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PRESSEKONFERENZ/1532: Regierungspressekonferenz vom 11. September 2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift Pressekonferenz - Montag, 11. September 2017
Regierungspressekonferenz vom 11. September 2017

Themen: überhöhte Vergütungszahlungen aus der Lkw-Maut an private Betreibergesellschaften, Nordkorea-Konflikt, Äußerungen des Bundesjustizministers zum Parteiprogramm der AfD, Menschenrechtsverletzungen in Myanmar, Bundestagswahlkampf, Inhaftierungen von Deutschen in der Türkei, Personalie

Sprecher: StS Seibert, Susteck (BMVI), von Tiesenhausen-Cave (BMF), Scholz (BMJV), Kock (BMI), Schäfer (AA), Mänz (BMZ), Nannt (BMVg)


Vorsitzende Wefers eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Frage : Drei Fragen: Herr Susteck, wie viele Millionen aus der Lkw-Maut sind denn sozusagen unrechtmäßig an private Autobahnbetreiber gegangen? Können Sie sagen, seit wann sich das vollzogen hat? Und die wichtige Frage: Wird denn das Ministerium zu viel gezahlte Maut von den Betreibern zurückfordern?

Susteck: Vielen Dank. Lassen Sie mich noch ein bisschen weiter ausholen, um das einzuordnen. Bei den ÖPP-Projekten, über die wir jetzt sprechen, handelt es sich um alte ÖPP-Projekte der ersten Generation, die unter Verkehrsminister Tiefensee vor 2009 vergeben worden sind. Die Finanzierung dieser ÖPP-Projekte gestaltet sich verkehrsmengenabhängig. Es hängt also davon ab, wie viele Lkw über eine bestimmte Strecke fahren. Danach richtet sich die Vergütung.

Wir sprechen hier, wie gesagt, über ÖPP-Projekte, die vor 2009 vergeben worden sind. Sie haben Vertragslaufzeiten von 30 Jahren oder mehr. Über einen so langen Zeitraum wird es immer wieder Gesprächsanlässe geben. Dabei sind nicht alle Fragen vorhersehbar und im Voraus vertraglich zu klären.

Ein Anlass für solchen Gesprächsbedarf war die Ausweitung der Lkw-Maut auf 7,5-Tonner durch den Bund im Jahr 2015. Darauf bezieht auch die Berichterstattung in der "Süddeutschen Zeitung" heute. Wir haben damals die 7,5-Tonner in das bestehende Lkw-Mautsystem einbezogen. Die Gewichtsklassen lassen sich im System nicht unterscheiden. Deshalb sind wir mit den Betreibergesellschaften dieser ersten ÖPP-Projekte jetzt im Gespräch. Die Vergütungen durch die Auftragsverwaltung werden derzeit nur unter Vorbehalt gezahlt. Unser Ziel ist völlig klar, nämlich dass die ursprünglich vertraglich vereinbarte Vergütung abzurechnen ist, dass der Bundeshaushalt nicht belastet wird.

So weit vorweg, und jetzt zu Ihrer Frage nach den konkreten Zahlen: Ich kann Ihnen jetzt keine konkreten Summen nennen. Ich kann Ihnen sagen, dass es sich um einen vergleichsweise geringen Betrag handelt, wenn man es ins Verhältnis zu den Milliardeneinnahmen setzt, die wir durch die Lkw-Maut erzielen.

Zusatzfrage : Wenn ich kurz nachfragen darf: Der Verweis auf den Vorgänger im Ministeramt hilft ja wenig. Denn seit 2015 ist das so. Im System ist dann doch offensichtlich ein struktureller Fehler, wenn Sie die kleineren Lkw nicht herausrechnen und überhaupt nicht erfassen können.

Susteck: Das sehe ich insofern anders, als dass wir heute keine ÖPP-Projekte mehr nach dem damaligen Vergütungssystem vergeben. Das Vergütungsmodell des sogenannten Verkehrsmengenrisikos - das heißt, dass sich die Vergütung nach der Zahl der Lkw richtet, die über eine bestimmte Strecke fahren - ist ein Verfahren, das wir heute nicht mehr anwenden. Die Vergütung heute richtet sich nach der Qualität der Straße und der Verfügbarkeit der Straße, aber nicht nach dem Verkehrsaufkommen.

Frage: Eine Frage an die Bundesregierung: Seit wann wird die Vergütung unter Vorbehalt gezahlt? Wieso führt die Bundesregierung ein System ein, das seinen Grundlagen nach zumindest für die alten ÖPP-Projekte untauglich ist? Das muss doch vorher geklärt worden sein. Wer hat damals gepennt, Herr Tiefensee oder Herr Dobrindt?

Susteck: Ich nehme an, dass ich diese Frage für die Bundesregierung beantworte. Ich verweise noch einmal darauf: Wir sprechen über Vertragslaufzeiten von mehreren Jahrzehnten. Es geht hier um Verträge, die vor 2009 abgeschlossen worden sind. Daraus ergibt sich immer wieder an der einen oder anderen Stelle Gesprächsbedarf. Wir werden diese Gespräche mit den Betreibern zu einem Abschluss bringen. Unser Ziel ist völlig klar, dass der Bundeshaushalt nicht belastet wird.

Zusatzfrage: Das war jetzt haarscharf an meiner Frage vorbei. Seit wann werden die Vergütungen unter Vorbehalt bezahlt? Ist schon 2005 bekannt gewesen, dass die Einbeziehung der Kleinlieferwagen in das Mautsystem mit der Vertragsgrundlage der alten ÖPP-Projekte kollidiert? Mit welcher Begründung wurde das System trotzdem eingeführt?

Susteck: Ich kann Ihnen jetzt keine Zahlen nennen. Gegebenenfalls kann ich Ihnen das nachreichen. Klar ist, dass wir nach meiner Kenntnis die Vergütung unter Vorbehalt zahlen, seitdem dieser Gesprächsbedarf im Raum steht und diese Fragen geklärt werden müssen.

Zusatzfrage: Seit wann steht es unter Vorbehalt? Das muss doch in Ihrem Ministerium anhand der Aktenlage erkennbar sein. Seit 2015, seit 2016 oder seitdem Herr Dobrindt weiß, dass er das Ministerium verlässt? Seit welchem Zeitpunkt?

Susteck: Ich kann mich nur noch einmal wiederholen. Ich verweise auf die Antwort, die ich Ihnen gerade gegeben habe.

Frage: Es ist wahrscheinlich ähnlich aussichtslos, aber meine Frage ist, wieso Sie die Summe nicht genauer nennen können, wenn Sie nur unter Vorbehalt zahlen. Sie wissen, um welche Projekte es geht. Sie wissen, wie viel sie eigentlich bekommen sollten. Wenn Sie unter Vorbehalt zahlen, müssen Sie ja eine Summe nennen, die Sie eigentlich für angemessen halten würden - und das Darüberhinausgehende ist unter Vorbehalt oder in der Art. Wieso können Sie uns nicht sagen, wie viele Millionen es sind, die Sie zu viel gezahlt haben? Oder können Sie es nicht vielleicht doch, wenn Sie es ganz doll versuchen?

Susteck: Ich kann Ihnen jetzt keine konkreten Zahlen nennen. Ich verweise noch einmal darauf: Es handelt sich um einen vergleichsweise geringen Betrag durch die - - -

Zuruf: Im Vergleich wozu? Dafür müssen Sie doch die Summe kennen, um sich - - -

Susteck: Verglichen mit den Mauteinnahmen, die wir jährlich durch die Lkw- Maut erzielen.

Zusatzfrage: Aber für diese Aussage, dass es vergleichsweise klein ist, müssen Sie doch die Größe kennen. Sonst können Sie diese Aussage doch nicht sinnvoll treffen, Herr Susteck.

Susteck: Ich kann Ihnen jetzt keine konkreten Zahlen nennen.

Zusatzfrage: Wann können Sie sie mir denn nennen?

Susteck: Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich kann Ihnen jetzt das - - -

Zuruf: Wann können Sie mir das denn sagen?

Susteck: Ich kann Ihnen gegebenenfalls Zahlen nachreichen. Aber im Moment liegen mir keine konkreten Zahlen vor, die ich Ihnen jetzt hier nennen kann. Ich verweise noch einmal darauf: Wir sind im Gespräch mit den Betreibergesellschaften. Alle Zahlungen, die derzeit erfolgen, werden unter Vorbehalt getätigt.

Frage: Unstrittig ist aber auch nach den Verträgen, dass die 7,5-Tonner nicht Teil dieses Vertrages sind, oder ist das auch noch strittig? Ich weiß nicht, ob in den Verträgen vielleicht nur von Lkw die Rede ist oder von Lkw-Maut. Ist denn klar, dass es in den alten Verträgen nur um die 12-Tonner ging? Das ist die erste Frage.

Die zweite Frage: Sie sagen, Sie können das Datum nicht sagen. Die Ausweitung auf 7,5-Tonner ist ja jahrelang vorbereitet worden. Man wusste ja, dass das kommt. Dann müsste man doch eigentlich schon vorher sagen können, wenn man es nicht genauer ausrechnen konnte, dass klar ist, dass es ab dann unter Vorbehalt ist, also ab 2015, weil man sich ja schon Jahre vorher darauf eingestellt hat.

Susteck: Zu Ihrer ersten Frage: Die Vergütung der in den Jahren vor 2009 vergebenen ÖPP-Projekte erfolgt, wie von mir beschrieben, verkehrsmengenabhängig auf der Grundlage der Maut für Lkw ab 12 Tonnen.

Zu Ihrer zweiten Frage verweise ich noch einmal auf das, was ich gerade gesagt habe. Wir sind im Gespräch mit den Betreibergesellschaften.

Frage: Herr Susteck, können Sie einem technischen Laien erklären, warum ein System nicht in der Lage ist, Unterschiede zwischen 7,5- und 12-Tonnern zu machen? Das ist doch keine Raketentechnologie.

Susteck: Ich bin kein Technikexperte für das Erhebungsverfahren der Maut. Wir können Ihnen gern nachreichen, wie die Mauteinnahmen genau erhoben werden und auf welcher Grundlage dies passiert. Dazu gibt es übrigens auch weitreichende Informationen auf unserer Homepage.

Zusatzfrage: Mich interessiert das wirklich, weil die Aussage ja immer war, das System sei nicht in der Lage, den Unterschied zu machen. Systeme können, wie gesagt, angepasst, verändert werden und sind meistens sowieso von der Grundanlage her zu verschiedenen Dingen fähig. Warum dieses System zu dieser eigentlich simplen Unterscheidung nicht in der Lage sein soll, das wüsste ich gern.

Susteck: Wie gesagt, die 7,5-Tonner, die im Zuge der Ausweitung 2015 mautpflichtig geworden sind, sind in das bestehende Mautsystem einbezogen worden. Dort lassen sich Gewichtsklassen im System nicht unterscheiden.

Zusatzfrage: Eben. Warum nicht?

Susteck: Ich habe Ihnen jetzt die Sachlage dargestellt und verweise noch einmal darauf: Wir sind im Gespräch mit den Betreibergesellschaften. Das habe ich jetzt schon mehrfach wiederholt. Darüber hinaus wenden wir die Vergütungssysteme heute nicht mehr so an wie in den Verträgen vor 2009.

Frage : Ich würde es gern noch einmal beim BMF versuchen. Frau von Tiesenhausen, erstens, sind Sie denn davon überrascht, dass es höhere Zahlungen an ÖPP-Betreiber gegeben hat, als laut Gesetz eigentlich vorgesehen war?

Werden die Summe, die ihnen dann möglicherweise überwiesen werden, eigentlich so genommen, wie sie sind, oder wird da auch geprüft? Ich frage ganz laienhaft.

von Tiesenhausen-Cave: Ich muss Sie enttäuschen. Das ist Ressortzuständigkeit des BMVI. Alle Fragen, die den Vollzug, Überweisungen usw. angehen, bitte an den Kollegen.

Zusatzfrage : Ich habe noch eine technische Nachfrage an Herrn Susteck. Es ist doch so, dass auch die Lkw unter 12 Tonnen On-Board-Units an Bord haben müssen und dass dann über Software auch festgestellt werden kann, ob das ein großer oder ein kleiner Lkw ist. Ist das technisch so?

Susteck: Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Das Mautsystem richtet sich, wie gesagt, nicht nach Gewichtsklassen, sondern beispielsweise nach der Zahl der Achsen, auch nach dem Schadstoffausstoß. Das ist die Grundlage.

Ich möchte hier noch einmal sagen, dass wir davon ausgehen, dass wir mit den Betreibern eine Lösung finden werden, wie der Lkw-Mautanteil identifiziert werden wird, und dass wir auch davon ausgehen, dass es nicht zu einer Belastung der Steuerzahler kommen wird.

Frage: Ich habe auch vor, es bei Frau Tiesenhausen zu versuchen. Auch wenn Sie ressortmäßig nicht für die Abläufe zuständig sind, müssten Sie doch die Zahlen kennen. Wenn Sie Herrn Susteck nicht vorliegen, dann liegt vielleicht Ihnen vor, was da geplant war und was jetzt hinausgegangen ist, und können Sie uns das ganz an der Ressortzuständigkeit vorbei hier jetzt trotzdem verraten.

von Tiesenhausen-Cave: Noch einmal grundsätzlich: Haushaltsvollzug ist Ressortzuständigkeit. Das Finanzministerium macht den Haushalt, stellt ihn auf. Aber dann, wenn es um die konkrete Bewirtschaftung geht, die einzelnen Zahlungen und auch Einnahmen aus einem Ressortbereich, liegt das beim zuständigen Fachressort. Es tut mir leid.

Frage: Nur kurz: Herr Seibert, teilen Sie meinen Eindruck, dass es sich hier um eine unbefriedigende Öffentlichkeitsaufklärung seitens eines der in Ihrer Regierung angesiedelten Häuser handelt?

StS Seibert: Nein.

Zusatzfrage: Finden Sie, dass die Fragen mit der Antwort jetzt vollumfassend beantwortet werden?

StS Seibert: Diese Beurteilung überlasse ich Ihnen. Sie haben mich gefragt, ob ich einen bestimmten Eindruck teile. Diesen teile ich nicht. Ich denke, dass der Kollege Susteck den Sachverhalt sehr klar in die technischen und zeitlichen Abläufe und Zusammenhänge eingeordnet hat.

Frage: 2018 wird die Maut noch einmal ausgeweitet. In dem Zusammenhang stellen Sie auch noch einmal neue Anforderungen an Toll Collect, welche Daten ausgewertet werden. Ist vorgesehen, dass dann auch nach Gewichtsklassen unterschieden wird?

Susteck: Das müsste ich Ihnen gegebenenfalls nachreichen.

Zusatzfrage: Ist es denn richtig, dass der Fehler sozusagen in den fehlenden Anforderungen an Toll Collect liegt, dass Sie diese Gewichtsklassenunterscheidung bei Toll Collect gar nicht erst angefordert haben?

Susteck: Ich kann nur noch einmal auf das verweisen, was ich Ihnen jetzt schon mitgeteilt habe. Ich denke, wir drehen uns ein Stück weit im Kreis. Wir stehen vor der Herausforderung, dass Vertragslaufzeiten von mehr als 30 Jahren einfach dazu führen, dass es immer wieder Gesprächsanlässe geben kann. Ein solcher Gesprächsanlass ist jetzt da. Die Verträge über die ÖPP-Projekte, über die wir hier reden, sind vor 2009 geschlossen worden. Damals gab es noch keine Ausweitung der Lkw-Maut auf 7,5-Tonnen-Lkw. Sie kam mehrere Jahre später. Im Zuge dieser Ausweitung haben sich jetzt die Fragen ergeben, bei denen wir davon ausgehen, dass wir sie mit den Betreibergesellschaften lösen werden. Alle Zahlungen geschehen unter Vorbehalt. Es wird zu keiner Mehrbelastung des deutschen Steuerzahlers kommen.

Zusatzfrage: Zum Nachreichen: Können Sie noch sagen, was das "gegebenenfalls" heißt?

Susteck: "Gegebenenfalls" heißt: Wir informieren uns. Ich reiche Ihnen nach, wie die Erhebung ab 2018 erfolgen soll, sofern die Zahlen und Informationen nicht bei uns auf der Homepage sind.

Vorsitzende Wefers: Dann geben Sie es netterweise uns; dann können wir es an alle verteilen. Danke schön.

Frage: Genau das wäre auch mein Wunsch gewesen. Ich finde es absolut unbefriedigend, dass auf ganz konkrete sachliche Fragen wie "Stehen diese Anforderungen darin oder nicht?" noch einmal mit der gleichen Erklärung und dem ironischen Hinweis "Wir drehen uns im Kreis" geantwortet wird. Es liegt ja nicht an uns, dass wir uns hier im Kreis drehen, sondern daran, dass einfach keine Frage dazu beantwortet wird - weder zu den Zahlen noch zu den technischen Abläufen oder den vertraglichen Grundlagen.

Nicht meine Bitte, sondern meine dringende Aufforderung wäre, dass wir das nicht gegebenenfalls irgendwann nachgeliefert bekommen, sondern definitiv bis heute, 15 Uhr. - Das fürs Protokoll.

Vorsitzende Wefers: Dann wird die Einlassung von Herrn Kreutzfeldt jetzt im Protokoll festgehalten. - Als nächstes Thema habe ich Nordkorea. Dazu haben sich mehrere gemeldet.

Frage: Eine Frage an Herrn Seibert oder vielleicht auch Herrn Schäfer: Die Bundeskanzlerin hat geäußert, wenn es einen Wunsch nach Beteiligung an Gesprächen zur Lösung des Nordkorea-Konflikts gebe, dann beteilige man sich gern. Von wem müsste dieser Wunsch denn kommen, von Nordkorea, Südkorea, China, den USA, oder ist er vielleicht schon gekommen? Wäre es eine europäische Sache, die die Bundeskanzlerin vielleicht auch selbst antreibt und anschiebt?

StS Seibert: Lassen Sie es mich vielleicht in den größeren Zusammenhang einordnen. Sie alle haben in den vergangenen Wochen die Auseinandersetzung um das nordkoreanische Waffenprogramm verfolgt, sowohl um die Nuklearwaffen als auch um die Raketen.

Man muss für die Bundesregierung noch einmal deutlich sagen: Die gegenwärtige Situation ist durch eine rasche Abfolge nordkoreanischer Provokationen ausgelöst worden. Jede einzelne von ihnen ist eine Verletzung der Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und damit ein Bruch des Völkerrechts.

Die Bundeskanzlerin hat sich wie auch andere Staats- und Regierungschefs international für eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Nordkorea ausgesprochen. Sie haben - und wir haben es hier vorgetragen - die verschiedenen Gespräche verfolgt, die sie dazu mit wichtigen Partnern geführt hat, mit Präsident Macron, mit Präsident Moon aus Südkorea, mit Herrn Abe aus Japan, mit Präsident Trump. Wie man in den Zeitungen lesen konnte, ist auch ein Telefonat mit Präsident Putin geplant. Das werde ich nicht dementieren.

In dem Zusammenhang haben wir - die Bundeskanzlerin, der Außenminister - immer ganz klar darauf hingewiesen: Es ist überhaupt nur eine Lösung friedlicher und diplomatischer Art denkbar. Damit es solch eine Lösung geben kann, muss aber der Druck auf Nordkorea erhöht werden, und zwar durch verschärfte Sanktionen, für die wir eintreten. Sollte sich dann eine Möglichkeit für informelle oder gar für formelle Gespräche mit Nordkorea ergeben, dann ist Deutschland in Abstimmung mit seinen Partnern gern bereit, solche Gespräche zu unterstützen, nach geeigneten Wegen zu einer friedlichen Lösung zu suchen. Wir unterhalten als eines von gar nicht so sehr vielen Ländern diplomatische Beziehungen zu Nordkorea. Deshalb haben wir angeboten, bei der Suche nach neuen Ansätzen zur Deeskalation behilflich zu sein.

Zu Ihrer Frage: Ein konkreter Wunsch, wie Sie es formuliert haben, ist derzeit noch nicht an uns herangetragen worden.

Frage: Herr Seibert, könnten denn die damaligen Iran-Verhandlungen in irgendeiner Form Vorbild sein? Falls ja, wie könnte man sich das konkret vorstellen? Denkt die Kanzlerin vielleicht sogar daran - ich meine, das eben ganz versteckt zwischen den Zeilen gehört zu haben -, dass Berlin ein möglicher Verhandlungsort sein könnte?

StS Seibert: Da machen Sie, denke ich, nicht nur den zweiten, sondern auch den vierten oder fünften Schritt vor dem ersten. Ich glaube auch nicht, dass darüber seitens der Bundeskanzlerin oder des Außenministers gesprochen wurde.

Sie haben möglicherweise am Wochenende ein Interview der Bundeskanzlerin in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" gelesen, in dem sie tatsächlich eine gewisse Parallele zu den Iran-Verhandlungen gezogen hat, und zwar dahingehend, dass auch diese Verhandlungen einen sehr, sehr langen diplomatischen Atem gebraucht haben. Sie hat gesagt: Die haben begonnen, bevor ich ins Amt kam, und sie haben nach langem Atem, nach langer diplomatischer Geduld und nach der Aufbringung großer diplomatischer Energien zu dem gewünschten positiven Resultat geführt. - Das kann natürlich - aber so weit sind wir in keiner Weise - tatsächlich auch etwas sein, das möglicherweise zur Beilegung der nordkoreanischen Krise, wie ich es jetzt einmal nenne, beitragen könnte. Aber so weit sind wir noch nicht.

Wir sind jetzt in der Phase, dass wir die Weltgemeinschaft einen, und zwar rund um die Resolutionen der Vereinten Nationen, rund um eine Entschlossenheit, eine friedliche Lösung zu suchen, aber auch den Druck auf das nordkoreanische Regime durch eine Verschärfung der Sanktionen zu erhöhen. Daher gibt es die vielen diplomatischen Kontakte, die die Bundeskanzlerin hat und die auch der Außenminister verfolgt.

Zusatzfrage: Dann wäre es ja in diesem Rahmen ein schöner Zug des US-Präsidenten, wenn er das Iran-Abkommen nicht in die Tonne kloppen würde. Gibt es denn Hinweise darauf, dass das nicht geschehen wird? Hat die Kanzlerin da Anlass zu einem gewissen Optimismus?

StS Seibert: Die Haltung der amerikanischen Regierung zum Iran-Abkommen müssten Sie bitte dort abfragen. Wir sind jedenfalls für eine Beibehaltung dieses Abkommens.

Schäfer: Die - Herr Seibert hat das gesagt - Iran-Verhandlungen hatten teilweise sogar Züge einer regelrechten Karawane, würde ich sagen. In diesen zwölf Jahren ist es zu Verhandlungen in Zentralasien, auf der Arabischen Halbinsel, mehrfach in Wien, in der Schweiz, in New York und überall gekommen. Ich fürchte, das Nordkorea-Dossier ist in mancher Hinsicht noch vertrackter als das Iran-Dossier. Zu glauben, dass man dabei innerhalb eines Rhythmus von Monaten oder gar Wochen zu einer Lösung kommen kann, ist nicht wirklich realistisch. Deshalb ist ja die Aufforderung der Bundesregierung immer die nach Geduld und nach Diplomatie sowie danach, nach politischen Lösungen zu suchen.

Frage: Herr Scholz, seit wann weiß Ihr Minister, dass das Parteiprogramm der AfD in vier Punkten verfassungswidrig ist?

Die Frage an das andere Verfassungsministerium, das des Inneren: Was haben die beiden Verfassungsministerien der Bundesregierung unternommen, um ein Parteiprogramm, das offenkundig verfassungswidrig ist, juristisch und politisch dort aufzuarbeiten, wo es hingehört, nämlich beim Verfassungsgericht und durch das Verbot einer Partei?

Scholz: Sie spielen auf den Namensbeitrag von Herrn Minister Maas an, der heute veröffentlicht worden ist. Herr Maas gibt dort seine Einschätzung und Auffassung zum AfD-Programm wieder, und dem habe ich, ehrlich gesagt, auch nichts hinzuzufügen. Die konkrete Frage, seit wann er dieser Auffassung ist, kann ich Ihnen, ehrlich gesagt, nicht beantworten.

Zusatzfrage: Ich bin ja ein juristischer Laie. Aber Herr Maas hat ja nicht drum herumgeschrieben, sondern hat gesagt, mindestens in den Punkten Religion, Familie, Strafrecht und Europa sei das Parteiprogramm der AfD verfassungswidrig. Meine Frage: Wenn man als Minister eines Verfassungsressorts diese Erkenntnis hat, hat man die dann als Privatperson, oder hat man die als mit Kompetenz des Justizministers ausgestattetes Ressort? Wenn Letzteres gälte, ergäbe sich daraus nicht automatisch die Schlussfolgerung, diese Partei verbieten zu lassen?

Scholz: Nein, für ein Parteienverbot, um das vorwegzuschicken, wäre der Justizminister sicherlich nicht zuständig; das wissen Sie ja auch.

Ansonsten kann ich nur noch einmal darauf hinweisen, dass sich Minister Maas in diesem Beitrag das Programm der AfD angeschaut hat, die Forderungen, die darin stehen, und diese Forderungen als inhaltliche Einschätzung bewertet hat. Darum ging es.

Zusatz: Also eine folgenlose Bewertung.

Scholz: Das müssen Sie beurteilen, ob das folgenlos ist.

Zusatzfrage: Ich wollte noch wissen, ob das Innenministerium diese Erkenntnis des Herrn Maas teilt.

Kock: Die Ausführungen von Herrn Justizminister Maas stehen für sich und werden von uns nicht weiter juristisch bewertet.

Frage : Eine Frage an das Innenministerium: Es gab im April einen Brief der AfD an das Innenministerium, in dem die AfD - ich sage es jetzt mit meinen Worten - um Beistand gebeten hat. Ist dieser Brief jemals seitens des Ministers beantwortet worden?

Kock: Mir ist der Sachverhalt jetzt nicht bekannt.

Zusatzfrage : Können Sie das dann bitte nachreichen? Wir hatten das ja auch schon einmal als Thema in der Regierungspressekonferenz. Das ist also - - -

Kock: Das könnte ich gegebenenfalls nachreichen.

Zusatz : Nicht gegebenenfalls! Das lässt sich ja beantworten. Danke.

Frage: Herr Seibert, wird die Bundeskanzlerin in irgendeiner Form darauf reagieren, möglicherweise juristisch, dass ihr von einer sehr prominenten AfD-Politikerin vorgeworfen wurde, Herr Erdogan töte in ihrem Auftrag, oder sagt sie "Das ist Wahlkampf, und ich ignoriere das"?

StS Seibert: Ich kenne die Äußerung jetzt nicht, ehrlich gesagt, die Sie da ansprechen. Das müsste ich mir einmal anschauen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass keine juristischen Schritte geplant sind. Die Äußerung kann ich, wie gesagt, nicht kommentieren, weil ich sie nicht kenne. Von wem soll die stammen?

Zusatz: Das hat Frau von Storch in einem längeren Gespräch gesagt, das sie mit dem Kollegen Jung geführt hat. Darin hat sie mehrfach gesagt: Der Einzige, der schießt, ist Herr Erdogan. Er tötet im Auftrag der Bundeskanzlerin. - Das war der veröffentlichte Wortlaut.

Frage : Noch einmal zurück nach Asien. Der Uno-Menschenrechtskommissar hat Myanmar heute vorgeworfen, ein Negativbeispiel für ethnische Säuberungen gegen die Rohingya-Minderheit zu sein. Ich weiß, dass sich Deutschland um den Reformprozess in Myanmar bemüht. Deshalb frage ich: Welchen Kontakt hat die Bundesregierung denn im Moment zu Myanmar? Ist geplant, irgendwelche Entwicklungsgeldzahlungen an Myanmar zu stoppen, bis die Verfolgung dieser Minderheit aufhört? Die Frage geht an das BMZ und das Auswärtige Amt.

StS Seibert: Wenn ich ganz kurz etwas zu diesem Thema vorgeben darf: Wir verfolgen - ich denke, das gilt auch für die angesprochenen Ressorts - die Entwicklung in Myanmar mit sehr großer Sorge. Die Berichte aus der Region sprechen ja von weitreichenden Menschenrechtsverletzungen, von einer hohen Zahl von Toten und Verletzten, vielen Flüchtlingen, vielen Vertriebenen. Das ist ein sehr dramatisches Bild. Wenn die UN sagt, dass allein in den letzten zwei Wochen 290 Menschen - größtenteils eben Angehörige der muslimischen Rohingya-Minderheit - ins Nachbarland Bangladesch geflohen sind, dann zeigt das ja sehr deutlich die Dramatik der Situation.

Wir rufen alle Konfliktparteien zu einer friedlichen Lösung auf. Wir rufen die Regierung Myanmars auf, ihrer Verantwortung für alle Bevölkerungsgruppen des Landes gerecht zu werden, und das erwarten wir gerade auch von der Friedensnobelpreisträgerin und Staatsrätin Aung San Suu Kyi.

Schäfer: Der Außenminister hat sich am Freitag öffentlich zur Lage in Myanmar geäußert, und zwar auf der Linie dessen, was Herr Seibert gerade für die Bundesregierung vorgetragen hat. Wir haben natürlich Kontakte mit der Regierung. Wir beteiligen uns an den Diskussionen und Debatten in den Vereinten Nationen. Ich denke, dass der Regierung Myanmars einschließlich der Friedensnobelpreisträgerin angesichts vieler öffentlicher Äußerungen nicht nur aus Deutschland klar geworden sein sollte, dass es sehr viel Kritik aus dem Ausland an dem Umgang mit dieser muslimischen Minderheit in Myanmar gibt. Natürlich haben wir auch direkte bilaterale Kontakte mit der Regierung, die wir nutzen, um diese Botschaften zu übermitteln.

Ich kann von keinen konkreten Projekten und Ideen berichten, mit denen wir so, wie Sie das andeuten, irgendwelche Sanktionen oder ein Einfrieren von irgendetwas androhen. Ich glaube, jetzt geht es darum, mit der Regierung zu sprechen und sie für Dinge zu sensibilisieren, die in einem Teil des Landes geschehen, die nicht akzeptabel sind.

Das gilt im Übrigen auch für beide Seiten. Es gibt ja auch Rohingya-Rebellen, die Waffen in die Hand nehmen, um sich gegen die Zentralregierung zur Wehr zu setzen. Deshalb galt unser Aufruf auch von Anfang an allen Seiten, weiteres Blutvergießen zu vermeiden und zu versuchen, eine politische Lösung für eine schwierige Lage einer religiösen Minderheit zu finden.

Mänz: Weil Sie auch nach der Entwicklungszusammenarbeit gefragt hatten: Das BMZ finanziert im Rakhaing-Staat Maßnahmen zur Ernährungssicherung, Beschäftigungsförderung und zum Aufbau einer medizinischen Grundversorgung. Diese Maßnahmen sind, wie das bei uns heißt, konfliktsensibel angelegt. Das heißt, es wird keine Bevölkerungsgruppe bevorzugt oder benachteiligt, um diese bekannten Konflikte, die dort ohnehin bestehen, eben nicht noch zusätzlich anzuheizen oder zu verschärfen.

Tatsächlich ist es aktuell so: Aufgrund der Gewalteskalation ruhen unsere Maßnahmen derzeit. Aber - auch das möchte ich hinzufügen - sobald es die Situation wieder zulässt, werden wir diese Maßnahmen selbstverständlich fortführen.

Frage: Herr Seibert, Herr Schulz hat Frau Merkel die Vizekanzlerschaft nach dem 24. September angeboten. Können Sie über das Ausmaß der freudigen Überraschung oder vielleicht sogar von Dankesbekundungen berichten, mit denen die Kanzlerin auf diese Äußerung reagiert hat?

StS Seibert: Nein, das kann ich nicht. Sie werden auch verstehen, dass es gar nicht Teil meiner Arbeit als Regierungssprecher ist, hier jetzt Gefühlslagen zu vermitteln, zumal zu Themen, die nach der Bundestagswahl und damit eigentlich nicht in meinem Zuständigkeitsbereich liegen.

Zusatz: Sie malen sich jetzt also nicht schon eine Zukunft als Vizeregierungssprecher aus, sondern lassen es jetzt erst einmal auf den 24.September ankommen.

StS Seibert: Wie es immer so schön heißt: Es geht nicht um mich.

Frage: Herr Seibert, bei meinem Thema geht es auch nicht um Sie, aber ein bisschen doch. Deniz Yücel hat seinen Geburtstag im Gefängnis verbringen müssen. An diesem Datum gab es eine Reihe von Solidaritäts- und Unterstützungsbekundungen, an denen sich, glaube ich, auch Sie beteiligt haben.

Herr Schäfer, können Sie uns etwas darüber sagen, ob diese Form von Solidarität in irgendeiner erkennbaren Weise etwas ausrichtet, um seine Situation zu verbessern und das Verfahren möglicherweise irgendwann einmal in rechtsstaatliche Bahnen zu lenken, oder perlt das einfach ab?

StS Seibert: Das sind Solidaritätsbekundungen, an denen sich in ihrer gestrigen Rede in Delbrück auch die Bundeskanzlerin beteiligt hat.

Schäfer: Ich glaube, die ehrliche Antwort auf Ihre Frage ist Ja und Nein zugleich. Ich denke - nein, ich weiß -, dass Herr Yücel sehr aufmerksam zur Kenntnis nimmt, was in Deutschland alles für ihn und für seine Freilassung getan wird. Wir wissen aus den Gesprächen, die unser Botschafter und die auch andere Vertreter der Botschaft und des Generalkonsulats in den letzten Monaten mit Herrn Yücel haben führen können, wie wichtig ihm das ist. Deshalb bin ich ganz sicher, dass all das nicht vergeblich ist, weil es dazu beiträgt, jemandem, der in einer für ihn persönlich außerordentlich schwierigen Situation ist, der sich inzwischen seit weit über sechs Monaten - bald sieben Monaten - in Haft befindet, dem bis heute die Anklageschrift nicht zugestellt worden ist und der keine Vorstellung davon hat, ob und wann er jemals wieder auf freien Fuß gelangen kann, ganz sicher dabei zu helfen, den Rücken durchzudrücken und guter Stimmung zu sein, weil er weiß, dass ein ganzes Land hinter ihm steht.

Herr Seibert hat es gerade für die Bundeskanzlerin gesagt, und auch Herr Gabriel hat am Wochenende - viele andere haben das auch getan - Herrn Yücel zum Geburtstag gratuliert. Ich glaube, es ist ganz nachvollziehbar, dass das für ihn, für den eigentlich Betroffenen, ein ganz wichtiges Zeichen der Unterstützung und der Solidarität ist, das im Übrigen nicht nur aus der Politik, sondern aus der Zivilgesellschaft, von seinen Freunden aus seinem Heimatort und aus vielen anderen Kreisen - nicht zuletzt seiner Zeitung und den Medien - gesetzt wird.

Die Antwort ist gleichzeitig ehrlich Nein. Ich muss annehmen, dass solche Solidaritätsadressen die Verantwortlichen in der türkischen Regierung und der türkischen Justiz in keiner Weise bei ihrem, wie wir meinen, unrechtmäßigen Versuch erweichen lassen werden, Deniz Yücel dauerhaft seiner Freiheit zu berauben, weil er nicht mehr und nicht weniger getan hat, als seiner Arbeit nachzugehen, wie wir und wie Sie das für einen Journalisten für selbstverständlich halten.

Wo Sie gerade nachfragen will ich dann doch sagen, auch angesichts dieser sogenannten Reisewarnung, die am Wochenende vom türkischen Außenministerium veröffentlicht worden ist: Wir müssen davon ausgehen, und ich bedauere das sehr - es ist zu früh, das wirklich mit absoluter Sicherheit zu bestätigen, und ich sage das in aller Vorsicht, weil wir dafür konkrete Anhaltspunkte, aber noch keine offiziellen Informationen darüber haben; die bekommen wir ja leider auch nicht mehr -, dass erneut ein deutsches Ehepaar türkischer Abstammung in Istanbul in Polizeigewahrsam gekommen ist. Wir müssen davon ausgehen, dass einer der beiden weiterhin in Polizeigewahrsam ist und eine andere Person eine Ausreisesperre verhängt bekommen hat. Das heißt, der Albtraum, der inzwischen so viele deutsche Staatsangehörige, die nichts anderes machen wollten, als Urlaub in der Türkei zu verbringen, getroffen hat, setzt sich fort.

Deshalb bleibt uns und bleibt mir gar nichts anderes übrig, als noch einmal in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass unsere Reisehinweise - anders als die türkische Reisewarnung, über die man im Grunde, wenn man es könnte, schmunzeln müsste, weil das, was darin steht, mit der Realität, die hier 80 Millionen Deutsche und sicherlich auch türkische Besucher erleben, rein gar nichts zu tun hat - traurige Realität sind. Es kann jeden treffen, der in die Türkei einzureisen gedenkt. Man versieht sich keiner Gefahr, und plötzlich ist man in einem türkischen Gefängnis. Das ist die traurige Realität, der wir gegenüberstehen. Wir erleben es Tag für Tag, Woche für Woche, dass genau das passiert. Deshalb kann ich nur noch einmal ausdrücklich an alle, die den Plan und die Absicht haben, in die Türkei zu reisen - das sei Ihnen unbenommen -, appellieren, dass sie sich mit dem Gedanken beschäftigen, was in diesem Land zurzeit und unter dieser Führung passieren kann.

Zusatzfrage: Ihren Worten entnehme ich, dass Sie davon ausgehen, dass das in der Tat ein Ehepaar war, das auf Urlaubsreise sein wollte. Ihren Worten entnehme ich weiterhin, dass auch dieses Mal die Information darüber nicht von staatlicher türkischer Seite kam, sondern von zivilgesellschaftlicher Seite. Können Sie uns etwas über den Zeitpunkt sagen, zu dem diese Ingewahrsamnahme erfolgte?

Schäfer: Über das Wochenende; erneut gestern.

Frage: Herr Schäfer, ist damit nach Auffassung des Auswärtigen Amtes inzwischen eine Situation erreicht, wo man Reisenden zugestehen muss, dass sie ihre Reisen stornieren können, ohne auf den Kosten sitzen zu bleiben? Sind wir inzwischen so weit?

Schäfer: Das ist eine Entscheidung, die weder die Bundesregierung noch das Auswärtige Amt trifft, sondern das ist eine Entscheidung, die auf der Grundlage von privatrechtlichen Reiseverträgen bei Pauschalreisen zwischen demjenigen, der in die Türkei reisen möchte, und demjenigen, der ihm eine solche Reise möglich macht, zu entscheiden wäre.

Dass wir uns mit der Frage beschäftigen, ob aus unseren ernsten Reisehinweisen irgendwann eine Reisewarnung werden muss, das wissen Sie. Aber ich möchte hier noch einmal ganz ausdrücklich sagen, weil es auch Forderungen aus der Opposition gegeben hat, man möge doch jetzt bitte endlich, politisch sei das angebracht, eine Reisewarnung verhängen: Wir werden uns, anders als das anderswo geschieht, nicht dazu hinreißen lassen - über die sogenannte türkische Reisewarnung habe ich gerade schon ein paar Worte gesagt -, Reisehinweise politisch zu missbrauchen. Die Reisehinweise sind ein ganz wichtiges Instrument der Information aller deutschen Staatsbürger darüber, welche Risiken, welche Gefahren drohen können, wenn man in irgendein Land in dieser Welt reist. Die Glaubwürdigkeit diese Reise- und Sicherheitshinweise ist das höchste Gut, das wir bei uns im Auswärtigen Amt zu verteidigen haben, die wir dafür die Verantwortung übernehmen. Es arbeiten jeden Tag dutzende von Kollegen in den Länderreferaten, in unserem Krisenreaktionszentrum und in den Auslandsvertretungen daran, nach bestem Wissen und Gewissen zu beurteilen, wie die Risikolage in einem bestimmten Land ist.

Wir werden die Lage in der Türkei weiterhin sehr, sehr aufmerksam verfolgen. Wenn es zu einer täglichen Routine der türkischen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden wird, deutsche Staatsangehörige an der Grenze einzukassieren, in Polizeigewahrsam und dann in Untersuchungshaft zu nehmen, um sie dann monatelang darüber im Ungewissen zu lassen, was ihnen eigentlich zur Last gelegt wird, dann ist es möglich, dass dieser Moment kommt, dass eine Reisewarnung verhängt wird.

Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen: Die Türkei würde sich dann in eine Liste von Ländern wie Libyen, den Jemen, Syrien eingliedern - es gibt noch andere -, in denen Bürgerkriege wüten, in denen niemand auf den Gedanken käme, Urlaub zu machen. Die Türkei ist zu Recht ein beliebtes Urlaubsland für Deutsche. Das ist ein Grund mehr, sich das sehr, sehr, sehr sorgfältig zu überlegen. Aber die Willkür, die dort herrscht - darüber finden Sie auch Ausführungen in unseren Reise- und Sicherheitshinweisen -, die jederzeit hereinbrechende Möglichkeit, dass einem die Freiheit in der Türkei genommen wird, wenn man nichts anderes machen will, als Urlaub zu begehen, macht uns allergrößte Sorge. Das kann ich sicher sagen.

Zusatzfrage: Herr Schäfer, ist das eine quantitative Frage von weiteren Festsetzungen oder muss qualitativ im Verhältnis beziehungsweise für die Situation für die Gefährdung von Reisenden noch irgendetwas dazukommen?

Zusatzfrage: Glauben Sie, dass die Türkei damit spielt und noch bewusst zurzeit diesseits der Grenze zur Reisewarnung bleibt oder ist Ihnen das schon egal?

Schäfer: Wenn wir das wüssten. Wenn wir wüssten, was die Leute, die diese Entscheidung treffen, wirklich umtreibt. Wir wissen das nicht. Wir können darüber nur spekulieren. Ich denke, wenn eine übliche Antwort von mir wäre "Fragen Sie doch im türkischen Außenministerium nach" - - - Aber ich fürchte, auch da bekommen Sie keine ehrliche Antwort. Deshalb bleibt das im Bereich der Spekulation. Die Entscheidungen, die wir zu treffen haben, sind weder quantitative noch qualitative. Sie sind vielleicht eher qualitative. Wir müssen eine Bewertung dessen vornehmen, was wir faktisch beobachten können, und daraus Schlüsse für die Risiken und Gefahren für deutsche Staatsangehörige ziehen. Das ist keine quantitative Aufgabe, sondern das ist eine Frage der politischen Beurteilung auf der Grundlage von belegbaren Fakten.

Frage: Herr Schäfer, mit den Worten, die Sie vor einer halben Minute ausgesprochen haben - "Willkür", "die jederzeit hereinbrechende Möglichkeit" -, könnten Sie perfekt eine Reisewarnung begründen. Sie sagten vorher: Wenn es zur täglichen Routine wird. - Die qualitative Grundlage scheint gegeben. Das ist jetzt eine quantitative Frage, gemischt mit einer politischen Bewertung des Verhältnisses. Richtig?

Schäfer: Wir werden jetzt hier nicht öffentlich gemeinsam darüber verhandeln, ob und wann es eine Reisewarnung für die Türkei gibt. Das ist eine Aufgabe nicht von Ihnen, auch nicht von mir, sondern von unseren Experten in unserer politischen Abteilung, die sich Tag und Nacht mit der Lage in der Türkei beschäftigen, von unseren Experten in unserer Konsular- und Rechtsabteilung, die mit diesen Haftfällen umzugehen haben. Es ist eine Entscheidung, in die das Votum unserer Kolleginnen und Kollegen einfließt, die in Ankara, Istanbul und Izmir in unseren Generalkonsulaten sitzen. Ich kann Ihnen wirklich versichern, dass sich niemand im Auswärtigen Amt eine solche Entscheidung leicht macht. Wenn eine solche Entscheidung irgendwann einmal gefallen sein sollte, bin ich ganz sicher, dass Sie dann auch von ihr erfahren. Diese wird dann auch auf der Website des Auswärtigen Amtes eingestellt.

Frage: Herr Schäfer, ist das dann eine Ministerentscheidung? Ist es gängige Praxis im Auswärtigen Amt, dass der Minister lediglich das umsetzt beziehungsweise das sogar nur zur Kenntnis nimmt, was die von Ihnen eben erwähnten Fachreferate vorbereitet und dann auch entschieden haben?

Schäfer: Rein verfassungsrechtlich wäre eine solche Entscheidung eine Entscheidung der Bundesregierung, denn das Auswärtige Amt trägt die Verantwortung für Reise- und Sicherheitshinweise in Ausübung des nach Artikel 65 des Grundgesetzes bestehenden Ressortprinzips, entscheidet also als Auswärtiges Amt für die Bundesregierung. Üblicherweise werden Entscheidungen über die Veränderung des Reise- und Sicherheitshinweise ohne Beteiligung des Außenministers oder seiner Leitungsebene getroffen. In einem solchen Fall, in dem die öffentliche Aufmerksamkeit in Bezug auf diese Fälle sehr groß ist, darüber hinaus das tatsächliche Risiko, unter dem deutsche Staatsangehörige Tag für Tag in und mit der Türkei leben müssen, ein besonderes ist, halte ich es für möglich, ja für wahrscheinlich, dass eine solche Entscheidung dann auch vom Außenminister persönlich getroffen wird. Aber selbst wenn sie von ihm persönlich nicht getroffen werden würde, wie viele hunderte, wie viele tausende Entscheidungen jeden Tag im Auswärtigen Amt, trägt er natürlich die politische Verantwortung dafür.

Zusatzfrage: Es wäre jetzt auch nicht absurd, zu vermuten, dass Herr Gabriel sich in einem solchen Fall noch einmal mit Kabinettskollegen oder mit der Kanzlerin abstimmen würde?

Schäfer: Es wäre nicht absurd, das zu vermuten. Oder, Herr Seibert?

StS Seibert: Nicht absurd.

Vorsitzende Wefers: Wenn es keine Fragen mehr zu diesem Thema oder zu anderen Themen gibt, hat Herr Nannt das Wort.

Nannt: Es ist schön, dass mir heute das letzte Wort gebührt. Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich verabschieden. Nach über viereinhalb Jahren in der Pressestelle ist es nun für mich an der Zeit, eine neue Aufgabe zu übernehmen. Ich werde an die Führungsakademie Hamburg gehen und werde dort Direktor Lehre werden. Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich für die stets professionelle, konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Es hat mir fast immer Spaß gemacht. Insofern schönen Dank und Ihnen alles Gute. Wir bleiben im Kontakt.

Vorsitzende Wefers: Herr Nannt, vielen Dank, dass Sie uns so oft zur Verfügung gestanden haben. Sie haben ja hier nicht gesessen, um Spaß zu haben. Aber umso schöner, dass es in den meisten Fällen dazu geführt hat, dass es Ihnen Spaß gemacht hat.

StS Seibert: Das hilft aber.

Vorsitzende Wefers: Natürlich! Das hilft uns allen. Viel Erfolg, alles Gute für Ihre neue Aufgabe. Vielleicht sehen wir uns ja noch einmal bei der einen oder anderen Gelegenheit. Ihnen vielen Dank.

Montag, 11. September 2017

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 11. September 2017
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/09/2017-09-11-regpk.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2017

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