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PRESSEKONFERENZ/1743: Regierungspressekonferenz vom 3. September 2018 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 3. September 2018
Regierungspressekonferenz vom 3. September 2018


Themen: Termine der Bundeskanzlerin (Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten in Marseille, Reise in die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien), mögliche Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz, Ereignisse in Chemnitz, Verurteilung von zwei Journalisten in Myanmar, Tod des ukrainischen Separatistenführers Sachartschenko, Brexit-Verhandlungen, Organspende, Tötungsdelikte in Deutschland, Messerangriff vor dem Hauptbahnhof in Amsterdam, Pläne für eine neue Islamkonferenz, Prüfung des Bundesrechnungshofs im Zusammenhang mit der BAMF-Außenstelle Bremen, deutsche Verbrechen im heutigen Namibia während der Kolonialzeit, europäische Flüchtlingspolitik

Sprecher: StS Seibert, Neymanns (BMI), Burger (AA), Krüger (BMJV)

Vorsitzende Wefers eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Guten Tag, meine Damen und Herren! Ich habe noch zwei Termine zum Terminkalender der Bundeskanzlerin in dieser Woche nachzureichen, den Ihnen Frau Demmer schon am Freitag vorgetragen hatte.

Das eine betrifft diesen Freitag. Am Freitagnachmittag wird die Bundeskanzlerin in Marseille mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu Gesprächen zusammentreffen. Ich kann Ihnen derzeit den genauen Verlauf noch nicht sagen. Wie gesagt: Freitagnachmittag, Marseille. Es wird auch eine Pressebegegnung geben. Details reichen wir nach.

Am Samstag, den 8. September, wird die Bundeskanzlerin in die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien reisen. Auch da ist das Programm noch in der Abstimmung. Ich kann Ihnen aber schon mitteilen, dass die Bundeskanzlerin dort mit Ministerpräsident Zoran Zaev zusammentreffen wird. Die regionale Entwicklung und bilaterale Fragen stehen im Vordergrund. Die Bundeskanzlerin möchte sich - sicherlich auch vor dem Hintergrund des anstehenden Referendums zur Namensfrage Ende dieses Monats - einen Eindruck von der Situation vor Ort verschaffen.

Das ist das, was ich nachreichen wollte.

Frage: Ist da eine Pressebegleitung geplant?

StS Seibert: Meines Wissens nach Frankreich auf jeden Fall nicht. In Frankreich ist ja die deutsche Presse sehr stark vertreten. Das ist das, was ich Ihnen im Moment sagen kann.

Frage: Herr Seibert, kann es auch so sein, dass Frau Merkel mit Herrn Macron das Thema Ukraine und die Gespräche im Normandie-Format besprechen wird?

StS Seibert: Die Frage "Kann es so sein?" ist ja schon ziemlich offen gestellt. Darauf könnte ich offen zurück antworten: Es kann so sein. - Aber ich möchte jetzt hier keine Themenliste vorgeben. Die Bundeskanzlerin und der Staatspräsident werden Sie dann in der Pressekonferenz unterrichten.

Frage: Gibt es für den Ort des Treffens, Marseille, irgendeinen Grund, den Sie uns sagen könnten?

StS Seibert: Es ist gar nicht schlecht, wenn man sich nicht immer nur in den Hauptstädten trifft. Das wird auch mit anderen Regierungschefs praktiziert. Das war der Vorschlag der französischen Seite, auf den die Bundeskanzlerin gerne eingegangen ist.

Frage: Herr Seibert, habe ich es richtig verstanden, dass die Frau Bundeskanzlerin am Freitag dieser Woche nach Marseille reist?

StS Seibert: Freitag, den 7. September, nachmittags.

Frage: Sind in Marseille noch andere Termine geplant, außer dem Treffen mit Herrn Macron?

StS Seibert: Nein. Die Reise gilt einer ausführlichen Begegnung mit dem französischen Präsidenten und seinem Team.

Frage: Ich habe erst einmal eine Frage an das Innenministerium - da wird sich in der Kürze der Zeit nichts an der Haltung des Innenministers geändert haben -, was die bundesweite Beobachtung der AfD angeht. Können Sie noch einmal ganz kurz erläutern, was seine Beweggründe sind, dass dies im Moment nicht der Fall ist?

Herr Seibert, können Sie die Haltung der Kanzlerin dazu sagen?

Neymanns: Der Minister hat sich ja am Wochenende dazu geäußert. Für diejenigen, die das nicht ganz genau verfolgt haben, möchte ich dies zitieren:

"Natürlich muss man immer genau hinschauen, und das tut der Verfassungsschutz, ob es sich bei Aussagen von Parteimitgliedern oder Zusammenarbeit mit bestimmten Gruppen um Einzelmeinungen oder parteipolitische Linie handelt. Derzeit liegen die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Partei als Ganzes für mich nicht vor."

Wenn ich dazu noch ein bisschen ausführen darf: Grundlage für die Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit ist das Bundesverfassungsschutzgesetz, nämlich die §§ 3 und 4. In § M 3 steht:

"Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen ... über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind."

In Bezug auf die AfD als Ganzes liegen hierfür in der erforderlichen Gesamtbetrachtung keine Erkenntnisse vor.

StS Seibert: Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Der Kollege hat den 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes zitiert. Darin sind die Voraussetzungen festgeschrieben, unter denen eine solche Beobachtung stattfinden würde. Die Sicherheitsbehörden und die dortigen Fachleute sind in der Lage zu entscheiden, wann was getan werden muss. Darauf vertraut die Bundeskanzlerin.

Frage: Ich habe zwei Fragen an Herrn Neymanns: Möglicherweise wurde dem Bundesinnenminister auch einfach die falsche Frage gestellt, beziehungsweise vielleicht ist das alles zu allgemein formuliert. Wie ist denn die Haltung des Bundesinnenministers zu der Frage, ob Teile, Strukturen oder einzelne Akteure der AfD vom Verfassungsschutzbeobachtet werden sollten?

Als Anschlussfrage, was ja vielleicht eine gewisse innere Logik gibt: Wie ist aus der Sicht des Bundesinnenministeriums sonst zu erklären, dass Teile, Strukturen und Akteure der Linkspartei, die ja im Bundestag sitzt, in einem Bundesland sogar den Ministerpräsidenten stellt und an anderen Landesregierungen beteiligt ist, noch vom Verfassungsschutz beobachtet werden?

Neymanns: Meine Ausführungen waren, glaube ich, in dem Sinne relativ klar. Es geht hier um die Partei als Ganzes. Zu Spekulationen, ob einzelne Personen beobachtet werden sollen, möchte ich nicht beitragen. Derzeit liegen keine Gründe vor, die Partei als Ganzes zu beobachten. Das spricht aber nicht dagegen - so ist es bei der Linken -, dass Teilorganisationen der AfD nach sorgfältiger Prüfung und Abwägung gegebenenfalls beobachtet werden. Bei der Linken wird ja auch nicht die Bundespartei als Ganzes beobachtet, sondern Teilorganisationen der Linken. Das ist dann aber im Regelfall keine Entscheidung, die das Bundesamt für Verfassungsschutz trifft, sondern die Landesämter für Verfassungsschutz.

Frage: Daran anknüpfend meine Erklärungsfrage zum Vorgehen: Wer entscheidet dann? Kann der Bundesinnenminister sozusagen anordnen, dass eine Organisation - egal, welche es ist - als Ganzes beobachtet wird? Wie ist da das Verfahren? Wie ist das bei einem Landesverband? Muss dann die Landesregierung oder der Innenminister des Landes entscheiden: "Wir beobachten die AfD in Sachsen-Anhalt oder diese Organisation"? Erklären Sie einfach einmal das Verfahren, wie das funktioniert. Also: Wer kann das in die Wege leiten?

Neymanns: Ich muss zugeben: Das weiß ich jetzt nicht. Ich versuche, das von den Kollegen zu erbitten und nachzuliefern.

Zur Landesebene kann ich sowieso nichts sagen. Ich gehe davon aus, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Erkenntnisse bündelt und dann zu irgendeinem Zeitpunkt - jetzt völlig hypothetisch gesprochen und nicht auf die AfD bezogen - zu dem Ergebnis kommt, ab demnächst müsste die Organisation XY beobachtet werden. Inwieweit dann der Bundesinnenminister die finale Entscheidung treffen müsste, weiß ich nicht. Ich versuche, das in Erfahrung zu bringen, und liefere es sonst gern am Nachmittag nach, wenn ich jetzt nichts bekomme.

Frage: Herr Neymanns, nun arbeitet ja die AfD offensichtlich sehr eng mit Pegida zusammen. Ist das denn nicht ein Grund, die Frage der Beobachtung doch noch einmal neu zu überdenken?

Neymanns: Die Frage der Beobachtung muss nicht neu gedacht werden. Das Bundesamt beobachtet laufend entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag, ob in einer Organisation Bestrebungen vorliegen, die den Kernbestand des Grundgesetzes beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen, unabhängig von irgendwelchen Zusammenarbeiten. Das ist Grundaufgabe des Bundesamts für Verfassungsschutz, und das tut es auch.

Frage: Eine kurze Nachfrage: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Pegida schon beobachtet wird, weil das, was da vorgetragen wird, teilweise gegen das Grundgesetz gerichtet ist?

Neymanns: Zu einzelnen konkreten Beobachtungen nehme ich hier nicht Stellung.

Zusatzfrage: In Chemnitz gab es dieses Wochenende den Schulterschluss zwischen Pegida, der Gruppierung "Pro Chemnitz" und der AfD. Die AfD ist mit fast 100 Leuten im Deutschen Bundestag repräsentiert. Bei der Gruppierung "Pro Chemnitz" wurden letzte Woche öffentlich Hitlergrüße gezeigt. Wenn sich diese Oppositionspartei aus dem Deutschen Bundestag mit einem ihrer wichtigsten Politiker, Herrn Höcke, dahinbegibt, wo öffentlich der Hitlergruß gezeigt und "Ausländer raus!" gerufen wurde - ich glaube, ich habe da am Wochenende auch "Deutschland den Deutschen!" und Sachen wie "Deutschland, Deutschland über alles" gehört -, meinen Sie nicht, dass es dann Zeit ist, da vielleicht ein bisschen besser nachzuschauen?

Neymanns: Ganz grundsätzlich ist es natürlich nicht akzeptabel, wenn irgendwo nationalsozialistische Symbole, Zeichen oder Ähnliches verwendet werden; das ist völlig klar. Dem muss auch konsequent entgegengetreten werden. Aber in Deutschland stehen die Parteien als wesentlicher Bestandteil der demokratischen Willensbildung natürlich unter einem besonderen Schutz; auch das darf man nicht vergessen. Das hatte ich vorher versucht zu sagen. Wenn von der Partei als Ganzes verfassungsfeindliche Bestrebungen ausgehen, dann könnte sie nach sorgfältiger Prüfung Beobachtungsobjekt sein. Dass Einzelne oder viele lokal vielleicht auch anders agieren, das erlaubt noch nicht die Beobachtung der gesamten Partei.

Zusatzfrage: Sie glauben doch nicht im Ernst, dass, wenn Herr Höcke als wichtiger Politiker dort auftritt, wo öffentlich der Hitlergruß gezeigt wurde - das sind Bewegungen, die Journalisten, die Polizei und auch andere Menschen angreifen und verletzen -, das auf Bundesebene nicht abgesprochen wird, dass man das nur selbst entscheidet. Sie sehen das also nur als einen Einzelfall? Das hat also nichts mit der Partei als Ganzes zu tun, die da zum ersten Mal mit Pegida, aber auch mit "Pro Chemnitz" zusammen auftritt?

Neymanns: Ich möchte jetzt hier den Einzelfall, wie Sie ihn bezeichnen, nicht bewerten. Ich sage, dass derzeit beim Bundesamt für Verfassungsschutz keine ausreichenden Erkenntnisse vorliegen, um die Partei AfD als Ganzes als Beobachtungsobjekt zu führen, ohne dass ich einzelne oder viele Vorfälle damit irgendwie rechtfertigen möchte oder Ähnliches. Ich habe vorhin gesagt: Es ist klar, dass Vorfälle, bei denen nationalsozialistische Symbole etc. benutzt werden, konsequent verfolgt werden müssen. Aber das geht dann gegen die Einzelperson.

Frage: Ich beziehe mich auf die Kritik von Thomas Oppermann, Bundestagsvizepräsident und, ich glaube, in der Vergangenheit auch Staatsanwalt. Er weiß also auch, wovon er juristisch spricht. Seine Forderung war, der Verfassungsschutz solle oder müsse das arbeitsteilige Zusammenwirken von AfD und Neonazis beobachten. Ist das, was Sie vorhin sagten, nämlich dort, wo dies konkret passiere, müsse dies gegebenenfalls durch die Landesämter stattfinden, das, was Oppermann meint? Wird also das, was Oppermann fordert, in der Realität schon getan? - Das war die erste Frage.

Die zweite Frage: Wenn sich dabei herausstellt, dass auch relevante, repräsentative Mitglieder der Bundespartei, Bundestagesabgeordnete daran mitwirken, ist dann das Bundesamt mit im Boot, oder sagen Sie: "What happens in Chemnitz, stays in Chemnitz"?

Neymanns: Nein. Das habe ich nicht gesagt, das wollte ich auch nicht sagen. Das, was Oppermann gemeint hat, weiß ich natürlich nicht.

Noch einmal: Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet kontinuierlich und wird selbstverständlich auch die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen beobachten. Wenn sich dadurch verfassungsfeindliche Bestrebungen ergeben, wird das in die Bewertung einfließen; das ist ganz klar.

Ich habe diesen Punkt jetzt schon ein paar Mal wiederholt und will es jetzt gerne zum letzten Mal machen: Der derzeitige Stand der Erkenntnisse rechtfertigt eine Beobachtung der Bundespartei AfD als Ganzes nicht.

Zusatzfrage: Da Chemnitz ja auch so eine Art Kristallisationspunkt von Aktivitäten aus anderen Teilen der Bundesrepublik ist, stehen Sie, steht das Bundesamt in engem Austausch mit den Landesämtern über Erkenntnisse, die dort konkret vorliegen?

Neymanns: Selbstverständlich. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, auch in seiner Zentralstellenfunktion, steht natürlich ständig in Kontakt mit den Landesämtern.

Frage: Ich habe eine Frage an das Innenministerium: Heute wollte, wenn ich mich recht entsinne, der Innenminister mit den betreffenden Mitarbeitern vom BAMF zusammentreffen, um zu klären, warum der Mensch nicht ausgewiesen werden konnte. Da gab es offensichtlich ein Hin und Her. Die Details habe ich leider nicht parat. War das Treffen schon, und was ist dabei herausgekommen?

Neymanns: Es stimmt: Der Minister hat dazu auch die Leitung des BAMF in das BMI eingeladen, und zwar zu diesen, aber auch zu vielen anderen Fällen und auch zum Sachstandgespräch. Nach meiner Erkenntnis hat das Gespräch noch nicht stattgefunden. Aber es ist auch kein öffentliches Gespräch, sodass ich Ihnen nicht viel Hoffnung machen kann, dass wir danach große Ergebnisse veröffentlichen.

Zusatzfrage: Das wird aber heute sein?

Neymanns: Der Plan ist, dass es heute ist, ja.

Zusatzfrage: Können Sie auch sagen, wann das heute ist?

Neymanns: Vor dem Nachmittag.

Zusatzfrage: Vor dem Nachmittag?

Neymanns: Ja.

Vorsitzende Wefers: Jetzt müssen wir nur noch klären, wann der Nachmittag beginnt. Das ist ja eine bewegliche Zeit.

Frage: Herr Neymanns, es tut mir leid, ich muss versuchen, zu Chemnitz noch ein bisschen anders und vielleicht grundsätzlicher zu fragen: Ist das, was wir vonseiten der AfD in den vergangenen acht, neun Tagen in Chemnitz erlebt haben, aus der Sicht des Bundesinnenministeriums dazu angetan, die verfassungsfeindliche Qualität dieser Partei neu zu bewerten, oder ist das, was in Chemnitz passiert ist, im Grunde genommen "more of the same", oder ist Chemnitz tatsächlich etwas Signifikantes, auch aus der Sicht des Bundesinnenministeriums, was den Blick auf diese Partei einfach noch einmal verändert?

Neymanns: Ich finde nicht, dass ich in meiner bisherigen Wortwahl unklar war. Ich habe gesagt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz kontinuierlich beobachtet und auch solche Ereignisse wie jetzt in Chemnitz selbstverständlich mit in die Bewertung einfließen lässt. Ich bitte um Verständnis, dass ich von hier aus jetzt nicht einzelne Parteien oder Ähnliches bewerte. Das ist ja genau die Aufgabe, die der Bundesverfassungsschutz hat. Das möchte ich aber von dieser Position aus bitte nicht machen.

Frage: Ich habe eine Frage an Herrn Seibert und an das Auswärtige Amt: Wie bewertet die Bundeskanzlerin, also die Bundeskanzlerin aller Menschen in Deutschland, die Geschehnisse in Chemnitz, auch vom Wochenende, bei denen es den Schulterschluss zwischen AfD, Pegida und der Hooligangruppierung "Pro Chemnitz" gegeben hat und bei denen in der vergangenen Woche der Hitlergruß öffentlich gezeigt wurde? Wie sieht sie das, dass dieser Schulterschluss jetzt vollzogen wird?

Das Auswärtige Amt würde ich gern fragen: Die Welt schaut auch ein bisschen darauf, was in Sachsen passiert. Es gab einige Titelblätter, auch deutscher Medien wie die "Frankfurter Allgemeine" und der "Spiegel", die ein bisschen beunruhigend aussahen. Die Schweiz hat dazu aufgerufen, in bestimmten deutschen Städten bei Demonstrationen aufzupassen. In Israel ist man ziemlich besorgt. Wie sorgen Sie sich um das Bild Deutschlands im Ausland angesichts der Geschehnisse in Sachsen?

Die letzte Frage bezüglich des sogenannten Rechts auf Selbstverteidigung richtet sich an Herrn Seibert: Herr Gauland als Oppositionsführer im Bundestag hat gesagt, man müsse ein Recht auf Selbstverteidigung haben. Ich glaube, manche Leute nehmen das buchstäblich. Wie bewerten Sie namens der Bundeskanzlerin aller Deutschen, dass da für Selbstverteidigung plädiert wird?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hat sich schon in der vergangenen Woche klar und deutlich zu den Ereignissen in Chemnitz geäußert. Sie hat ihre tiefe Betroffenheit über die grausame Tötung des jungen Mannes ausgedrückt. Das ist eine Tat, die natürlich nach Gerechtigkeit verlangt. Diese Gerechtigkeit wird mit den Mitteln unseres Rechtsstaats auch hergestellt werden. Die Polizei hat Tatverdächtige gefasst. Wenn sich deren Schuld bestätigt, dann werden sie die Härte unserer Gesetze zu spüren bekommen. Wir alle sollten uns hinter unseren Rechtsstaat und seine Organe stellen.

Diese Tat hat in Chemnitz - das ist sehr verständlich - natürlich Trauer und auch Besorgnis ausgelöst. Das haben viele Menschen in Chemnitz ausgedrückt, zum Beispiel indem sie Kerzen am Tatort niedergelegt und sich auch in Veranstaltungen und Gesprächsrunden geäußert haben.

Aber das, was wir in den vergangenen Tagen und an diesem Wochenende leider auch gesehen haben, diese Aufmärsche gewaltbereiter Rechtsextremisten und Neonazis, hat mit Trauer um einen Menschen oder mit Sorge um eine Stadt, um ein Gemeinwesen wirklich nicht das Geringste zu tun. Von diesen Aufmärschen sollte eine ganz andere Botschaft ausgehen, und das ist die Botschaft des Hasses auf Ausländer, auf Politiker, auf die Polizei, auf die freie Presse, letztlich auf unser demokratisches Deutschland, in dem wir mit all unseren Unterschieden auf der Basis des Rechts respektvoll zusammenleben wollen.

Diejenigen, die mit diesen Botschaften und dieser Gewaltbereitschaft marschiert sind - manche von ihnen haben auch noch schamlos ihre Nähe zum Nationalsozialismus gezeigt -, stehen natürlich weder für Chemnitz, noch stehen sie für die Sachsen insgesamt, noch sind sie das Volk. Das müssen wir ihnen mit allen Mitteln der Politik, wo nötig des Rechtsstaats klarmachen. Aber das kann auch jeder Bürger, der seine Stimme erhebt, ihnen klarmachen, jeder, der Haltung zeigt gegen den Hass, gegen die Versuche, unser Land zu spalten, jeder, der für Mitmenschlichkeit und für Achtung vor dem Einzelnen eintritt. Es ist gut zu sehen, dass in diesen Tagen in Chemnitz und anderswo so viele Menschen Haltung für die Grundwerte unserer Demokratie gezeigt haben.

Eines möchte ich noch tun, auch gerade wieder nach diesem Wochenende - ich tue das für die Bundesregierung -: Wir sollten den Polizistinnen und Polizisten danken, die in Chemnitz im Einsatz sind. Es ist haarsträubend und traurig, wie sie aus den Reihen der Rechtsextremisten zum Teil angegangen werden und was sie sich dabei anhören mussten. Die Polizei steht an solchen Tagen wirklich in der ersten Reihe der Verteidigung unserer Demokratie. Dafür verdienen die Polizistinnen und Polizisten unseren Dank und unsere Unterstützung.

Zusatz: Könnten Sie noch etwas zur Selbstverteidigung sagen?

Vorsitzende Wefers: Sie haben drei Fragen gestellt. Jetzt lassen Sie erst einmal antworten; denn sonst bestreiten Sie hier die meiste Zeit. Ich habe noch mehrere Leute zu diesem Thema auf meiner Liste stehen. Vielleicht machen wir erst einmal die Antwortrunde. Dann können Sie noch einmal nachfragen. Anschließend gehen wir weiter.

Burger: Ich würde gerne das zitieren, was Außenminister Maas gestern - ich glaube, bei einem Auftritt in Bayern - gesagt hat. Er hat gesagt:

"Das wird im Ausland natürlich beobachtet, was bei uns in Deutschland stattfindet. Da wird sehr genau hingeschaut. Ich glaube aber, dass die Lautstärke der Radikalen, die wir im Moment sehen auf den Straßen in Chemnitz, reguliert wird durch die Laustärke der Anständigen, die, die für ein weltoffenes, tolerantes Land eintreten wollen. Für die ist es eine gute Zeit, sich jetzt dazu zu bekennen. Davon wird viel abhängig sein, wie wir im Ausland gesehen werden."

Vorsitzende Wefers: Jetzt haben wir noch das Recht auf Selbstverteidigung.

Neymanns: Auch dazu hat sich der Bundesminister klar positioniert:

"Bei allem Verständnis dafür, dass die Menschen in Chemnitz und auch anderswo über das brutale Tötungsdelikt aufgebracht sind, verbietet es sich in einem Rechtsstaat, zu Gewalt aufzurufen. Allein der Staat hat das Gewaltmonopol. Auch deshalb ist der Begriff Selbstverteidigung im Zusammenhang mit Gewalt kein passender Begriff. Ich empfehle daher allen politischen Kräften, die sich in der Verantwortung für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat sehen, sich von Aufstachelung und Gewaltanwendung deutlich zu distanzieren und von jeglichem Versuch einer Legitimierung Abstand zu nehmen."

Frage: Herr Seibert, auch wenn die Neonazis die Lautesten waren, waren sie wahrscheinlich eine Minderheit bei dem Marsch. Jetzt gibt es eine Diskussion darüber, wie mit denen umzugehen ist oder wie diejenigen zu bewerten sind, die keine Hitlergrüße gezeigt haben, aber dennoch mitmarschiert sind. Die Bürgermeisterin von Chemnitz hat gesagt:

"Wer sich wiederholt rechten Hetzern anschließt, die bewusst den Tod eines Menschen für Hetze missbrauchen und den Hitlergruß zeigen, der macht sich mit ihnen gemein und der stärkt die rechte Szene."

Wie sehen Sie das? Kann man mit solchen Menschen mitmarschieren?

StS Seibert: Es ist auf jeden Fall immer richtig, genau hinzuschauen und auch notwendige Unterscheidungen zu treffen. Es ist aber auch richtig, dass es, wenn man bei einem solchen Marsch dabei ist, an dessen Rand oder aus dessen Mitte heraus es Hitlergrüße oder neonazistische Parolen, Gewalt- oder Hassparolen gibt, gut wäre, wenn man selbst nicht so denkt, man würde für sich eine ganz klare Linie ziehen und sich dann von denjenigen distanzieren, die so unterwegs sind.

Frage: Eine Frage an Herrn Seibert: Sie hatten vorigen Montag mit Blick auf die Ereignisse am vorvergangenen Wochenende von Zusammenrottung und Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens beziehungsweise anderer Herkunft gesprochen. Nun sagte die Generalstaatsanwaltschaft in Sachsen, dass es nach dem ihr vorliegenden Material in Chemnitz an diesen Tagen solche Hetzjagden nicht gegeben habe. Haben Sie da andere Erkenntnisse, und wenn ja, welche? Oder würden Sie möglicherweise diese Aussage bezüglich der Hetzjagden korrigieren?

StS Seibert: Ich werde hier keine semantische Debatte über ein Wort führen. Wenn die Generalstaatsanwaltschaft das sagt, dann nehme ich das natürlich zur Kenntnis. Es bleibt aber dabei, dass Filmaufnahmen zeigen, wie Menschen ausländischer Herkunft nachgesetzt wurde und wie sie bedroht wurden. Es bleibt dabei, dass Polizisten und Journalisten bedroht, zum Teil auch angegriffen wurden. Es bleibt dabei, dass es Äußerungen gab, die bedrohlich waren, nah am Aufruf zur Selbstjustiz. Also da gibt es aus meiner Sicht auch nichts Kleinzureden. Aber ich nehme natürlich ernst, was die Generalstaatsanwaltschaft zu diesem konkreten Begriff sagt.

Frage: Eine Frage an Herrn Seibert: Sie hatten es ja gerade ausgeführt. Es geht um die Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Da stellt sich natürlich die Frage, warum die Bundeskanzlerin noch nicht selbst nach Chemnitz gereist ist. Plant sie das noch zu tun, und wenn nicht, warum?

Da es auch um Rechtsstaatlichkeit geht, auch die Frage an Herrn Neymanns. Warum ist Innenminister Seehofer dort vor Ort noch nicht aufgetreten?

StS Seibert: Noch einmal: Die Bundeskanzlerin hat sich in der vergangenen Woche klar und deutlich zu den Ereignissen in Chemnitz geäußert. Das heißt, es ist jedem in Chemnitz und außerhalb klar, wo sie in dieser Frage steht. Sie hat mit Ministerpräsident Kretschmer und auch mit der Oberbürgermeisterin Ludwig telefoniert und steht weiter mit den Verantwortlichen in ständigem Kontakt. Zurzeit kann ich Ihnen von keinen Reiseplänen nach Chemnitz berichten.

Neymanns: Auch der Bundesinnenminister steht natürlich in engem Kontakt. Er hat am letzten Freitagvormittag - das habe ich aber am Freitag auch schon berichtet - mit Ministerpräsident Kretschmer telefoniert. Auch er hat derzeit keine konkreten Pläne, nach Chemnitz zu fahren.

Frage: Das passt sehr gut dazu. Die Familienministerin Giffey hat gesagt, sie würde sich wünschen, dass mehr Kabinettsmitglieder hinreisen würden. Nun haben Herr Seibert und Herr Neymanns schon geantwortet. Gibt es vielleicht Reisepläne bei den anderen Ministerien? Da könnte man ja einfach kurz "ja" sagen, und damit wäre das abgegessen. - Auch das Justizministerium?

Krüger: Nein, ich kann dazu auch nichts berichten.

Frage: Kurz noch die Frage, wahrscheinlich an das Innenministerium, ob es bekannt ist, dass es aus Sachsen irgendwelche Kontakte zum Ausland gibt, also genauer gesagt zu Stephen Bannon, der hier in Europa auch versucht, so eine Sammlungsbewegung zusammenzubringen, auch im Blick die Europawahl. Ist da irgendetwas bekannt?

Neymanns: Konkret ist mir dazu nichts bekannt.

Frage: Ihre Aussage, Herr Seibert, Herr Neymanns, dass zurzeit keine Reisepläne nach Chemnitz bekannt sind, schließt aber nicht aus, dass in der - sagen wir einmal - mittleren Zukunft, wenn man nicht den Eindruck hektischer Reaktion haben muss, solche Reisen stattfinden? Richtig?

Neymanns: Richtig.

Frage: Zur Verurteilung mehrerer Reuters-Reporter in Myanmar: Die EU und auch die UN haben sich ja schon mehrfach zu dem Verfahren geäußert. Möchte sich auch die Bundesregierung dazu äußern? Wie sieht die Bundesregierung die Lage dort vor dem Hintergrund dieser Verurteilung?

Burger: Dazu hat sich heute die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Kofler, geäußert. Das müsste Ihnen entweder schon zugegangen sein oder in den nächsten Minuten noch zugehen.

Vom Tenor her kann ich Ihnen sagen, dass wir die Verurteilung der beiden myanmarischen Journalisten Wa Lone und Kyaw Soe Oo zu einer Gefängnisstrafe von jeweils sieben Jahren mit Bestürzung zur Kenntnis genommen haben. Wir sehen dieses Urteil als einen herben Rückschlag für die Presse- und Medienfreiheit im Myanmar. Die beiden Journalisten wurden wegen Landesverrats schuldig gesprochen, auf der Grundlage eines Gesetzes aus der Kolonialzeit. Sie haben nichts anderes getan, als die Wahrheitsfindung in Rakhine zu unterstützen.

Insofern ist aus unserer Sicht alles zu ermutigen, was bei der Aufklärung der Wahrheit über die grausamen Menschenrechtsverletzungen in Rakhine beiträgt. Natürlich hoffen wir darauf, dass dieses Urteil revidiert wird.

Zusatzfrage: Versucht die Bundesregierung, dort in irgendeiner Form Einfluss zu nehmen? Denn Sie sagten, Sie hoffen darauf, dass diese Urteile revidiert werden.

Burger: Wir haben dieses Urteil zur Kenntnis genommen. Ich habe Ihnen eben unsere erste Reaktion darauf vorgetragen. Wir sind natürlich auch mit unseren europäischen Partnern in Kontakt, was das weitere Vorgehen angeht, übrigens nicht nur, was dieses Urteil jetzt angeht, sondern auch in Bezug auf die Veröffentlichung des Berichts der Fact Finding Mission am 27. August, wo es um die Aufklärung der Ereignisse in Myanmar geht, die schockierend und entsetzlich sind und die aus Sicht der Bundesregierung strafrechtlich aufgearbeitet werden müssen.

Frage: Sie haben angesprochen, dass Sie mit den anderen befreundeten Ländern koordinieren werden. Gibt es Überlegungen, auf EU-Ebene koordiniert eine Antwort gegenüber Myanmar zu formulieren?

Burger: Genau. Das ist das, was ich versucht habe zu sagen, als ich sagte "Wir prüfen mit unseren Partnern das weitere Vorgehen". Es ist ja so, dass wir bereits im April im EU-Rahmen Sanktionen gegen myanmarische Militärs verhängt und verschärft haben, denen eine Beteiligung an einer Menschenrechtsverletzung dort vorgeworfen wird.

Frage: Eine Frage an Herrn Seibert und Herrn Burger: Was sind denn Ihre Erwartungen, welche Auswirkungen die Tötung des Separatistenführers in der Ostukraine, Alexander Sachartschenko, auf die Bemühungen einer Stabilisierung oder gar eines Friedensprozesses, des Minsker Prozesses, haben wird?

StS Seibert: Zunächst einmal beobachtet die Bundesregierung die Lage im Donbass nach der Tötung von Herrn Sachartschenko natürlich sehr genau. Die Anwendung von Gewalt ist grundsätzlich zu verurteilen. Wir rufen alle Seiten dazu auf, sich auch jetzt weiter konstruktiv an den Verhandlungen zu beteiligen, in der trilateralen Kontaktgruppe wie im Normandie-Format. Beide Seiten hatten ja gerade erst Ende August - ich glaube, am 29. August - die Waffenruhe bekräftigt. Seitdem ist die Zahl der Waffenruheverletzungen zurückgegangen. Es ist wirklich wichtig, dass jetzt eine Eskalation vermieden wird.

Die Bundesregierung, die Kanzlerin, der Außenminister werden ihr Engagement in diesem Friedensprozess jedenfalls fortsetzen. Der gewaltsame Tod von Herrn Sachartschenko macht ja die Bemühungen, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, nicht weniger wichtig - ganz im Gegenteil.

Frage: Mich würde interessieren: Herr Barnier hat sich am Wochenende zum Stand der Verhandlungen des Brexit besorgt geäußert. Ich weiß, eine Runde im Kabinett beschäftigt sich ja auch immer damit. Wird diese Einschätzung eigentlich von Seiten der Bundesregierung geteilt, die Herr Barnier da zum Ausdruck gebracht hat?

StS Seibert: Man muss noch einmal ganz grundsätzlich daran erinnern: Die Brexit-Verhandlungen werden ausschließlich zwischen der Europäischen Kommission, also ihrem Chefunterhändler Barnier, und der Regierung Großbritanniens geführt. Herr Barnier hat sich klar zu den britischen Vorschlägen geäußert. Dem habe ich für die Bundesregierung nichts hinzuzufügen. Für uns gilt: Die Leitlinien des Europäischen Rates sind die Grundlage für die Verhandlungen.

Frage: Eine Frage an Herrn Seibert zur Organspende: Der Bundesgesundheitsminister spricht sich heute für eine Änderung der Regelung aus. Persönlich sagt er, er würde sich wünschen, zu einer doppelten Widerspruchslösung bei der Organspende zu kommen. Er sagt dann auch, er möchte jetzt eine breite Debatte lostreten. Er würde sich auch wünschen, dass die Kanzlerin sich daran beteiligt. Möchte sie sich daran beteiligen, und hat sie dazu eine Haltung? Hat sie dazu eine Meinung gebildet? Wenn ja, welche ist das?

Eine ähnliche Frage bitte auch an das Justizministerium, Frau Barley betreffend. Hat auch sie sich eine Meinung gebildet? Wenn ja, welche?

StS Seibert: Zunächst einmal muss man ja als Hintergrund für diese ganze Debatte wissen: Der traurige Befund ist, wir haben in Deutschland leider - auch im internationalen Vergleich - eine sehr niedrige Zahl von Organspenden. Im Koalitionsvertrag haben die Partner miteinander vereinbart: Wir wollen die Zahl der Organspenden in Deutschland erhöhen.

Nun hat der Bundesgesundheitsminister dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt und seine Idee einer doppelten Widerspruchslösung ins Spiel gebracht. Die Bundeskanzlerin hat schon mehrfach für Organspenden geworben. Sie findet es richtig, dass eine solche Debatte im Deutschen Bundestag geführt wird. Wenn sie dort geführt wird, dann wird sie sich daran sicherlich auch mit Interesse beteiligen.

Krüger: Ich muss sagen, ich kann dazu gerade nichts beitragen. Sollte es dazu etwas zu berichten geben, trage ich das nach. Das ist mir einfach nicht bekannt, ob sie eine Haltung dazu hat.

Zusatzfrage: Ich darf trotzdem einmal nachfragen. Herr Seibert, Sie sagen, die Debatte soll im Bundestag geführt werden. Aber das ist natürlich eine Debatte, zu der sie sich vielleicht auch schon vorher, vielleicht aus dem heutigen Anlass, eine Meinung gebildet hat. Also hat die Kanzlerin dazu eine Meinung, oder hat sie sie noch nicht und wird sie sich erst im Laufe der Auseinandersetzung mit dem Thema im Bundestag bilden?

StS Seibert: Sie hat mit Sicherheit eine Meinung. Ich kann sie Ihnen heute nicht sagen. Aber Sie können sicherlich der Tatsache, dass die Kanzlerin sich in der Vergangenheit mehrfach werbend für Organspenden ausgesprochen hat und sie den derzeitigen Zustand der sehr niedrigen Zahl von Organspenden sehr beklagenswert findet, entnehmen, dass sie sich dann auch engagiert zu Wort melden wird.

Vorsitzende Wefers: Ich glaube, aus dem Justizministerium gibt es jetzt doch eine Nachricht.

Krüger: Ja, genau.

Ich kann hier die Haltung von Bundesministerin Barley vortragen. Sie hat zu dem Thema gesagt:

"Ich trage selbst immer meinen Organspendeausweis mit mir. Ich begrüße auch jeden Ansatz, das Thema Organspende weiter zu enttabuisieren. Bei der Organspende gibt es aber noch andere Probleme als die Spendenbereitschaft allein. Wir dürfen da keine falschen Erwartungen wecken. Es wäre gut, wenn der Bundestag darüber offen diskutiert."

Frage(zu Tötungsdelikten in Deutschland): Herr Neymanns, gestern gab es einen Bericht, wonach die Zahl der Tötungen, bei denen nicht Deutsche unter den Tätern waren und die Opfer Deutsche waren, im Vergleich zum vorherigen Jahr merklich gestiegen ist. Können Sie die Zahlen bestätigen? Gibt es dazu irgendeinen Kommentar oder eine Einordnung? Sie sind ja im derzeitigen politischen Klima nicht ganz unexplosiv.

Neymanns: Ich habe jetzt den Artikel nicht ganz durchgearbeitet. Darin waren ja relativ viele Zahlen. Die Anfrage, die an das BKA dazu ging, bezog sich im Wesentlichen auf die Zahlen aus der PKS aus den letzten Jahren, also der Polizeilichen Kriminalstatistik. Da sind noch einmal detailliertere Fragen nachgeliefert worden, nicht dass der Eindruck entsteht, es sei irgendein Dokument exklusiv wohin auch immer gegangen. Ich weiß, dass das BKA auch diverse Nachfragen dazu hat, die auch heute beantwortet werden.

Im Grundsatz kann ich sagen: Ja, die Zahlen stimmen. Sie sind öffentlich. Sie sind auch bekannt. 2013 ist in der PKS-Statistik in Opfer-Merkmale differenziert worden. Ab 2015 wurden auch Täter-Merkmale differenziert aufgeschlüsselt. Insofern kann man diese Untersuchung nicht auf viele Jahre zurückverfolgen, sondern, wenn man jetzt unterschiedliche Täter-Merkmale vergleichen möchte, nur bis 2015.

Ich möchte jetzt von dem Platz aus keine Bewertung der einzelnen Zahlen vornehmen. Das sind die Zahlen, wie sie sich darstellen. Eine Einordnung oder eine Gesamtschau finden Sie in der PKS. Aber es ist selbstverständlich wie bei allen Delikten zu hoffen, dass die Zahlen in Zukunft wieder rückläufig sind. Aber jetzt eine Tendenz oder Ähnliches daraus abzulesen, das möchte ich von hier aus nicht. Das kann ich auch nicht.

Frage: Ich habe eine Frage an das BMI, aber auch an das Justizministerium. Das Thema bezieht sich auf einen Terrorangriff in Amsterdam vor wenigen Tagen. Es wurden bei dem Terrorangriff im Hauptbahnhof in Amsterdam zwei Menschen mit einem Messer verletzt. Zwei amerikanische Bürger waren das. Die niederländische Polizei hat gesagt, es handele sich bei dem Täter um einen Asylbewerber aus Deutschland. Ich wollte fragen, ob Sie nähere Erkenntnisse darüber haben, woher der Mann kommt. Aber ich würde auch gern wissen, ob die deutschen Dienste - die Polizei, aber vielleicht auch der Verfassungsschutz - etwas über den Mann gewusst haben und ob er, vielleicht auch beim Justizministerium, wegen Vorstrafen bekannt ist?

Neymanns: Zunächst einmal vielleicht einleitend: Das, was in Amsterdam passiert ist, ist natürlich bedauerlich und ein schrecklicher Vorfall. Die niederländische Justiz wird da hoffentlich, wenn sich der Tatverdacht erhärtet, auch schnell zu einem Verfahren kommen.

Ich kann nur zwei Sachen bestätigen:

Erstens. In der Tat war die Person - in mehr Details kann ich nicht gehen, auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes; das kennen Sie - Asylbewerber in Deutschland. Das Asylverfahren war noch nicht abgeschlossen. Es gab einen ablehnenden Asylbescheid, gegen den die Person geklagt hat, und da gibt es noch keine Entscheidung. Insofern hat er zum jetzigen Zeitpunkt eine sogenannte Aufenthaltsgestattung.

Zweitens - auch dazu hatten Sie nachgefragt -: Im BKA liegen derzeit keine Erkenntnisse vor, dass die Person als Gefährder oder auch als relevante Person einzustufen ist.

Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Zusatzfrage: Können Sie, wenn Sie neuere Erkenntnisse haben, diese vielleicht nachreichen, zum Beispiel bezüglich Wohnort oder so etwas?

Neymanns: Solche Sachen werde ich hier im Detail nicht nennen dürfen. Am Mittwoch ist aber die nächste Regierungspressekonferenz, sprechen Sie das Thema dann also gerne noch einmal an. Wenn wir neue Erkenntnisse haben, reichen wir sie dann natürlich nach, klar.

Frage: Herr Neymanns, ich beziehe mich auf ein heute erschienenes Interview des Staatssekretärs Kerber, in dem es um die Pläne für eine neue Islamkonferenz geht. Er spricht in diesem Interview auch von Gesprächsformaten, die angedacht sind. Mich würde einfach interessieren: Gibt es da konkretere Pläne, wann das Ganze tatsächlich umgesetzt werden soll, und auch wie die Gesprächsformate aussehen sollen?

Neymanns: Mit "umgesetzt" meinen Sie, wann die stattfinden soll?

Zusatz: Genau.

Neymanns: Okay. - Derzeit laufen in der Tat die Vorbereitungen. Der Minister, aber auch der Staatssekretär haben sich ja in den letzten Wochen sehr klar dazu positioniert, dass das Format Deutsche Islamkonferenz, wie es 2006, wenn ich es richtig im Hinterkopf habe, vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen wurde, auch in dieser Legislaturperiode fortgesetzt werden wird, und zwar verglichen mit der vorherigen Legislaturperiode in neuem Format und auch in neuer Zusammensetzung. Derzeit wird abgestimmt, erarbeitet und besprochen, wie man das genau macht; deswegen kann ich zu Inhalten und zu Formaten derzeit noch nicht viel sagen. Ich gehe aber davon aus, dass die Veranstaltung der Deutschen Islamkonferenz, die sicherlich auch einen öffentlichkeitswirksamen Teil haben wird, in der zweiten Novemberhälfte stattfinden wird. Ort, genaue Zeit usw. habe ich noch nicht.

Frage: Herr Neymanns, am Wochenende hat die "Bild am Sonntag" von einem vertraulichen Bericht des Bundesrechnungshofs berichtet, in dem Ihrem Ministerium erhebliche Versäumnisse im Zusammenhang mit einer BAMF-Außenstelle vorgeworfen werden. Wir nehmen an, dass das die Außenstelle Bremen ist. Können Sie das bestätigen? Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen des Bundesrechnungshofs?

Neymanns: Der Bundesinnenminister kam ja mit dem Bundesrechnungshof überein, dass im Zuge der üblichen Prüfung des Bundesrechnungshofs im BMI auch die Vorfälle in der BAMF-Außenstelle Bremen durch den unabhängigen Bundesrechnungshof überprüft werden. Diese Prüfung ist jetzt abgeschlossen. Das übliche Verfahren ist, dass der Bundesrechnungshof dem Geprüften den Entwurf einer Prüfmitteilung zuschickt, und dieser hat dann sechs Wochen lang Zeit, eine Stellungnahme zum Entwurf der Prüfmitteilung zu verfassen. Das werden unsere Leute im Haus jetzt machen.

Insofern: Es gibt diesen - noch vertraulichen - Bericht, der geht an das BMI, und jetzt gibt es Zeit, dazu Stellung zu nehmen. Es sind jetzt einzelne Punkte über das Wochenende hochgekommen, die angeblich in diesem Bericht stehen. Da wir jetzt - das gehört sich so - gegenüber dem Bundesrechnungshof Stellung nehmen, möchte ich jetzt nicht auf einzelne Punkte eingehen.

Ich will aber noch einmal darauf hinweisen, dass der Bundesinnenminister im Haushalt dafür gesorgt hat, dass das BAMF erheblich gestärkt wird. Im Haushalt 2018 bekommt das BAMF Mittel für 1650 neue Stellen. Es gab auch immer eine Diskussion in der Öffentlichkeit darüber, dass das BAMF in der Übergangszeit, in der Aufbauphase mit vielen befristeten Stellen gearbeitet hat, und um Kettenbefristungen zu vermeiden, konnte man die Verträge einmal oder vielleicht zweimal verlängern, konnte dann aber keine weitere Verlängerung anbieten und musste neue Leute auf die Jobs setzen, in denen man eigentlich schon geschultes Personal hatte. Mit Blick darauf hat der Bundesinnenminister im Haushalt erreicht, dass bei 4500 vorhandenen die Haushaltsvermerke gestrichen werden, sodass diese zu Dauerplänen, zu Planstellen umgebaut werden können.

Gleichzeitig möchte ich auch noch einmal sagen, dass das Thema Fachaufsicht im BMI natürlich eine zentrale Rolle spielt. Das für Fachaufsicht zuständige Referat ist gestärkt worden, um gerade die Fachaufsichtsfunktion gegenüber dem BAMF besser bewältigen zu können. Es ist auch klar, dass diese Stärkung in den nächsten Jahren weiter erfolgen wird.

So viel vielleicht einmal vorläufig und ohne unserer Stellungnahme vorzugreifen.

Zusatzfrage: Wann ist dieser Bericht des Bundesrechnungshofs eingegangen, wann sind die sechs Wochen also um?

Neymanns: Nageln Sie mich bitte nicht darauf fest, aber ich glaube, er ist Donnerstagabend eingegangen. Dazu haben wir am Donnerstag auch eine ganz kurze Pressemitteilung veröffentlicht.

Frage: An das Auswärtige Amt und vielleicht auch an Herrn Seibert zum Verhältnis zu Namibia: In der vergangenen Woche sind ja in einer sehr bewegenden Veranstaltung sterbliche Überrest von Toten, die 1904 in Auseinandersetzungen durch deutsche Kolonialtruppen getötet worden sind, an Namibia übergeben worden. Staatsminister hat die Herero und Nama persönlich um Verzeihung gebeten. Dabei wurde aber deutlich, dass es bislang immer noch keine Entschuldigung der Bundesregierung gibt, so wie es nach immerhin vier Jahren Verhandlung offenbar auch keinerlei Fortschritt in der Frage einer möglichen finanziellen Zahlung gibt. Erste Frage: Wann können wir mit einer solchen Entschuldigung der Bundesregierung als Bundesregierung rechnen? Zweite Frage: Von welchem Zeitrahmen können wir hinsichtlich finanzieller Beschlüsse ausgehen?

Burger: Wir haben das ja in der letzten Woche im Zuge der Gedenkveranstaltung und in der Vorbereitung dazu mehrfach erklärt: Ziel der Gespräche, die Herr Polenz im Namen der Bundesregierung mit Namibia führt, ist eben auch, dass am Ende dieser Verhandlungen über die historische Aufarbeitung des geschehenen Unrechts eine Entschuldigung steht, aber dann eben auch in einer Form, in der sie von der namibischen Seite als solche akzeptiert wird. Herr Polenz ist am Freitag gemeinsam mit Staatsminister Müntefering, der namibischen Delegation und den Gebeinen, die übergeben wurden, nach Namibia gereist, um dort die, ich glaube, siebte Verhandlungsrunde mit der namibischen Seite zu führen. Ich habe aus diesen Gesprächen heute noch keinen Rücklauf. Wir wünschen uns natürlich, dass diese Gespräche möglichst zeitnah zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden können, aber - das hatte ich hier letzte Woche auch schon ausgeführt - das sind natürlich Gespräche, denen nicht wir unseren Rhythmus vorgeben können.

Zusatzfrage: Das bedeutet aber auf jeden Fall, dass es am Ende eine offizielle Entschuldigung der Bundesregierung und auch einen aussagekräftigen finanziellen Betrag, in dem sich die historische Verantwortung Deutschlands ausdrückt, geben wird? Das ist das Ziel Ihrer Verhandlungen?

Burger: Das Ziel ist, dass Deutschland am Ende auf Basis einer mit Namibia vereinbarten Sprache um Entschuldigung bittet, das ist richtig. Auch die anderen Aspekte, die Sie genannt haben, sind Teil dieser Gespräche.

Frage: An das Innenministerium: Gibt es etwas Neues in den Verhandlungen mit Italien über die Rückführung der Migranten?

Neymanns: Ich kann Ihnen hier keinen neuen Stand mitteilen.

Montag, 3. September 2018

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 3. September 2018
www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/08/2018-09-03-regpk.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2018

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