussion befördert, in der es um drei große Themen ging: zum Ersten das Thema Migration und Flüchtlinge, zum Zweiten das Thema innere Sicherheit und zum Dritten das Thema des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Zum Thema Migration und Flüchtlinge hatten wir gestern eine umfassende Diskussion. Es war ja klar, da es keine Schlussfolgerungen formeller Art gibt, da dies ein informeller Rat war, aber diese Diskussion war sehr tiefgreifend und hat sich an unsere Beschlüsse vom Juni angeschlossen. Wir haben einen sehr großen Teil der Diskussion damit verbracht, uns mit den Beziehungen mit Afrika zu beschäftigen. Hier ist wirklich deutlich geworden, dass wir eine enge Partnerschaft wollen, dass wir aber noch sehr viel lernen müssen, um das Richtige zu tun. Wir müssen uns die Wirkungen unserer Entwicklungshilfe anschauen, wir brauchen eine ordentliche finanzielle Ausstattung und wir müssen vor allen Dingen auch Investitionen der privaten Wirtschaft in Gang bekommen. Ich glaube, gerade Deutschland wird Ende Oktober, wenn wir unsere Konferenz zum "Compact with Africa" mit etlichen afrikanischen Präsidenten abhalten, eine gute Möglichkeit haben, darauf hinzuwirken, dass wir diese Kombination von Entwicklungshilfe und Entwicklungsaufbau durch private Investitionen besser hinbekommen.

Wir haben in diesem Zusammenhang natürlich auch über die Bekämpfung der illegalen Migration gesprochen, und es war allheilige Meinung: Es muss dann auch legale Wege geben, zum Beispiel von Visumsvergaben, von beruflicher Bildung und anderem. In diesem Sinne werden wir weiterarbeiten. Wir haben beschlossen, dass wir auch den Dialog insbesondere mit Ägypten, aber auch mit Tunesien und Marokko und natürlich auch mit Libyen fortführen. Wir werden uns hier alle einbringen; auch Deutschland wird gerade mit Blick auf die Diskussion mit Ägypten - wir haben mit Ägypten schon sehr enge wirtschaftliche Beziehungen - sein Wissen und seine Kraft einbringen. Denn letztlich brauchen wir Abkommen und Absprachen, die ähnlich geordnet sind - wenn auch jedes Land ganz speziell ist - wie das Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Afrika ist für uns also ein Schwerpunkt, insbesondere mit Blick auf die Vertiefung der Beziehungen zu den nordafrikanischen Ländern. Darüber wird dann im Dezember auch wieder berichtet werden.

Zweitens ist ein im Grundsatz positives Votum zu den Vorschlägen von Jean-Claude Juncker zur Aufstockung von Frontex und auch zu der Möglichkeit und Notwendigkeit, das Mandat zu erweitern, abgegeben worden. Ich habe mich jedenfalls sehr positiv geäußert, und die Mehrzahl der Teilnehmer hat das genauso gesehen.

Drittens haben wir uns eher wenig mit den Fragen der Verteilung beschäftigt. Es war ja klar, dass es hier kein Resultat gibt. Insofern hat das hier nicht im Mittelpunkt gestanden.

Wir haben uns dann heute Vormittag mit den Fragen der inneren Sicherheit beschäftigt. Hier möchte ich nur zwei Dinge sagen: Von denen, die in diesem Frühjahr und Sommer schreckliche Katastrophen hatten, zum Beispiel in Form von Waldbränden wie Griechenland und Schweden, ist die Notwendigkeit einer Katastropheneinheit, mit der Europa Solidarität zeigen kann, sehr stark hervorgehoben worden. Ich habe dem zugestimmt, habe allerdings darauf verwiesen, dass wir in den Nationalstaaten, in den Mitgliedstaaten, Kapazitäten haben sollten, die bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden können. Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, dass es europäische Einheiten und technische Fazilitäten gibt. Also: einen Pool bilden, aus dem heraus Zugriff möglich ist, und damit europäische Solidarität zeigen.

Wir haben uns dann mit der Frage des Austritts Großbritanniens beschäftigt. Gestern Abend hatte Theresa May uns schon einen kurzen Überblick gegeben. Wir haben das heute nach einem Bericht von Michel Barnier getan. Ich will ausdrücklich die Arbeit von Michel Barnier und seinem Team loben. Dort wird hervorragend und präzise gearbeitet. Alle Mitgliedsstaaten werden in exzellenter Weise eingebunden, sodass wir eine hohe Geschlossenheit bei unserem Vorgehen haben.

Heute ist deutlich geworden, dass wir bis Oktober substanzielle Fortschritte brauchen und dass wir dann den Anspruch haben, das Ganze im November zu finalisieren. Bei dem Austrittsabkommen sind wir bereits sehr weit vorangekommen. Es sind ja im Grunde zwei Dokumente. Wir haben noch eine ganze Menge Arbeit im Zusammenhang mit den zukünftigen Beziehungen und der dafür notwendigen politischen Erklärung zu leisten.

Auf der Grundlage von Chequers gibt es eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten, insbesondere im Bereich der inneren Sicherheit, aber auch der außenpolitischen Zusammenarbeit und anderer Fragen. Aber es gibt noch ein großes Stück Arbeit im Zusammenhang mit der Frage, wie die zukünftigen Handelsbeziehungen aussehen. Wir waren uns heute alle einig, dass es in Sachen Binnenmarkt keine Kompromisse geben kann. Auf dieser Basis wird Michel Barnier die Gespräche jetzt weiterführen. Wir wollen sie von unserer Seite aus in einer sehr guten Atmosphäre weiterführen. Die britische Seite geht genauso daran heran. Denn auch die Art und Weise, wie wir uns einigen, wird über die zukünftigen Beziehungen sehr, sehr viel mitbestimmen.

Alles in allem war es hier also in guter Atmosphäre ein sehr intensiver informeller Rat ohne formale Schlussfolgerungen. Er war aber wichtig für die weitere Debatte und die Räte im Oktober und Dezember.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich würde gern zum Thema Migration und der "flexiblen Solidarität", die hier jetzt immer durch den Raum geistert, fragen: Wären Sie dafür, dass man diesen Weg jetzt geht, um auch auf diesem Feld, auf dem man ja noch nicht vorangekommen ist, jetzt zu einer Lösung zu kommen? Was genau könnte diese "flexible Solidarität" dann bedeuten?

BK'in Merkel: Ich will mich dazu nicht abschließend äußern. Ich bin auch mit dem Begriff nicht so recht zufrieden. Es geht ja darum, die Probleme zu lösen. Dazu muss natürlich auch über die Flüchtlinge, die nach Europa kommen, gesprochen werden.

Klar ist - darüber waren wir uns auch einig; ich bin auch sehr dankbar, dass Donald Tusk das sehr deutlich gemacht hat -: Wir haben bei den Ankunftszahlen völlig andere Bedingungen, als wir es 2015 hatten. Wir sind im Kampf gegen die illegale Migration, auch gegen die Schleppernetze also wirklich ein großes Stück vorangekommen. Das muss man einfach sagen.

Dann geht es darum, welchen Modus wir finden, um eine fairere Verteilung innerhalb der Europäischen Union zu haben. Es kann auf keinen Fall sein, dass sich jeder aussuchen kann, was er gern machen möchte. Dazu müssen noch viele weitere Gespräche geführt werden. Insofern sind wir dabei längst nicht am Ende.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, die britische Premierministerin argumentiert, dass sie jetzt sehr weit auf die EU zugegangen und jetzt die EU am Zug sei, auf Großbritannien zuzugehen. Sehen Sie das ähnlich, und, falls ja, wo sehen Sie Spielraum für Kompromisse, die die EU noch eingehen könnte?

BK'in Merkel: Zum Schluss müssen wir in allen Fragen eine gemeinsame Haltung haben, jedenfalls in allen, die in dem Austrittsdokument und in dem Dokument über die zukünftigen Beziehungen niedergelegt sind. Deshalb geht es nicht, ohne dass man aufeinander zugeht. Aber es gibt eben auch ein paar Maßstäbe. Einer dieser Maßstäbe ist, dass man nicht zum Binnenmarkt gehören kann, wenn man nicht Teil des Binnenmarktes ist. Aber man kann ansonsten sehr viel Kreativität entwickeln, um praktikable, gute, enge Lösungen zu finden, und dabei haben wir noch ein Stück Arbeit vor uns. - Herzlichen Dank.

Donnerstag, 20. September 2018

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Quelle:
Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel nach dem informellen Treffen
des Europäischen Rates am 20. September 2018 in Salzburg
www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/09/2018-09-20-statement-eu-rat.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2018

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